Sobald ich mich weiter entferne, ertönt doch nochmal eine Stimme. Nicht die des Sixth, sondern die des Fourth.
„Warte … warte doch mal … soll – soll ich dich noch bringen?“, hat er wohl eben auch versucht seine Wut herunter zu schlucken. Darauf will ich nicht genau antworten. Ich weiß, wie falsch es ist, jetzt noch immer sauer zu sein, traurig, enttäuscht, weil sie mir immerhin alle irgendwie das Leben gerettet haben, mir und sich selbst, aber … ich kann gerade nicht anders, jetzt nicht. „Ähhh-Ähhmm … Kümmere dich lieber um Sleepy. Mir ist er zu schwer.“, spreche ich ruhig, fast schon leise zu ihm. Danach folgt noch ein Stöhnen, genervt und frustriert. Er folgt mir nicht, gut so. Völlig fertig, fertig mit meinem Körper und im Kopf, tauche ich doch noch beim Arzt auf. Inzwischen schlafen schon alle. Wir haben es schließlich auch schon nach Mitternacht. Ich weiß gar nicht, wie schnell die Zeit in letzter Zeit verfliegt aber ich schwebe auch mehr in Gedanken als ich es früher schon getan habe. So kommt es auch, dass ich irrtümlicher Weise 'alle schlafen' mit 'einer ist noch wach', verwechsle. Mir fällt es nicht auf, bis ich am Wohnzimmer vorbei und eigentlich ins Gästezimmer will. Das kleine Licht sticht mir im Auge und das obwohl es so mickrig und so gedimmt ist. Ich halte inne, überlege. Mir fällt ein, dass bei Sally bestimmt kein Platz mehr ist, also wechsle ich die eingeschlagene Richtung. Auf der Couch sitzt ein Mann, ein wütender Mann, mit nervös zitterndem Bein. Bevor er realisiert, dass er da nicht mehr allein ist, spreche ich schon: „Was ist? Warten Sie auf … auf ihre … Frau … ?“ Ich verschlucke mich immer mehr an meinen Worten, die eigentlich provozierend sein sollten. Viele, kleine Tränen bahnen sich von ganz allein ihren Weg hinauf. Meine Hände versuchen sie krampfhaft aufzufangen, abzuhalten, zu stoppen. Ich dachte, ich hätte alles im Griff, hätte die Wahrheit vertragen können und wäre schon irgendwie damit klar gekommen aber auf dem Weg zu diesem Haus wurde mir nur eins klar … ich habe gar nichts im Griff. Fourth … Seroll … Fear … hatte Recht. Meine Beine zittern seitdem ich den Randbezirk betreten habe. Ich kam nur schleppend voran, nichts wollte mehr so funktionieren wie es sollte. Jetzt, wo ich vor dem Arzt, dem Mann stehe … versagt alles. Ich weiß, dass er kaum noch darauf hofft, seine Frau nochmal wieder zu sehen. Dass er nun hier sitzt, hat also einen anderen Grund, einen Grund, der sofort verfliegt, als mich meine Stimme, meine Tränen und letztendlich meine Kräfte verlassen. Ich sacke an Ort und Stelle zusammen. Er hat sich hastig erhoben, sich zu mir begeben und ist fast schon zeitgleich mit mir zu Boden gegangen. Ich sag's nicht gerne aber es tut heute schon zum zweiten Mal gut sich irgendwo ausheulen zu können. Meine Stimme bringt höchstens ein heiseres Quietschen hervor, welches der Mann sofort verstummen lässt, indem er seine Arme nur noch mehr um mich legt, mit einer Hand meinen Kopf an seine Brust presst. Er lässt kaum Luft zum atmen. Gut so. ich will nicht mehr atmen, nichts außerhalb dieser 4 Wände mitbekommen müssen. Ich will es vergessen, einfach vergessen! Ich spüre, wie sich Gänsehaut auf seinem Körper ausbreitet. Es ist unmöglich das nicht mitzubekommen, wenn er nur in Boxershort dasitzt und gewartet hat. Er lässt mich nicht mal eine Minute auf dem Boden verharren, hebt mich, so wie er mich umschlingt, und zerrt mich bis zur Couch. Ich schaffe es nicht mal ihm irgendwie zu helfen, mich selbst viel zu bewegen, scheine sogar ziemlich schwer zu sein. Es würde mich