Für mich ist der Weg noch lange nicht vorbei. Das Stück Stoff lasse ich um meinen Finger drum. Am Hauptbahnhof muss ich noch eine Stunde warten, eh die nächste Bahn kommt. Auf der Fahrt nach Hause wäre ich fast eingeschlafen. Immer wieder hält mich irgendein Fremder wach. Man kann ihn ganz einfach beschreiben: klein, alt, gemütlich.
Mir fällt flüchtig ein, dass ich noch einkaufen gehen muss, bevor ich Heim darf. Genervt steige ich also zwei Stationen vorher aus und mache mich auf den Weg. Endlich im Hausflur mit den zwei Tüten angekommen, schleppe ich mich schwerfällig nach oben. Als ich auf die Uhr sehe, ist es bereits halb elf. Meinen Finger vergesse ich dabei komplett. Erst als ich beim auspacken der Getränke an einem Schrank hängen bleibe, zerreißt der Fetzen beinahe. Mein Unterbewusstsein sagt mir, dass genau das nicht passieren sollte. Als ich genauer hinsehe, entdecke ich auch den Grund dafür. Sogar von außen sieht man inzwischen die schwarzen dünnen Linien. Vorsichtig wickel ich es vom Finger ab und breite es vor mir aus. Es steht ein kleiner Text darauf. Ein Teil ist leider schon verwischt. „Tala. … ?“ Was das wohl zu bedeuten hat. Ob er wohl wissen wollte wie ich heiße? Die Tür fällt lautstark ins Schloss und ein lautes, genervtes Stöhnen ertönt. „Ach, schon wieder zurück?“ „Ja mom! Sage mal, musste das sein? Das war echt übertrieben!“, regt der Rotschopf sich sofort auf. „Ganz Recht so. Du hast die Kleine echt mies behandelt, da musste ich doch etwas unternehmen.“ „Warum hast du sie überhaupt rein gelassen? Sie hätte vorher anrufen sollen. Das steht doch alles auf unserer Seite und auch nur da bekommt man unsere Adresse her!“, regt er sich weiter auf. Seine Mutter steht in der Küche und bereitet etwas zu Essen zu. „Es gibt gleich Essen. Pack die Einkäufe in die Schränke und komm rüber.“ Noch immer genervt brabbelt er irgendetwas, doch die Frau versteht kein Wort. Nach etwa einer viertel Stunde ist er auch damit fertig. Bevor er in die Küche geht, begibt er sich nochmal in den Keller. Am Tisch sitzend, muss er nicht mehr lange warten, bis seine Mutter ihm das Essen bringt. Sie holt nur schnell ihren Teller und setzt dich dann. Neben dem Jungen stehen schon zwei geöffnete Bierflaschen. „Ach Tala, muss das denn immer sein?“ „Mensch mom, ich bin 20! darf ich nicht mal irgendwann selber entscheiden was ich tun darf?!“ Sie sagt besser nichts mehr dazu und fängt lieber an zu essen. Mit Essen im Mund spricht man schließlich nicht. Nach einer Weile legt sie ihr Besteck zur Seite und meint, „Ich finde sie sehr nett. Sie kommt doch ganz vernünftig rüber. Was hast du gegen sie auszusetzen Tala?“ „Da fragst du noch? Du weißt doch wie das bis jetzt immer abgelaufen ist. Die schmeißen sich alle nur ran!“ „Das können sie auch nur, weil du ein zu weiches Herz hast.“ Perplex hält er in seiner Bewegung inne, „Beschwerst du dich gerade über deine eigene Erziehung?“ „Das hat doch nichts mit Erziehung zu tun. Nun gib doch endlich zu, dass du sie ganz nett fandest.“ Langsam gibt er sich geschlagen, „Woher willst du das denn wissen?“ „So etwas sehe ich dir an deiner Nasenspitze an. Du bist doch immerhin mein Sohn.“, legt sie ihre sanfte Stimme auf. „Hast du nicht mitbekommen, wie sie Angst vor dir hatte? Findest du so etwas denn schön?“ „Du hast ihr doch sicher gesagt, dass ich ganz anders bin oder?“ „Ja und dennoch hatte sie Angst. Seitdem du in dieser WG warst …“ Wütend erhebt sich der Rotschopf und stemmt seine Hände auf den Tisch. „Es reicht! Immer wieder das gleiche. Das hat nichts mit meiner WG zu tun ob ich nun nett zu einem kleinem Mädchen bin oder nicht!