Ich weiß nicht, was er als nächstes tun wird. Ob er weg fliegen oder normal zu sich nach Hause gehen wird. Ich weiß auch nicht, ob er meine Aufforderung von erst vergisst und sich doch zu viele Gedanken darüber macht. Ich kann nur hoffen, dass er sich daran hält.
Als ich die Tür leise hinter mir schließe, kann ich aus dem Schlafzimmer ein leises Geflüster hören. Ob ich wohl störe, wenn ich jetzt da rein gehe? Die Tür ist jedenfalls nur angelehnt aber rein schauen will ich deswegen nicht gleich. Das Wichtigste zuerst und zwar Sally. Auch da ist die Tür nur angelehnt. Durch den kleinen Spalt scheint ein kleines, gedimmtes Licht. Ich kann mir schon denken warum. Leise, mit fast keinem Geräusch, schiebe ich sie auf. Ich kann sehen, wie sich die Bettdecke bewegt und nur noch zwei klitzekleine Äuglein hinaus schauen. Sie schließt sie immer wieder aus Angst. Ich stoße mich vom Türrahmen ab, an dem ich mich eben noch mit einem Arm abgestützt habe. Gefühlt auf Zehenspitzen gehe ich näher und spreche, bevor sie anfangen kann aus Angst zu schreien. „Hey Isi, solltest du nicht schon schlafen?“ Ihre Augen gehen sofort wieder auf. Ihr ist nach aufspringen, aus welchem Grund auch immer, tut es aber nicht. Sie würde Sally damit nur wecken, welche ihren Arm über sie gelegt hat. Die Kleine muss unsere Älteste auch schon damit genervt haben, wovor sie wohl Angst hat. „Ich – Ich kann nicht. Das – Das Monster … es wird kommen, ganz bestimmt.“ Wieder kriecht sie mit ihren Blicken bis unter die Decke. Ich hocke mich vor das Bett und sehe sie mit einem leichten Lächeln an. „Welchen Grund hätte es denn dich zu ärgern, wenn du nichts angestellt hast? Vergiss nicht, lügen bringt nichts.“ Sie zuckt zusammen, doch flüstert mir dann ganz leise zu: „Okay, okay … ich – ich habe gelogen aber … “ „Weshalb denn? Erzähl schon.“, fordere ich sie noch immer ruhig bleibend auf. Ihr Zittern und ihre verspannte Haltung lassen nach. Sie erzählt mir davon. „Ich … m-m-musste lügen, nur dieses eine Mal, wirklich. In der Schule gab es Ärger, weil ich meine Tests nicht unterschreiben lasse. Ich habe gesagt, dass Papa auf Arbeit ist aber …“ Ja, stimmt ja. Wir haben nicht so weit gedacht, dass man in der Grundschule noch alle Tests unterschreiben lassen muss. „Lege sie mir einfach morgen früh hin. Ich nehme sie mit zu Papa.“ Diesmal wird sie sogar mutiger und kommt energisch mit ihrem ganzen Kopf unter der Decke hervor. „Ich will aber mitkommen. Ich – Ich will Papa auch sehen. Bitte. Bitte, bitte.“, fleht die Kleine mich mehrfach an. Ich lege ihr meine Hand auf den Mund, damit sie endlich ruhig ist und gestehe ihr zu, dass sie mitkommen darf. Sie darf nur nicht, niemals, allein nach Hause gehen. Natürlich hat sie Sehnsucht nach ihrem Vater … ich kann sie nur allzu gut verstehen. Sie hat ihn jetzt schon mehrere Wochen nicht mehr gesehen. Das ist die längste Zeit, die sie von zu Hause weg ist. So etwas kann kleinen Kindern schon Angst machen, das glaube ich ihr. Beruhigter murmelt sie sich wieder ein, doch als ich aufstehe, schieben sich ihre kleinen Augenbrauen wieder zusammen. „Wo – Wo gehst du hin? Bleibst du die Nacht nicht hier Miki?“, flüstert sie missmutig zu mir. Seltsam. Was hat sie nur. „Was? Doch, natürlich bleibe ich hier.