Sobald er dieses Signal von mir wahrnimmt legt er vertraut einen Arm um mich. Ich setze mich diesmal nicht zur Wehr, dafür ist es schon längst zu spät.
Das erinnert mich … so sehr … an früher … Es schmerzt, dass es sich fast genauso anfühlt und doch schafft er es nur so mich zu kontrollieren. Er zieht an meiner Schulter und legt sich entspannter nach hinten. Er will nicht, dass dieses Gespräch auf einmal verkrampft. Ich folge ihm nach hinten gegen die Lehne. Seinen Arm nimmt er noch nicht von mir, mit dem anderen jedoch zieht er nun noch die zweite Decke über sich, über uns. Er scheint trotz der Hitze noch zu frieren . „Du bist eiskalt.“, haucht er unter den beiden Decken zu mir. Er hat sie inzwischen über unsere Köpfe gezogen. Es scheint nur noch genug Licht herein, dass ich ihm in die Augen schauen kann, das gleiche gilt umgekehrt. Also gewähre ich ihm sogar einen Blick auf den Verband, der schon wieder langsam aber sicher durch blutet. Letztendlich merke auch ich wie ausgekühlt mein Körper eigentlich ist. Die zwei Decken und er lassen meine Glieder wieder lebendig werden. Schweigend sehen wir uns an. Er wartet. „Nun … ich …“ Mir fällt es wirklich schwer irgendwie anzufangen, deswegen übernimmt das der bei mir, Armin. Seine Stimme bleibt ruhig und er gibt sich wirklich Mühe nicht wütend zu werden je länger wir miteinander sprechen. Es lässt mich manchmal schmal lächeln. „Sage, ganz frei heraus, war es ein Unfall?“ „J-Ja.“ „War Castiel daran beteiligt?“ „Nein, wobei … er war zumindest da, als ich ging.“ „Ging?“ „Vom … vom Nachsitzen … aus dem Raum der – der Schülervertretung.“ Als ich das ausspreche schließe ich sofort meine Augen und sehe weiter nach unten. Ich hasse es jemanden verpetzen zu müssen, ich hasse es wirklich. „Also … die Neue?“, rät er, da er es jemand anderem nicht zutrauen würde. Also fange ich an von vorne zu erzählen, wie ich die zwei gefunden habe, wie ich ihre Drecksarbeit machen durfte und wie Nathaniel letztendlich meine Anmeldung doch annahm. Ich erzähle ihm vom Telefonat und dass ich ihm den Umschlag zurückgegeben habe. „Ich wusste, dass er schon die ganze Zeit über gereizt war. Ich dachte … es würde es besser machen, wenn er diese Antworten endlich zurück hätte. Ich weiß nicht wirklich warum er so wütend geworden ist, schließlich hat er den doch gesucht. Als ich dann ging, mehr oder weniger ging, tauchte Castiel auf.“ „Und der hat dir nicht geholfen? War er wirklich so …“ Als er den Rest auch noch aussprechen wollte, halte ich ihm sofort den Mund zu. „Castiel, er – er ist zwar nicht der netteste aber er ist auch nicht der dümmste. Natürlich hat er es mitbekommen! Nur … ich bin eben weggelaufen bevor er mehr sehen konnte.“ Als er das verstanden hat, nimmt er meine Hand von seinem Mund. Weder mir noch ihm fällt auf, dass er sie auch nicht mehr los lässt. „So sind also die Blutflecken auf sein Shirt gekommen. Übrigens, kann ich dir genau sagen, was Nathaniel's Problem war. Da du den Umschlag aus deinem Rucksack genommen hast, ging er davon aus, dass du ihn gestohlen hast. Sage, wo hast du ihn her?“ Ich blicke erneut von ihm weg, „Das … spielt doch gar keine Rolle.“ „Hast du ihn geklaut?“, wird er ernster. Ich daraufhin auch. Wütend richte ich mich etwas auf und brülle ihn von oben an, „Verdammt nein! Mich interessiert ja nicht mal der Unterricht, warum also sollte ich die klauen?!“ So wie ich da ein Stück über ihn bin und ihn mit offenen Augen anschaue, bekommt er kein Wort mehr heraus. Noch immer liegt es nicht daran, dass er erkennt was ich wirklich bin. Er sieht mir einfach so in die Augen und wird ganz starr. Durch das Licht in der Küche kann er sie zum ersten Mal richtig sehen. Fast lautlos haucht er, „Wunderschön!