Sobald sie ausgesprochen hat, was ihr ganz offensichtlich auf der Zunge lag … brauche ich ein paar Sekunden. Hat sie das eben wirklich gesagt? Wirklich?! Sobald es bis in den letzten Winkel meines Hirns eingedrungen ist, schlagen ihre Worte noch einmal ein und diesmal richtig.
In einer Bewegung, mit einem Ruck, bin ich sofort um die Hausecke herum, außer Blickweite aller, die diese Straße durchqueren. Ihre Worte haben sich in mir gedreht, so wie dieser … dieser verdammte Name! Alles hat sich gedreht. Mir ist so übel geworden, so wie – wie damals. Alles was ich zu mir genommen habe, vorrangig der Shake von eben, ergießen sich über Hauswand und Boden der kleinen, schmalen Gasse. Hustend will alles aus meinem Magen nach oben und schafft es auch. Mit den Lebensmitteln der letzten Stunden sehe ich auch das Rot darin. Blut. Mal wieder. Es passiert in letzter Zeit viel zu oft, dass mein Körper so heftig reagiert. Natürlich, sobald Mina so unerwartet in einem Gespräch auftaucht, reagiere ich immer so. Kein Stück anders als damals im Kaufhaus aber sie weiß das doch eigentlich! Ach verdammt!! Die anderen, beziehungsweise Alexy, wusste es nicht, konnte im Kaufhaus ja auch nichts dafür, hat es ziemlich sicher nicht mal gecheckt und hätte auch nichts anders machen können aber SIE?! War das wirklich notwendig?! Mit ein paar Taschentüchern wische ich mir die Reste aus dem Gesicht, doch damit ist der Geschmack noch lange nicht verschwunden. Ich könnte einfach weiter kotzen, zumindest innerlich, als mein Körper nichts mehr zum erbrechen hat! Das war eine so verdammt unnötige Situation und Reaktion! Verdammt, verdammt, verdammt! Mit einem genervtem Stöhnen und tötendem Blick komme ich aus meiner Ecke zurück gekrochen und blicke die Frau an. „Wirklich?! War das nötig?!“, knurre ich. „Aahhh, tut mir leid, d-das war nicht gewollt.“, entschuldigt sie sich nervös. Ich wusste nicht, dass sie sich so von meinen Blicken beeinflussen lässt oder ist es einfach nur heute anders? Man merkt ihr irgendwie an, dass sie nicht wegen ihres Jobs mit mir reden wollte, was man wohl auch am Themenbeginn gemerkt hat. Heute ist sie wohl ganz privat hier und will mit mir reden. Vermute ich zumindest. „Na toll, der schöne Shake.“, stöhne ich frustriert und fahre fort: „Den ersetzen Sie mir, verstanden!“ „Ja, natürlich, der zweite war eh für dich gedacht, also greif ruhig zu.“, sagt sie mir zu und schiebt genau diesen in einem billigem Plastebecher samt Strohhalm zu mir herüber. Wie klug es jetzt ist das selbe nochmal zu trinken, nachdem ich mich eben übergeben habe, werde ich ja gleich erfahren. Ich setze mich auf einen der Hocker und schlürfe am Strohhalm wie zuvor auch schon. Beide Ellenbogen sind auf den Tresen gestützt. Nach und nach schwindet das Gefühl von Übelkeit aber so ganz wohl ist meinem Magen deswegen noch nicht. Die Frau setzt sich gleich neben mich und sieht mich durchlöchernd an. Vom Schoko-Shake ablassend geht mein Blick ihr entgegen. Ihre Stimme ertönt nach kurzer Pause dann doch noch und sie lenkt sich selbst vom eben angerissenem Thema ab, indem sie unwichtige Fragen stellt: „Nun erzähl mal, wie geht es dir denn? Was machst du denn so und – und …“, ihr tiefes durchatmen sagt mir schon vorher was sie mich nun fragen will und ich stöhne genervt laut. Ihr Blick geht zu mir auf. Sie sieht mir schwächlich in die Augen. Heute ist sie wirklich total anders als sonst. Ein schmales Lächeln und leises Schmunzeln ertönen von ihr, bevor sie unnötigerweise ausspricht, was sie nicht noch extra hätte fragen brauchen: „Du weiß es, natürlich weißt du es aber sage schon, wie sieht es aus. Hast du dein Lachen, dein echtes Lachen wiederfinden können im letzten halbe Jahr?