Der Brief ist nun weg. Lautstark trample ich nach oben und schmeiße mich in mein Bett. Ich spüre Wärme, die meinen Mundwinkel entlang fließt. Blut. Ich bin so erschöpft, dass ich binnen weniger Sekunden leise schnurrend einschlafe.
Als mich die prickelnde Sonne aus meinen Schlaf reißt, öffnen sich meine Augen weit. Erschrocken sehe ich auf den Wecker. O nein! Hastig laufe ich einfach los. Mir fällt ein, dass mein Rad am Schultor steht. Also Beeilung! Neben der Tür sehe ich meinen Rucksack. Den greife ich mir und laufe ungehalten los. Sue komm! Genau am Tor, neben meinem Rad bleibe ich stehen. Ich atme tief durch und stütze mich mit einer Hand am Sattel. Mir ist unsagbar warm geworden. Ich bin nichts mehr gewohnt. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich sie neben mir stehen, auf dem Fahrradsattel. Ich darf nur nicht zu auffällig hinsehen. Als die Sonne vor mir verdunkelt wird, schaue ich verwundert auf. Da erspähe ich zwei schmale, schwarze Augen. Peinlich. Und schon sehe ich wieder das hübsche Fischgrätenmuster aus Pflastersteinen vor mir. Warum muss mich gerade JETZT ein Kerl sehen?! „Doch nicht Schule schwänzen? Angst?“ fragt er mich. Mit einem mal komme ich mir vor, als würde ich in einem Kühlschrank stecken. „Wie kommst du darauf? Ich schwänze nicht!“ „Nur so, warum denn nicht.“ Ignorierend ziehe ich an ihm vorbei. Mir ist es wichtiger nicht noch später zu erscheinen, als mit ihm zu diskutieren. Gleich die ersten Stunden sind Mathe und Kunst. Das sind ein paar meiner Lieblingsfächer. Mit den Jahren kam auch Musik dazu. Ich habe mich immer noch mit keinem anfreunden können, also unterhalte ich mich zwangsweise mit mir selber, mit Sue. „Wie blöd. Meinen Stundenplan kenne ich leider immer noch nicht. Irgendwie konnte ich immer den anderen folgen. Bisher habe ich sie auch noch nicht aus den Augen verloren.“ Als ob mich eines der Mädchen verstanden hätte, stellt sie sich vor mich und spricht. „Hallo. Du bist neu nicht wahr? Ich bin Iris. Nett dich kennen zu lernen.“ „J-Ja m-mein … mein Name ist Misami, a-also Misa.“ quäle ich aus mir heraus. Das ist mir so unangenehm. Ohne noch mehr zu sagen, gehe ich einfach weiter. Es stimmt mich traurig, dass ich mich nicht getraut habe sie nach dem Plan zu fragen. Bereits auf dem Flur, erwische ich mich dabei, wie ich die Tür zum Schülervertreter bereits anstarre. Als ich nach langem überlegen doch anklopfe, ist es so leise, dass er es unmöglich gehört haben kann. Eigentlich hoffe ich inzwischen sogar, dass er es überhört hat. Nach dem gestrigen Tag würde ich lieber im Erdboden versinken. „Komm ruhig rein!“ bittet er mich zu sich. Als ich ihn vor mir sehe, weiß ich genau was er denkt. Er hätte nicht gedacht, dass ich tatsächlich hinein komme. Mich überrascht es ja selber. „H-Hey … ich, ich weiß nicht wo ich jetzt U-Unterricht habe. Kannst … kannst du mir vielleicht helfen?“ piepse ich. Er sieht von seinem Schreibtisch auf und lächelt mich an wie gestern auch schon, warm und freundlich. Das beruhigt mich. „Klar doch. Warte, ich muss danach suche.“ Wieder ein kurzer Funke von Mut. „Klar doch, wann musst du das mal nicht.“ Er ließ jeden Kommentar. Doch selber von hinten konnte man sehen wie er kopfschüttelnd aufrichtig lächelte. „Tut mir Leid. Ich habe versäumt ihn dir zu geben.“ entschuldigt er sich und übergibt mir den Zettel. Daraufhin entschuldige ich mich bei ihm – für gestern. Auch ohne Worte war klar, dass er einfach drüber hinweg sieht. Mit einem Blick auf den Plan, ließ ich meinen Arm sinken schloss meine Augen und prustete genervt über den Hof. „Nein, nur kein Sport!“ Sue was mache ich jetzt? „So unsportlich wirkst du gar nicht.“ mischt sich eine Stimme von der Seite ein. Erschrocken zucke ich zusammen und sehe mich irritiert um. Mein Blut strömt schneller durch meine Adern. „Erschrecke mich doch nicht so!