Er hat heute gar nicht auf meine Nachrichten reagiert. Was er wohl hat? Einen Grund sauer zu sein hat er ja eigentlich nicht. Ich glaube, er ist einfach viel zu beschäftigt für mich … zur Zeit.
Den Abend habe ich unten gesessen, Armin beim Spielen zugesehen und ab und zu ein bisschen mitgemacht. Ich habe darauf gewartet, dass er endlich Heim kommt, wir haben darauf gewartet. Man hat Armin deutlich angemerkt, dass er eigentlich mit ihm hätte spielen wollen und nicht mit mir. Ich bin aber auch nicht wirklich gut darin. „Also dann, ich werde so langsam mal schlafen gehen.“, murmle ich Armin zu, welcher noch immer in sein Spiel vertieft ist. Er hat mehr oder weniger abgeschaltet, hört mich kaum, sieht mir aber nach, als ich an ihm vorbei gehe. So weiß ich zumindest, dass er es mitbekommen hat. Nochmal blicke ich hoffend auf mein Handy. Das Erste was ich sehe ist die Uhrzeit in großen Lettern mitten auf dem Display. 23:30 Uhr. Und noch immer kein Lebenszeichen. Er sorgt wirklich immer wieder dafür, dass ich mir Sorgen um ihn mache, auch wenn er das nicht bewusst bezweckt. Beim Zähneputzen lasse ich mir auch noch etwas Zeit, doch selbst dann keine knarrende Tür und keine leise knarzenden Treppenstufen. Also lege ich mich allein ins Bett und warte da noch etwas, so lange, bis mir die Augen zu fallen. Ich schlafe also mal wieder … allein ein. Obwohl ich sonst eigentlich recht tief schlafe, ist es in seiner Abwesenheit genau das Gegenteil. Ich habe immer das Gefühl, als würde mein Körper geradezu darauf warten, dass meine Ohren ein Geräusch wahrnehmen können, um mich wach werden zu lassen. So auch diese Nacht, diese Nacht, die schon halb vorbei ist. Meine trägen Augen fangen blinzelnd das kurz aufkommende grelle Licht im Flur ein. Wenn ich das schon so halbwegs einschätzen kann, dann kommt dieses Licht für einen Moment aus dem Bad, bevor sich die Tür dazu wieder heran lehnt. Das darauf folgende leichte, leise Plätschern des Wassers ist sehr beruhigend für mich. Ich atme tief durch, bin extrem erleichtert. Nach einem Moment der Ruhe öffne ich erneut meine Augen. Mein Blick ist klarer geworden und wendet sich vom Flur meiner Seite zu. Auf dem Nachttisch steht mein Notfallwecker, meine Uhr. Die Lettern darauf sind noch viel größer als auf dem Handy, leuchten mir stechend grün entgegen. 02:00 Uhr. Mit einem tiefen, angestrengtem Seufzen setze ich mich auf, stehe auf und tapse träge vor zu meinem Zimmer, das kurze Stück durch den oberen Flur und schubse dann die Tür zum Bad ein Stück auf. Das beruhigende Plätschern des Wassers durchdringt lauter meine Ohren. Mit einem tiefenentspanntem Gefühl lehne ich mich seitlich gegen den Zargen der Tür, lehne auch meinen Kopf dagegen und verschränke meine Arme vor meinem Körper. Tief ein- und ausatmend, schaue ich genauer hin, genauer auf meinen Freund, der mich bisher noch gar nicht bemerkt hat. Erst mein genüssliches Gähnen lässt ihn aufmerksam werden. Sein Blick geht zur Seite, zu mir. „O sorry, wollt dich nicht wecken.“, spricht er mit mir. Seine Stimme ist ruhig, fast schon leise. Ich schüttle automatisch meinen Kopf, seicht. „Hast mich nicht geweckt, konnte eh nicht gut schlafen.“, hauche ich ihm entgegen. Meine nackten Füße bringen mich von allein näher an die Dusche heran. Ich betrachte mir seinen Körper skeptisch, zweifelnd, beunruhigt. Er merkt es, lenkt mit Worten ab. Ein tiefer Seufzer stimmt seine Worte ein: „Ich bin echt froh, dass du nicht so auf Sex abfährst.“ Er spricht sonst nie auf so eine Art mit mir. Es fühlt sich gut an solche Worte auch mal von ihm zu vernehmen und doch sind sie besorgniserregend. Der Zustand seines Körpers ist es genauso – all das Blut, die Flecken, der Dreck auf seiner Haut und sogar in den Wunden. Ich will da gar nicht erst genauer hinsehen, beschließe entweder meine Augen wieder zu schließen oder einfach nicht mehr hin zu sehen. „Hey, du hast ja fast nichts an.