“ Ich habe mich von ihrem Blick abgewendet, sehe in den kleinen Laden hinein und stütze meinen Kopf auf eine Hand. Sie findet noch immer kein Ende mit ihren Fragen und spricht trotz ihrer sonstigen finalen Frage weiter: „Und deine Freunde? Wissen deine Freunde inzwischen von deiner Störung? Hast du es ihnen anvertraut oder … lügst du sie vielleicht an?“ Das … waren etwas viele Fragen auf einmal und zu viele Dinge, über die ich jetzt nachdenken müsste. Bedeckt schließen sich meine Augen und ich atme ein paar Mal durch. Ich weiß im ersten Moment wirklich nicht richtig zu antworten, doch eines weiß ich. Ich will ehrlich antworten und erinnere mich im gleichen Zuge an eines ganz genau. Es gab nur eine einzige Situation, in der ich wirklich gelogen habe und das war nicht mal vor einem halben Jahr, als ich abgehauen bin. Ich habe kein Wort von mir gelassen, das nicht genau so gemeint war. Welche Situation ich meine ist die, in der wir am Strand waren. Castiel war mir gefolgt und wollte wissen … Er wollte wissen, ob ich etwas habe, ob etwas mit mir ist. Ich habe gelogen, bewusst und als einziges mal gelogen. Ob er das wohl weiß? „Also Harmony … Tut mir leid wegen der vielen Fragen auf einmal. Was ich – Was ich dir eigentlich erzählen wollte, ist wohl wegen meiner Tochter.“, findet sie noch während meiner Gedankengänge zum eigentlich Thema zurück und sagt mir jegliche bisher gestellte Frage ab, „Ich weiß nicht, ob es dir bisher aufgefallen ist aber sie scheint dich wirklich sehr zu mögen. Verstehst du? Ist dir wirklich nichts aufgefallen, wenn ihr euch mal gesehen habt? Es ist doch eigentlich so eindeutig und ich wollte …“ „Sagen Sie mal, sind Sie noch ganz richtig im Kopf?! Färbt das von Ihrer Tochter ab oder was ist los?!“, platzt es aus mir, lauter als gewollt und wütender als gewollt aber mal ehrlich, was fällt denen denn bitte ein?! „Ihre Tochter hat doch gesehen, dass Castiel und ich zusammen sind. Ist ja nicht gerade so, als würden wir das vor irgendwem verstecken. Sie hat alles ganz deutlich mit angesehen, also was ist deren Problem?! Oder Ihres?!“ Ihr Blick geht tiefer auf ihren Shake. Sie wirkt in sich gekehrt. Nicht so offen und selbstsicher wie sonst. Privat eine ganz andere als in ihrem Job, daran muss selbst ich mich erst mal gewöhnen. Sonst immer ist sie wie eine Konstante. Einfach völlig ungewöhnlich, wenn sie so ein bisschen stottert: „O-Oh ich – ich ähm … das tut mir leid, nochmals. Ich werde mit meiner Tochter wohl mal wieder deutlicher über solche Dinge sprechen müssen.“ Mal wieder? Ist das ihr ernst? Ihre Familie scheint ja auch nicht ganz normal zu sein, hmm?! „Jedenfalls … kann ich sie sogar etwas verstehen. Es ist nicht leicht dich nicht zu mögen, lassen wir die Tatsache des wie sehr mögens mal weg fallen.“, erzählt sie mir dann auch über sich ganz offen. Verwundert schaue ich zu ihr herüber. Ihre Unsicherheit von eben ist verschwunden. Sie wirkt wieder wie immer und erzählt mir trotzdem solchen Unsinn dabei, „Ich kann nur wiederholen, was ich dir immer wieder sage. Du bist ein guter Junge, trotz deiner Fehler und all der Schwierigkeiten die du hast und machst. Du bist stark, von Muskeln bepackt, wirklich groß geworden und hässlich bist du auf keinen Fall, vielleicht etwas anders als andere, wobei sich auch das im letzten Jahr gelegt zu haben scheint. Du gibst immer dein bestes, verteidigst deine Freunde und versuchst einfach das richtige zu tun, so wie du die Welt eben siehst.