fast zum lachen bringen, wäre da nicht dieser grauenhafte Tag, nein, wären da nicht diese grauenhaften Wochen gewesen! Er nimmt sich die dünne Decke, die er sonst immer nur zum Fernsehen nutzt und legt sie um mich. Mir fällt erst auf wie kalt mir eigentlich ist, als er anfängt mich aufzuwärmen. „Nhhha, kalt …“, haucht er kaum merklich, „Was ist denn los, ist doch g-g …“, nicht mal er kann aussprechen, als er all das verschmierte Blut in meinem sonst so hellem Haar sieht und die zerrissene Lederjacke, von der er nicht weiß, wie das passieren konnte. Auch auf der ist Blut. Es ist überall, was ja irgendwie auch kein Wunder ist. Es ist von oben herab auf mich gefallen und als ich zurück taumelte, lag da diese Leiche auf der Brücke … direkt vor mir. Ich kann nicht erklären warum aber solange er gesprochen hat, war das schon fast wieder beruhigend. Gegen seinen Hals gelehnt, konnte ich die Vibration jedes einzelnen Geräusches spüren. Es fühlte sich gut an, beruhigend, sanft, warm und weich. Er bemerkt die Veränderung auch. Meine Tränen halten zwar nicht still, sind aber vom panischen Ausbruch zum normalen Weinen übergegangen. Er zögert nicht wirklich sich auch noch hinzulegen, jetzt, da er schon die Decke um uns gelegt hat und wir auf der Couch sitzt. Mir egal was er macht. Ich habe keine Angst vor dem was er tut. Soll er nur machen. Es gäbe eh nichts, was ich nicht schon gewohnt wäre. Eines seiner Beine lehnt gegen die Rücklehne der Couch, das andere hängt vom Sofa herunter und ich liege irgendwo dazwischen. Mein Gesicht ist weiter zwischen seinem Hals und seiner Schulter vergraben. Er hat eine Hand über mein Haar in meinen Nacken gelegt und starrt Löcher in die Luft. „Ähhhhm …“, versucht er irgendwie ein Thema zu finden, krampfhaft. Ich höre ihm zu, das weiß er. „Also … meine Frau ist weg … ich weiß, das ist wohl das Letzte, was du hören willst aber … ich weiß sonst nichts zu erzählen.“ „W-Wi-Wieso?“, presst sich kaum hörbar zwischen meinen Zähnen und Lippen hervor. „Sie denkt … ich hätte etwas mit einer von euch. Lächerlich oder? Ihr seid Kinder, alle 3.“ Ich stöhne, doch es hört sich mehr an wie ein verkrampftes Ausatmen. „Ich bin k-kei-kein … Kind.“ Er denkt nochmal nach und haucht in die Stille des gedimmt beleuchteten Raumes: „Nein, stimmt … du bist stark, weißt was du willst und stehst zu deiner Familie. Du tust alles für sie und vergisst dich selbst. Sieh dich nur an … du bist völlig fertig.“ „Nicht deswegen … doch ni-nicht deswegen … “, wühlt es erneut die Geschehnisse von heute auf. Es geht nicht, ich kann mich nicht beruhigen. „Ich wollte wohl sagen … es wäre manchmal besser, ihr würdet mehr wie Kinder sein, so wie eben. In dem Alter darf man das noch.“ Ich schüttle nur meinen Kopf, hastig. Mir ist etwas eingefallen und ich habe mir gesagt, schlimmer als jetzt kann es nicht mehr werden. Also frage ich: „Was – Was ist das Schlimmste, was einem Scater passieren kann?“ Er merkt sofort, wie ernst mir die Frage ist, denkt etwas darüber nach, doch seine Antwort ist die eines ehrlichen Erwachsenen. „Es kommt darauf an, was genau man mit 'Schlimmste' meint. Für viele ist es das Schlimmste einfach nur zu verlieren. Andere … erzwingen sich die Teilnahme mit den - den falschen Gen's … und sterben … und wieder andere … leben für den Sport und sterben für ihn. Wenn sie schwach werden, sich selbst verraten oder sich selbst verurteilen … wird das von den Gen's ausgenutzt. Sie spüren es … und übernehmen dich, deinen Körper. Du selbst steckst noch darin, bist aber eigentlich auch schon tot oder weißt zumindest, dass du sterben wirst. Du bist dann … anders, gefährlich und musst … musst aus dem Weg geräumt werden. So etwas willst du aber ganz bestimmt nicht …“ „Habe ich schon!