“ beschwere ich mich. Meine Reaktion scheint ihn zu belustigen. Zum ersten mal legt sich ein Lächeln auf seine Lippen und ein kichern kriecht ihm aus der Kehle. „Willst du mal wieder Schule schwänzen?“, stichelt er weiter. Ich spüre, wie sich unter meinem Cap meine Ohren spitz aufstellen und hinter mir ein dünner Schwanz auftaucht, der leicht wedelt. Man kann beides nur sehen, wenn man genau hinsieht. Sue blickt mich mit leuchtenden Augen an. Meine Knie drücke ich verspielt durch. Ein wenig böse blicke ich ihn an. „Du nervst vielleicht! Ich habe bisher noch nicht einmal die Schule geschwänzt! Warum sollt ich es also jetzt tun?!“, rege ich mich unerwartet mutig auf. Er schmunzelt schon wieder. Mein Schwanz verschwindet, als ich mir dessen bewusst werde. Stattdessen schaue ich, noch immer genervt, zur Seite hin weg. Dieser Kerl! Was will der überhaupt? Er nervt nur und das nicht zu knapp! Warum spricht er mich erst an, wenn er doch nur über mich herzieht. Ich werde nicht schlau aus dem! Wer ist der überhaupt?! Noch bevor ich ihn fragen könnte, was ich mich nun eh nicht mehr getrauen würde, stellt er mir schon eine Frage. „Du bist sicher eine der Neuen oder?“ Zischend blicke ich weg und bekomme plötzlich kein Wort mehr heraus, denken kann ich aber noch. Nein, ich gehe schon seit mehreren Jahren hier zur Schule. Du hast mich bisher noch nie bemerkt, denn du bist ja nie im Unterricht. Wärst du es, würdest du schließlich neben mir sitzen und das wissen! HA HA!, beschwert sich mein Innere sarkastisch. Unbewusst habe ich mit einem Teil Recht, er würde wirklich neben mir sitzen. Innerlich würde ich ihn gerne fragen wer er ist und ob er wenigstens im Sportunterricht mal anwesend wäre, doch ich bekomme meine Zähne einfach nicht auseinander. Ich mache mir lieber Gedanken, wie ich zur Halle gelange. Sobald ich mich für eine Richtung entschieden habe, bemerke ich seine abwertenden Blicke in meinem Nacken. Irritiert wende ich mich halb zu ihm. „Ich gehe dann mal zur Halle. Diesmal lasse ich mir das nicht entgehen. Bin mal gespannt, wie sehr ich heute lachen darf.“, dabei schlägt er genau die entgegengesetzte Richtung ein. Wie peinlich, jetzt muss ich ihm auch noch nach laufen. Ich lasse ihn weit genug vorne weg gehen und tue dann, was ich tun muss. Obwohl der Rotschopf so weit weg ist, höre ich ihn noch immer lachen. Sue... Ungewollt grinse auch ich mal kurz. Er läuft mit Absicht langsamer als ich, damit ich umso deutlicher höre, wie sehr er darüber lachen kann, dass ich neu bin. In der Halle fällt mir mal endlich ein, dass ich keine Sportsachen dabei habe. Der Lehrer weiß es anscheinend schon, wenn ich nur wüsste von wem! Ich soll einfach Barfuß in die Halle gehen. Das ist nicht weiter ungewöhnlich für mich. Früher in der Grundschule auf einem Dorf, sind wir fast alle so herum gelaufen und jetzt hier in der Halle bin ich auch nicht die einzige. Der Rotschopf lässt sich Zeit, um überhaupt mal die Turnhalle zu betreten. „Castiel, los schneller. Auch wenn du nicht mitmachst, setz dich wenigstens an den Rand.“, befielt ihm der Lehrer. Er heißt also Castiel. Er lässt sich nur ungern etwas sagen aber die ganze Stunde über nur stehen widerstrebt ihm nur noch mehr. Also zieht er ignorierend am Lehrer vorüber und setzt sich. Schon als er hinein kam, bemerkte er die 'Trottel' der Klasse, die sich nicht mal merken konnten, dass sie Sport hatten. Ich zählte dazu. Sobald er sich setzt, gehen seine Blicke zu meinen Füßen und wieder zu mir, nur um dann lachend, zischend, wegzusehen. Sobald ich nicht mehr darauf achte, was er tut, wendet er sich noch einmal an meine Füße. Er glaubt etwas erspäht zu haben. Er erblickt mein Tattoo über meinem Knöchel. Es ist nicht sonderlich groß aber auch nicht zu klein. Er erkennt das Zeichen als einziger, denn es ist ein Totenkopf und gehört zu einer