“ Klitzekleine Tränchen hängen in ihren Augen, als sie mir bittend und bettelnd, fast schon traurig klar macht: „Gestern warst du aber auch weg. Ich dachte … gehe bitte nicht wieder weg, ja!“ Nochmal richte ich mich an sie, beuge mich zum Bett herunter und zeige über meine Schulter. „Mache dir deswegen keine Gedanken. Alles ok aber wenn du die Nacht nicht schlafen kannst, dann komm doch einfach rüber. Ich verspreche dir, ich werde da liegen. Entweder im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer.“ Sie legt ihr patschiges Händchen auf zwei meiner Finger. Ihr Blick bleibt wehleidig, bis sie mir sagt: „Bitte sei nicht mehr traurig. …“, meine trägen Augen gehen weiter auf. Was? Was sagt sie da? Ich höre ihr besser zu und nehme ihre ganze Hand, „Ich habe dich lieb, ja. Es reicht schon, wenn Olli immer traurig ist und ich weiß, dass ihr Beide mal an einem Tag traurig wart. Bitte Miki, ja. Sei wieder fröhlich. “ „Isi … ich … ja, ok.“ Ich weiß nicht, woher sie plötzlich solche Worte und solche Gedanken nimmt aber sie scheint sich wirklich Sorgen zu machen. Die Kleinste in einer Familie sollte niemals Grund haben, sich so den Kopf zu zerbrechen. Seit gefühlt einer Ewigkeit gebe ich ihr mal wieder einen Kuss auf die Stirn. Sie zuckt zurück, also tue ich es nochmal … und nochmal und nochmal und nochmal, bis ihr ein aufgewecktes Grinsen über die Lippen rutscht. „Hör auf, hör auf Miki. Das kitzelt doch.“ Durch ihr kurz schallendes Gelächter regt sich Sally hinter ihr aber wacht zum Glück nicht gleich auf. Ich halte einen Finger vor meinen Mund und zische ganz leise. Ihr scheint es ja nun wieder etwas besser zu gehen. Das freut mich und ich kann gehen. Die Tür ziehe ich nur wieder das Stück heran wie es vorher schon war. Zur zweiten Tür herein gehe ich genauso vor wie bei der ersten. Ich bin leise und vorsichtig. Erst luge ich nur durch einen Spalt, eh ich mir sicher bin, dass er allein da liegt. Woher kamen dann eben noch die Geräusche? Er liegt entspannt auf seiner Seite, hat einen Arm über seinem Kopf liegen und schaut zum Fernseher, der an der Wand vor dem Bett hängt. Flüchtig schaut er immer mal wieder auf, zu mir herüber, bis er begriffen hat, dass da wirklich jemand steht. „Hey, na wer ist denn da? Du kannst mich ruhig vorher informieren, wann ich mir eine Frau einplanen kann und wann nicht.“, macht er sich echt darüber lustig. Er lacht zwar dabei aber ich nehme das was er sagt ernst und frage nach: „Ist doch jemand hier o-oder woher kamen eben noch die Geräusche?“ „Was? Nein! Ich schaue nur einen Film. Na los, lege dich hin.“, signalisiert mir der Arzt und klopf auf das Kissen neben sich. Mit einem leichten Sprung hinein liege ich auch schon da und murmle mich in die Decke ein. Ich habe sie mir im ersten Moment voll über die Nase gezogen. All meine Härchen haben sich aufgestellt und ich zittere für eine Sekunde, nur um dann genauso entspannt da zu liegen wie Oliver. Um die Uhrzeit wird es sogar im Sommer noch recht frisch. Sein Blick hingegen wird plötzlich doch ernster als vorher und nicht nur der: „Du weißt hoffentlich, dass das eben versteckte Kritik war oder? Verdammt Mädchen, du bist 15! Wo warst du letzte Nacht?“ Ich schließe ziemlich entspannt meine Augen und im fröhlich verträumten Ausatmen über einen endlich vorhandenen Schlafplatz, entgegne ich ihm kalt: „Das geht dich überhaupt nichts an. Du bist nicht unser Vater.