Fast zu spät folge ich ihnen. Ich hoffe jetzt kommt nichts mehr dazwischen. Das war genug für einen Tag. Das Formular stecke ich erneut in meinen, noch offenen, Rucksack. Als ich ihn endlich geschlossen bekomme, habe ich mich wohl zu früh gefreut.
„Hey Neuer!“, spricht mich jemand gehässig an. Es jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken so etwas zu hören. „Beeile dich lieber, sonst kommst du noch zu spät!“ Das hingegen kann ich gut ignorieren. Ist mir schließlich egal was er über mich denkt. Als ich endlich wieder im Raum bin, diesmal als Letzter, werde ich von allen Blicke verfolgt – wie das bei 'Neuen' eben so üblich ist. Die meisten Blicke sind missachtend oder wütend, vielleicht auch arrogant. Ganz genau achte ich nicht darauf. Lediglich die neutralen, beziehungsweise auch freundlich gestimmten Blicke fallen auf. Gut, dann sind es nun eben 3 Personen anstatt nur einer. Damit kann ich schon noch leben. Sobald ich sitze, starre ich auf einen leeren Platz neben mir. Dabei kommt in mir eine Frage auf. Warum bin eigentlich ich sein Banknachbar? Ich wette, ich verbringe schon jetzt mehr Zeit in diesem Raum als er es getan hat. Also müsste dementsprechend er der Neue sein … oder?, damit kann ich zumindest mich selber etwas beruhigen. Die meiste Zeit beobachte ich mal wieder den vor mir. Es ist in der ganzen Zeit des nichts tun doch irgendwie amüsant. Nach einer gewissen Weile jedoch, wird auch das langweilig. Dieser Blockunterricht ist ja unerträglich. Ein Glück sind das die letzten Stunden und dann … dann kann ich mich um das Foto kümmern. Der Gedanke daran lässt mich schon jetzt genervt aufatmen. In der letzten Stunde lege ich bereits das Formular bereit. Ich sollte es wirklich langsam mal abgeben. Natürlich taucht genau in der Stunde der Rotschopf wieder auf. Eher genervt staple ich alle Blätter übereinander und rücke erneut zum Fenster. Er merkt, wie ich dabei meine Augen rolle. Normalerweise müsste er jetzt doch wieder irgendeinen Spruch reißen oder? Vielleicht benimmt er sich im Unterricht ja anders. So oder so lege ich mich wieder auf die Bank, so dass ich nichts mehr um mich herum mitbekomme. Dabei gerät auch in den Hintergrund, wie der neben mir anfängt zu grinsen, genau in dem Moment als mein Kopf auf die Bank fällt. Aus dem werde ich am aller wenigsten schlau … Als es endlich vorbei ist und das erlösende Klingelzeichen folgt, muss ich erst mal wieder richtig wach werden. Es gibt allerdings jemanden der meint er müsse mir unbedingt dabei nachhelfen. Als alle aus dem Raum draußen sind, ist es der Streber, der Schülersprecher, der vor mir steht. Mit zugekniffenen Augen blicke ich zur Gestalt auf, gegen die Sonne. „Hey, noch da?! Du sollst mir endlich das Formular geben! Du bist schon lang genug hier, du musst endlich angemeldet werden!“ Etwas verdattert ziehe ich das Blatt aus meinem Block hervor. „Na immerhin etwas! Das Foto und das Geld, was ist damit?!“ „Hey-Hey, motz nicht so rum. Es ist nicht mal ein Tag vergangen!“, rechtfertige ich mich, „Geh lieber weiter in deinem 'Büro' spielen! Soweit ich weiß, wartet da auch schon jemand auf dich.“ Daraufhin ist er stumm, mein Glück. Der Gedanke, dass die, nun ehemalige, Neue auf ihn wartet, lässt meine Mundwinkel etwas zucken. Es ist komisch, dass sie sogar mir ständig so auffällt. Also verhalten sich nicht nur die anderen komisch – auch ich tu das. Mir ist auch vollkommen klar warum aber … Eh er wieder zu Stimme kommt raffe ich mich lieber auf. Genervt folge ich dem Flur bis nach draußen und dann … dann weiß ich nicht wirklich weiter. Irgendwie schaffe ich es zumindest mich bis in die Innenstadt zu verlaufen. Leider ist diese nicht gerade klein. So wie ich mich in die Innenstadt verlaufen habe, so verlaufe ich mich nun auch weiter. Okay, vielleicht sollte ich mir ja langsam mal mühe geben beim suchen … es wird tatsächlich nervig! Hoffentlich