Es ist eines der größeren Geschäfte in welches er will. Da sind die Sachen auch nicht so teuer. Lysander hält sich inzwischen sehr bedeckt. Ich meine, er sagt ja so schon nicht so viel aber jetzt? Irgendwie wirkt er komisch.
„Herzlich Willkommen, wie kann ich euch helfen?“, spricht einer der Verkäufer alle an. Er hat schwarzes zerzaustes Haar und einen Kleidungsstiel, welcher mir doch sehr bekannt vorkommt. Vertraut meint Alexy nur, „Sieh dir die drei doch mal an. Die haben jede Hilfe nötig! Ich meine … Mino natürlich nicht so sehr. Er – Er kann ja mal was anderes probieren!“ Das jedoch bringt die Jungs um mich herum zum lachen, nur leise. Ich hingegen stehe wieder auf dem Schlauch. Immerhin ist es schön zu wissen, dass sogar Lysander so grinsen kann. Alexy macht sich bereits auf den Weg und durchsucht alle Stangen nach passendem. Na Hauptsache er hat seinen Spaß dabei … Noch während der Verkäufer bei uns steht, kommt von hinter uns jemand dazwischen gestürmt. Sie drängt die Jungs von sich, ich kann noch rechtzeitig genug ausweichen. „Hey Schatz! Ich habe dich vermisst!“, berichtet sie ihm, dann küsst sie ihn leidenschaftlich. Dieses Mädchen … kommt mir so bekannt vor. Als sie sich von den Lippen ihres Liebsten löst, schaut sie interessiert in die Runde. „O hey Lysander, was machst du denn hier?“ „Wollte ich ihn auch eben fragen. Da bist du mir wohl zuvor gekommen.“, mischt sich der Verkäufer auch noch mit ein. „Ich? Ich bin mit ein paar Freunden hier einkaufen.“ Wie bitte? Freunde? Er verbringt kaum Zeit mit uns und bezeichnet uns sofort als Freunde? Er ist sich dessen bewusst, dass meine Blicke gerade nur ihm gelten. Immerhin Lächelt er schon wieder. Das scheint doch ein gutes Zeichen zu sein oder? „Na dann, deine Freunde sind natürlich herzlich Willkommen!“ Inzwischen hat Alexy seine wichtigste Aufgabe schon in Angriff genommen. Kentin hat zu tun, dass er am Ende nicht genauso ausschaut wie der bunte Vogel selber. Kenny wird langsam verzweifelt. Am liebsten will Alexy ihn in engen Röhrenjeans sehen und ihn in ein etwas betonenderes Hemd als jetzt stecken. Seine Hormone sprudeln wohl beim shoppen über, wer weiß. Armin hingegen zieht nur das an, was er auch EVENTUELL tragen würde. Er sagt erst gar nichts gegen seinen Bruder, das hat eh keinen Sinn. Lysander schaut sich auch um ob er etwas neues findet, was ihm gefallen würde. Er muss regelmäßig dem Zwilling platz machen, damit er vorbei kann. Bisher bleibe ich noch verschont davon! „O hallo Rosalia, du kommst genau richtig! Die Jungs hier brauchen ein Umstyling. Hilfst du mir?“, bemerkt der Blauschopf sie erst jetzt. Die Weißhaarige lässt sich das natürlich nicht zweimal sagen. Sie liebt es in Klamotten zu stöbern. Als die zwei Jungs in den Umkleiden dann erst mal genug haben, geht das Mädchen zum Zwilling. „Er etwa auch?“, flüstert sie ihm zu. „Hmm? Warum denn so leise? Mino tut dir schon nichts! Er ist ja nicht bissig oder so. Na los, jetzt ist er dran!“, krakeelt er laut genug, dass ich es hören kann. Mir ist klar, wenn ich die zwei machen lasse wie sie wollen, dann komme ich hier nie mehr wieder weg. Bevor sie überhaupt genauer schauen, stelle ich mich ihnen in den Weg. „Nur Jacken war gesagt Alexy! Vergiss das nicht!“ Rosalia merkt, dass es ihm gar keine Angst macht, wenn ich so bin. Er scheint eher froh darüber zu sein, dass ich ihn beim Namen genannt habe. Extra für das Mädchen zeige ich auch noch deutlich meine Zähnchen. „A-Aber die Hose?“ Ich verneine sofort. „Wenigstens eine andere Farbe. Dieses Grün ist out und deine Schuhe sehen auch schon so kaputt aus, um es freundlich zu sagen!