“, schwärmt sie und sie hört nicht mehr damit auf. Solche dummen, wirklich falschen Worte. Sie soll endlich mit dem Scheiß aufhören! Als ob ich nicht auch ohne diese übertriebenen Worte verstehen würde, was sie mir eigentlich versucht zu sagen. Ich soll nicht vergessen wer ich bin, egal welchen Weg ich gehe oder auf welchem ich mich befinde und dass … dass ich das wohl ziemlich gut hinbekomme. Keine Ahnung ob das stimmt. Ich sehe das nicht in solchen Einzelteilen, das ist auch nicht meine Aufgabe. Das ist ihre Aufgabe und so wie sie sich eben benimmt, geht sie dieser nicht wirklich nach. „Na, genug der ganzen Worte, hmm? Du magst es nicht, stimmt's?“ Dumme Frage! Sie blickt mich an, wie ich mürrisch und alle Worte von mir abweisend an meinem Shake schlürfe und sie weiß auch ohne Worte meinerseits Bescheid. Ich geb's nicht gerne zu aber sie hat mich nach so langer Zeit vielleicht ja doch etwas kennen gelernt. Es ist das, was ich jahrelang nicht wollte aber zu verhindern war es auch nicht, schließlich bin ich ja immer zu den Sitzungen gegangen, beinahe jedes Mal und irgendwann wurde Routine daraus. „Du, hör mal Harmony, jetzt wo du wieder öfter in der Stadt bist …“ „Ja ja, ist ja schon gut. Ich komme wieder zu den Terminen, so wie vorher auch immer.“ „Ja aber ich möchte, dass du wirklich jeden Mittwoch kommst, egal ob du etwas zu erzählen hast oder nicht.“, fordert sie von mir und erklärt weiter, „Ich meine, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass meine Tochter und ich gern Zeit mit dir verbringen aber es wäre einfach auch gut für dich, wenn du mit Menschen außerhalb deiner gewohnten Umgebung verkehrst, mit Menschen, die nicht auf deine ehemalige Schule gehen.“ Wenn die nur wüsste wie viele Kontakte ich habe … aber das sind alles nur körperliche Kontakte. Wer würde nicht verstehen, was sie da versucht zu erreichen? Überschreitet sie damit aber nicht eine Grenze vom beruflichen zum privaten? Kann das nicht zu Schwierigkeiten führen? Ach … kann mir ja auch egal sein. Ihr Problem, nicht meins also … „Warum denn nicht, Schaden wird es schon nicht.“, sage ich ihr schulternzuckend zu und sie lächelt mich sofort an. „Na, eine großartig andere Wahl hast du ja nicht! Das gehört nun zur Therapie, also los.“, fordert sie mich energisch aufspringend auf. Mensch, die kann sich vielleicht jung benehmen. Wenn sie so neben mir steht wirkt sie wie ein hellauf begeistertes, zwölfjähriges Mädchen. Das kann aber auch an der neuen Größe liegen, an die ich mich noch immer gewöhnen muss. „Also los? Wohin geht’s denn so plötzlich?“, hake ich nach. Sie wartet darauf, dass ich aufstehe und ihr folge, doch sieht auch ein, dass eine Antwort als Überzeugung nicht schlecht wäre. Sie hat sich ein wenig herunter gebeugt, um mir direkt in die Augen zu schauen. Es ist wirklich nicht viel, was sie sich bücken musste, trotz dessen, dass ich auf diesem Barhocker sitze. Diese Tatsache erfreut mich und zwar so richtig. Es ist zwar gewöhnungsbedürftig aber gleichzeitig unglaublich cool. Diese Veränderung ist einfach zu geil! „Wo auch immer du hin möchtest. Also, willst du irgendwo hin?“, dreht sie die Frage nun um und anstatt dass ich mich darüber aufrege, komme ich wirklich ins überlegen. In der Stadt hat doch vor kurzem … Schmunzelnd unterbricht sie meine Gedanken und antwortet auf ihre eigene Frage: „Ins neue Kunstmuseum vielleicht? Wirklich schön zu sehen, dass du diesen Teil von dir nicht mehr länger leugnen kannst.“ Zwischen ihrem seltsamen Gegrinse höre ich natürlich heraus, wie ernst ihre Worte sind und ja … es ist schwer geworden. Also stehe ich endlich mal auf, lasse den leeren Becher stehen und wir gehen. „Na dann, auf ins Museum!“, freut sie sich auch noch so übertrieben darüber. Das … erinnert einen viel zu sehr an früher. Alexy hat sich auch immer so … ach, egal. Solche Gedanken sollte ich wirklich nicht mehr haben. Selbst schuld und so … Als Ablenkung hilft das Museum wirklich weiter und sie natürlich auch.
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