“ „Stimmt … aber ich lasse euch hier wohnen ohne groß nachzufragen weshalb. Da kann man mir doch wenigstens diese Frage beantworten. Du wirkst etwas zu happy, dafür, dass da nichts war.“ Zu ihm blickend hake ich nach: „Dass was war? Du glaubst doch nicht echt …“ „Doch, natürlich! Wie gesagt, du bist erst 15!“ „Ich habe gestern Nacht nur … habe mich mit jemandem getroffen.“ Ich glaube, so drückt man es wohl am besten aus, doch er versteht es immer noch falsch. Als er weiter darauf anspielt, dass ich mit jemandem geschlafen hätte, reicht es mir. Im Wahn meiner Müdigkeit werfe ich ihm vor: „Warum glaubst du mir nicht? Ich bin schließlich nicht wie du und verheimliche irgendetwas!“ Seine Augen weiten sich und er blickt direkt zu mir, doch bekommt nur zwei fest überzeugte, schon fast böse Augen zu sehen. Er wird etwas rot und lässt sich auf seinen Rücken rollen, starrt an die weiße Decke. „Ich weiß nicht wovon du redest.“ Das ist noch frustrierender als ich dachte. Er sagt selbst dann nichts, wenn ich ihm schon indirekt sage, was ich weiß. Beleidigt wende ich mich ab, schlafe ganz am Rande des Bettes und starre zur Tür. Ein leises Zischen folgt noch, eh ich versuche endlich mal etwas zu schlafen, doch auch er scheint in einer völlig anderen Welt zu stecken, nimmt automatisch einen Arm um meinen Bauch und zerrt mich wieder zurück in die Mitte. Was – Was soll das denn? Etwa … wie Vater … Nein. Er löst sich selbst, als er sein Handeln bemerkt und erklärt mir zumindest das: „Tsch-Tschuldige. Manchmal … Manchmal vergesse ich wohl, wie alt du bist. Wer – Wer du bist. Das habe ich immer bei meiner Frau gemacht, wenn sie sauer war, weil ich so lange die Nacht über weg war. Wenn … ich mich mit Leuten getroffen habe.“ Toll, jetzt drückt er sich genauso aus wie ich. Was soll mir das sagen? War das wohl … War das eben wohl seine … „Mit wem hast du dich gestern getroffen?“, fügt er eher beunruhigt hinzu. Ja, das war seine Antwort auf meinen Vorwurf. Na ja, irgendwie stört es mich auch nicht, wenn er seine Hand auf meinem Bauch liegen hat. Das war warm … nur die Situation an sich war seltsam. Trotzdem ziehe ich genau diese Hand an einem Finger wieder über meine Seite. „Dich – Dich stört das nicht? Ehrlich, ich würde dich nie anfassen. Das war nur eine blöde …“ „Ich weiß doch, sei endlich still. Ich will schlafen! Übrigens … es war kein freiwilliges Treffen mit – mit Ninth, mit Control-Freak.“ Er versteht endlich meine Müdigkeit und akzeptiert sie, denkt nicht weiter über das nach, was ich gesagt habe. Er schaltet den TV aus und legt sich mit unter die Decke. Sein Abstand zu mir ist respektvoll, ja keine Berührung mehr, die die Situation noch schräger erscheinen lassen würde. Ich bin froh, dass wenigstens er nachdenkt, bevor er handelt. Letztendlich erzählt er mir noch während ich in den Schlaf falle, dass er auch schon versucht hätte Isebell zu beruhigen, es aber nicht geschafft hat. Er macht … irgendwelche Komplimente, die mir sofort entfallen sind, weil sie eh viel zu übertrieben waren. Ich kann lediglich noch spüren, wie besagtes kleines Kind die Nacht doch noch zu mir gerannt kommt. Sie legt sich unter die Decke, unter meinen Arm … und kann da endlich in Ruhe einschlafen. Zu dritt liegen wir so da, bis der erste Wecker klingelt. Natürlich ist es der des Arztes. So schnell wie er aufsteht, kann man meinen, dass er schon vorher wach gewesen wäre. Er verlässt das Zimmer beinahe lautlos, verzieht sich in die Küche. Isebell und ich schauen uns mit schmalen, vom Schlaf trägen Augen gegenseitig an und müssen anfangen zu lachen. „Schlafen oder aufstehen?