Und dieser Kreisel hört nicht auf. Ich musste die letzte Woche jeden Tag daran denken. Harmony flüchtet jede Sekunde vor mir, sobald wir beieinander sitzen oder liegen und ich mich an ihn schmiegen will. Das scheint ihm aber nicht mehr zu reichen. Er will sicher mehr a-aber das kann ich ihm nicht geben. Ich wünschte, ich könnte es a-aber … genau deswegen kuschle ich mich doch so oft an ihn. Er lässt mich meistens ja auch an ihn ran, erlaubt es mir aber ist dann auch ganz schnell wieder weg. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tun soll und deswegen … deswegen will ich einfach nicht daran denken müssen! Genau deswegen habe ich vielleicht auch die letzte Woche …
„Das ist zu viel, du nimmst einfach zu viel Lexy! Hör bitte endlich auf mich und wach auf. Ich schaue nicht gern dabei zu, wie du dir jeden Tag deine Dröhnung holst und das mehr als nur einmal am Tag. Glaubst du, ich merke nicht, wie du dein Zimmer nach Gras durchsuchst?! Harmony gefällt das bestimmt auch nicht. Hö-Hörst du mir überhaupt zu?! LEXY!!!“, werde ich immer mehr und immer härter zurück gerufen, bis ich Armin's letzte Worte komplett zusammen setzen kann. „Was willst ausgerechnet du mir denn sagen, Armin? Hör du auf zu spielen, dann hör ich auf zu rauchen! Jeder hat seine Laster!“, murre ich ihn genervt an. Wütend versucht er mir irgendetwas einzureden: „Ja und wieso hast du die? Die hattest du vorher nicht und plötzlich muss es jeden Tag sein?! Lexy, wirklich, komm bitte zurück! Wach auf, das bist nicht du. Was versuchst du damit denn zu erreichen?“ „E-Erreichen? Ich? Nichts!“, antworte ich ihm, werde langsam aggressiv und vergreife mich stark im Ton, doch das ist mir so ziemlich egal, „Was sollte ich denn erreichen wollen, verdammt?! Es ist doch alles o.k., die Beziehung läuft gut, super, geradezu perfekt und wir zwei verstehen uns doch auch o-oder besser gesagt wohl eben nicht mehr so ganz.“ Armin atmet durch, sieht kurz von mir ab und stattdessen zur Küche. Als er sich etwas abreagiert hat, versucht er nochmals Worte zu finden, ruhige Worte: „Alexy, ich versuche dir das jetzt schon jeden Tag einzureden. Ich will einfach nicht zusehen müssen, wie mein Zwillingsbruder abstürzt und in irgendetwas rein rutscht. Bitte, werde wieder klar! Werde einfach wieder normal, mehr will ich doch gar nicht u-und für Harm musst du bestimmt auch nicht anders sein oder besser gesagt anders wirken. Dadurch kommt ihr auch nicht schneller dazu miteinander im Bett zu landen. Le-LEXY! Bleibe wenigstens … hör mir wenigstens zu! Ach verdammt!!!“, ruft er mir lautstark nach, brüllt durch das ganze Haus. Ich konnte mir das nicht länger geben, nicht von Armin. Er sollte hinter mir stehen, zu mir stehen. Ich kann mir das nicht ständig anhören. Es tut weh, so weh und ist so falsch. Sein letztes Fluchen ist auch das letzte, was ich höre, bevor die Tür zu meinem Zimmer lautstark zu fällt. Ich denke eigentlich auch nicht weiter drüber nach was ich da jetzt tue, suche einfach mal wieder mein ganzes Zimmer ab. Ich weiß, dass er noch mehr davon hier herum liegen hat, viel mehr und überall in meinem Zimmer verteilt, nicht nur in einer einzigen Schublade. Ich muss nicht groß suchen, um die ersten Tütchen zu finden. Ein paar seiner Verstecke kenne ich bereits. Das ist aber zu wenig, zumindest für mich und auch nur heute. Ich brauche mehr. Es soll aufhören mir im Kopf