“, merkt Harm ruhig schmunzelnd an. Auch das stimmt auffallend. Ich wollte nicht grundlos zu ihm ins Bad, habe mir auf dem Weg mein Oberteil ausgezogen aber nicht die Boxershort. Ich kenne seine Meinung dazu aber so leicht ist das nicht, nicht für mich. Trotzdem streckt er eine Hand zur Seite aus, steckt sie mir entgegen. „Na komm, komm her.“, fordert er mich auf und lächelt schmal. Ich nehme an, lege die meine in die seine und gehe näher, mit Blick nach oben gerichtet. Harmony führt meine Hand um seinen Körper, bis vor zu seinem Bauch, tut das Gleiche mit meiner zweiten und lehnt sich zurück, gegen mich, nur ein bisschen. „Schon zu viel Info?“, will er nun mit fester gewordener Stimme von mir wissen. Das Sanfte von eben ist verschwunden. Bevor ich antworte, lasse ich mich auf die Umarmung ein, koste sie voll aus. Meine Arme schlingen sich deutlicher um seinen Körper, trotz der vielen Wunden, die ich mir gar nicht erst genauer betrachtet will. Meinen Kopf lege ich über seine Schulter, mein Körper spannt sich für ein paar Sekunden an, all die schwache Muskulatur meines Körpers und ich atme ganz tief ein. Der Geruch von Sex ist zum Glück schon weg und übrig bleibt nur noch der seine. Der Moment der Anspannung lässt nach, der Genuss seiner Anwesenheit bleibt. Die Präsenz des Wassers nehme ich auch jetzt erst so richtig wahr. Es regnet auf unsere Körper nieder, tropft mir von den Haaren, der Nase, dem Kinn und das was von Harmony's Körper fließt, fließt auch über meinen Körper. Gänsehaut breitet sich aus, durch die Wärme, durch die angenehme Wärme. „Nein, alles ok aber … ist das wirklich noch gesund? Du siehst schrecklich aus.“ „Du hast ja noch nicht mal hingesehen.“, spottet er, schmunzelt. Meine Stimme bleibt ganz ruhig, leise: „Das sagt doch schon alles aus oder? Sage doch einfach nein, dann …“ „Als ob ich das könnte, mein Großer, als ob ich das könnte.“, haucht er dem Wasser entgegen. Sein Lächeln wird wieder breiter, offener. Jetzt ist Harmony wieder Harmony, so wie ich ihn kenne und liebe. „Geh damit doch zum Arzt, der näht dir die bestimmt.“ „Als ob. So groß sind die Wunden nun auch nicht. Das heilt auch so.“ Wenig begeistert murre ich: „Also geht wieder meine Bettwäsche drauf. So langsam habe ich keine mehr.“ „Soll ich woanders schlafen? Und ich dachte, du hättest mich gern hier.“, deutet er in hohem, spöttischem Ton an. Meine Arme um ihn sind sofort fester geworden, fest genug, damit seine Knochen ein paar Mal knacken. Er zuckt, doch nur weil es ihn selbst etwas erschreckt. Ich schmunzle. „Nein, bleib hier! Ich wünsche mir, dass du bei mir bleibst. Lege – Lege doch einfach ein Handtuch drunter oder so.“ „Ach was, ich lege mich einfach auf die Seite, das reicht doch. Wird schon nix runter tropfen, höchstens durch mein Oberteil.“ „Das arme Unterhemd, hat es noch nicht genug abbekommen?“ „Thaha, schon aber es ist schwarz, also wen stört es da schon.“ Frustriert atme ich durch, gegen seinen Hals: „Also kein kuscheln heute.“ „Klar doch. Zerbrich dir nicht den Kopf über Dinge, die ich voll im Griff habe. Mach dir mal lieber Gedanken, welche Haarfarbe ich nehmen soll.“ Ich grinse, lächle ihn offen an und schnaube belustigt: „Na gut, komme gleich wieder.“ Am liebsten wäre mir ja eh blau aber das hatte er erst vor kurzem also … ja, diesmal ganz einfach weiß. Ihm steht eigentlich jede Haarfarbe gut, er kann echt alles tragen. Als ich zurück im Bad bin, ist zumindest der ganze Schmutz von ihm weg und ich denke, nein hoffe, dass er seine Wunden auch irgendwie gesäubert hat … zumindest so ein bisschen. „Bring mal Verband mit.“, fordert er knapp von mir. Also hole ich das auch noch. Es wird zwar nicht dafür sorgen, dass die Blutung aufhört aber das ist ihm ja eh egal. Noch während ich ihm beim Umfärbe helfen darf, entdecke ich auch eine Kopfwunde, eine sehr üble Kopfwunde. „Woher ist die? Seit wann hast du die?