“, gebe ich preis, was mir mein Herz und meinen Körper so schwer gemacht hat. Sein Griff wird wieder stärker, nun sogar mit beiden Armen, als es mir wieder passiert. Es wird wieder schlimmer und das obwohl diese Last mit ihm geteilt wurde. Weinen … ist so anstrengend. Ich kann mich nicht beruhigen, bis mir meine Augen von alleine zu fallen. Er tut es mir gleich, sobald er die Ruhe bemerkt. Der Stress der letzten Tage wurde nicht nur mir zu viel, auch er hat viel zu viel getan – ist jede Nacht wach geblieben und hat gewartet, hat versucht seine Frau zurück zu bekommen und sich um Sally gekümmert. Isebell ist bestimmt auch nicht die Einfachste und dann noch seine Arbeit mit all den Patienten, die ihm jeden Tag irgendetwas vor heulen … und ich bin wohl einer davon, was mich aber von nichts bisher getanem abgehalten hat. Ich bin so ein schlechter Mensch … so schlecht … und am nächsten Morgen wird mir das sofort wieder vorgehalten. Immer wieder zwischen schlafend und wach, bekomme ich irgendwann mit, wie jemand herein kommt, versucht leise zu sein aber schon an der Tür genervt stöhnt. Die Geräusche werden lauter, nehmen zu, bis besagte Person am Zargen zwischen Flur und Wohnzimmer steht. Der Schlüssel fällt aus der Hand, prallt auf dem Boden auf und der auf dem ich noch immer liege zuckt zusammen. Mir war, trotz dem ständigen Wechsel zwischen wach und schlafend, gar nicht mehr so ganz klar, dass da unter mir der Arzt liegt. Ich habe mich einfach immer wieder mit eingekuschelt, völlig automatisch und er hat daraufhin die Decke wieder ein Stück mehr über uns gezogen. Das alles ist so … ungewollt und automatisch passiert. Jetzt, wo er auch völlig erwacht ist, streicht er sich verschlafen mit beiden Händen über sein Gesicht, gähnt, atmet tief durch und bewegt sich trotzdem nicht viel. Ich kann hören, wie sein Herz intensiver anfängt zu schlagen. Es ertönt kein Wort der Person an der Schwelle zum Wohnzimmer. Ich kann aber Bewegung hören, entfernende Bewegung, schwere Schritte. Wer auch immer das ist, muss sehr wütend sein. „Ohhh, scheiße!“, höre ich ein Zischen, versucht gezwungen leise. Der Mann unter mir richtet sich mit einem Ruck auf und zerrt mich gleich mit hoch. Nun bin ich wirklich wach, … kann mich aber nicht großartig bewegen. Verwirrt zwinkere ich stark, versuche noch klar zu kommen. Meine Arme und Beine wollen einfach nicht. Kaum ein Muskel zuckt. Bevor der Ältere nun ganz aufsteht, sieht er mich an. Er streicht mir mein Haar aus meinem Gesicht, welches sich unter all den Tränen festgeklebt hatte. Er sieht es. Er sieht, dass mir noch immer welche über die Wangen laufen. Ich weiß selbst nicht mehr warum, es hallen so viele Dinge nach, die einfach alle raus wollen. Fast so als wäre ich wirklich sein Kind, in vielleicht einem Alter von 6 oder 7 Jahren, lässt er mich seine Arme hinab zurück auf's Sofa gleiten und legt ganz vorsichtig die Decke nur noch über mich, dass mir auch ja nicht kalt werden kann. Mir ist schleierhaft wer da eben herein kam aber seiner Reaktion zufolge, kann es ja nur Eine gewesen sein. Er beeilt sich ihr nach zu kommen. Den Geräuschen folgend, müssen sie im Schlafzimmer sein, als die Frau anfängt zu schreien. „Was ist nur dein Problem? Ehrlich? Musste das sein? Du wusstest, dass ich heute meine Sachen holen wollte. Musst du – Musst du mir echt so deutlich zeigen, wie sehr du auf Jüngere stehst? Verdammt Oliver! Sie - ist – ein – Kind!