zu drehen und zu dröhnen. Es soll alles aufhören weh zu tun, einfach alles! Ich denke nach ein paar Minuten, in denen ich das ganze Zimmer auf den Kopf gestellt habe, dass ich alles gefunden haben könnte. Eins, zwei oder vielleicht sogar 3 ganze Zigaretten kann man damit bestimmt befüllen. Ich musste das ja noch nie machen, Harmony hat das sonst immer getan aber zugesehen habe ich oft genug. Gefühlt brauche ich zehn mal so lange, die Uhr sagt mir, dass ich dreimal so lang gebraucht habe, eh alle 3 gestopft sind und dann … dann kann ich endlich etwas entspannen. Mir egal was Armin über mich denkt oder was er sagt, was Harmony von mir braucht oder nicht braucht. Alles egal, mir egal, sobald ich die ersten Male gezogen habe und das Gras anfängt seine Wirkung zu entfalten. Mein Kopf wird ganz klar, ruhig und ich fühle mich irgendwie wieder gut. Ich stehe am Fenster und lasse den Rauch samt des Geruches nach draußen ziehen. Mein Zwilling eine Etage tiefer kann also nichts mitbekommen. Wenn er zockt, merkt er eh nichts mehr. Ich lasse mir Zeit für die 3 Zigaretten, habe ja genug davon und Harm hat mal gesagt, wenn man nicht so stark daran zieht, dann bekommt man keine Kopfschmerzen davon. Ich muss sagen, meine Kopfschmerzen von erst sind komplett weg und es kommen auch keine zurück. Es vergehen bestimmt Stunden, ich weiß es nicht, kann die Zeit nicht mehr einschätzen, doch irgendwann sind sie leer. Das bisschen Asche vom Fensterbrett wische ich weg und lege mich anschließend ins Bett. Wieder vergehen gefühlt Stunden, doch diesmal bin ich mir sicher, dass es nur ein paar Minuten gewesen sein können. Ich habe versucht dem Ticken der Uhr zu folgen. So ganz hat es nicht funktioniert aber eine Idee von der vergangenen Zeit habe ich trotzdem. Ja, mir blieben nur die paar Minuten ganz in Ruhe in meinem Bett, als die Tür zu meinem Zimmer auf geht. „Armiiin!!! Ich habe kein bock …“, murmle ich zusammen, eh ich unterbrochen werde. „Hey, hey mein Großer, sieh doch erst ma' richtig hin.“, fordert mich eine selten ruhige Stimme auf. So ruhig ist er doch nur, wenn … wenn er eben einen hatte o-oder sogar noch schlimmer, wenn – wenn er rollig ist und zu mir … Ich brauche nicht zu Ende denken, spüre die Hitze seines Körpers direkt an meiner rechten Seite und bekomme dieses eine Thema schon wieder nicht aus meinem Kopf verbannt. Er hat sich sein Shirt schon ausgezogen, das spüre ich, das spüre ich ganz deutlich an meinem Arm und als ich meine Hand zu seinem Körper hinauf beuge, fühle ich seine Haut unter genau dieser Hand. Hhhmm, seine Haut, seine so warme, dunkle, wunderbar vernarbte und doch irgendwie reine Haut. Er liegt halbnackt neben mir und ich weiß, ich weiß ganz genau, dass es irgendwann dazu kommen wird. Also wenn – wenn es eh dazu kommt, dass wir miteinander schlafen werden, warum – warum dann nicht gleich jetzt? Mein Kopf ist frei, wobei, was heißt frei … ich weiß doch nur, dass ich es tun muss … früher oder später. Ich muss, ich muss, ich muss und ich habe irgendwie immer Angst davor. Ich weiß nicht wovor genau a-aber sie ist da und ich kann nichts dagegen tun. Warum? Warum nicht! Ach verdammt! Verdammte Scheiße! Harmony, du verdrehst mir seit einem Jahr den Kopf, Tag für Tag aber so schlimm wie zur Zeit war es noch nie! Obwohl ich meine Augen schmerzlichst und verkrampft geschlossen habe, fragt er wie immer nicht