“ Doch da fängt der Streit erst richtig an … Ich, also das 'kleine Mädchen', schaffe es nicht mal mehr mir etwas zu Essen zu machen. Ich setze mich auf mein Sofa und schalte den Fernseher ein. Nach ein paar Minuten falle ich einfach um und schlafe tief und fest. Der Tag war lang genug und ich bin froh, mein weiches und warmes Bett zurück zu haben. Und doch ist es eigentlich furchtbar, denn an einem Samstagabend habe ich nichts bessere zu tun als zu schlafen. Erst gegen Mittag werde ich wach. Sofort ziehe ich mir neue Sachen an, packe alles zusammen und mache mich auf den Weg. Wo hin? Na zum Waldplatz! Sobald ich aussteige, bemerke ich diese ungewöhnliche Stille. Kein einziger Ton erklingt und wir sind hier immerhin im Wald. Wenigstens ein Vogel müsste erklingen oder ein Hund bellen oder ähnliches, doch nein, nichts! Es beunruhigt mich. Ich muss mich ständig zu allen Seiten umdrehen. Nach ein paar Minuten ertönt endlich mal etwas. Es hört sich an als würde Holz auf Holz geschlagen. Zuerst erschrecke ich mich und fahre zusammen, doch schon beim zweiten, dritten mal spüre ich Erleichterung. Erleichterung die nicht lange hält, denn das Geräusch geht im Takt einer Uhr. Jede Sekunde ertönt ein Klopfen, welches durch alle Baumkronen flüstert. Ich hasse es Angst haben zu müssen. Allein schon deswegen bin ich neugierig genug, um darauf zu zu gehen. Wenn ich weiß was es ist, brauche ich mich nicht mehr zu fürchten. Also führt es mich vom Hauptweg ab, zwischen das Geäst und Gestrüpp des Waldes – immer weiter dem Geräusch entgegen. Der junge Rotschopf stand schon recht zeitig auf. Nach dem Streit gestern hat er sich viele Vorwürfe gemacht. Er kann kaum glauben, was er seiner Mutter alles an den Kopf geworfen hat. Er erinnert sich nicht gern daran, dass sie am Ende sogar mit Tränen in den Augen vor ihm geflüchtet ist. Den halben Tag verbringt er nun schon draußen. Heim gehen kommt für ihn erst mal nicht in Frage. Er erinnert sich, dass er früher oft hier draußen im Wald gespielt hat. Irgendetwas schien sich auch seinen Augen geändert zu haben, doch die Stille fällt ihm erst gar nicht auf. Viel mehr versinkt er in seinen Gedanken. Sie hätte mich ja nicht zu provozieren brauchen. Ich habe ihr doch schon früh gesagt, dass ich schlechte Laune habe. Das hat sich den Tag über nicht geändert. Sie musste es ja dazu kommen lassen hoffentlich nimmt sie mir das alles nicht mehr übel. Ich muss mich später wohl doch mal bei ihr entschuldigen. Auf dem Weg nimmt er das gleiche klopfende Geräusch wahr, doch eher im Unterbewusstsein als wirklich deutlich. Er nimmt auch nicht wahr, wie es nach ein paar Minuten ebenso verstummt wie alle Tiere des Waldes es sind. Sein Spaziergang durch den Wald dauert nun schon lang genug. Er hofft, dass seine Mutter ihm nun zuhören würde. Also nimmt er wie gewohnt den Hauptweg, Schon von weitem nimmt er eine Silhouette wahr, doch alles andere fesselt ihn so sehr, dass er es einfach ignoriert. Ich merke, wie ich gegen etwas hartes lehne. Die Fläche hinter mir ist unregelmäßig und dadurch rau. Nach kurzem überlegen merke ich, dass es nur ein Baum sein kann. Irgendetwas in mir sagt mir, dass ich lieber hier waren sollte. Vielleicht kommt ja auch der Junge von gestern noch hier vorbei, dann muss ich nicht extra bis zu seinem Haus. Tala. Das hat er mir geschrieben. Immer deutlicher spüre ich meinen Kopf, der Schmerz plagt mich. Es tut weh. Auch wenn ich erst nicht hinsehe, so kann ich doch deutlich Schritte herannahen hören. Angestrengt wage ich einen Blick zur Seite. Ja, also liege ich richtig, der Kerl von gestern ist da. Auch wenn es nur noch schwer zu lesen war aber er hat mir eine Frage gestellt. Wenn er wollte, dass ich sie beantworte, dann müsste er auch gewollt haben, dass ich wieder komme. Zumindest glaube ich das. Immer näher kommend, erkennt auch er wer da ist. „O nein, nicht die schon wieder.. die kann ich jetzt echt nicht gebrauchen und ist wohl die letzte, die ich hier sehen will!