“ „Ja eben, eben Schatz!!! Sie ist ein Kind!“, wiederholt er es und hofft, dass sie es endlich verstehen würde. Ich mag es nach wie vor nicht, dass mich alle als Kind bezeichnen aber in diesem Falle bin ich wirklich lieber ein Kind, als eine Erwachsene oder Jugendliche. Spöttisch lacht sie: „Lass das! Wir sind nicht mehr zusammen und das weißt du auch! Dass du auf Kinder stehst, finde ich absolut widerwärtig. Sie ist halb so alt wie du. Das nennt man Pädophilie!“ „Was? Sage mal spinnst du? Wir sind doch nicht … wir hätten nie … wie kommst du auf so eine Idee?!“, ist er von der Idee genauso erschrocken wie ich und genauso angewidert wie seine Frau. Ihr spöttisches Gelächter wird überschwänglich, völlig übertrieben – Hauptsache laut sein. „Wie ich darauf … wie ICH darauf komme? Was soll ich denn sonst denken, wenn du SO mit ihr da liegst?“ Wie, SO? Das geht nicht wirklich in meinen Kopf. Gut, wenn man denkt wie sie, dann hätte man die komplette letzte Nacht falsch darüber denken können aber … warum denkt sie so? Meist reagiert man doch so, wenn … So wie mir der Gedanke kommt, spricht es der Arzt auch schon aus: „Wie kommst du nur immer auf solche Ideen? Sie lag auf mir, wir hatten alles an. Ich weiß ja nicht, was du gesehen hast aber … betroffene Hunde bellen, oder?!“ So sieht es aus. Die Frau verstummt für den Moment. Ich kann aber förmlich spüren, wie sie sich erneut brüstet und noch immer laut erzählt: „Ja! Und? Dann habe ich mir eben wen Jüngeres gesucht! Immerhin ist der nicht 12!“ Gereizt richtet sich mein Körper automatisch auf. Bevor ich mehr sagen kann, stehe ich auch schon direkt hinter den Beiden und knurre tief: „Wie war das eben?!“ „Halte du dich da einfach raus, kleines Miststück!“ WOW … eine bestimmt 10 Jahre ältere Frau wehrt sich mit Beleidigungen? Immerhin sagt er nichts, macht mir sogar noch Platz. Ich müsste fast schon wieder grinsen, wenn da nicht die vielen Tränen wären. Er scheint verstanden zu haben, dass man mich schwer von irgendetwas abhalten kann, wie … wie zum Beispiel jeden Tag zur Schule zu gehen und mit gerissenen Nähten zurück zu kommen. „Was ist? So feige, dass du sie sprechen lässt? Ein zwölfjähriges Kind stellt sich vor einen dreißigjährigen Mann! Sehr männlich von dir.“, zieht sie weiter über ihn her. Mir egal, nur eins kann sie sich absolut sparen: tief durchatmend schreie ich aus voller Kehle: „VERDAMMT NOCHMAL, ICH BIN NICHT ZWÖLF!!!“ Gut, die Reaktion legt den Schluss nahe, dass ich nicht viel älter sein kann aber was soll's. Obwohl die Beiden sich voll streiten, huscht dem neben mir ein leichtes Lächeln über die Lippen. Seine Haltung entspannt sich mehr, als er erkennt, wie sehr seine Frau deswegen schockiert ist. Meine Tränen sind zum ersten Mal seit Stunden wirklich weg. Schuldig fühle ich mich trotzdem, weil ich all meine Sorgen auch noch auf die seinen drauf gepackt habe. Das hat er nicht verdient, auch wenn ich mich oft genug so benehme, als wäre er ein schlechter Mensch. Wie gestern schon gesagt … ich bin der schlechte Mensch und versuche das irgendwie immer wieder gut zu machen. So auch jetzt: „Wissen Sie überhaupt, was Ihr Mann die letzten Wochen alles getan hat? Er hat sich um meine Schwester gekümmert, hat mich ständig behandelt, hat uns – uns allen dreien Unterschlupf gegeben, weil wir nicht wussten wohin, hat die Nächte ständig auf Sie gewartet und hat sich trotzdem die komplette letzte Nacht mein Geheule angetan! … Und oben drauf geht er jeden Tag ganz normal auf Arbeit! … Was haben Sie in den letzten Wochen vorzuweisen, außer gewisse Akte mit gewissen jüngeren Männern?!