nach. Wenn ich nichts sage, dann interessiert es ihn einfach nicht. Er macht sich nicht die Mühe, weiß nur, was er will und deswegen, genau deswegen … Mein Körper dreht sich von ganz allein zu ihm, schmiegt sich ganz fest an seine linke Seite und ich streiche verträumt über seine freiliegende Brust. Erst da bemerkt er mich wieder so richtig. Wo genau war er denn eben mit seinen Gedanken, wenn nicht bei mir? Ich blicke nicht zu ihm auf, kann nicht. Er würde sofort meine Pupillen bemerken. Er sieht mich eindringlich an, als würde er sich eben etwas fragen. Seine Blicke liegen auf meinem Kopf, scharf, als würde er mich gleich wieder von sich wegreißen wollen. Er sagt aber nichts, nicht sofort und er soll auch gar nichts sagen. Ich spüre jede einzelne Bewegung, als hätte ich vorher Sport getrieben. Es ist alles so intensiv geworden durch das Gras, so heftig. Ich habe mich zu ihm hoch gezogen, meine Augen geschlossen und meine Lippen an seinen Hals gelegt. Gleichzeitig ging ein Bein quer über seinen Unterleib. Nicht flüchten, nicht wieder flüchten! „Bitte! …“, jammere ich ungewollt das Gebettel meines tiefsten inneren aus, ganz leise aber eben direkt gegen seinen Hals, unweit seines Ohres. Er greift sofort nach meiner Schulter, hält mich so weit auf Abstand, dass er mir in die Augen schauen würde, wenn ich ihn nur direkt ansehen würde. Ich kann nicht, will nicht und das merkt er. Trotzdem spricht er aus, was er mir sagen will: „Lässt du den Scheiß gefälligst, wenn du keinen Bock drauf hast?! Du musst das nicht tun, das weißt du doch.“ Und trotzdem … trotzdem habe ich dieses Gefühl, welches nicht verschwinden will. Ich muss das jetzt tun, jetzt! Deswegen … deswegen höre ich nicht auf. Wenn er mich auf Abstand hält, dann kann ich auch genauso gut – genauso gut mein Bein weiter über ihn drüber führen, so dass ich mich komplett auf seinen Unterleib setzen kann. Na wusste ich's doch. Er will. Er will immer. Sein Körper braucht das einfach. Meine Arme schlingen sich um seinen Hals und ich versuche mich so eng ich kann an ihn zu drücken. Harmony's Widerstand hat sich aufgelöst, er lässt mich einfach machen. Mein Rücken formt ein Hohlkreuz und ich spüre die Hitze seines Körpers überall an mir, selbst durch die Sachen hindurch. Ich – Ich mache da weiter, wo ich aufgehört habe. Meine Lippen umschließen immer wieder Teile seines Halses, beißen sich ein klein wenig fest oder meine Zunge fährt darüber, so dass sie eine leichte Spur auf seiner Haut hinterlässt. Es ist das, was er sonst bei mir macht und wohl auch bei allen anderen. Er wünscht es sich sicher auch bei sich, natürlich tut er das. Ich will ihm geben können, was er sich wünscht und muss es auch! Doch die ganze Situation verändert sich von einem auf den anderen Moment. Ich – Ich sitze nicht mehr auf ihm, spüre mit welch hartem Griff er mich von sich gestoßen und zurück auf das Bett gedrückt hat. Ich liege unter ihm. Er hält sich direkt über mich, drückt mit beiden Händen meine Schultern nieder und beißt sich selbst auf die Lippen. Er ist … Er ist … wütend. Ich sehe ihn direkt an, ungeschützt, habe nicht nachgedacht, was er wohl schlussfolgern könnte. Seine Aufmerksamkeit liegt nicht auf meinen Augen und so wie er mich mustert, meinen Körper, den er unter sich liegen hat, bin ich mir plötzlich auch nicht mehr sicher, ob es wirklich Wut ist, die ihn dazu getrieben hat zu