Gerade als er geht, läuft direkt neben ihm jemand hinein. Normalerweise würde mich das ja nicht interessieren und eigentlich wollte ich wissen wo der Rotschopf hin will, doch irgendwie, irgendetwas an der Person kommt mir komisch vor. Ich sitze oft an diesem Fenster. Weil ich immer alleine bin, habe ich meistens nichts anderes zu tun als hinauszuschauen.
Diese Person ist ein Junge, so viel erkenne ich zumindest. Es lässt sich schwer einschätzen wie groß dieser ist, dafür bin ich einfach zu weit oben. Sogar bis hier oben hin spüre ich es, diese Arroganz in ihm. Seine Gangweise ist sogar anders als die anderer. Obwohl ich sein Gesicht nicht sehe, so weiß ich, dass er jeden einzelnen Schritt plant. Er wirkt kalt, abweisend, durch seine eigenwillige, eingebildete Art. Ich weiß, ich kenne ihn nicht aber es wirkt eben so auf mich. Ich sehe jeden Tag die Leute hier hineingehen und zum Auto laufen und auch vor dem Tor die Radfahrer und Fußgänger kenne ich inzwischen fast auswendig. Zwar gehe ich erst seit ein paar Wochen auf die Schule hier aber wohnen tun wir schon länger in diesem Haus. So eine Person oder jemand ähnliches ist hier noch nie entlang gekommen. Kopfschüttelnd versuche ich mich davon abzuwenden, abzulenken und gehe in die Küche. Da hole ich mir noch mehr von diesem Eis-Zeugs, was mir Alexy angedreht hat. Ich glaube diesem gefrorenem Zeug bin ich ziemlich verfallen. Schließlich überlege ich mir meine Jacke endlich mal auszuziehen. Das Shirt und die Boxershort behalte ich an. Anstelle der Jacke folgt wie immer die Decke. Bewaffnet mit Eis, Decke und einem großen Löffel bin ich wieder am überlegen. Ich fixiere ganz stark die Couch mit meinen Augen, doch meine Beine wollen nicht und alles andere auch nicht. Genervt von mir selber, von meinem Sturkopf, setze ich mich erneut ans Fenster. Es steht noch immer weit offen. Ich setze mich auf das niedrige Brett und fühle mich hinter der halbhohen Wand geschützt genug, um die Decke nur über meine Hüften gleiten zu lassen. Als ich wieder zu ihm nach unten sehe, gebe ich zu, dass ich einfach vergessen habe sie mir über den Kopf zu legen. Einerseits umarme ich den Kasten voll Eis, andererseits steche ich mit dem Löffel darauf ein und schlecke die entstandene Kugel daraufhin ab. Es dauert lange ehe ich eine der Kugeln leer bekomme. In der Zeit schaue ich fasziniert dem Geschehen unten zu. Der Junge in weißer Kleidung steht noch immer auf dem schmalen Pfad zur Haustür. Er scheint auch nicht vor zu haben da weg zu gehen. Als ich sehe, dass ein großer Wagen vor dem kleinen Tor stehen bleibt, ist mir schon fast klar warum. Dieser Junge scheint auf den Laster gewartet zu haben. Einer der Männer darin steigt aus und sieht nach. Er schaut nur kurz über das Tor und sieht anscheinend seinen Auftraggeber. Der Junge da unten stellt sich nun seitlich hin, als würde er den Weg für die folgenden Männer freihalten. Er spreizt beide Arme von seinem Körper und deutet mit der einen Hand nach drinnen. Draußen gehen die großen Hintertüren des Lasters auf. Die Männer schleppen nach und nach die Sachen nach drinnen. Beim ersten Mal muss der Junge mit hinein gehen. Er schließt ihnen auf und ich kann hören, wie sie die Sachen drinnen abstellen. Anschließend geht er wieder mit den Beiden nach draußen. Er kontrolliert weiter ob jeder Schritt der Möbelpacker auch klar geht. Ihm müssen seine Sachen ja unheimlich wichtig sein, wenn er so sehr darauf aufpasst. Oberflächlich kann er schon mal nicht sein, vermute ich ganz stark. Es dauert bald eine Stunde, eh das letzte Möbelstück hereingetragen wird und sich die großen Hintertüren des Lasters schließen. Trotzdem folgen alle Arbeiter dem letzten Teil nach drinnen. Übrig bleibt der Mieter der Wohnung. Er bleibt noch eine Weile so stehen, eh er seine Arme sinken lässt. Dennoch geht er nicht, noch nicht. Als er sich endlich umdreht, neigt sich sein Kopf sofort nach oben. Er sieht nicht irgendwo hin, nicht zum Himmel oder zu seiner Wohnung. Er sieht zu mir, einzig und allein zu mir. Er sagt nichts und tut auch sonst nichts. Von hier aus ist es nicht leicht irgendetwas zu erkennen, auch wenn man gute Augen hat. Ich habe so eben noch