Zu Hause, kümmere ich mich um meine Hausaufgaben und alles andere, was ich noch machen kann. Mit dem fertig, setze ich mich vor den Fernseher auf die Couch. Ich nehme mir eine kuschelige Decke und bleibe extra sitzen, damit ich nicht müde werde. Die Zeit vergeht und es wird draußen immer dunkler. Ich habe schon lange nicht mehr mitbekommen, dass er Heim kommt, also stelle ich mich darauf ein, noch eine Weile warten zu müssen. Mit dem Film, der gerade läuft, schaffe ich es sogar, mich ein wenig abzulenken. Einen Blick werfe ich dann auch mal auf die Uhr.
22 Uhr Und wieder 23 Uhr Und nochmal 24 Uhr Es wird immer schwerer die Augen offen zu halten. Ich will nicht aufhören zu warten und so sitze ich noch eine weitere Stunde, eh ich ein leises Geräusch von vor der Tür wahrnehme. Endlich ist er da. Ich setzte mich aufrecht hin und starre zur Tür, kurz darauf zu ihm. Er hingegen wirkt entsetzt. Er hat nicht damit gerechnet. „Warum bist du denn noch wach?“ Die Tür fällt ins Schloss. „Ich habe darauf gewartet, dass du Heim kommst. Bitte sage mir doch warum du so spät Heim bist, bitte.“ „Das geht DICH absolut gar nicht an!“ Er schließt nur die Tür schnell zu und flüchtet dann auf sein Zimmer. Ich kann gar nicht schnell genug reagieren, da schließt er auch da schon zu. Ich laufe ihm nach, obwohl ich weiß, dass ich nicht hinein komme. Ein paar mal klopfe ich laut an seine Tür. „Toyo, lass mich sofort rein. Toyo!“, rutscht es mir viel zu laut und viel zu aufgebracht raus. Prustend beruhige ich mich. Meine Stirn lehne ich gegen seine Tür und meine Faust, die noch immer an der Tür aufliegt, sinkt langsam hinunter. „Bitte lass mich rein. Ich will doch bloß mit dir reden.“ „Nein!“, brummt er mir gewollt aggressiv entgegen. „Bitte Bruderherz, bitte.“ „Nein!“ „Bitte!“ Ich kann ihn hören wie er aufsteht und sich der Tür zögernd nähert. Er überlegt und spricht dann eher zu sich selber als zu mir. „Nein, ich will schlafen. Lass mich jetzt einfach in Ruhe!“ Er legt sich wirklich wieder hin, das höre ich deutlich. Er versucht einzuschlafen aber so wirklich klappen, will es nicht. Ich überlege mir, dass ich mir irgendetwas anderes überlegen muss. Wenn er nicht auf machen will, dann suche ich mir eben einen anderen Weg. Im Dunkeln, direkt hinter unserem Haus stehend, schaue ich die Regenrinne hinauf bis zu uns nach oben – in die vierte Etage. Das Waldstück hinter mir, macht mir Angst. Deswegen darf ich keinen Blick daran verschwenden. Ich blicke hinauf soweit ich noch etwas sehen kann und pruste. Davon lasse ich mich nicht aufhalten!, mache ich mir Mut. Ich versuche mich beim ersten Versuch an den Verankerungen festzuhalten und die Rinne soweit zu umklammern wie es mir möglich ist. Schnell muss ich feststellen, dass das eine dumme Idee ist. Ich ziehe mir nur ein paar Meter hinauf, da schneide ich mich schon an der scharfen Kanten. Ich erschrecke mich, als es glatt durch meine Hände hindurch gleitet und rutsche wieder zu Boden. Mit meinem Hintern auf dem Boden landend, merke ich wie sich ein paar Steinchen von der Fassade in meine Knie und Schienbeine bohren. Die Schürfwunden brennen ein wenig. Ich beiße mir auf die Lippen, um jegliches Geräusch des Schmerzes zu unterdrücken. Jetzt wo ich wieder unten bin, kommt mir das Waldstück noch gruseliger vor. Eilig stehe ich auf. Weiter oben fühle ich mich sicherer. Obwohl meine Hände mit am meisten schmerzen und vom Blut überströmen, versuche ich es nochmal genauso wie zuvor. Nur meine Beine stemme ich lieber gegen die Wand. „O je, von unten sah das nicht so anstrengend aus!