handeln. Er sagt nichts, Harmony spricht nicht mit mir. Mein Punker hat nur kurz inne gehalten, eh er – eh er seine Kontrolle verliert … Er packt mich erneut, diesmal mein Shirt. Mit beiden Händen fährt er darunter entlang und das Einzige was ich spüre ist Druck. Er übt so viel Druck auf meinen Brustkorb aus, dass mir für Momente lang die Luft weg bleibt und trotzdem ist deutlich zu spüren, dass er … mehr will. Die Wut treibt ihn also zur absoluten Lust. Er hat sich zu mir herunter gebeugt und fängt nicht zärtlich an, so wie sonst immer. Er beißt sofort zu, in meinen Hals, nur um davon abzulenken, dass er eine Hand von meinem Oberkörper lösen konnte und diese nach unten gleiten lässt. Ich spüre sie deutlichst an meiner Hose. Harmony geht nicht zimperlich damit um. Den Gürtel reißt er mit seiner Hand auf, ohne nachfragen oder prüfenden Blick.. Die Hose ist offen, noch bevor ich groß etwas davon bemerken konnte und mithilfe eines Fußes zieht er sie mir komplett von den Beinen. Er sagt nichts, wirklich gar nichts aber man kann seine Gedanken so deutlich lesen. „Endlich … endlich … na endlich! Ich habe so lange gewartet!“ Er hat wirklich darauf warten müssen. Ewig! Seine Reaktion ist logisch a-a-aber … ich will … „Ich will das nicht so. Bitte, bitte, bitte Harmony! Bitte, nicht so! I-Ich will das doch nicht.“, presst sich halb stimmlos aus meiner Kehle hervor. Das Jetzt ist noch viel quälender, viel schlimmer als jeder Gedanke, jede Fantasie daran. Das kommt vielleicht spät, viel zu spät aber … ich will das doch nicht! Ich kann das einfach nicht aber er hört nicht auf mich. Harmony hat abgeschaltet, komplett. Er tut das worauf er Lust hat, das, was er mit mir tun will. Er hat so viel Kraft. So eine Kraft habe ich noch nie gespürt und auch noch nie spüren müssen. Er hat mir das T-Shirt einfach vom Leib gerissen, als ich nicht hören wollte und die Hose war eh schon so gut wie ausgezogen. Meine Boxershort schiebt er auch nur etwas herunter. Er muss ja einfach nur heran kommen a-aber … allein der Gedanke daran, dass er jetzt … o Gott! NEIN! In genau dem Moment, wie er sich zwischen meinen Beinen platziert, kann ich einfach nicht mehr verhindern, dass Tränen daraus folgen. Sie quellen ohne Zutun aus meinen Augen hervor, fließen über meine Wangen und sammeln sich an Harmony's Hand, die er vor ein paar Sekunden erst an meinen Hals gelegt hat, um mich besser unter Kontrolle halten zu können. Eine Art Kontrolle, gegen die ich selbst mit all meiner Kraft nichts ausrichten könnte. Ich musste das noch nie so erleben, nicht so! Nicht von ihm. Am Ende sind es aber nicht allein die Tränen, die ihn aus seinem Wahn aufwachen lassen. Er hat etwas gesehen, was ich vergessen haben wegzuräumen. Von einer Sekunde auf die andere lässt er mich los. Er stößt sich richtig von mir ab und sieht mich nicht mal mehr an. Er ist sauer, extrem sauer. Ich weiß ja, dass er mir nichts tun würde a-aber in solchen Momenten … da macht er mir trotzdem Angst. Eine Ader an seinem Kopf ist richtig geschwollen und sein Gesicht ist in eine röte getränkt, die eine Mischung aus Lust und Hass darstellt. Er steht auf, entfernt sich genauso wortlos, wie er die ganze Zeit über schon ist, vom Bett. Als er seine Sachen wieder angezogen hat, geht er auch aus dem Raum. Er wirkt inzwischen auch noch nervös. