Ich sitze noch immer auf der Mauer. Normalerweise bin ich ja nicht sehr empfindlich aber was solche Themen angeht darf mir eben keiner auf die Nerven gehen! War die Strafe zu hart? Vielleicht. War sie verdient? Auf jeden Fall! Ich bin deswegen nicht traurig oder geknickt, eher wütend, sehr wütend!
Träumend starre ich in den Himmel. In meiner Rechten halte ich zwischen Daumen und Zeigefinger eine meiner Zigaretten. Drei Stummel liegen bereits unten. „Hey!“, überhöre ich seine erste Begrüßung. Als nun schon der vierte Stummel fällt, trifft es genau seinen Kopf. Diesmal lauter als eben versucht er es noch mal. „Hey! Was soll das denn, lass die armen Zigaretten in Ruhe. Die haben dir nichts getan!“ Durch meine Kapuze blicke ich kurz nach unten, obwohl eigentlich schon klar war wer es ist. „Wohl wahr.“, flüstere ich zu mir selber. „Brauchst du vielleicht noch eine?“, versucht er es nochmal. Ich greife in meine Jackentasche und hole aus der Schachtel noch eine weitere heraus. Diese fange ich an zwischen meinen Fingern zu zermahlen. Etwas verzweifelter blickt er wieder zu Boden. Nichts dergleichen funktioniert. „Ach komm schon, lass den Idioten mit zu kleinem Hirn und Reisbällchen nicht so hier unten stehen.“, versucht er es eben so. „Dann komm doch einfach hoch!“, flüstere ich wieder, diesmal hat er es gehört. Er hangelt sich auf den Ästen mit Leichtigkeit bis nach oben. Bevor er sich setzt, versucht er aus mir herauszulesen ob er darf. Als ich das merke, lasse ich meine Grimasse sofort verschwinden und lächle wieder breit. Natürlich … nicht echt. „Dummkopf! Aber wirklich! Ich dachte du wärst etwas härter drauf!“, mache ich mich über ihn lustig. „Also bist du echt nicht sauer?“, will er ungläubig wissen. Noch während ich mich aufsetze hole ich auch schon aus. Diesmal zügel ich mich etwas mehr und treffe nur seine Schulter. Trotzdem fällt er fast wieder von der Kante runter. Mit einem geschlossenem Auge und einem schmerzerfülltem Zischen hält er sich aber doch. Ich setze mich lieber in die andere Richtung, Richtung Straße. Er weiß noch immer nicht was er mir sagen soll. So eine Entschuldigung rutscht ihm nicht leicht über die Lippen. „Denke einfach vorher mal nach, Reisbällchen!“ Belustigt schnaubend muss er feststellen, „Du kannst dir meinen Namen noch immer nicht merken oder? C-A-S! Nicht so schwer oder?“ „Ist doch egal. Außerdem heißt es doch Castiel oder?“ „Jo aber einige dürfen mich eben auch bei meinem Spitznamen nennen. Natürlich nur meine treuesten Untergebenen.“ „Untergebenen? Na wer's glaubt!“ „Dann eben Freunde, wenn das besser klingt!“ Irritiert sehe ich zu ihm, mit verdeckter Kapuze, „Komische Freunde suchst du dir! Ich bin nur irgendwer, irgendein Banknachbar eben und diese Neue auf die du stehst darf es nicht!“ „Hmm, die will ich damit nur nerven und außerdem … weiß ich schon ganz genau warum du und nicht sie …“ Je länger er spricht, desto verträumter wird er dabei. Es wird gerade so komisch ernst. Dieses mal lasse ich nicht zu, dass er sich nochmal abfangen kann. Von hinten schubse ich diesmal mit beiden Händen und er fällt die 3m bis nach unten. Gefühlt bleibt ihm sein Herz dabei stehen und er schreit kurz auf aber etwas ernsthaftes passiert ist ihm nicht. „Du hast geträumt!“, ermahne ich ihn von oben und springe dann nach. Wenn er also nicht schnell genug aufstehen würde, würde ich sofort auf ihm landen. Er schafft es, gerade so. Seine Reaktionszeit ist ziemlich lang, auch das hätte ich nicht gedacht. Mit einem Knie fange ich mich auf der Wiese ab, ganz leicht und sachte. Er liegt zur Seite gerollt neben mir. „Sage mal spinnst du vollkommen! Mich erst hier runter schmeißen und dann auf mich drauf springen ja! Hast du es denn so nötig?!