„Tut mir leid.“, entschuldigt sich der von draußen. Es tut ihm wirklich leid.
Deswegen spricht sie wohl auch so ungern und deswegen sieht sie keinen an … warum bin ich da nicht früher drauf gekommen?, mahnt sich der Weißhaarige. Ich schließe für eine Weile meine Augen und schüttle mir meine Gedanken weg. Es ist ja nichts passiert und er hat gesagt, sie würden es keinem erzählen. Also … kann mir alles andere auch egal sein. „Schon gut.“, nehme ich für einen Moment meine weibliche Stimme wieder an. Kentin freut sich darüber. Er weiß, dass so etwas nur alle paar Jahre mal passiert. Sein Vater hat ihm früher viele Geschichten erzählt, daher ist es fast so, als wären wir 'Brüder'. Er weiß wohl mehr über mich als meine Eltern. Komisch … wie das alles damals gekommen ist … Bevor ich zu weit zurück gehe, in eine Zeit die längst vergessen sein sollte, schüttle ich mir alles aus meinen Kopf. Dabei lösen sich auch die Hände des Jungen vor mir. „Danke.“, hört er zum wirklich ersten mal von mir und es ist tatsächlich ehrlich gemeint, das spürt er deutlich. Danach nehme ich meine alte Haltung wieder an. Meine Stimme wird 'normal' und ich stehe ohne jegliches zucken auf. „Na los, Alexy will immerhin, dass ich das anziehe!“, dann bin ich es der den Vorhang zur Seite schiebt. Am liebsten hätte sich der Junge vor mir nochmals entschuldigt aber das würde eh nichts mehr bringen. Viel mehr betrachten sich die anwesenden nun auch mein neues Outfit. Die Jacke ist ganz außergewöhnlich. Bis zur Hälfte etwa sind schwarze Flecken darauf und an den Ärmeln führen orangefarbene Streifen entlang. Vom Grunde her ist sie aber weiß, so wie das Shirt und die Hose. Die Kapuze ist zum Glück groß genug und hat auch wieder einen Fellrand. Ich geb's nur ungern zu aber es hat was. So schlimm sieht es ja gar nicht aus. Als Letzter kommt Armin zu uns. Er hat nur die gleichen Sachen noch einmal an. Die anderen Anwesenden können nur darüber lachen, Alexy und Rosa hingegen verzweifeln. Zuletzt wird Kentin endlich mal begutachtet. Er hat nun tatsächlich die Röhrenjeans an. Die Taschen bestehen aus den Flaggen der USA, der Rest ist schwarz, mit ein paar roten Akzenten. Die sind aber wirklich so schwach, dass man sie fast übersieht. Das Oberteil ist nur ein weißes Hemd, enganliegend. Auf dem Saumen sind kleine Bilder von Keksen. Das gleiche gibt es auch noch mit Waffen. Beides passt gut zu ihm. „Mit wem willst du ausgehen?“, frage ich frech nach. Bisher hat er schließlich noch keine Verabredung. „Mal sehen …“, gleich drauf kommt er mir wieder näher, beugt sich zu mir und flüstert mir ins Ohr, „ … vielleicht ja mit dir.“ Ich nehme die Aussage einfach mal als Scherz und grinse ein wenig. Lysander wurde leider nicht fündig und Rosa bekommt regelmäßig etwas von ihrem Freund. Sie braucht nicht noch mehr. Letztendlich kaufe ich das komplette Outfit und Kentin noch einiges mehr. Um alle Sachen mal tragen zu können, muss er aber mindestens fünfmal ausgehen. Armin nimmt das mit, was er immer kauft. Noch im letzten Moment läuft uns das Mädchen nach. Ihr hat es Spaß gemacht und sie will jetzt gern mitkommen. Der Verkäufer hat sich natürlich über unseren Großeinkauf gefreut, aber nein, auch so hat es ihm Spaß gemacht. Er verabschiedet noch kurz seine Freundin auf dem Flur, dann wollen wir auch schon weiter. Als ich gerade an ihm vorüber ziehe und die anderen schon beinahe um die nächste Ecke verschwunden sind, packt er mich am Arm. Er zieht mich ein Stück zu sich zurück, reißt mir die Kapuze herunter und schiebt mein Haar zur Seite. Das alles macht er innerhalb von ein paar Sekunden, ich kann nicht mal so schnell reagieren. Nahe meines Ohrs raunt er, „Das nächste mal … darfst du auch ruhig gar nichts an haben!