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Körper hört auf nichts mehr. Ich will doch nicht, dass er wieder abhaut. Er soll bei mir bleiben aber wenn ich deswegen mit ihm schlafen muss - das packe ich auch nicht. Immer diese Gedanken an das was er sich von mir wünscht. Ich kann nicht mehr. Das Gras hat überhaupt nichts gebracht, nichts außer … noch mehr Stress! Obwohl Harmony eben noch aus der Tür verschwunden ist, kommt er doch noch einmal zurück. Er kratzt sich am Kopf, um all der Wut wenigstens ein wenig Luft geben zu können. Er läuft Kreise in den Boden und hat ganz sicher nicht vor ewig zu bleiben. „Verdammter Vollidiot! Brauchst du echt Drogen dazu? Ist das so dringend nötig?! Du hast alles genommen, oder?! Verdammter … boaaar!“, und dann folgen die Worte, die alles in mir zerstört haben. Er ist stehen geblieben, hat mich eiskalt angestarrt und mir bitterböse zugeflüstert: „Du gefällst mir so überhaupt nicht mehr …“ Und er ist gegangen. Diesmal endgültig. . . . Meine Zeit, meine Luft, mein Körper, meine Gedanken … alles in mir steht für diesen Moment still und es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. In meinem Kopf ist kein einziger Gedanke, der mich nochmal gut stimmen könnte. Ich habe mich nur noch in meinem Bett zusammen gerollt, mir ein Kissen geschnappt und den darauf folgenden Tränen freien Lauf gelassen. Diese Nacht. Und daraufhin auch mehrere Tage lang. In der Schule war ich seitdem nicht mehr, ich konnte nicht. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an das, was ich da angestellt habe, wofür ich gesorgt habe. Armin hat jeden Tag nach mir gesehen, Essen gemacht und mich daran erinnert, dass ich auch mal ins Bad gehen sollte. Er hat mich die ersten Tage immer wieder gefragt was passiert ist, was Harmony getan hat oder was ich angestellt habe aber vor allem wollte er wissen, wie er helfen kann. Er kann weder mich noch Harm so sehen aber keiner von Beiden sagt ihm was passiert ist. Ich habe völlig zu gemacht, ihm nichts gesagt, ihn nicht mal angesehen. Immer wenn er ins Zimmer kam, habe ich mich nur zur Wandseite gedreht und die Decke komplett über mich gezogen. Er sollte mich weder weinen noch schmollen sehen. Irgendwann waren die Tränen einfach weg aber der Schmerz ist es nicht und so auch nicht die Vorwürfe, die ich mir seitdem mache. Alles war einfach so … unnötig aber ich traue mich nicht ihm unter die Augen zu treten. Ich will nicht hören, dass es ihm leid tut aber auch nicht, dass er mir verzeiht und gar keine Worte dazu wären genauso falsch. Es bringt einfach nichts, zu ihm zu gehen. Ich hätte keine Worte für das was passiert ist. Nach den ersten beiden Tagen kam Armin hoch und hatte mir erzählt, dass er bei einer Ärztin war. Er muss ihr erzählt haben, dass es mir so schlecht ginge, dass ich nicht kommen könnte. Fieber und Übelkeit, ein typischer grippaler Infekt eben. Sie hat sich auf Armin verlassen und mich krank geschrieben, zur Kontrolle soll ich aber trotzdem kommen. Ich erinnere mich noch, dass mir Armin für heute noch etwas gesagt hat, habe aber irgendwie vergessen was es war. Heute ist es das erste Mal, dass ich mich von der Wand weg drehe. Auf dem Nachttisch steht noch immer der Teller vom Frühstück. Ich hatte keinen Hunger, noch immer nicht aber die anderen Tage habe ich mir wenigstens ein wenig etwas rein zwingen können. Angestrengt, murrend und noch immer fertig mit den Nerven, stütze ich mich auf beide