“ so weit er sehen kann, versuche ich gerade aufzustehen. Was er erst später bemerkt ist, wie schwer mir das eigentlich fällt. Er glaubt nicht, dass ich wirklich so schwach und zierlich bin, wie es gerade den Anschein macht. Möchte ich wohl nur Mitleid bei ihm wecken? Er fängt an zu überlegen. Sollte er wohl wieder umdrehen und einfach gehen, als hätte er mich nicht gesehen? Doch er lebt ja hier und nicht ich. Also läuft er weiter auf mich zu und überlegt des weiteren mich einfach zu ignorieren. Er muss selber feststellen, dass ihn ja schon irgendwie interessiert, was ich schon wieder hier mache. Als er nah genug an mir ist, ohne schreien zu müssen, fragt er nach, „Was tust du schon wieder hier?“ Er merkt, wie schwer mein Atem geht. Es ist anstrengend stehen zu müssen. Was ist nur los mit mir? Ich sehe ihn nur von der Seite her an. Jegliche andere Bewegung verweigert mein Körper. Was hat das wohl zu bedeuten? Als er mich deutlicher mustert, sieht er endlich den Stofffetzen in meiner Hand. „Ich habe gehofft, du könntest es nicht mehr lese, wenn du zu Hause bist.“ „Hat leider – nicht geklappt.“, quäle ich schwer aus mir heraus, leise. „Du wolltest wohl – wohl etwas wissen. Mein – Mein Name ist …“, ich kann kaum glauben, dass kaum noch ein Ton über meine Lippen gelangen will. Jetzt, wo er endlich mal zuhört. Dass er plötzlich so beunruhigt ist, macht es für mich nicht besser. „Hast du etwas?“, will er sanft wissen. Ich greife mit lediglich an meine Stirn und schließe für kurze Zeit meine Augen. „Nur etwas Kopfschmerzen, nichts schlimmes.“, versuche ich ihn und gleichzeitig auch mich zu beruhigen., doch es klappt nicht, weder beim einen noch beim anderen. Eher vorsichtig kommt er mir entgegen, ich bemerke es kaum. Er sieht etwas, was ich noch nicht gesehen habe. „Ritzt du dich? Ich meine am Arm?“ Ich verneine und weiß insgeheim gar nicht was er damit meint. Der Rotschopf ist heute schlagartig so gesprächig. Jedes Wort, was er von sich gibt, hallt in meinem Kopf nach, als würde es schallen. Es fühlt sich an, als würde er schreien, dabei spricht er ganz ruhig. Mein Kopf schmerzt immer mehr, immer schlimmer. Eigentlich will ich ihm doch nur meinen Namen sagen und dann verschwinden. Innerlich kämpfe ich damit. Ich will es schaffen und das werde ich auch noch. Was ist eigentlich passiert? Was lief da eben ab? War ich nicht eigentlich auf dem Weg zum Haus und bin dann irgendwie vom Weg abgekommen? Warum sitze ich dann jetzt wieder hier? Was ist passiert? Wie ist es passiert?! Langsam nehme ich meine Hand von meiner Stirn. Der Rotschopf meinte eben noch, ich würde am Arm bluten. Vielleicht bin ich im Wald ja hingefallen? Ich habe nichts bemerkt, also muss ich mir das ja mal ansehen. So wie ich mich kenne, würde mich gar nichts mehr wundern. Abgesehen davon sehe ich ja eh schon nur noch alles verschwommen. Sobald ich meinen Arm ansehen kann, fällt mir fast noch mehr meine Hand auf. Es macht mich nervös. Was ist das und wieso? Ungewollt zittert mein ganzer Körper. Alles daran war voller Blut. Es tropft von meiner Hand als wäre es Wasser oder Schweiß. Woher kommt das?! Was noch viel schlimmer ist, ist dass Tala sieht, wie sehr ich zittere. Ich nehme kein einziges Wort mehr von ihm wahr. Trotzdem versucht er weiter auf mich einzureden. „Jetzt sage schon, was hast du? Geht es dir wirklich so schlecht? Warum kommst du dann erst hier her?“ Angekratzt durch mein seltsames Verhalten, kommt er schnell zu mir rüber. Mein Körper zittert immer mehr, umso länger ich mir das tropfende Blut anschaue. „Dummes Kind jetzt sprich schon!