den großen Löffel in meinem Mund und lecke die letzten Reste davon ab. Ich kann mich nicht so einfach von ihm lösen. Die Stille, die um uns herum herrscht ist schon angenehm aber irgendwie auch beängstigend. Nur ein kleiner Windhauch zieht durch mein Fenster und lässt Gänsehaupt auf meinen Armen erscheinen, als mir endlich wieder klar wird, dass ich nichts an habe, also nicht viel. Meine Augen gehen weit auf als ich das endlich bemerke. Ich kann nicht anders als mit einem mal vom Absatz zu springen und mich hinter der Wand zu verstecken. Mein Herz schlägt, es schlägt so heftig wie an dem Tag, als ich den Schülersprecher so gesehen habe - so zusammengeschlagen. Obwohl ich mich noch immer fürchte, schlägt meine Neugierde weiter zu. Ich kann es einfach nicht lassen und linse mit meinen Augen vorsichtig wieder über den Fensterrahmen. Der Junge steht noch immer da und fixiert das Fenster. Inzwischen sieht er mich nicht mehr aber er schaut weiter und weiter. Woher wusste er überhaupt, dass ich ihn angesehen habe? Seine Reaktion kam so plötzlich, als hätte er die ganze Zeit über gewusst, dass ich ihn und die anderen ansehe. Nach und nach löst er seine Blicke und folgt den Arbeitern. Er muss in der Wohnung direkt unter mir eingezogen sein. Es ist die Einzige noch freie Wohnung in diesem Gebäude und das herum rücken der Möbel kann ich genauso gut hören. Es braucht wieder fast eine Stunde, eh sie fertig sind und doch denke ich, dass das bei der Menge an Sachen eigentlich nicht viel Zeit gewesen ist. Der Junge hat also alles gut im Griff. Wach endlich auf Mino!!! Was ist denn los mit dir?! Seit wann interessiert dich denn so ein Schwachsinn! Es ist nur ein neuer Mitbewohner in einem der vielen Häuser dieser Stadt. Wach auf!!!, rüttelt mein inneres mich erneut wach. Ich setze mich nun unter mein Fenster und starre nur noch nach drinnen. Das Eis neben mir ist nun schon so sehr geschmolzen, dass ich es aufwischen muss. Noch bevor ich überhaupt irgendetwas anderes unternehme, ziehe ich mir erst mal endlich eine Jacke an. Es ist zwar viel zu heiß dafür aber irgendwie fühle ich mich plötzlich wieder zu unwohl um sie aus zu lassen. Mit einem mal fühle ich mich beobachtet, anstatt dass er es ist, den ich bis eben noch beobachtet habe. Dabei ist das völlig unmöglich. Es ist das erste mal für mich, dass ich mich in meiner eigenen Wohnung unsicher fühle. Es legt sich sofort Erleichterung auf, als ich sie an mir habe. Dann endlich wische ich den Fleck weg. Das Wasser im Eimer ist nun weiß und der Boden dafür wieder sauber. Das was sich noch im Becher befindet stelle ich sofort ins Eisfach. Den Eimer mit dem Wasser will ich auch eben ausschütten gehen, als plötzlich die Klingel an der Tür anspringt. Sie hallt durch die ganze Wohnung und ich fahre so scharf zusammen, dass mir der Eimer plötzlich aus der Hand fällt. Das ganze Wasser fließt erneut über den Boden und ich beiße mir wütend auf die Zunge, um nicht sofort zu schreien. Wütend, wirklich richtig wütend schaue ich erst durch den Spion der Tür und öffne sie anschließend. Meine Kapuze verdeckt wie immer mein Gesicht und wirklich etwas aus mir herauslesen kann der vor mir sowieso nicht. Es ist einer der Arbeiter von unten. „Ja?!“, frage ich böse nach. Meine Stimme zittert vor Wut ein bisschen aber ich halte mich noch zurück. „Ja, guten Abend, ähh … junger Herr. Ich – Ich soll dich, ich meine Sie, fragen, ich meine einladen, den Herren unter Ihnen zu besuchen. Er möchte sich sehr gern v-vorstellen.“, zittert seine Stimme. Ab und zu wendet er seine Blicke eine Stufe tiefer. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dieser 'Herr' die ganze Zeit da unten stand. Ansonsten hätte ich wohl auch nicht das von mir gegeben, was nun folgt. Wobei … wie ich mich kenne hätte ich das trotzdem getan. „Dann sage deinem 'Herrn' mal bitte, dass er sich ruhig allein hier hoch bequemen kann, wenn er keine Angst davor hat. Ist ja unfassbar, da kann der sich nicht mal alleine vorstellen! Unglaublich solche Typen!