“ keuche ich. Es lenkt mich etwas ab mit mir selber zu sprechen. Die meiste Kraft stecke ich in meine Hände, denn nur mit denen kann ich mich hinauf ziehen. Vorsichtshalber zähle ich die Fenster mit, damit ich auch sehe, wann ich im richtigen Stockwerk angelangt bin. Mein schwerer Atem stößt gegen die raue Wand vor mir und fällt mir beim entgegenkommen gegen mein Gesicht. Er ist sehr warm. An meinen Armen und an meiner Stirn sammeln sich ein paar Schweißperlen. Sie tropfen von mir und fallen zu Boden. Ich weiß nicht warum aber mich packt das Verlangen ihnen nachzusehen und so kommt es auch, dass ich meine Blicke dem Boden zuwende. Erschrocken blicke ich wieder auf, direkt in den Wald hinein. Verdammt! Sieh weg, sieh weg! befehle ich mir, bis ich meinen Kopf mit aller Macht wieder der Wand zuwenden kann. Ruhig, ganz ruhig! Ich versuche meine Angst in den Griff zu kriegen und meine Atmung zu regulieren. Umso länger ich hier hänge und nichts tue, umso schwerer wird es. Mir fehlen nur noch ein paar Meter, dann sehe ich sein Fenster. Es ist schräg über mir, drei Meter von mir entfernt. Ich kann die Rinne entlang nicht weiter hinauf. Sie verläuft waagerecht in die entgegengesetzte Richtung. Von hier aus muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Mein Bruder kann heute Nacht nicht gut einschlafen. Er dreht sich in seinem Bett auf und ab. Wenn er ruhig liegen bleibt, hört er dem Wind zwischen den Bäumen zu. Er atmet ganz leise. In seinem Kopf schwirren so viele Dinge herum, die er kaum zusammen ordnen kann. Er hört schon seit einer Weile nichts mehr von seiner Schwester. Sie scheint auch nicht vor seiner Tür zu warten. Stattdessen nimmt er von draußen ein leises keuchen wahr. Es reißt ihn vollkommen aus all seinen Gedanken. Toyo setzt sich auf und hört aufmerksam zu. Dieses keuchen wird immer lauter und lauter. Er weiß nicht was da vor sich geht und wartet lieber ab, was passiert. Ich muss gerade daran denken, wie ich in meine eigene Wohnung einbrechen muss. Mir huscht ein kleines Lächeln über die Lippen und anschließend ein leises lachen. Es raubt mir die Kraft aus den Armen, welche sowieso schon knapp ist. Der Gedanke verschwindet aus meinem Kopf und ich bekomme die Situation wieder in den Griff. Die Metallverankerung umklammere ich noch viel fester als zuvor. Ich merke, wie es auf meine Knochen anstößt. Den darauf folgenden Schmerz lasse ich nicht zu. Für einen Moment schließe ich meine Augen. Wenn ich sie wieder öffne, habe ich einen fest entschlossenen Blick. Ich fixiere sein Fensterbrett. Dabei rutscht auch mir ein leises knurren heraus. Mein Blick hält strickt an meinem Ziel fest. Ich hole noch einmal tief Luft und sammle meine Kräfte. Meine Beine stemme ich gegen die Wand. Sie dient mir als eine Art Anlauf, ähnlich beim Weitsprung. Drei Schritte sind mir möglich, dass ich meine Hände von der Verankerung loslösen kann und mich nach oben abdrücke. Nur einen Arm kann ich weit genug ausstrecken, um mit der Hand an sein Fensterbrett zu gelangen. Es war rutschig, vor allem wegen des Blutes. Meine Beine und mein Arm hängen frei in der Luft. Alles hängt an meinem einen Arm. Ich fühle mich nicht gut dabei. Mir wird schlecht und schwindelig zugleich. Es ist anstrengend, zu anstrengend für mich. Ich bekomme Angst. Verdammt! Umso länger ich warte, umso … umso mehr Kraft wird mir verloren gehen. Wobei … Kraft, welche Kraft denn noch?… Ich muss mich beeilen. … Weder in meinen Beinen, noch in meinen Armen spüre ich etwas. Alles fühlt sich taub an. Bedeutet das … bedeutet das jetzt vielleicht, dass ich sterben muss? Es ist Still, für eine ganze Weile. Meine Augen schließe ich erneut, wartend auf eine Eingebung. Währenddessen verliere ich immer mehr an Halt. Das Blut tropft schon hinunter. Ein paar davon landen in meinem Gesicht. NEIN! Ich darf nicht sterben! Als ich meine Augen wieder öffne, merke ich, dass ich unbedingt nach oben will. Daran führt nichts mehr vorbei. Ich habe es ja eh fast geschafft, dann schaffe ich den Rest auch noch! Ich versuche mich voll zu konzentrieren. Da ich