“ Ich schaue verwundert zur Seite. Meine Augen werden größer. Was? Was hat er da gesagt? Und noch während ich versuche ihn zu verstehen, löst er sich von mir und fängt laut an zu lachen. Nur ein blöder Spruch von ihm? Versucht er mich aus der Ruhe zu bringen? So oder so nehme ich sein Gelächter als Zeichen, dass er das nicht ernst meint. Als ich meine Kapuze wieder aufsetze, kann ich sogar darüber grinsen. Als er meine Zähne blitzen sieht, ist es nun er, der verstummt. Hat er geglaubt, er könne mich so leicht durcheinander bringen? „Kommst du nun?“, ruft mir die Weißhaarige nach. Sie sieht, wie nahe mir ihr Freund steht und macht sich keine Gedanken. Wie denn auch, wenn alle glauben ich sei ein Junge. Vielleicht ist es ja genau das, was ihrem Freund Spaß macht. Er spielt mit dem Feuer … Ohne weiter zu zögern laufe ich zu ihr und schnurstracks an ihr vorbei, dabei greife ich nach ihrem Arm und lasse sie nicht mehr los bis wir bei den anderen sind. Sie schaut mich so verwirrt an und wirkt so, als hätte sie geglaubt, ich würde ihr etwas antun wollen. „Ihr steht?“, hakt sie diesmal nach. „Ja, Kentin holt sich eben etwas zu essen.“, berichtet Lysander und schaut dabei schon wieder längst in eine andere Richtung. Er würde also lieber in den nächsten Laden wollen. Ein Musikgeschäft. Ich packe ihm von der Seite auf die Schulter, ähnlich wie ich es beim Lehrer getan habe. Sogar er erschrickt sich aber nur, weil er nicht damit gerechnet hat. Mit einer einfachen Kopfbewegung signalisiere ich ihm, dass ich in dieses Geschäft will. Ich habe das Gefühl, dass das eben noch immer auf ihm lastet. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, wenn wir uns mal kurz unterhalten können. Kentin wird sich seine Kekse ja auch selber holen können oder? Lysander lässt sich so etwas nicht zweimal sagen oder besser gesagt deuten. Er liebt Musik über alles, es ist für ihn wie sein ganzes Leben. Ist es aber wirklich NUR das, was ihn sofort überzeugt? Jedenfalls kann ich gar nicht so schnell schauen, da steht er auch schon vor der Eingangstür. Ich folge ihm schmunzelnd. Er hält mir die Tür auf und schon nur dafür knurre ich ihn böse an. „Vergiss einfach was du gesehen hast!“, bekommt er am vorbeigehen zu hören. Sobald die Tür zufällt nimmt er seine eine Hand auf die Innenseite der Tür und die andere gegen die Glasscheibe neben mir. Er kommt mir ein paar Zentimeter näher und ich werde mir bewusst, dass auch er eine gewissen Menge an Muskulatur aufzuweisen hat. Ich könnte mich so einfach nicht mehr befreien. „Tut mir leid, das geht nicht. Ich sehe es schließlich die ganze Zeit!“, klingt er sowohl zurechtweisend als auch liebenswürdig. Ich verstumme und schaue ihm ungewollt in die Augen. Er merkt, dass mich seine Bemerkung mitnimmt. Ich weiß ja, dass er nichts böses will aber am liebsten wäre es mir wirklich, er hätte es nie gesehen. Ich hatte schon längst wieder vergessen, was er erst zu seinem Bruder sagte. Wahrscheinlich bin ich deswegen auch noch nicht wieder ganz 'normal', schließlich würde ich sonst ihn zurechtweisen aber nein, diesmal nicht. Ich weiß, was er von mir will, was er verlangt. Er will seine Frage von erst beantwortet bekommen. Warum?! „Gut … okay.