“, mischt sich unerwartet das Mädchen mit ein. Ich halte für nur einen Moment inne, da nehmen sie das schon als ein ok auf. Na toll Mino, da hast du dir vielleicht etwas eingebrockt. Schon nur solche Schuhe sind viel zu teuer. Zwar habe ich die Karte meiner Mutter aber solche Preise sollten doch auffallen bei der Abrechnung! Es bereitet mir etwas Sorgen. Bevor ich sofort sehe was sie mir anschleppen verschwinde ich lieber gleich in die Umkleiden. Auch das ist neu für mich. Wenn ich in der Umkleide stehe wird mir erst Recht bewusst, dass um mich herum nur Männer stehen würden. Immerhin sind Armin und Kentin um die Ecke. So habe ich keine Zuschauer oder Gaffer von draußen. Das kann ich absolut nicht gebrauchen. Lysander soll mir soeben eine Hose, Jacke und ein Shirt vorbei bringen. Die zwei haben wirklich nicht zugehört! Er fragt vorher extra ob er rein darf. Das kommt mir schon ziemlich seltsam vor. Natürlich erlaube ich es ihm, ausgezogen habe ich mich schließlich noch nicht. Das mache ich erst, als der Vorhang wieder fällt. Soweit ich das beurteilen kann wartet er nun draußen. Das aller erste, was ich jetzt tue ist den Umschlag, den die Blonde erst haben wollte, in meinen Rucksack stecken. Vorsichtig ziehe ich mich das erste mal, mehr oder weniger, vor den Jungs aus. Es ist ein sehr beklemmendes Gefühl. Meine Schuhe muss ich wieder komplett aufschnüren und solange Alexy mich einkleidet bleiben sie auch offen. Die Hose besteht aus weißem Camouflage, immerhin daran haben sie sich gehalten. Das Shirt wäre, wenn ich wirklich ein Junge wäre, ziemlich eng. So passt es mir locker um die Taille und sogar meine Hüfte, das sehe ich ihm schon an. Ich geb's ja zu, ich bin ziemlich schlecht gebaut aber ansonsten würde ich ja auch nicht als Junge durchgehen! Das bisschen was ich an Brust habe, verbinde ich immer nur. Dadurch wird meine Brust noch ein Stück kleiner. Ich sehe es seit langem das erste mal wieder. Ich stelle mich nicht sehr oft vor einen Spiegel und erst recht nicht, wenn ich so wenig an mir habe. Als ich mir eben das Shirt überwerfen will, höre ich nur einen Aufruhr von draußen. „Ähm Leigh, nicht. Willst du nicht lieber erst mal …“, doch zu spät. Ich drehe mich eben halb um, als der Vorhang auch schon auf geht. Verunsichert stehe ich gebeugt da. „Rosa schickt mich, die soll ich dir …“, dann bemerkt er es endlich. Er ist schockiert, sprachlos wegen dem was er da sieht. Die Sachen lässt er nur fallen, dann auch den Vorhang. Sein Mund steht etwas offen und seine Augen hat er weit aufgerissen. „Lys … das ist ja …“, kann ich ihn hören. Doch noch viel erstaunlicher ist die Antwort, „Ich weiß, ich weiß aber nicht warum sie das macht.“ Meine Augen fangen an zu zittern, mein Atem genauso. „Sie hat ja überhaupt keine Brust.“, ist das erste, was dem Verkäufer daraufhin einfällt. Das ist doch jetzt nicht wahr oder?!, schreit es in mir auf. Der erste Moment des Zitterns verschwindet und ich werde fuchsteufelswütend. Dem Aufschrei in mir folgt leider auch eine Bewegung. Wütend springt mein Körper halbnackt nach draußen und auf den Verkäufer. Er stürzt zu Boden und ich hocke auf ihm. Meine Zähne blitzen hervor, mein Haar hat es zum Glück so sehr verweht, dass es mein eines Auge verdeckt. Das andere strahlt dafür umso mehr. Rot. Meine Hände haben automatisch die Haltung eingenommen, die ich aus meiner alten Schule kenne. Es würde nur noch eine Waffe fehlen, zwei Messer, dann wäre er erledigt. „Was soll das denn heißen!“, knurre ich ihn böse an. „Ähh … willst du dir nicht mal etwas anziehen!“, versucht Lys mich zu beruhigen. Als ich zu ihm Blicke sehe ich da kein Entsetzten oder Ratlosigkeit, höchstens ein paar Fragen, mehr nicht. Er lächelt mich freundlich an. Er meinte, er wusste es schon … Er sitzt hinter mir, er sagt nicht viel, er beobachtet die Leute um sich herum und er … schreibt. Mir hätte von Anfang an klar sein sollen, dass ich jemanden wie ihn nicht täuschen kann. Gerade weil er schreibt ist klar, dass er ein anderes Gespür für Menschen haben muss. Ob er es wohl von Anfang an wusste? „Du solltest langsam von meinem Bruder runter gehen. Ich glaube Rosa sieht das nicht allzu gerne. Probiere endlich deine neuen Sachen an.