“, regt er sich so sehr auf, dass er dabei energisch aufsteht. Verwundert hocke ich noch immer auf dem Boden. Als ich aufstehe fällt mir endlich mal etwas auf. „Sage mal, warum spielst du so oft darauf an, dass ich schwul sei? Wie kommst du darauf!“ „N-Naja also …“, er hätte nicht gedacht, dass ihm eine Antwort darauf so schwer fallen könnte, „ … weil – weil du so mickrig aussiehst. Du bist so furchtbar klein, viel zu abgemagert und wirkst eben irgendwie wie … najaa … und dann hängst du ja auch noch die ganze Zeit mit Alexy rum.“ „Der hat doch gar nichts damit zu tun! Er – Er ist einfach aufgetaucht und … er ist eben ein Freund von Kentin und … dieser furchtbare Hundeblick!!!“, knurre ich den letzten Teil tief. Und obwohl des keine richtige Erklärung ist, warum ich nicht schwul wäre, wirkt er trotzdem erleichtert. Offen erzählt er mir, „Deswegen sehe ich nie in seine Augen! Der Junge kann das echt unglaublich gut aber dass du darauf anfällig bist, hätte ich nie gedacht!“ Wir setzen uns beide auf die Bank im Schatten. Sie steht unter einem Baum. Zum rein gehen hat keiner große Lust. Nach ein paar Minuten spüre ich, wie ihm ein paar Fragen auf der Zunge liegen. Dieses beklemmende Gefühl kehrt zurück. „Was – Was genau ist eigentlich …“ „Sie sind beide im Ausland!“, platzt aus mir heraus. Bis auf Kentin habe ich das bisher noch nie jemanden erzählt und ich mache gleich damit weiter als ich merke, dass seine Aufmerksamkeit nur noch mir gilt, „Die beiden sind beim Militär und gehen regelmäßig ins Ausland. Sie verdienen gut daran – ganz offensichtlich. Vater ruft immer an, wenn er Zeit dazu findet oder … oder eben ein Telefon in der Nähe ist. Diesen Monat war es das erste Mal.“ Noch viel mehr als vorher schon könnte er sich nun dafür ohrfeigen. Keiner weiß besser als er wie es ist ständig allein zu sein, dabei sieht er seine Eltern wahrscheinlich noch öfter als ich es tue. Verdammt! Er bekommt nicht mal jetzt irgendetwas dazu raus. Mit meinem einem Auge sehe ich ihn von der Seite her an. Er ist der erste an dieser Schule der das erlebt ohne Angst bekommen zu müssen. „Dummer, wirklich dummer Reiskuchen!“ Dann endlich fällt ihm etwas ein, wie er es vielleicht wieder gut machen könnte. „Ich weiß aber … wie hältst du das nur in deiner Jacke aus? Es ist doch viel zu warm heute!“ Als wenn nichts wäre entblößt er sich seiner Jacke und lässt sie ab da an auch aus. Ich sehe erst jetzt, dass ihm das Shirt trotzdem noch zu klein ist. Der Stoff umspielt detailliert die Muskulatur seines Körpers. Entspannter als sonst lehnt er sich zurück. Seine Beine streckt er gerade aus und legt eines über das andere. Mit seinen Unterarmen stützt er sich auf der Lehne und beugt seinen Kopf zurück. Ihm schien aber auch wirklich warm gewesen zu sein in der Jacke. Gerade am Hals, wo sein hoher Kragen ihn umspielt, fließen ein paar Tropfen hinunter über seine Kehle oder über seinen Nacken und fallen anschließend zu Boden. So deutlich sollte ich mir wirklich niemanden anschauen!, dann lösen sich meine Blicke auch endlich. „Weißt du eigentlich, dass ich deinetwegen jetzt den lustigsten Teil der Woche verpasse?“ „Aha.“ „Ich meine Sport ist ja schon immer lustig aber Musik! Musik ist wirklich einzigartig. Ganz ehrlich, ich würde dich auch gern mal spielen hören. Das klingt bestimmt genauso lustig.