“, frage ich sie und gähne daraufhin herzhaft. Obwohl ihre Nacht so kurz war wie die unsere, will sie mit dem Mann zusammen aufstehen. Er ist etwas verwundert, sieht über seine Schulter zu uns und wirft uns seine fragenden und trotzdem strengen Blicke zu. „Ihr könnt nicht jedes Mal mit mir aufstehen. Gerade du solltest mal wieder eine Nacht durch schlafen.“ Ich gähne nur nochmal herzhaft und strecke meinen Körper in die Höhe, bis alle Knochen knacken. Isebell ekelt sich davor, muss aber trotzdem lachen. Ich wende mich lieber ihr zu als mit dem Arzt diskutieren zu müssen. Eine Hand auf ihren Kopf legend, streichle ich über ihr völlig zerzaustes Haar. „Na, was magst du wohl trinken?“ Glitzernde Augen schauen mich an, mehr braucht es nicht als Antwort. Sie soll sich im Bad fertig machen und kann sich dann erst dazu setzen aber solange es am Ende Milch gibt, tut sie alles. Ich setze mich an den wirklich sehr kleinen Tisch in der Küche, gerade mal 2 Stühle passen daran. Meinen Kopf lasse ich auf die Platte sinken und ich atme tief durch. „Was soll ich ihr denn machen?“, ist der Mann der einzige, der es nicht weiß. Fast schon wieder zum Schmunzeln. „Milch.“, pruste ich erschöpft und schon wieder im Halbschlaf. Oliver schnaubt belustigt und sieht von seiner frühen Tätigkeit ab. „Du denn auch?“ Ich antworte ihm schon gar nicht mehr. Er macht mir trotzdem ein Glas. Einfacher geht es ja auch kaum, wenn man kalte Milch trinken möchte. Er setzt sich mir direkt gegenüber und stellt beide Gläser ab. „Wenn du noch so müde bist, warum seid ihr nicht liegen geblieben?“ Murrend raffe ich mich auf, setze mich ordentlicher hin: „Wenn Isebell einmal wach ist, dann ist sie eben wach. Willst du wieder allein dein Glück bei ihr versuchen?“ Etwas geknickt wirkend antwortet er: „Ich bin halt nicht ihr Vater … und gehöre auch so nicht zur Familie.“ „Sie haben wirklich keine Ahnung, hmm? Sie ist ein kleines Kind. Sie testet wie ein Hund aus, wie weit sie gehen kann. Außerdem … helfen Geschichten von Monstern mehr als man denkt.“ Zweifelnd sieht er zu mir, verlangt mit seinen Blicken nach Antworten. Ich erzähle ihm die Geschichte. Er antwortet nicht darauf, lacht nicht, reagiert nicht wütend oder ähnliches. „Was ist?“ Er nimmt eine Hand an sein Kinn und überlegt: „Jetzt wo du Monster sagst … C-Control-Freak … ich war mir erst nicht sicher, wer genau er ist. Ihr habt euch gestern gesehen? Getroffen? Einfach nur getroffen?“, werden seine Fragen deutlicher. „Ich verstehe nicht … was hast du?“ „Er … seine Ernennung zum King war von Anfang an … zwiegespalten. Niemand kann ihn so wirklich einschätzen und … er ist nicht ruhig, wenn er sich mit jemandem 'trifft'.“ „Sage das jemandem, der das noch nicht weiß!“, murre ich. „Ist denn etwas passiert? Hat er versucht …“ „Keine Panik! Ich kann schon auf mich aufpassen und wenn … wenn ich es mal nicht tue, habe ich meistens noch ziemliches Glück und – und Seroll taucht auf.“ „Also war er auch da? Wieso? Wieso musste er einschreiten?