“ Bei der Stille im Raum jedoch höre ich es sofort. Ich sehe auch, wie ernst er die Aussage meint und wie verträumt er mich anschaut. Mir ist das unangenehm, peinlich, es macht mich einfach verlegen so etwas hören zu müssen. Nervös schlüpfe ich sofort wieder unter die Decke und lasse nun keinen Lichtstrahl mehr hinein. Mein Körper zittert sogar, so unangenehm ist mir das. Lediglich seine Ruhe beruhigt mich wieder. Er ist still, lacht nicht mal deswegen. Als mein zittern langsam verstummt, ist es mein Kopf der laut wird. So etwas … hat noch nie jemand zu mir gesagt … Warum also er? Dieser Dummkopf! Als wir uns wieder auf gleicher Augenhöhe befinden nimmt er vorsichtig eine seiner Hände und streicht mir mein Haar aus meinem Gesicht. Obwohl man wirklich nichts mehr sehen kann, so tut er mir nicht weh. Er spürt dabei den Verband und umfährt diesen ganz seicht. Seine Hand kommt erst zum Stillstand als er all mein Haar entfernt hat. Seine Handfläche legt er auf meiner Wange nieder und seine Finger sind so ausgestreckt, dass sich jeweils zwei Finger über und unter mein Ohr befinden. „Wie schlimm ist es? Was genau hat er getroffen?“ Auch diese Frage kann ich ihm nicht abschlagen und das nur wegen meinen Erinnerungen an früher. Am liebsten würde ich mich selber ohrfeigen dafür. „Mein Auge.“ „Und wie kommt es, dass es dir dadurch so schlecht geht?“ „Ja … weißt du … Du warst doch mit einkaufen letztens. Im Bus, dieser Ausweis, der bezieht sich darauf. Durch früher habe ich da bereits eine Wunde, nein, eigentlich mehrere Wunden. Die Ärzte haben gedroht, wenn das noch einmal passieren sollte, wenn ich noch etwas abbekommen würde, könnte ich daran verbluten. Sie meinten, dass die Wunden nicht alle sichtbar sein müssten, innere Wunden wären viel schlimmer. Im einfachsten Falle würde ich erblinden aber auch das … blieb mir zum Glück erspart.“ „Erkläre mir genauer was damit passiert ist? Sehen will ich es nicht gleich aber … ich will es verstehen können!“ Ich nicke nur wieder, „Durch die vorherigen Unfälle sind Risse um mein Auge entstanden. Diese Risse sind nun aufgeplatzt, nein, aufgerissen. Sie sind größer geworden und hören nur schwer auf zu bluten.“ Daraufhin ist er still. Er macht sich viele Gedanken deswegen und Sorgen, vor allem Sorgen. Ich will nicht, dass das passiert, also … „Aber hey, weißt du was?“, versuche ich meine Stimme stärker klingen zu lassen. Er sieht wieder aufmerksam zu mir. „Manchmal hat mir dieses Auge auch schon nachts geholfen. Es ist schließlich nicht nur aufgerissen. Durch die Tätowierung und Verbrennung ist alles innen drin schwarz und die Iris rot.“ Es scheint wirklich für den Moment zu wirken. „Haha, ein Halbguhl. Das hat doch was aber jetzt verstehe ich auch diese Kapuzensache. Ist bestimmt nicht immer leicht.“ „Stimmt, so viele Leute auch davor weglaufen, wenn du in einer Großstadt bist und das jeder sieht gehen am Ende alle auf dich los.“ „Und dann hast du zurückgeschlagen richtig?“ Ich nicke grinsend, „Meistens zumindest.“ Er findet es amüsant mit jemanden befreundet zu sein, der einem Guhl ähnelt. Immerhin sieht er jetzt nicht mehr ganz so bedrückt aus. „Lass mich dich morgen zum Arzt bringen.“ „Dummkopf, du bist selber krank!“, beschwere ich mich. „Na und. Deswegen kann ich dich doch hinbringen. Das wird eine Augen-OP. Hinterher musst du dich doch wieder zurück finden.“ Leider hat er da Recht. Zwar wollen sie nur die Risse nähen und prüfen ob innerlich nichts mit beschädigt wurde aber trotzdem. Man kann ja nie wissen. Ich muss dennoch Angst haben, dass er spätestens dann etwas mitbekommt. „Na gut aber ich gehe alleine rein! Ich bin kein Kleinkind mehr. Und wehe du nervst die Ärzte mit Fragen nach mir!“, warne ich ihn sofort. Er stimmt zu. Letztendlich … schlafen ich dann auch so ein. Er hingegen lässt endlich wieder etwas Licht aber vor allem Luft rein. Er schaut mich noch eine Weile so an, wie ich schlafend und vor allem ganz ruhig da liege. Ich habe nicht mal die Tablette dafür gebraucht. Als auch er fast einschläft, kommt er mir noch ein kleines Stück näher. Er schiebt nochmal mein Haar zur Seite und gibt mir vorsichtig einen Kuss auf die Stirn. „Dummkopf! Dummer Dummkopf!“, murmelt er unverständlich und schläft endlich. Als wir am Morgen zugleich aufwachen schrecken wir beide hoch. Die Decken rutschen uns von den Köpfen und wir schauen hochrot geradeaus. Nun, man merkt deutlich dass es uns besser geht als gestern, auch mir schon aber kann diese 'Zuneigung' wirklich nur an den Erkrankungen liegen? Das ist zumindest die einzige Erklärung die ich finden kann. „I-I-Ich gehe ins Bad!