alles andere eh schon nicht mehr spüre, versuche ich die Kraft da heraus auf meinen Arm zu lenken. Ob das möglich ist? Keine Ahnung aber es ist ja eh meine letzte Chance. Mein ganzer Körper zittert. Das macht es nicht gerade leichter. Meine Fingernägel ramme ich in das Holz hinein. Ich versuche meine Beine nochmal irgendwie an die Wand zu legen und meinen Arm zu bewegen. Während ich mich ein paar Zentimeter nach oben ziehen kann, habe ich das Gefühl mehr Kraft zu bekommen, als ich dachte zu haben. Mit einem Ruck gelingt es mir mich von der Wand abzustoßen und den restlichen Abstand mit dem Arm zu überwinden und in sein Zimmer zu gelangen. Ich merke, sobald ich im Zimmer stehe, wie meine Kräfte und mein Selbstbewusstsein verloren gehen. Meine Lunge brennt und es kommen nur unregelmäßig Atemstöße hervor. Meine Beine versagen wieder und ich sinke zu Boden. Sobald ich Toyo sehe, bekomme ich wieder Angst. Obwohl es doch mein Ziel war hier her zu kommen, weiß ich jetzt nicht mehr genau, ob es richtig war. Durch mein plötzliches auftauchen steht er förmlich im Bett. Erst als er jetzt auch mich in der Dunkelheit deuten kann, beruhigt sich sein Herz. Er steigt von seinem Bett und kommt mir entgegen, nur um ungläubig aus dem Fenster zu schauen. „Sag mal, wie bist du hier hoch gekommen?“ Meine Stimme, meine Beine und Arme und mein ganzer Körper zittern. Was soll ich dazu groß sagen. „Frage die Regenrinne! Haben uns gut kennen gelernt und sind auch gleich Blutsbrüder geworden.“ W arum ich mich so ausdrücke? Damit er es nicht tun kann. Ich habe die üble Vorahnung, dass er sich sonst über mich lustig machen würde und das würde ich jetzt nicht auch noch verkraften können. Doch im Gegenteil, er wirkt ernst. „Was redest du da für einen Schwachsinn?“ „Ich werde dir deine Fragen beantworten, wenn du mir meine beantwortest.“ Er hört mir aufmerksam zu, sieht aber weitgehend von mir weg. Ich versuche mehrfach aufzustehen. Immer wieder sinken meine Beine zusammen. Als es endlich klappt, nähere ich mich ihm. Alles zittert, mehr denn je, doch er sieht es nicht. „Bitte … bitte sage mir doch einfach, was mit dir los ist. Ich verstehe das alles nicht mehr.“ „Das brauchst du auch nicht.“ Mir fällt nur eine Lösung für sein Verhalten ein, „Bedeutet das … bedeutet das vielleicht, dass du … dass du mich hasst?“ Ich kann nicht anders als ihm noch ein Stück näher zu kommen. Ich muss mich an seiner Weste fest krallen, um nicht umzufallen. Er trägt sie noch immer aus der Schule. „Nun sag schon, hasst du mich jetzt?“ „Was?“ versteht er noch immer nicht, was ich so sehr befürchte. „Hör mal, ich habe dir doch gesagt, dir versprochen, dass ich immer für dich da sein will und das du immer über alles mit mir sprechen kannst. Selbst wenn du mich hasst, für mich ändert sich nichts daran!“ Ich verliere erneut das Gefühl in meinen Beinen und Armen. So sehr ich mich auch versucht habe festzuhalten, so sinke ich trotzdem wieder zu Boden. Er scheint mir langsam wirklich richtig zuzuhören und zu begreifen. Und was er da hört, scheint ihm ganz und gar nicht zu gefallen. Ich sitze noch immer am Boden fest. So sehr wie ich zittere, so sehr fängt es jetzt auch bei ihm an. Nicht mal einen vernünftigen Ton bekommt er heraus. Er kauert sich zu mir auf den Boden und noch bevor ich mehr aus seiner Körpersprache deuten kann, schließt er mich ganz fest in seine Arme. So wie jetzt habe ich ihn schon lang nicht mehr gesehen. Er lehnt seinen Kopf auf meiner Schulter auf. Er lehnt seinen halben Körper auf mich und verkrampft. Es macht den Anschein, als würde er sich versteckt. Ungewollt kommen ihm Tränen. E weiß, dass er so vieles Falsch gemacht hat. Er kann sich selbst nicht verzeihen und tut wohl deswegen das, was er eben tut. „Dummkopf, Idiot, dummes Mädchen! Wie kommst du auf die Idee, dass ich dich jemals hassen könnte!