“ Irritiert stehe ich auf – starre ihn an. Er lächelt schon wieder, diesmal viel ehrlicher und offener als sonst. „Nun mach schon. Von uns verrät es sicher keiner aber die anderen kommen bestimmt auch bald schauen.“ Es ist gut, dass er es so locker sieht, so verschwindet zumindest kurz mein Zittern. Hätte ich nicht gedacht. Er zeigt mir nochmals mit einer Kopfbewegung, dass ich endlich in der Kabine verschwinden sollte. Diesmal höre ich. Sein Bruder liegt noch immer vollkommen verwirrt am Boden. Ihn springen nicht häufig schwach gebaute Mädchen nur in Slip und Verband an. Sobald ich wieder in der Kabine bin werde ich knallrot. Zitternd schließe ich meine Augen und versuche all diese Regungen in mir verstummen zu lassen. Er hat Recht, der nächste der kommt, macht es wahrscheinlich genauso wie dieser Verkäufer. Hastig, noch immer unruhig zitternd, werfe ich mir endlich das Shirt über, die Hose an und letztendlich auch die Jacke. Es wird auch mit der Bewegung nicht besser. Ich bin das zwar schon gewohnt aber das heute ist nochmal viel schlimmer als sonst. Die Erleichterung von eben ist schon verschwunden seitdem ich wieder hier drinnen stehe. Egal wie locker er das sieht, für mich ist das alles andere als leicht … „Wir sind immer noch alleine hier, lass die Kapuze doch ab.“, versucht er mich freundlich zu überreden. Hat er wirklich so genau zugehört? Wusste er, dass ich fertig mit umziehen bin? Er ist wirklich sehr aufmerksam. Der Verkäufer, der ja anscheinend sein Bruder ist, hat sich inzwischen auch wieder gefangen. Er sitzt neben seinem Bruder auf einem der Stühle. Gerade weil ich das alles weiß, habe ich umso mehr Angst davor heraus zu kommen. Ich stehe zwar vor dem Vorhang, bekomme ihn aber nicht geöffnet. Fast schon vertraut stellt sich Lysander davor und öffnet ihn an meiner Stelle. „So schlimm ist es doch nicht. Du bist ja immer noch ganz rot!“, belustigt er sich. Für mich ist das alles andere als lustig. Stimmt, ich bin rot, weil es mir peinlich ist und es wird von Sekunde zu Sekunde schlimmer, bis es sogar mal wieder anfängt im Herzen wehzutun. „Hey Mino, was sagst du? Ist zwar nichts für die Schule aber hässlich ist es auch nicht.“, stellt mir wer die Frage noch bevor er da ist. Die Stimme kenne ich. Als nun auch noch Kentin an der Ecke steht, gehen seine Blicke zu aller erst an mich. Er sieht, dass ich etwas gebeugt da stehe, meine Hände vor meinem Herzen halte und meine Kapuze nicht auf habe. Lysander steht direkt vor mir. Kentin schaut mir in die Augen und weiß, dass ich mir diese Situation nicht ausgesucht habe, vor allem aber sieht er, dass ich bald mein Bewusstsein verlieren würde, würde ich noch länger so verharren. Meine niedrige Brust bewegt sich viel zu hastig, zu stark. Bevor die beiden sich und ich mich versehe, stehe ich erneut hinter dem Vorhand. Kentin hält Lysanders Hand fest im Griff. Sein Blick ist böse, das kennen die zwei Jungs noch nicht. Er braucht nichts sagen, da lässt er den Weißhaarigen auch schon los und kommt kurz zu mir in die Umkleide. Lysander taumelt zurück zu seinem Bruder. „Was ist passiert?“, flüstert er mir zu und hockt sich vor mich auf den Boden. Ich sitze auf dem Hocker und atme tief durch. Ich würde nicht antworten, wenn das weiter so geht. Vertraut, vertrauter als sonst jemand, hebt er mit beiden Händen die Kapuze über meinen Kopf. Seine Hände lösen sich nicht von mir. Er nimmt sie nur etwas tiefer, damit er mein Gesicht in beiden Händen halten kann. Mit seinem Körper kommt er mir noch etwas näher. Ich kann nicht mal an ihm vorbei schauen. Mein Haar lässt er wieder über mein sonst verdecktes Auge fallen. „Hey, schon gut. Ist ja nichts passiert.“ Damit mein Körper endlich wieder tut was ich sage, blickt er mir weiter in die Augen. Er weiß, dass mir so etwas helfen kann. Den beiden Jungs wird nun aber einiges klar, zumindest soviel, wie Kentin auch bereits weiß. Sie hat Angst vor anderen Menschen …
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