“, kündige ich sofort an. Er stimmt mir zu ohne zu mir zu schauen. Ein Glück für mich. So kann ich mir ganz entspannt neue Sachen holen und erst mal duschen gehen. Die blutige Jacke kann ich ja eh wegschmeißen. Sobald ich aus dem Raum bin halten seine Gedanken nicht mehr still. Verzweifelnd nimmt er beide Hände vor sein Gesicht und beugt sich immer weiter vor. O Gott, o Gott, o Gott! Neeein! Wie konnte mir das nur passieren? Wieso habe ich denn … ? Und wieso … Alexy ist vielleicht so aber ich doch nicht! Verdammt, verdammt, verdammt! Ich bin vielleicht krank und werde vielleicht auch genau dann immer anhänglich aber das?! Wieso hat er sich eigentlich nicht gewehrt? Nein, wieso habe ich ihn überhaupt so umarmt und und und … ge… Aaaaach SCHEIßE!!! Innerlich brodelt es in ihm und äußerlich dreht er fast durch. Er ist so auf sich fixiert, dass er mich gar nicht mehr mitbekommt. Stimmt, ich war duschen aber wie immer hat das nicht sehr lang gedauert. Ich erlaube es mir mich von hinten an ihn heranzuschleichen und mich zu ihm zu beugen. Während er sich noch aufregt, puste ich ihn meinen warmen Atem gegen sein Ohr. Er zuckt ähnlich heftig zusammen wie gestern bei der Glasschüssel. Köstlich, einfach zu köstlich. „Sage mal geht’s noch?! Du bist zwar krank aber kannst deine dämlichen Scherze noch immer nicht lassen oder!!!“, fährt er mich sofort an. Seine Erkältung scheint wie verschwunden. Ich gehe um die Couch herum und beuge mich zu ihm runter. Flüsternd erzähle ich ihm, „Ich kann mich an alles erinnert auch an das, als ich schon längst geschlafen habe!“, stichel ich. Zugegeben, ich weiß nicht mehr viel aber es ist schön zuzusehen, wie sehr er sich darüber aufregt. „W-W-W-WAAAS!!!“, brüllt er die ganze Wohnung zusammen und läuft hochrot an. Ich stehe anteilnahmslos daneben und frage mich was er nur hat. Solange er nicht weiß, dass ich ein Mädchen bin, ist doch alles ok. Der Rest kann nur halb so schlimm sein, denke zumindest ich. „Reg dich mal ab. Du wolltest doch mitkommen oder? Das Bad ist frei, beeile dich.“, spreche ich wieder ungewohnt schnell. Die Popcorn und das Wasser von gestern scheinen geholfen zu haben, genauso wie die Salbe. Großartige Schmerzen habe ich keine mehr aber genäht muss es trotzdem noch werden. Also bereite ich mich innerlich schon darauf vor. Ich räume schon etwas auf und stelle dem Jungen Milch und Cornflakes auf den Tisch, damit er dann auch ja fertig ist, wenn ich los muss. Zu spät will ich schließlich nicht kommen. Wir werden eh eine Weile warten müssen. Als er zurück kommt, frisch geduscht natürlich, und sich ein paar Sachen aus seinem Rucksack holt, kommt mir eine Frage auf. Noch während er isst will er wissen, „Sage mal, kann ich meine Spiele noch hier lassen?“ Ab da wird mir eins klar, „Sage mal … hast du dich mit Alexy gestritten? Bist du zu Hause raus geflogen?“ Auch wenn er nicht antwortet ist mir das Antwort genug. Ich bringe ihn dazu, dass er, während ich beim Arzt bin, sich mit seinem Bruder unterhält. Er wird also in der Zeit in die Schule gehen müssen. So kann ich mir zumindest wirklich sicher sein, dass mich keiner entdeckt. Während wir auf dem Weg sind unterhalten wir uns wieder als wäre nichts gewesen. Wahrscheinlich verdrängen wir beide was passiert ist. Ist auch besser so. Er erzählt mir auch, dass er aus Kentin herauskitzeln konnte wo ich wohne und er nur deswegen wusste wo er hin musste. Er erzählt auch, dass es Kentin war, der am Morgen bei mir geklingelt hätte. Wenn ich mein Handy hätte, welches aus unerklärlichen Gründen weg ist, würde ich ihm ja gerne schreiben aber so. Am Ende habe ich mich sogar mit der Wartezeit verschätzt. Als wir da sind komme ich 10 Minuten später auch gleich dran und ich werde zum Glück nicht mit 'junge Dame' oder 'junges Fräulein' hineingebeten. Zugegeben, ich bin etwas nervös wegen der OP, obwohl ich ja weiß, dass nichts passieren wird. Am Ende bin ich sogar froh darüber nicht allein hingegangen zu sein. Armin ist schon ziemlich nett, für einen Zocker meine ich. Alles andere ist unwichtig …
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