“ „Wie gesagt – nicht dein Köpfchen über so etwas zerbrechen. Die Wunde ist doch schon längst zu.“ Zweifelnd blicke ich zu ihm herab, frage offener, deutlicher nach: „Hhhjaaah nur warum wusste ich nichts davon. Seit wann hast du die und wovon?“ Mir wird schnell klar, dass ihm mein Blick von oben herab überhaupt nicht gefällt. Anstatt mir wehzutun, wie er es sonst bei allen anderen tun würde, reißt er mir ungehalten die gekreuzten Arme auseinander, zieht sie um seinen Hals und mich somit an sich. Na endlich, endlich bekomme ich meinen lang ersehnten bin-zürück-Kuss. Er lenkt ab, lenkt von meiner … von meiner … was wollte ich eben noch von ihm? Irgendeine Frage … oder so … ach egal, so wichtig war das schon nicht. Harmony ist hier, bei mir und küsst mich endlich – was zählt da schon alles andere? Er lässt mich erst wieder los, als mein Kopf komplett vernebelt ist. Ich sehe ihn einfach nur noch an, weiß, dass er mit irgendetwas zufrieden ist. Sein Grinsen strahlt über sein ganzes Gesicht, doch so von nahem betrachtet … erreicht es gar nicht seine Augen. „Na los, geh dich umziehen. Deine Sachen sind schließlich nass geworden.“, fordert er mich auf. Als ich höre und mich abwende, gibt er mir auch noch einen Klaps auf die nasse Unterwäsche, auf meinen Hintern. Ich weiß auch, dass er sie im selben Zug am liebsten ausgezogen hätte aber heute nicht. Es ist echt zu spät und ich weiß wie müde er ist. Seinen Körper verbindet er sich soweit allein, auch wenn das nicht gerade einfach ist. Ich höre ihn laut und deutlich fluchen aber ich wäre ihm da wirklich keine Hilfe. Ich kann es mir ja nicht mal ansehen. Stattdessen hole ich ihm seine Sachen, eine seiner Skaterhosen, mit großem Aufdruck an der Seite „No.#1“ und das besagte schwarze, enge Unterhemd. Auf dem Weg zurück ins Bad kommt er mir schon entgegen, nicht nur mit verbundenem Oberkörper, sondern auch wieder ordentlich rasiert, dazu sein schneeweißes Haar und wie ich es mir schon denken konnte, die komplett schwarzen Kontaktlinsen. Die hatte er in der Schule noch nicht drinnen und darüber war ich irgendwie auch froh. Er sieht wirklich aus wie ein Dämon. „Grins' nicht so. Ich weiß, dass ich heiß bin.“, fordert er mich auf, schnaubt belustigt. Ich kann aber nicht aufhören zu grinsen, nach seinem Kommentar wird es sogar eher schlimmer. Ich gebe ihm seine Sachen, geh zurück in mein Zimmer. Er zieht sich sogar im Gehen an, folgt mir auf dem Fuße bis zum Bett. Was er meinte mit „voll im Griff haben“, erfahre ich auch sogleich. Noch eh ich mich fallen lassen kann, greift er mit beiden Händen um mein Gesicht, zieht mich zu sich herunter und küsst mich wieder, ganz einfach und doch total intensiv. Gleichzeitig lasse ich mich auf das Bett sinken, lege eine Hand über eine der seinen und er nutzt die Gelegenheit sich wieder auf mich zu setzen, mich zwischen sich, zwischen seinen Beinen. Er erhebt seinen Körper extra, stützt sich gerade auf seine Knie, um noch immer, noch wesentlich größer zu sein als ich. Er lehnt sich immer mehr über mich, sorgt dafür, dass ich anstelle nach hinten, mit ihm zusammen zur Seite falle und so, dass wir direkt auf dem Kissen landen. Seine Lippen lösen sich von mir, selbst wenn ich nach mehr bettle, ihm versuche näher zu kommen, rutscht er wieder ein Stück weg. Ich mag es nicht, wenn er mehr Abstand hält, als mir lieb ist. Das ist so quälend, verzweifelnd. Als er seine Hände von meinem Gesicht und meinem Hals löst, weiß ich ganz genau, dass er mich nicht weiter küssen wird, nicht nochmal nachgeben wird. Stattdessen aber schließt er mich komplett in seinen Armen ein, presst mich näher an sich und lässt mich seinem Herzschlag lauschen, welcher immer so schnell geht. Was ich nicht darf ist, meine Arme um ihn zu legen. Ich soll sie vor mich halten, zwischen uns beide, während er auch noch seine Beine um mich schlingt, als wolle er mich fesseln, nein, nicht als wolle er, er tut genau das. Er merkt, dass ich mich nicht daraus befreien wollen würde, es mich nicht mal getrauen würde. Deswegen nimmt er wohl auch einen Arm wieder weg, lockert den Griff um mich, lockert ihn nur, um meine vor uns liegenden Handgelenke festzuhalten. Wenn ich so darüber nachdenke, hört sich das tierisch unbequem und eingeengt an aber … ich schlafe auf der Stelle ein, mit seinen Worten im Hinterkopf: „Na siehst du, alles unter Kontrolle.