“, brüllt er mich böse an. Endlich nehme ich seine Stimme wahr. Er macht mir Angst und aus Angst zucke ich stark zusammen. Verwirrt schaue ich ihn an, genauso erschrocken wie ich eben, hält er inne. Vor mir wird plötzlich alles schwarz. Ich spüre nur noch, dass ich nicht auf den harten Boden aufkomme. Tala sieht nur diese riesige, klaffende Wunde an meinem Kopf und all das Blut an meiner rechten Seite. Die Fragen in seinem Kopf häufen sich und er droht zu platzen, wenn es noch mehr werden. Als er sieht, wie ich mich nicht mehr auf meinen Beinen halten kann, wird sein Kopf plötzlich klar. Er ist leer und denkt nur noch daran, dass nicht noch schlimmeres passieren darf. Er fängt mich mit beiden Armen auf und sieht mich verstört an. Unendliche Leere füllt ihn. Sogar er zittert nun. „Mädchen, was ist passiert?!“ Leicht, mit unruhiger Hand und noch weniger ruhigen Fingern, umfährt er die Wunde. So lange, bis er endlich wieder reagieren kann. Hastig sucht er seine Taschen ab, doch muss feststellen, dass er sein Telefon zu Hause vergessen hat. Innerlich flucht er nur noch. Äußerlich legt er einen meiner Arme um seine Schultern und umfährt meine Beine mit einem Arm. Mit einem kräftigen Ruck hebt er mich hoch und will nur noch schnell Heim. Als er das Haus endlich sieht, ruft er verzweifelt nach seiner Mutter. Sie soll doch nur einen Krankenwagen rufen, mehr nicht! Doch sie hört nicht. Sie verschließt ihren Kopf komplett, durch den Streit von gestern. Sie überhört es so lange es geht, bis er einfach zu nahe dafür ist. Sie spürt seine Unruhe. Diese überträgt sich schnell auf die Frau. Also wagt sie doch mal einen Blick aus dem Küchenfenster. Sie erkennt, wie eilig er es hat und dass ich auf seinen Armen liege. Sofort greift sie zum Hörer und verständigt den Rettungswagen. Sie versteht endlich, warum er so sehr den Wald zusammen brüllt. Als er endlich vor dem Haus ankommt, rennt sie sofort aus dem Haus und durchbohrt ihn mit seinen Fragen, doch die wichtigste aller Fragen war die eine, „Warst du das?“ „Was?!“, kann er es nicht glauben, „Was denkst du eigentlich von mir! Ok, ich war sauer aber das … spinnst du!“, lässt er den Druck erneut von sich abfallen. Erst dann kann er erklären was passiert ist. Was ja eigentlich nicht viel ist, da er mich lediglich am Wegesrand fand. In all der Panik weiß keiner so recht, was er tun soll. Wie aufgescheuchte Hühner laufen sie auf und ab. Sie warten lediglich auf die Profis. Erst nach einer viertel Stunde hört man endlich das Horn. Inzwischen ergibt das eine große Blutlache auf dem Boden vor ihrem Haus. Sie haben versucht die Blutung mit ein paar Handtüchern zu stoppen, doch es hat nichts gebracht. Beide fahren dem Wagen nach, sobald ich drinnen bin. Sie fühlen sich aus irgendeinem Grund verantwortlich dafür. Noch am selbigen Tag, gleich nach der Behandlung wache ich auf. Keiner war mehr da. Noch immer plagen mich höllische Kopfschmerzen und so wirklich kann ich auch noch nichts erkennen. Nach ein paar Minuten des Durchatmens setze ich mich schwerfällig auf. Die Uhr neben mir verrät mir, dass es kurz vor Mitternacht ist. Gleich neben der Uhr liegt ein kleiner Zettel. Ich brauche lange, um zu entziffern was darauf steht. „Schreibe mir, sobald du wach bist. Egal wann!“, steht darauf und gleich darunter eine Nummer. Es muss wohl die von seiner Mutter sein. Wir hben es Mitternacht, da rufe ich doch keinen mehr an!, beschwert sich mein innerstes. Ich lasse mich noch immer erschöpft fallen. In meinem Kopf herrscht wohl genauso große Unruhe wie bei den anderen beiden. Ich weiß selber nicht was passiert ist. Ich schäme mich, dass es so weit gekommen ist. Warum gibt es überall wo ich auftauche Probleme?
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