“ Ich überlege. Sollte das eben eine Provokation sein? Wenn er nur wüsste! Ruhig antworte ich lediglich, „Naja, vielleicht ja schon bald.“ Dann ist wieder Ruhe, zumindest für mich. Auch ich lehne mich zurück und genieße die frische Luft und die Stille. Castiel hingegen steckt wieder in seinen Gedanken. Ich weiß nicht … normalerweise sind mir andere ja egal. Gut, bei so einem riesigen Fettnäpfchen hätte ich mich wohl bei jedem 'entschuldigt' aber … schon nur seine Aussage eben 'vielleicht ja schon bald' oder wenn er nicht mal wissen will wovon ich spreche … das stört mich eben und gibt mir plötzlich eine Eigenschaft, von der ich dachte, die gäbe es bei mir nicht – Neugierde. Mich stört es zu wissen, dass alles gestern nur ein Zufall war und die Sache mit Alexy. Vielleicht hat es mich sogar ein bisschen gestört, als Kentin auf ihm lag. Wenn er schon sagt, er will nichts von Kerlen, warum erlaubt dieser Trottel sich das dann aber noch viel wichtiger, warum lässt er das zu? … Ich wüsste nur eben gern … mehr über ihn! … Wie dumm von mir! Er ist doch kaum seit einer Woche da, wie kann ich da nur … Mist, verdammter … All seine Gedanken sind verschwunden als ich einfach aufstehe. Ich begebe mich schon wieder nach drinnen, eigentlich nur um mir etwas zu Trinken zu holen aber aus irgendeinem Grund fragt er ziemlich hastig nach. „Wo – Wo gehst du denn hin?“ „Nach drinnen.“, berichte ich ihm kühl und trotte weiter. Nein, verdammt! … Noch nicht! Sein Körper zwingt ihn dazu aufzustehen. Er läuft mir eilig nach, greift sich von hinter mir mein Handgelenk und hält mich so fest. Durch den Schwung drehe ich mich zwar zu ihm, sage aber nichts. Er wirkt so … panisch. „Ich will nur … erzähl mir endlich etwas über dich, etwas was sonst kaum einer weiß!“ Im ersten Moment kann ich überhaupt nicht fassen was er da sagt. Castiel, der Kerl dem vor mir Kälte und Eigenheit zugeschrieben wurden, genau der will jetzt etwas von mir wissen?! Meine Augen stehen weit offen, was er zum Glück nicht sieht. Noch kühler als eben schon entreiße ich ihm meinen Arm. „Bist du vielleicht doch krank?“ Sobald ich mich abwende, um weiter zu gehen, bekomme ich auch schon sein zweifelndes Seufzen mit. Ich winke ihn lediglich hinter mir her. Ich weiß zwar nicht was mich dazu treibt ihm irgendetwas einzugestehen aber … „Na schön …“ Er läuft sofort neben mir her, kommt bis zum Automaten mit. Als er mir da zusieht, wie ich mir, mit dem Rücken zu ihm gewendet, die nächste Packung hole, sieht er auch ein, dass er viel zu voreilig gehandelt hat. Er hätte nicht sofort so durchdrehen sollen. Daran sind allein seine Gedanken schuld! Verlegen sieht er weg und wird sogar ein bisschen rot. Noch während ich am Automaten wähle, mein Gesicht ganz deutlich versuche zu verstecke, spreche ich, „Der Ausweis … ist keine Fälschung.“, seufze ich, „Das wissen nur meine Eltern und Kentin.“ „E-Echt? Und wofür ist der? Hast du … deswegen immer die Jacke an?“, wird er immer leiser beim sprechen. Doch ich verneine, „Nicht ganz, nicht nur … ich mag Jacken einfach.“ Erstaunlich … dass er mir das erzählt hat. Nein … dass ich ihn darum gebeten habe ist … viel erstaunlich. Als ich mich zu ihm drehe, sauge ich mal wieder am Strohhalm und deute mit der anderen Hand in Richtung Klassenzimmer. „Hast du noch immer keinen Plan? Wir haben doch Musik, na komm!“, erklärt er mir, provozierend grinsend.
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