“, frage ich sie ganz offen. Sogar den neben mir haut das ein wenig aus der Bahn aber ist doch wahr! Tief durchatmend, nach allem was ich loswerden wollte, fehlt nur noch eine einzige Erwähnung: „Ich bin 15.“ Ich habe das so murrend wie ein eingeschnapptes Kind von mir gegeben, dass sich der Mann, Oliver, nicht mehr zusammen reißen kann. Er fängt trotz seiner schlechten Situation einfach an zu lachen. Ich fühle mich immer mehr fehl am Platz. Ich habe doch nichts falsches gesagt … eigentlich. Die Frau kommt nicht zum Antworten. Der Mann spricht, er spricht mit mir: „Wie toll, so viele lobende Worte und das auch noch von dir aber sage mal, wie konntest du überhaupt aufstehen?“ Jetzt wo er es sagt, fühlen sich meine Beine und mein Körper immer schwerer an. Vor meinen Augen verschwimmt nach und nach alles. Mehr weiß ich nicht, mal wieder … Ein paar Stunden später, die Sonne steht noch immer am Himmel, werde ich erneut wach und diesmal ungezwungen. Ich kann hören, wie Blätter umgeschlagen werden und sobald ich mich mehr bewege, das komplette Buch zugeschlagen wird. Der laute Knall hallt in meinem Kopf nach. „Ahh, wieder wach, ja?“ Ich spüre sofort, dass ich wieder im Bett liege. Er spricht so fröhlich, als wäre überhaupt nichts passiert. Wie falsch … „D-Deine … Frau?“, räuspere ich mich zwischendurch. Meine Stimme will nicht so ganz wie ich will. Er setzt sich ruhig mit auf das Bett und reicht mir ein Glas Wasser. „Trink. Du bist Dehydriert. War eigentlich klar aber dir war das mal wieder egal.“, grinst er zu gekünstelt. Ich trinke, um endlich eine ehrliche Antwort zu bekommen: „Was ist mit deiner Frau?“ „ … weg …“ Er reißt sich schwer zusammen, sich seine ehrlichen Gefühle nicht anmerken zu lassen aber gerade das verrät ihn doch so sehr. „Und … was denken Sie darüber?“ Er schaut auf und schmunzelt mich an: „Jetzt wieder Sie? Erst waren wir immerhin schon beim Du.“ Stimmt. Irgendwie ist mir das völlig automatisch raus gerutscht, als sein Name erwähnt wurde. „Oliver.“, wiederhole ich ihn wie in Trance, leise, flüsternd, und starre die Decke über mir an. „Stimmt … Mein voller Name. Das war noch nie ein gutes Zeichen, wenn sie gesprochen hat.“ „Wieso?“ „Sie gab mir immer irgendwelche eigenartigen Spitznamen, die nicht mal mehr als Spitznamen zu verstehen waren. Egal … ich will eigentlich nicht groß darüber reden.“ „Tut mir leid …“ „Ach was, du warst doch, auch wenn unerwartet, echt mal lieb. … Wie gesagt, unerwartet. Ich … bin echt traurig wegen der Trennung, schon seit Tagen … hätte auch beinahe wieder angefangen zu trinken aber … es gab wichtigeres. Außerdem, jetzt wo ich weiß, dass sie die Betrügerin ist … das macht die Trauer eher zur Wut und damit komme ich ganz gut klar.“ Sicher? Ich bin mir da nicht so sicher. Er sieht mir den Zweifel im Blick an. „ … zumindest etwas …“, ergänzt er. War ja klar. Er ist sogar noch ziemlich fertig deswegen. Na ja, kein Wunder. Es ist erst ein paar Stunden her, seitdem er es offiziell gehört hat und ich? Ich war mal wieder keine große Hilfe dabei. Vielleicht wäre alles besser ausgegangen, wenn ich mich nicht mit eingemischt hätte … und das alles nur wegen dem falschen Alter. „Tut mir leid.“, wiederhole ich es leiser, heiser. Die Worte wollen mir nur noch schwer über die Lippen gehen. Er rutscht etwas weiter auf sein Bett, setzt sich also direkt neben mich. Er schaltet den TV an, stellt ihn ganz leise und schlägt sein Buch wieder auf. „Du bist seltsam, wenn du dich so oft entschuldigst. Weswegen überhaupt? Dafür gibt’s echt keinen Grund … Kinder eben!