verlangen die dann nicht noch was von mir! Je länger ich umher irre, umso mehr gehen meine Mundwinkel nach unten, doch das ändert sich schlagartig als ich einen Laden finde, von dem ich dachte, den gäbe es hier nicht. Im Schaufenster stehen ein Schlagzeug, ein Mikrofon, eine Gibson und eine Fender. O man wie lange ich mir doch schon eine Fender Stratocaster wünsche aber mom … hat ja etwas gegen 'solche' Musik! Vielleicht … könnte ich ja trotzdem mal … Wie ein kleines Kind taumle ich begeistert vor dem Schaufenster herum. Mir wird erst als ich mich selber im Fenster sehe klar, wie albern das aussieht. Das passt so gar nicht zu mir. Allerdings lasse ich es mir, mit weit hochgezogener Kapuze, nicht mehr nehmen doch mal einen Blick hinein zu werfen. Von Instrument zu Instrument steigt meine Begeisterung, doch ich muss mich im Zaum halten. Es würde einfach nicht zu mir passen überschwänglich zu reagieren außerdem … bin ich nicht als einzige im Laden. Schon bevor ich hinein bin, konnte ich von außen sehen wie diese alte Neue im Laden steht. Inzwischen ist sie noch nicht weg. Obwohl sie sich beraten lässt, weiß sie noch immer nicht was sie kaufen soll. Ihr verzweifeltes Gemurmel fängt mir auch langsam an auf die Nerven zu gehen. Kurzerhand stelle ich mich einfach zu ihr. Im ersten Moment realisiert sie mich gar nicht, doch dann, bei einem kurzen Seitenblick, zuckt sie so scharf zusammen, dass ich mir mein Gelächter verkneifen muss. In der Zwischenzeit steht sie 2 Meter von mir weg. Ist es wegen dem Sportunterricht? „W-W-Was machst du hier? Nathaniel – Nathaniel hat mich vor dir gewarnt, also komm mir nicht zu nahe!“ Die tut wohl alles was man ihr sagt hmm? Mein Körper ist zwar zu ihr geneigt, doch meine Blicke hängen auf dem Tresen. Mich interessiert ja schon, was Streberleins Anhängsel so sehr Kopfzerbrechen bereitet. Was? Echt? Da liegen doch nur 3 Packungen Gitarrenseiten … Sage nur … Für den Rest der Gedanken bin ich mir zu schade. Lieber nehme ich alle drei Packungen an mich und wende mich von ihr ab. Die neben mir überlegt soeben, ob sie vielleicht etwas sagen sollte. Ihr Mund steht zwar offen, doch Töne folgen keine. Mein Lächeln kehrt endlich wieder zurück, genau so wie es sein sollte. Schon nur dadurch schließt sich endlich ihr Mund und sie geht nochmals zwei Schritte zurück. Wundervoll! Als ich meine Augen, welche sie eh nicht sehen kann, wieder abwende, werfe ich zwei der Packungen einfach quer durch den Raum. Das freut den Verkäufer eher weniger und das Mädchen steht da wie angewurzelt. Die übrige Packung, die teuerste von allen, reiche ich ihr entgegen. Meinen Arm strecke ich ganz lang aus und dennoch – dennoch getraut sie sich kaum zuzugreifen. Sie zeigt lediglich darauf. Ihre Arme hat sie nah an ihrem Körper und lediglich ein Finger ist ausgestreckt. „D-D-Die nehm – nehme ich!“, haucht sie atemlos. Also geht mein ausgestreckter Arm zum Verkäufer. Er reagiert kaum anders. „D-Das macht dann 35 – 35$ junge Dame!“ Immerhin haben sie begriffen was ich wollte. Also lasse ich die Packung fallen und verschwinde zur Tür heraus. „Hat – Hat er mir etwa gerade … geholfen?“, muss sie sich unweigerlich fragen. Mit einem einfachen Kopfschütteln sind solche Gedanken natürlich verschwunden. Ein Glück! Tja, nun stehe ich noch immer vor der gleichen Frage: Wo kann man diese komischen Fotos machen? Ich schaue nach rechts und nach links jedes einzelne Geschäft mit meinen Blicken ab. Keines davon sagt mir, dass man da Bilder machen könnte. Am Ende entscheide ich mich einfach für den linken Weg. Im nächsten Moment, als ich mir nur meine Kopfhörer aufsetzen will und die Musik anschalten, stoße ich mit jemanden zusammen. Jemand, der kräftiger ist als ich, stärker. Die Augen zukneifend taumle ich ein paar Schritte zurück und schüttle ungläubig meinen Kopf. „Was ist?