“, pruste ich, „Aber nicht jetzt.“ Zufrieden lässt er von mir und dreht sich weg, den Instrumenten zu. „Das hätte ich auch nicht erwartet und erst Recht nicht verlangt.“, wirkt er nun wieder normal. Ich folge ihm einfach durch das Geschäft. Dass ich mir keine Gitarre holen kann, ist mir schon vollkommen bewusst. Mich interessieren aber noch ein paar andere Dinge. Eher unauffällig lasse ich meine Blicke zu anderen Instrumenten schweifen. „Glaubst du echt, ich würde das nicht merken?“, macht er sich nun über mich lustig. Wir verbringen noch eine ganze Weile in diesem Laden. Die anderen setzten sich inzwischen und trinken etwas. So langsam wird es auch schon dunkel. „Was machen die zwei denn so lange da drinnen?“, beschwert sich Alexy gelangweilt. „Wenn Lysander einmal dazu kommt, dann bekommt man ihn so schnell nicht mehr da raus.“, erklärt das Mädchen. Armin hingegen macht sich nur lustig, „Keine Sorge Alexy, dir nimmt schon niemand deinen Mino weg!“ Das lässt Rosa hellhörig werden. Auch ihr fällt es schwer zu glauben, dass jemand wie Alexy auf mich stehen könnte. Auch ihr erklärt er seine Sichtweise und zu allem Übel muss Armin auch noch bestätigen. Rosa ist nur froh darüber zu wissen, dass ihre Klasse keinen Freak dazu bekommen hat. Wenn die nur wüsste! Kentin reicht es irgendwann auch mit dem warten. Er hatte eigentlich noch Lust auf Kino aber wenn wir noch länger brauchen würden, dann würde daraus nichts mehr werden. „Hey ihr zwei, wo bleibt ihr denn so lange? Schon vergessen? Kino!!!“ Sofort reißt es uns aus unserer Musik heraus, was allerdings nicht so schlimm ist. Lysander fällt nur auf, dass sich Kentin mir gegenüber mehr erlauben darf als andere. Wenn er mal nur an erst denkt, in der Umkleide. Es erleichtert ihn zu wissen, dass jemand wie ich mit jemandem wie Kentin befreundet sein kann. Leider kann ich solche Dinge nicht aus seinem Gesicht herauslesen. Für mich steht da gerade nur ein breites Lächeln mit der anschließenden Frage, was wir denn schauen wollen. Kentin hat sich schon vorher mal schlau gemacht welche Filme denn so laufen. „Transformers 5“, soll es sein. Bei Horror würde Rosa nicht mitmachen, bei Liebesfilm der Rest nicht und Comedy bei so vielen Leuten ist für mich nichts. Also musste es Action sein. Mit dem Film sind auch alle einverstanden. Wir haben Sitze in den obersten Reihen bekommen und ich habe als einziger den Partnersitzt erwischt. Der gehört zum Glück mir ganz alleine und der Military hat sich gleich zu Anfang den anderen Platz neben mir eingeheimst. Die anderen verteilen sich auf dem Rest der Reihe. Alexy, Lysander, Rosa, Armin, Kentin und ich – das ist die Reihenfolge. So sehr sich Rosa auch über ihren Platz freut, so zwischen zwei Jungs bei so einem Film, so sehr hasst Alexy den seinen. Kurz bevor die Werbung vorbei ist und der Film eigentlich anfängt, sehe ich nur den schwarzen Schatten vor mir, gleich als nächstes wie dieser Schatten meine Beine vom Platz nimmt und sich stattdessen da hin pflanzt. „Was wird das denn?!“, grummel ich böse. „N-Naja … ich dachte, du brauchst vielleicht Gesellschaft.“, flüstert er mir zu. „Kentin ist doch da und alle anderen auch.“ „Ja aber … ich habe so schlecht gesehen von meinem Platz aus.“ „Du sitzt in der Mitte Alexy!