Arme und setze mich zumindest mal wieder hin. Mit einem Klick auf mein Handy sehe ich große weiße Zahlen. Es ist kurz vor 4. Armin müsste bald wieder Heim kommen. Hmmm, Heim kommen … ich habe das Gefühl, ich sollte mich an irgendetwas erinnern müssen. Wie ich bereits sagte, er kommt bald Heim. Das Klappern mit dem Schlüssel an der Tür hört man bis hier herauf. Üblich ist es inzwischen auch, dass er als erste Handlung hier hoch kommt, so auch heute. Armin steht im Türrahmen und sieht mich ganz verwundert an. Ich brauche ihn nicht anblicken, weiß das auch so. „Wow, d-dir scheint es ja heute schon viel besser zu gehen.“, freut er sich tatsächlich, als er mich da sitzen sieht. Mit einem schwachen Lächeln schaue ich zu ihm auf, was ihm das seine sofort wieder wegfegt. Armin kommt näher heran als sonst, setzt sich zu mir auf's Bett. Ich ziehe nur meine Beine an, umschlinge eines der Kissen und starre auf die Bettdecke. „Hey, Lexy. Das wird schon wieder werden. Ich weiß wirklich nicht was vorgefallen ist und Ha... er sagt auch nichts darüber. Also Kopf hoch, ja? Ich habe dir heute auch den angekündigten Besuch mitgebracht. Die bringen dich bestimmt auf andere Gedanken.“ Den letzten Satz spricht er so voller Freude aus, dass er auch gleich wieder aufsteht und allen Platz macht, damit sie mich begrüßen können. Viola, Rosa, Kim, Melody und Peggy sind vorbei gekommen. Sie quetschen sich durch die Tür, grinsen breit und wünschen mir alle zugleich eine gute Besserung. Ich blicke Armin verzweifelt an und bin mir sicher, dass er wusste, dass ich das nicht gewollt hätte. Niemand sollte vorbei kommen und niemand sollte mich so sehen. Wieso tut er mir das jetzt auch noch an?! Er grinst einfach nur breit und sieht mich mit seinen treudoofen, großen Augen an. „Also dann, ich lass euch mal allein Mädels!“, ruft er uns allen zu, als er mein Zimmer auch schon wieder verlässt. Die Mädchen sammeln sich sofort um mein Bett herum. Peggy hat sich den Stuhl vom Schreibtisch geschnappt. Rosa und Viola haben sich mit auf das Bett gesetzt, Melody sitzt am Rand und Kim steht lieber. „Armin hat uns erzählt, dass du eine Grippe hattest.“, fängt Rosa sofort an. Peggy folgt dem sofort: „Ja, stimmt. Dir soll es richtig übel gegangen sein, konntest nicht mal richtig aufstehen.“ Ich hebe nur ganz kurz meine Schultern, seufze schwer und sehe von den Mädchen ab. Es braucht nicht viel Feingefühl, um zu bemerken, dass das nichts mit einer Grippe zu tun hat. Viola kommt ein paar Zentimeter näher, sieht mich eindringlich an, doch erhascht meine Augen dabei nicht. Sie spricht: „Aber wir haben auch gehört, dass es keine wirkliche Krankheit ist.“ „Es soll etwas passiert sein, zwischen dir und – und ihm.“, drückt sich Melody recht gewählt aus. Irgendwie will niemand mehr seinen Namen in meiner Gegenwart erwähnen. „Harmony! Sagt es doch einfach! Harmony! Wir sind nicht … ok, ich weiß nicht, was wir jetzt sind aber …“, lässt meine kraftvolle Stimme sofort wieder nach, als mir sein Name auf der Zunge zergeht, ich an das denke, was passiert ist und ich nun nicht mehr weiß, was mit uns ist. Ich kann die Mädchen nicht anlügen und behaupten, dass ich irgendwie krank gewesen wäre. Außerdem, wenn da eh schon Gerüchte sind, dann sollen sie es doch gleich ganz wissen. „Erzählst du denn wenigstens uns, was passiert ist?