“, werde ich immer leiser mit der Zeit aber eher weil ich nur noch mit mir spreche und die Tür schon hinter mir zufällt. Noch verärgerter schalte ich den Fernseher ein und mache mich daran das Wasser von den Fliesen zu entfernen. Nun bekommen Wasser, Lappen und Eimer die geballte Wut einer 15-jährigen Military zu spüren. Es dauert bald eine halbe Stunde ehe ich endlich fertig bin. Nun ist der Eimer neben mir wieder voll, meine Hände sehen aus wie von einem alten Mann und ich schwitze etwas. Bevor ich nun wieder den Eimer fallen lasse, schaue ich lieber aus dem Fenster. Vielleicht käme ja jemand, den ich kenne aber nein. Gleich darauf schaue ich an der Tür nach und nehme den Hörer von der Türklingel ab, um sicher zu sein, dass niemand unten steht. Nein, nichts. Also dann starte ich einen neuen Versuch. Ich nehme den Eimer am Henkel und will ihn ins Bad schaffen. Diesmal komme ich sogar bis in den Flur … ehe es erneut an der Tür klingelt. Ich habe zwar damit gerechnet, dass genau das passieren würde aber als es nun soweit ist, zuckt mein ganzer Körper erneut zusammen. Der Eimer liegt, mal wieder, neben mir! Dieses mal kann ich nicht anders. Ich beiße meine Zähne zusammen und kreische kurz auf, um den Druck abzulassen. Erneut bleibt alles stehen und liegen und ich stapfe, als hätte ich meine Straßenschuhe an, böse zur Tür. Mit einem Ruck steht sie offen und vor mir steht jemand den ich noch nicht kenne. Es kann nur er sein, es muss er sein. „Guten Abend.“, begrüßt er mich freundlich, ruhig und fast schon sanft. Seine Stimme ist wirklich weich, doch das ist mir egal. Ich habe zu tun damit, dass mir nicht sofort meine Hand ausrutscht. Geballt halte ich sie hoch und er sieht, wie sie vor Wut zittert. Der Schwarzkopf sieht mich erschrocken an. Ich ziere mich nicht und greife sofort nach der Jacke seines Anzuges. Er stolpert mir ungeschickt nach, weil er nicht weiß wie er mir mit seinen langen Beinen Schritthalten soll. Sobald wir vor der Pfütze stehen bleibe auch ich stehen. Er hingegen stolpert über seine eigenen Beine und fällt dabei halb in die Pfütze hinein. Seine Uniform wird dabei nass. Er denkt nicht mal daran aufzustehen. Das finde ich schon etwas seltsam aber meine Wut siegt. Ich zeige lediglich mit ausgestrecktem Arm auf die Pfütze und befehle ihm, „Aufwischen!“ Er wirkt etwas mitgenommen, fast wie ein verängstigtes Kleinkind, tut aber was ich sage. Ich schaue ihm dabei anfangs zu, bin aber schnell davon genervt und setze mich auf das Sofa im Wohnzimmer. Auch er braucht fast eine halbe Stunde. So neugierig er mich auch erst gemacht hat, so abgeneigt bin ich jetzt von der Erinnerung daran. Ich mag eben keine Leute, die nicht mal für sich sprechen könne. Zwar kam er beim zweitem Mal selber aber das macht es auch nicht besser. Er hält sich wirklich für etwas besseres und das zeigt er auch noch ganz deutlich und ist wahrscheinlich auch noch stolz darauf. Wie kann man stolz darauf sein sich für etwas besseres zu halten?! Ich verstehe solche Leute nicht. Sobald er fertig ist, kommt er ins Wohnzimmer. Er getraut sich nur bis zur Schwelle. Hat er wohl wirklich Angst? Das lässt mich endlich mal wieder belustigt schnauben. Bevor er noch weiter macht, bringe ich den Eimer nun endlich weg. Das Wasser wird im Klo runter gespült und anschließend der Eimer ausgewaschen. Es dauert nicht lang aber als ich zurück komme, steht dieser Junge noch immer am gleichen Fleck wie eben. Er hat auch seine Haltung nicht geändert. Sobald ich neben ihm stehe, bekommt er auch mein böse blitzendes Auge zu sehen. Er zuckt zusammen und zittert nun schon etwas. „Was willst du?“, frage ich ihn kalt. „A-A-A-Also i-ich will nur, also …“ „Wird's denn heute noch?“, wird meine Stimme noch kälter, noch eisiger. Er getraut sich nichts mehr zu sagen, wie langweilig für mich. „Gut, dann geh jetzt.“ Diesmal klinge ich nicht mal mehr böse oder kalt, einfach normal eben. Trotzdem tut er was ich sage ohne weiter eine Miene zu verziehen. Ein komischer Typ der hier eingezogen ist. Erst ankommen und dann nichts mehr sagen, nur weil man wütend war. Heute wäre eh ein schlechter Tag zum weiter reden gewesen, dafür war ich viel zu sauer. Vielleicht ja einen anderen Tag wieder. Mal sehen, ob meine Laune jetzt überhaupt wieder besser werden kann …
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