“ Dabei klingt auch er schon als wäre er im Halbschlaf. Ich vermute, er ist froh endlich seine Ruhe zu bekommen. Den kompletten Samstag haben wir zusammen verschlafen. Erst nach 20 Uhr steht mal einer von uns Beiden auf und das bin ich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er vor Hunger bald zergeht. Er hat gestern glaube ich nichts zu sich genommen und den Tag davor auch nur so halbherzig. Wenn ich jetzt nicht aufstehe, dann wird Armin wohl genauso verhungern. Ja, stimmt ja, Armin, der der alles vergisst, wenn er erst mal anfängt zu zocken. Unten im Wohnzimmer stehend, ignoriert er mich, selbst dann, als es etwas zu Essen gibt. Beleidigt isst er, doch spricht nicht mit mir, so lange nicht, bis Harmony schlaftrunken nach unten gestolpert kommt. Er hat seine Augen nicht mal richtig auf, weiß aber, dass er mit Armin spielen muss. „Ähhhm … Essen?“, hält sich der Weißschopf knapp, sieht dabei sogar aus versehen zu Armin, anstatt zu mir. Als er sich zwischen uns Beide setzt, zieht er aber immerhin den Richtigen an sich. „Essen ist fertig und steht auf dem Tisch.“, berichte ich ihm. Er versucht noch immer seine Augen auf zu bekommen, gibt es dann aber auf und befielt mir: „Füttern.“ Ich schmunzle einfach darüber und aus einem Augenwinkel bekomme ich auch mit, wie Armin dafür ein Grinsen findet, auch wenn seines eher gehässig ist. Ich erfülle ihm wie selbstverständlich jeden Wunsch, was Armin's Gehässigkeit schwinden lässt. Er fixiert wieder den Bildschirm „Trinken?“, folgt als nächste Frage, als er die ersten Bissen bekommen hat. „Ähhm ja, hier – Cola, Wasser, Sprite?“, fühlt sich Armin aus irgendeinem Grund dazu verpflichtet zu antworten und deutet auf die untere Sofakante. Sich endlich den Schlaf aus den Augen reibend, wird seine Stimme etwas fester, ungehaltener: „Boaaar, ich sagte Trinken, nicht so was!!!“ Eine Aussage, die mir weniger gefällt als meinem Zwilling aber jetzt Widerworte finden … lebensmüde bin ich nicht. Nach einem abschätzenden Blick zur Seite nimmt sich Armin den kurzen Schritten an, holt gleich mehrere Flaschen aus dem Kühlschrank. War ja klar, dass er da gleich mitmacht. Ruhig, halb leise, übergibt er eine davon an meinen Freund, mit der Frage: „Hier … und jetzt spielen?“ Zögernd, erst nachdem Harm sich die Flasche geöffnet hat und den ersten, ziemlich großen Schluck genommen hat, nickt er meinem Bruder zu. Also gibt er ihm auch noch den zweiten Controller und mein Liebster lehnt sich gegen Armin, wie immer Rücken an Rücken aber so ganz da ist Harmony beim Zocken noch nicht. Ich soll ihm helfen und dafür lässt er mich auf seinem Brustkorb liegen. Es ist wie so oft, die gleiche Situation wie so gut wie jedes Wochenende, diesmal nur etwas bedrückender. Mit der Zeit und je wacher er wird, desto mehr getraut sich Armin auch wieder sich über seine verlorenen Spiele lustig zu machen. Sie trinken, ich kümmere mich ums Essen und alle zusammen spielen wir. Das reicht für ein gelungenes Wochenende. Es ist wie die Ruhe vor dem Sturm, einem Sturm, an den ich mich lang nicht mehr erinnert hatte. Hätte ich jetzt schon gewusst, was Tage später folgen würde, hätte ich mich jetzt schon dafür geohrfeigt aber noch … noch ist alles wie immer. Meine kleine Welt, unsere kleine Welt.
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