Rockband. Winged Skulls, sie kennt sie. Na wer hätte das gedacht. So langsam wird sie interessant. Der Lehrer verlangt von uns allen, dass wir uns aufstellen. Er kontrolliert uns, ob wir auch nichts mehr an Schmuck oder ähnlichem tragen. Gerade die Mädchen betrachtet er da genau. Sobald Amber an der Reihe war, schaut er nur noch missbilligend. Er braucht gar nichts mehr sagen, sie setzt sich von allein an den Rand. Lieber behält sie alles an Ringen und Ketten. Noch unauffälliger hätte sie sich nicht genau neben Castiel setzen können. Mir rutscht ein Lächeln über die Lippen, nur kurz. Viel schneller als ich dachte, steht er auch vor mir. Ich begreife nicht, was er von mir will. Ich trage keinen Schmuck, niemals. „Du bist neu in der Klasse oder? Na gut, dann erkläre ich es dir einfach mal. Alles an Schmuck und alle Mützen müssen abgenommen werden. Handys sind genauso wenig erlaubt.“ Deswegen also. Eher zu mir selber murmelnd, rutscht mir raus, „Es ist ein Cap und ich will nicht.“ Ich brauche nicht mal einen Blick zum Rotschopf werfen, damit ich weiß, welchen Ausdruck er auf dem Gesicht haben muss. Er glaubt ich tu es nicht. Mein Blick fällt eher zum Blondschopf. Nathaniel nickt mir unauffällig zu und fasse etwas Mut. Ich will sie gerade vom Kopf nehmen, als sich der Lehrer beschwert wie lange ich doch brauche. Na toll, all der Mut ist nun kaputt! Zu Boden starrend mache ich gar nichts mehr. Da mischt sich Nathaniel lieber mit ein. „Herr Tanaka, können wir nicht einfach anfangen mit spielen? Es soll doch Noten geben oder?“, löst er das Problem am geschicktesten. In der gleichen Zeit wie er wegsieht, trete ich ein paar Schritte zurück und zerre das Cap hastig von mir, so als ob ich es nie auf gehabt hätte. Ich hasse ärger in der Schule. Als er wieder zu mir sieht, mustert er mich noch strenger als eben. Zwischen meinen blonden Haaren, blitzen ein paar kleine Katzenohren hervor. Mit aller Macht versuche ich diese unter meinem Haar zu verstecken. Der Sportlehrer glaubt nicht, was er da sieht. „Ich sagte doch, alles abnehmen!“, wird er mir gegenüber laut. Die Augen zu kneifend, denke ich nur an meine Freundin. Sue, Sue, Sue, Sue! Natürlich wurde somit auch die Aufmerksamkeit der anderen Schüler geweckt. Sie begaffen mich neugierig, als wäre ich aus dem Irrenhaus entsprungen. Die glauben mir zwar aber das ist das letzte was ich eigentlich von ihnen wollte. Niemand sollte sie sehen und erst Recht nicht gleich am zweiten Tag. Der Kommentar des Lehrers war mir zu viel. Ich merke, wie mein Blut in Wallung gerät. Es schießt mir förmlich in den Kopf vor Wut. Zugleich lege ich meine Ohren böse zurück. Ab da an glaubt auch er, dass sie echt sind. Wenn mich alle so anstarren und ich immer wütender werde, gibt es nur noch eine Lösung für mich. Verzweifelnd laufe ich nach draußen. So viel Aufmerksamkeit, das bin nicht ich. Ich bin … Sue! Die einzigen beiden die es nicht gesehen haben, sind Ken und Castiel. Ken ist einfach zu klein, er konnte durch die anderen nicht durchsehen und Castiel sah weg, sobald ihm klar wurde, dass ich mir von Nathaniel Bestätigungen hole. Er revidiert seinen vorherigen Gedanken komplett und blickt angewidert nach draußen. Der Blondschopf wäre mir ja nachgelaufen, doch ihm ist wichtig, was die anderen von ihm denken. Okay, unsere Eltern kennen sich, gut, sehr gut und wir haben das auch mal aber … das würde doch jeder falsch verstehen oder?, geht ihm durch den Kopf. Also bleibt da brav da stehen wo er jetzt ist. Am Ende läuft mir doch nur der Lehrer nach. Er sucht alles um die Turnhalle herum ab, bis hin zum Schulhof. Um die ganze Schule abzusuchen bräuchte er wesentlich mehr Zeit und keine Schüler, die auf ihn warten. „Na was soll's, wird sie eben als fehlend eingetragen.“, macht er es sich einfach.
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