“, spricht mir Rosa liebenswert zu. Sie klingt sehr besorgt aber aus ihren Worten kann man schließen, dass sie nur in Armin's Auftrag hier sind. Wobei, nein, sie machen sich auch so immer sorgen um einen. Was bringt es denn schon zu leugnen? Also … platzt es einfach aus mir heraus: „Maaaan, er hat eben einfach Scheiße gebaut! Ich – Ich wollte nicht aber … es ist alles meine Schuld, o.k.! Er hat nur Scheiße gebaut, weil ich so … so dämlich war! Ich habe ihn verloren, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe … habe alles genommen, was er noch da hatte.“ „Was?!“, ist die Reaktion aller Mädchen. Diesmal ist es Kim, die sich in die Sache einmischt und nachfragt: „Wirklich alles? Du verträgst inzwischen so viel? Na ja, wenn wir mal ehrlich sind, hast du es schon sehr übertrieben die letzten Wochen.“ Ich kann's nicht schon wieder hören. Verzweifelt halte ich mir die Ohren zu, vergrabe meinen Kopf zwischen meinen aufgestellten Beinen und werde lauter: „Hört auf! Hört auf, hört auf, hört auf! Ich will das nicht hören! Ich bin nicht abhängig oder so, ich habe nichts – habe nichts … ach verdammt!“ „Alexy?“, ruft mich die sanfte Stimme der Künstlerin neben mir wieder zurück. In ihren Augen sehe ich Angst. Seit wann … seit wann mache ich ihr denn Angst? Seit wann muss ich denn so laut werden? Und als sie weiter spricht, höre ich endlich wieder richtig zu. Ich muss es tun, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich langsam selbst verliere. „Alexy, du bist nicht mehr der Selbe. Sage uns bitte nicht, dass du das nicht mehr bemerkst? Harmony hätte das bestimmt auch nicht so gewollt.“ Allein der letzte Satz dringt so tief in mich ein, dass ich wieder anfangen könnte in Tränen auszubrechen, zu schreien und innerlich die ganze Zeit um Hilfe und Erlösung zu betteln. „Das ist nicht wahr!“, drängt sich jedoch zu schnell zwischen meinen Zähnen hervor. Das war nicht gewollt, nicht so laut, nicht so abweisend und abwertend. Ich wollte weder Viola's Worte noch Harmony schlecht reden. Mein Kreis zieht sich immer enger. Die Spirale hat sich endgültig zu gezogen und ich weiß einfach nicht mehr wo hin. Letztendlich … wird mir diese Erlösung gegeben. Alle zusammen haben sie es laut ausgesprochen: „Doch, ist es!“, aber nur eine kann mir mehr sagen als die anderen. Peggy rutscht mit ihrem Stuhl näher, spricht: „Ich kann mir ein wenig vorstellen, was in dir vorgeht. Als Reporterin muss man so ein Händchen dafür haben, was mit anderen los ist. Du nimmst das Zeug, um Erleichterung in dir zu schaffen, in der Hoffnung, dass damit Dinge möglich wären, die du sonst nicht tun kannst. Sie sind aber nicht möglich und du hast Angst etwas zu verlieren. Ich mag Harmony eigentlich auch nicht so sehr aber … er scheint auch nicht so dumm zu sein, wie wir das manchmal glauben. Wie ich bereits sagte: Man muss für meinen Job ein Händchen haben und das bedeutet viel Spionagearbeit. Hier, hör!“, fordert sie mich auf. Peggy holt ein Diktiergerät hervor. Sie erzählt mir, dass sie das in einer großen Pause aufgenommen hat und ich mir das dringend anhören sollte. Also höre ich: Es sind Schritte zu hören auf einem sandigen Boden. Anfangs hört man nur eine Person, dann ein leises Schnippen und zuletzt wie eine Person tief ausatmet. Es hört sich an wie – wie ein Raucher. Castiel! Zu dem ersten Paar Schritte stößt ein zweites Paar dazu. „Ohh, hey, du, hier? Du bist doch kaum im Unterricht, ri…“ „Sei still!!!