“ Er wird ziemlich ernst, wenn es um diesen Freak geht. „Ich frage nicht grundlos …“ „Stimmt! Wenn ich die Wahrheit sagen würde, könntet ihr ihm eine Bestrafung auflegen!“ Das verärgert mich wirklich. Ich will am liebsten gar nicht wissen, was er noch zu sagen hat. Er hält sich mit seiner folgenden Antwort ziemlich zurück, denkt eine Weile darüber nach, bis sogar Isi aus dem Bad zurück kommt. Ich überlasse ihr meinen Platz und lehne mich einfach gegen die Küchenschränke. In Anwesenheit der Kleinsten … sagt er mir endlich, was in seinem Kopf vor sich geht. „So ein Unsinn. Du weißt, das würde ich nie tun. Ich kümmere mich um andere Dinge.“ Er sieht mir an, dass ich ihm das nicht glaube. Warum sollte er denn so dringend wissen wollen, was passiert ist, wenn … Er schaut mehr zu Isebell als zu mir, als er meine Gedanken unterbricht: „Ich - Ich mache mir nur Sorgen. Es hätte sonst was passieren können und niemand hätte etwas davon erfahren. Wäre es nicht vielleicht sinnvoll, dir von deinem verdientem Geld als Erstes ein Handy zu besorgen? Alles andere ist doch zweitrangig oder?“ Alles andere? Weiß er wohl, dass ich … ja. Sein Blick sagt mir eindeutig, dass er es schon weiß. Mir wäre es lieber gewesen, wenn es vorerst gar keiner erfahren hätte. Ich schweige und sehe von ihm weg. Ihm wird klar sein, dass ich keine Fragen mehr beantworten will, bis durch die Stille des Morgens ein lauter Knall dringt. Im Gästezimmer wurden die Stühle umgeschubst und sind ohne Rückhalt auf dem Boden aufgekommen. Aufmerksam haben alle aufgeschaut, bis ich einfach drauf los in das Nachbarzimmer gerannt bin. Meine Bewegungen haben den Arzt auch aus der Starre geholt. Er ist unweit hinter mir und als wir Beide sehen, wie Sally reglos am Boden liegt, spüre ich nur einen kräftigen Griff an meinen Armen und wie dieser Mann mir lauter werdend versucht etwas zu befehlen. Er hat mich vom Boden einfach hoch gezerrt und versucht dafür zu sorgen, dass ich nicht hinsehen kann. „Nun hör schon auf. Steh auf, geh raus! Rufe lieber einen Krankenwagen. Mikain, nun mache schon!!!“ Erst als er so laut geworden ist, fällt mir überhaupt auf, wie ich sie versucht habe wach zu bekommen. Ich habe Sally mehrfach eine Ohrfeige gegeben, doch es hat nichts gebracht und bevor in mir mehr Vorwürfe aufkommen können, zerrt Oliver mich an den Schultern gepackt aus dem Raum. Er versucht mir eine sinnvolle Aufgabe zu geben. Hastig, zitternd und mit geweiteten Augen suche ich das Schlafzimmer nach seinem Handy ab. Ich wüsste nicht, mit was ich sonst jemanden rufen kann. Als ich es endlich gefunden habe, irgendwo in einer Schublade, merke ich erst wie sehr alles an mir zittert und wie verschwommen mein Blick geworden ist. Mir stehen schon wieder Tränen in den Augen, schon wieder! Und diesmal sieht es Isebell auch noch. Sie weiß überhaupt nicht was los ist, sieht mich ebenfalls schon mit Tränen in den Augen an. So unangenehm es auch ist, dass sie mich jetzt so sieht, so hilfreich ist es auch. Ihr Geschrei könnte ich jetzt nicht auch noch ertragen, also schlucke ich mehrfach und reibe mir die Tränen weg. Nur das Zittern, dieses dämliche Zittern, will nicht verstummen! Sie fragt mich weinerlich, was mit mir los sei aber ich antworte ihr nicht. Ich setze mich auf das Bett und atme ein paar Mal tief durch, damit auch ja nicht noch mehr Tränen aufkommen. Auf den Platz neben mir klopfe ich ein paar mal, bis sich Isi setzt. Mit heiserer, immer wieder aussetzender Stimme erkläre ich der Kleinsten: „Es – Es ist nichts. Ich habe nur … musste mir nur den Schlaf aus den Augen reiben. Wir – Wir müssen jetzt jemanden anrufen, ja?