“, versucht er mich aufzuziehen, doch bei mir siegt schon wieder die Müdigkeit. Das Glas Wasser habe ich nach wie vor in der Hand. Es fällt auch die halbe Nacht über nicht um. Durch einen lauten Knall werde ich geweckt. Mir ist nicht klar, woher dieser Knall kam aber ich schrecke so auf, dass ich im Bett sitze. Der Mann hatte sich inzwischen hingelegt und ist beim lesen, mit kleinen Tränen in den Augen, eingeschlafen. Meine Blicke wenden sich von ihm ab. Der TV ist noch immer an. Es sind Autos abgebildet, die einen Unfall gebaut haben. Daher kam also der Knall. Kaum später schalten die Nachrichten um. Es wird berichtet, über einen Anschlag, einen Luftangriff. Es sind keine klaren Bilder, nur die einer abgesperrten Stelle einer Brücke. Sie erzählen, dass man es wohl auf das Geschäftsunternehmen X im Gebäude Y abgesehen hätte und er von der Polizei rechtzeitig aufgehalten werden konnte. Mir kommen wieder Bilder auf. Nur unweit des Bettes liegt dann auch noch meine geteilte Jacke. Das Zischen der Räder und das Pfeifen des Windes um meine Ohren und in meinem Haar kehrt zurück. Alle Gefühle, alles was passiert ist, fühlt sich wieder so real an, als wäre es eben erst vor 2 Minuten passiert. Als der nächste Knall durch den Fernseher dringt, wacht auch der neben mir auf, nur nicht so sehr, dass er sitzt. Fertig mit seinen Nerven, trotz dem Schlaf den er hatte, versucht er krampfhaft seine Augen offen zu halten. Es ist schon fast lustig ihn so zu sehen. Schlaftrunken reibt er sich die Müdigkeit aus den Augen und murmelt: „W-Was? Ähh-Ähm du – du bist wach, schon wieder?“ „Ja, du aber auch.“, flüstere ich selten ruhig zurück. Er lächelt, lässt sich zurück ins Kissen fallen und atmet tief durch. „Wie spät ist es?“ „Kurz nach 4.“ Nochmal atmet er tief durch. Sein Buch klappt er zu und mit einem Ruck steht er auf. Er will so langsam mal aufstehen und sich fertig für die Arbeit machen. Es sind zwar noch ein paar Stunden Zeit aber jetzt nochmal schlafen hätte keinen Sinn. Nachdem man die Kaffeemaschine bis ins Schlafzimmer rattern hört, ertönt kaum darauf auch das Plätschern der Dusche. Stimmt ja, ich hätte auch mal duschen müssen! Verdammt, all das Blut! Als ich an mir herab sehe, ist da nicht mehr viel von übrig. Er hat mir immerhin auch die Jacke abgenommen, die Decke von der Couch liegt noch immer um meine Schultern. Das restliche Blut hat er mir von der Haut gewaschen und vieles auch aus dem Haar. Er hat … Er hat sich echt um alles gekümmert, allein. Meine Schwester kommt bald darauf ins Schlafzimmer gestürmt, springt mir um den Hals und fängt an zu weinen. Sie hatte Angst und Sorge, durch die vielen lauten Geräusche des letzten Tages. Stimmt ja, sie hat die ganze Zeit über nichts von sich sehen oder hören lassen. Ich hätte beinahe vergessen, dass sie hier war. Auch ich stehe bald auf, sorge dafür, dass das Frühstück fertig auf dem Tisch steht, bevor er von seiner Dusche zurück ist. Es ist vielleicht ein schwacher Trost aber ich hoffe, dass es trotzdem irgendwie hilft. Isebell stand mir dabei zur Seite und schafft es mal wieder mit ihrer Art alle zum Lachen zu bringen. Als die beiden Mädchen schon erwartungsvoll am Tisch sitzen und hoffen, dass sie endlich essen dürfen, kommt der Mann zu uns, ihnen. Ich selbst hole noch schnell etwas aus der Küche und sehe mit an, wie er sich wirklich über den Anblick freut. Mir zuzwinkernd flüstert er: „Eine verloren, drei gewonnen … so schlecht ist das vielleicht gar nicht!“
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