“, bekomme ich nun die Antwort die sonst immer ich gebe. Mein Schweigen bleibt bestehen. Als ich endlich wieder klarer im Kopf werde, wird meine Umgebung sofort wieder unübersichtlich. Ich weiß gar nicht so recht was da geschieht, wer da vor mir ist. Irritiert sehe ich auf und merke, dass mich jemand hinter sich herzieht, nicht nur irgendjemand. „Bank … nachbar?“, flüstere ich halb unverständlich, doch verständlich genug, dass er es hört. Er sieht zum Glück nur geradeaus. So entgehen ihm meine erstaunten, weit aufgerissenen Augen. Zum Glück sind die schnell wieder unter der Kapuze verschwunden. „Sage nur du weißt immer noch nicht wer ich bin? Ich dachte dein kleines Hündchen hätte dir mehr erzählt!“ Hat er gedacht damit bringt er mich zum reden? Ich selber vergleiche ihn doch manchmal mit einem Hund. Lachhaft! Wo will er nur hin? … Wenn ich nur … Sobald wir um die nächste Ecke sind, lässt er mein Handgelenk los und wird langsamer. Ist er etwa … geflüchtet? Die Frage wird sofort geklärt als er mir aus einer meiner Jackentaschen eine Packung Zigaretten entwendet und ich kann mit Garantie behaupten, dass ich keine mitgenommen habe! Damit ich ihm auch ja nicht dazwischen funke, drängt er mich bis zur Hauswand hinter mir. Einen meiner Arme fesselt er über mir, damit er mit seiner anderen die Packung greifen kann. Er hält mich wirklich stak fest, e fängt an zu schmerzen. „Wehe du verpfeifst mich Neuer!“, droht er mir mit tiefer Stimme. Ich bin noch immer ganz durcheinander. Irgendwie … ist es komisch jemanden so nahe an sich heran zu lassen. Wie schaffen das andere nur freiwillig? Die Gänsehaut, welche sich über meinen ganzen Körper legt, erweckt mich wieder zum leben. Dieses Wort! Das macht er wirklich mit Absicht!, was ich gleich darauf mit einem ähnlich gehässigem Grinsen wie meines bestätigt bekomme. Inzwischen hat er zwar schon seine Schachtel, doch los lässt er mich nicht. Erfreut er sich wirklich so sehr an meiner Gänsehaut? Oder … ist es etwas anderes? Mit einem Ruck schaffe ich es ihn von mir zu stoßen. Jetzt ist er derjenige, der mich verwirrt anschaut und ich grinse stattdessen wieder. Er dreht sich nur kurz von mir weg, um sich seine Zigarette anzuzünden. Ich bleibe in der Zeit starr stehen und frage mich, wie er so schnell etwas klauen und mir in die Tasche stecken konnte. War das wohl geplant? Kaum vorstellbar. „Was treibt denn ein Junge mit so dünnen Ärmchen ganz allein in der Stadt? Hast du dich etwa verlaufen?!“ Sein Sarkasmus in der Stimme ist ja furchtbar! Auch ohne hätte ich es verstehen können! Warum muss er dann auch noch recht haben?! Verärgert wende ich mich von ihm ab und knirsche verbittert mit meinen Zähnen. Er lacht. Erst mein zweiter Gedanke lässt mich wieder starr werden, Sollte das eben heißen ich solle mehr essen? Passt ihm das wohl nicht? Ein Glück unterbindet er sofort meine Gedanken, „Und … was machst du nun hier? Schülersprecher hat dich heute ja ganzschön zusammen gestaucht hmm?“ Und woher weiß er das nun wieder?! Ungeachtet dessen bleibe ich stumm. „Du bist vielleicht komisch!“ „Komisch …“, wiederhole ich leise, vor mich selber hinredend. Gleichzeitig laufe ich einfach los und weiß eigentlich noch immer nicht wohin. „Ja komisch! Du antwortest nie auf Fragen und …“, er merkt es und … und folgt mir?! Sobald er neben mir läuft, spricht er weiter, „ … und gibst dann solche Worte von dir. Bist du überhaupt ein Mensch?!“, versucht er mich weiter zu reizen. Es funktioniert nicht. Ich fange an darüber nachzudenken, ernsthaft. „Vielleicht …“ Diesmal ist er es der verstummt und wir laufen schweigend nebeneinander her. Inzwischen sind wir schon zwei Straßen weiter und ich sehe endlich wieder die Hauptstraße. Von hier aus finde ich immerhin wieder Heim. Als er wieder zu sich kommt, reißt seine Stimme mich so sehr aus meinen Gedanken, dass ihm sogar folge. „Siehst du, genau so etwas meine ich! Wie kann man so eine Frage nur ernst nehmen?