“, hört man ganz eindeutig, wer die zweite Person ist. Harmony hat ihn unterbrochen, ist wütend und wirkt ziemlich ungehalten, „Gib 'ne Kippe, sofort!“ Der Befehl wird ganz offensichtlich umgesetzt. Man kann das Feuerzeug noch einmal schnippen hören und wie wieder jemand tief ausatmet. Diesmal ist es Harmony, da bin ich mir ganz sicher. Castiel haben die paar Worte so die Sprache verschlagen, dass er lieber abwartet. Wie ich den Rotschopf kenne, hat er bestimmt immer mal wieder zu Harmony herüber geschielt. Das macht er immer, wenn ihn etwas interessiert. Ja nicht offen zeigen, dass man etwas wissen will. „Was ist?! Willst du jetzt auch noch nerven?!“, wird er vom Punker angeblafft. Castiel antwortet ihm: „Nee, lass mal. Habe keine Lust auf Stress.“ „Siehst'e, ich auch nich'!“ Castiel wird mutiger, hat sich anscheinend auf Harmony zu bewegt. Jedenfalls kann man hören, dass er sich bewegt hat und anschließend auch, wie er spricht: „Anscheinend hast du aber welchen.“ Ich kann mir nur schwer vorstellen, was da für Blicke ausgetauscht wurden aber sie müssen etwas bewirkt haben in meinem Geliebten. Er atmet entrüstet durch, scheint selbst so fertig zu sein wie ich, doch auf eine andere Weise, bis er dann wirklich erzählt: „Bhoooaar, ja, is' ja gut. Lex halt, mehr nicht!“ „O woooow, da weiß ich jetzt auch viel mehr, bravo! Glaube mir, so weit konnte ich auch schon denken.“, bekommt Harm nun mal seinen eigenen Sarkasmus zu spüren. Castiel scheint sich das aber erlauben zu dürfen. Die Zwei müssen sich echt gut verstehen, nur halt auf einer anderen Ebene. Harmony zischt genervt aber kontert dann: „Hätt' ich nicht vermutet. Du und denken?!“ Das lässt Beide leise schmunzeln und Harm lockerer werden. Sie bewegen sich wieder Beide. Vielleicht haben sie sich gegen die Mauer gelehnt? Jedenfalls erzählt Harmony ihm dann das, was ihn am meisten stört: „Er braucht wohl inzwischen ganz dringend 'ne Dröhnung, um mich überhaupt anfassen zu können und selbst dann wird es ihm zu viel! Ich kann echt nicht glauben, dass ich mit so jemandem zusammen sein soll!“ Autsch, das brennen in meiner Brust wird sofort wieder stärker. Castiel antwortet ihm leise: „Hjaah, kann ich manchmal auch nicht.“, erst dann werden seine Worte wieder klar, „Heißt das für dich, dass ihr Zwei nicht mehr … na ja … “ „Was? N-Nein, ja oder nein … ach, ich weiß auch nicht, keine Ahnung. Zumindest nicht, wenn er noch er ist … oder es zumindest wieder sein kann. Rebell und Junkie passt nicht zu ihm. Einer davon reicht doch schon aus, oder?!“, will Harmony ganz ehrlich von ihm wissen, klingt aber noch immer gereizt. Ich höre aber ganz deutlich heraus, dass ihm das Reden gut tut. Castiel hat zugehört und seine Stimme wieder extrem gesenkt für seine Antwort: „Mir auf jeden Fall … und allen anderen wohl auch!“ Für eine kurze Zeit ist Stille, gerade so als wolle Harmony seine letzten Worte überhören. Hat er aber nicht, da bin ich mir sicher. Die Letzten Worte, die er dann an Castiel hat, sind folgende: „Ich will einfach meinen alten Lex zurück, mehr nicht, … der hatte immer gute Laune, auch ohne Gras.“ Sogar auf dem Band hört man, wie er sich bei Castiel leise bedankt und dann ohne weitere Worte vom Schulhof geht. Castiel bleibt allein zurück. Ein echter Weckruf. So wie es ist, so kann es nicht weiter gehen …
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