“, werde ich strenger. „Wieso nimmt man sich denn einen Partnersitz, wenn eh kein zweiter hier sitzt?“ „Ich lege mich eben gerne hin beim Film schauen!“ Muss ich mich jetzt auch schon rechtfertigen?! Die anderen um uns herum wirken schon genervt durch unser Geflüster. Die eigenen Kameraden hingegen verkneifen sich ihr Lachen. Während ich mit Alexy diskutiere, unterhalten sich auch die anderen. „Sage mal merkt er echt nichts?“, will Rosa wissen. „Nein, das ist es ja. Da kann sich Alexy noch so mühe geben, Mino checkt das nicht.“, erklärt Armin und schaltet endlich seine PSP aus. „Ich glaube einfach, dass Mino kein Interesse hat.“, drückt sich Lys gewählter aus, wissender. Sie hören uns weiter zu, bis sogar Kentin eingreift. „Lass ihn doch einfach da sitzen. Es bringt dich doch nicht um oder?“ Danach bin ich still, die anderen sind es auch und der Film beginnt. Eigentlich dachte ich, dass nun mal 2 Stunden Ruhe herrscht aber nein. Kentin ist es diesmal. Er hält mir seinen Eimer Popcorn unter die Nase. „Nimm!“, versucht er mir zu befehlen. Süßer Versuch! Ich antworte nicht mal. Ich merke, wie ihm das gerade anfängt auf die Nerven zu gehen. Anstatt es weiter mit Worten zu versuchen, wird er diesmal gröber. Er packt einfach ein paar Popcorn und greift mir mit der anderen Hand sofort unters Kinn. Ich habe mich inzwischen schon wieder auf den Film konzentriert und dachte er würde es sein lassen. Perplex lasse ich mit mir anstellen was er will. Mit zwei Fingern hält er mir das Stück vor den Mund und kommt mir mit seinem Kopf auch gleich ein Stück näher. Er befielt mir , „Mund auf!“ Ich tu was er verlangt. Mit einem Finger schiebt er es mir zwischen die Lippen. „Iss!“ Wieder tu ich was er verlangt. Zum Glück bekommt es keiner der anderen Zuschauer mit, dafür aber ausnahmslos ALLE die, die mit uns hier sind. Von Kentins Seite aus folgen lediglich verwirrte Blicke, der bei mir allerdings wirkt sauer, wenn nicht gar eingeschnappt. Als er endlich los lässt, noch wütender als vorher, sinken meine Blicke zu Boden. Mir ist schon klar warum er so sauer wird aber … egal! Alexy schaut nur noch zum Film, die anderen nun auch wieder, sogar Kentin. Ich sehe wie er seine Hand zur Faust ballt, also konzentriert er sich mutwillig auf den Film. Dann bin ich also … der einzige, der sich nicht mehr darauf konzentrieren kann. Mit meinem Kopf schwebe ich ganz woanders. Meine Blicke gehen an die Decke des Raumes, dann schließe ich meine Augen. Ich merke zwar, dass sich der bunte Vogel an mich lehnt, doch diesmal habe ich nichts dagegen. Von mir aus soll er eben machen, wenn es ihn denn glücklich macht. Das macht es ihn tatsächlich. Wir zwei bekommen nicht mal mit, dass der Film vorbei ist. Alle bleiben noch sitzen bis der Abspann vorbei ist. Den anderen scheint er gefallen zu haben, jeder der den Raum verlässt redet darüber, auch die drei ganz links von uns. Rosa muss sich ein paar mal heftig erschrocken und sich abwechselnd an den Jungs festgekrallt haben. „Wollt ihr zwei heute noch gehen oder lieber gleich hier schlafen?“, weckt uns mehr oder weniger Armin. Alexy schreckt tatsächlich bei seiner Stimme hoch, ich werde nur in die Realität zurück geholt. Beide reiben wir uns die Augen aus, Alexy wegen der Müdigkeit und ich wegen … anderen Gründen. „Ja, los geht’s!“, gähnt Alexy, wodurch auch ich wieder lächle. „Ich will endlich Heim!“
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