“ Auch darauf gibt es keine Antwort und doch folge ich ihm weiter. Als wir wieder schweigen und noch zwei Straßen weiter sind, kann ich mir selber nicht mehr glauben. „Was – Was machst du hier überhaupt?“ Auch er glaubt mir nicht, war ja klar. Es freut mich, dass diesmal ich ihn durcheinander bringen konnte. „Äh … Für meine Verpflegung sorgen!“, prahlt er und zieht ein letztes Mal an seiner Kippe, dann deutet er hinter sich. „Da muss ich auch noch rein. Willst du lieber draußen bleiben?“ Und in der Hitze verbrennen? Nein danke. Zischend schüttle ich meinen Kopf und bin sogar noch vor ihm drinnen. „Ah, herzlich Willkommen!“, werden wir beide begrüßt. Es reicht aus, wenn ich ihm meinen 'Blick' zuwerfe. Der hinter mir, der eben die Tür lautstark zu stößt, flüstert belustigt, „Sonst immer muss ich das machen.“ Er begibt sich sofort nach hinten zu den Getränken. Man hört die Kisten klappern. Ich sehe mich ein wenig um, da spricht der Rotschopf auch schon weiter. „Weißt du, immer wenn ich hier her komme, muss ich an meinen ersten Tag denken. Außerdem gibt es jedes Jahr so ein dummes Klassenfoto, für das man den Ladeninhaber bestellt. Das ist schon fast ein bisschen nostalgisch.“ Inzwischen stehe ich auch schon vor dem Automaten für die Bilder. Kaum hörbar setze ich mich hinein und bekomme so endlich das 'ach so dringend' gebrauchte Foto. Als der Auslöser dreimal geht ist es auch schon vorbei. Der Automat muss schon uralt sein. Er braucht eine gefühlte Ewigkeit eh er mir meine Bilder ausdruckt. Da steht er auch schon wieder neben mir. „Haha, hast du dir nicht durchgelesen wie das Foto aussehen soll? Vernünftig und man soll alles erkennen! Nicht Schlabbersachen von gestern und Gesicht verdeckt.“, macht er sich über mich lustig. Er ist unerwartet gesprächig. Ich halte endlich die Bilder in der Hand, da stellt er sich auch schon vor mich um bezahlen zu können. Jetzt wird mir einiges klar, deswegen also diese vielen Worte. Er wollte sich nur vor mich drängeln. Ob er wohl dachte das würde mich ärgern? Etwas durch den Wind gräbt er all seine Taschen nach seinem Geld ab. Sobald er mein Grinsen erblickt ist es ihm umso unangenehmer. Das Geld, was er beim 'Zigarettenkauf' gespart hat, muss er unterwegs verloren haben. Ich glaube das nennt sich Karma! Belustigt schnaube ich und sehe dem Verkäufer an wie er es auch am liebsten tun würde. „Ach so ein Mist! Heute geht aber auch wirklich ALLES schief!!!“, beschwert er sich bösartig. „Du kannst doch mal wieder anschreiben lassen, ist doch nicht so schlimm.“, versucht ihn der Verkäufer zu beruhigen. „Mist aber auch, das war mein letztes Geld für diese Woche … verdammt!“, knirscht er zwischen seinen Zähnen zusammen. Das kann sich ja keiner mit angucken. Eh er noch anfängt wie ein kleines Kind zu heulen stoße ich ihn einfach vom Tresen weg. Ich lege seine Flaschen weiter in die Mitte und meine Fotos dazu. Gleichzeitig lehne ich mich lässig auf die Kante. Er lässt sich seine Sachen von einem Mädchen bezahlen! Wenn er das nur wüsste!, grinse ich in mich hinein. „Hey, ich krieg das auch alleine hin!“, versucht er sich zu wehren, nicht mal der Verkäufer reagiert darauf. Er ist zu sehr von meinem Blick gefesselt. „Alles?“ Mein Finger deutet ungesehen auf eine neue CD neben mir, welche er mir ungesehen sofort in die Tüte packt. Tja Rotschopf, ärgert es dich etwa, dass ich dir alles bezahle oder mehr, dass du nicht weißt, was ich mir noch gekauft habe? So oder so belächle ich das ganze wieder. Er wendet sich einfach von allen ab. Ihm ist es wohl peinlich, auch ohne dem Wissen um mich, bessere Laune scheint er dennoch zu bekommen. Sobald wir draußen sind, greift er nach seiner ersten Flasche und leert sie sofort. Als ich ihm so dabei zusehe wird mir endlich eins klar: Hat er mir wohl gezeigt, wo man die Fotos machen kann?!
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