“ Diese wenigen Worte helfen mir dabei ruhiger zu werden. Der Frau am anderen Ende kann ich ziemlich genau berichten was mein Anliegen ist und ich kann nur froh sein, dass Isebell das noch nicht so sehr versteht. Ich würde ihr ja gern sagen, dass sie hier sitzen bleiben soll aber welches Kind würde das schon tun? Immer wieder tief durchatmend, um nicht die Fassung zu verlieren, bleibe ich also bei ihr sitzen. So lange, bis man schon von weitem Sirenen hören kann. Isebell ist abgelenkt genug sie zu ignorieren aber ich denke mir trotzdem lieber etwas aus, nehme sie an die Hand und sage ihr, dass ich ihr etwas zeigen möchte. Sie soll sich die Ohren zuhalten und die Augen schließen. Das kleine Mädchen ist so aufgeregt … und so ahnungslos. Oliver schaut nur mal flüchtig, ich deute nach draußen. Resignierend nickt er und macht weiter. Ich will gar nicht wissen, was er da alles tun muss. Viel lieber lege ich Isebell die Jacke um die Schultern und nehme sie auf meinen Rücken. Noch bevor der Rettungswagen eintrifft, sind wir schon weg. Am Ende, da mir sonst nichts besonderes eingefallen ist, landen wir in der Innenstadt. Ich weiß nicht wie klug es ist, ihr so etwas zu zeigen aber was soll ich sonst machen? Sie spürt, wie wir die Treppen hinauf gehen und wird neugieriger. Ihre Augen gehen automatisch auf und sie nimmt ihre Arme voll um meinen Hals. Als wir ganz oben, auf der höchsten und letzten Brücke ankommen, sehen wir Beide durch die unzähligen Hochhäuser hindurch. Nur Sekunden später scheinen die ersten Strahlen der Sonne hindurch. Sie taucht die Stadt in Streifen aus Licht und Schatten und lässt die Gebäude wirken wie zu groß gewordene Edelsteine. Ihre Augen sind wieder so schön offen, so kindlich eben. Ich selbst hingegen kann es kaum genießen, auch wenn es sonst immer wunderschön war. Wir sind … einfach geflüchtet und haben Sally allein gelassen und zum noch größeren Überfluss, werde ich sie immer weiter und weiter verletzen, wenn ich anfange die Scates zu basteln. Aber das kann mir nun auch langsam egal sein, denn egal was ich mache, es wird immer falsch sein. Im Schein des Sonnenaufgangs taucht in einer fließenden Bewegung, wie bisher fast immer, einer der Slider auf. Es sieht wieder aus wie ein fliegender Vogel und irgendwie … irgendwie habe ich fast damit gerechnet. Deswegen war ich mir auch so unsicher, ob es klug wäre die Kleine hier rauf zu bringen. Ihr scheint zu gefallen, was sie da sieht. Ich kann nur hoffen, dass sie keinem zu detailliert davon erzählt, was sie da gesehen hat. Er fährt mehrfach hin und her, sieht sich nicht großartig um aber ich weiß, dass er uns gesehen hat. Ich habe ihn noch nie so durch die Luft schweben sehen, nur immer neben mir her fahrend. Ich wusste, dass er ein King-sama ist und auch, dass er schnell ist aber … aber dass das von weitem so gut aussehen kann und einen nicht beängstigen muss … das ist neu. Die vorher noch immer vorhandene Angst … sie hat sich einfach in Luft aufgelöst. Im wahrsten Sinne des Wortes.
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