“ „Wegen … ich weiß nicht … die ganzen letzten Wochen … du warst so komisch und … heute Mittag … “ „Ich weiß doch, ich weiß wie dumm das von mir war! Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, verzeih mir! Ich darf es dir nicht erzählen, ich darf einfach nicht! Glaube mir bitte, alles was ich will ist dich zu beschützen! Das ist wirklich alles was ich will!“ jammert er. Seine Stimme ist so leise, heiser und vor allem eindringlich. Keine Ahnung wie ich das mache aber es gelingt mir einen Arm um seinen kräftigen Oberkörper zu legen. Mit der Anderen durchwühle ich sein Haar. „Ich weiß wirklich nicht viel von dem was du gerade durch machst aber vergiss bitte nicht auch mal an dich zu denken und dich auszuruhen. Wenn du das wirklich noch willst, dann bleibe ich immer bei dir und … wenn du doch mal reden willst …“ „Ich weiß! Du bist da und hörst mir zu, so wie immer! Dann merke du dir, dass ich dich nie, nie, niemals hassen könnte! Versprich mir nur auf dich aufzupassen und vor allem dich von diesem Lehrer fern zu halten.“ „Was? Warum … “ „Mache es einfach, bitte!“ wird er lauter, eindringlicher. Natürlich kann ich es nicht verstehen, wenn er nichts erzählt aber es wird schon seinen Grund haben, also stimme ich ihm zu. Ich drückt mich immer fester an sich. Er schämt sich so sehr für alles, was er getan hat und er liebt mich mehr denn je, dafür, dass ich ihn gerade jetzt nicht allein lassen will. „Darfst du mir wenigsten sagen, was … was du da an deinem rechten Arm gemacht hast?“ „Was? Woher weißt du davon?“ „Die Ärztin hat mir davon erzählt.“ „Super Schweigepflicht, ehrlich … “ knurrt er künstlich. Mein Bruder erinnert sich nur ungern an die Worte seines neuen Freundes. Wenn du jemals jemanden etwas erzählen willst, dann wird diese Person in schreckliche Gefahren geraten. … Egal wem du davon erzählst! „N-Nein, auch das darf ich dir nicht erzählen, verzeih!“ „Schon okay, Bruderherz. Sage mir nur bitte Bescheid, wenn irgendetwas ist.“ Er kann seine Tränen noch immer nicht stoppen. Mal werden sie weniger aber kurz darauf wieder mehr. Da er mich eh schon mit in Richtung seines Bettes zerrt, bleibe ich die restliche Nacht bei ihm. Er lässt mich nicht los, ich will auch gar nicht das er es tut. Arm in Arm können wir beide doch noch einschlafen. In der Schule scheint alles wieder in Ordnung zu sein. Seine Freunde sind wie ausgewechselt, weder wütend noch verängstigt oder schockiert. Zum ersten mal sehen sie uns zusammen zur Schule laufen und auch, wie ich meinem Bruder einen Kuss gebe. Wie immer verschwinde ich danach. Von hinter ihm ertönen Geräusche und auch die frage, wie es ihm geht. Er gesteht, dass es besser sei als gestern. Sichtlich glauben ihm das seine Freunde. Wir haben uns ausgemacht, dass ich nun jede Pause zu ihm kommen soll. Er meinte, er wolle, dass ich mehr gute Erfahrungen im Kontakt mir anderen Menschen sammeln sollte. Ich darf aber auch nicht vergessen mich etwas von Herr Kusaka zu entfernen. Ansonsten wird Toyo nochmal so wütend und das ist das letzte was ich will. Die Stunden vergehen wie im Flug, da läutet es auch schon zur Pause. Ich schnappe mir das Essen meines Bruder und renne so schnell ich nur kann zwei Stockwerke tiefer. Zu schnell. Ich stolpere auf der Treppe über meine eigenen Füße und sehe schon wie ich falle. Vor Schreck schließe ich meine Augen. So wie ich nicht aufpasse, ist auch mein Cap verschwunden. Es weht direkt vor die Tür der 11-2. Mein sonst so kurzes Haar, fällt unkontrolliert über meine Schultern. Vorn ist es lang genug, um über meine nicht vorhandene Brust zu fallen und hinten schlingt es sich über meinen Po um meine Schenkel. Das nächste was ich mitbekomme, sind nicht, wie ich vermutete, die harten Vliesen, sondern zwei starke Arme und einen weichen, warmen und mindestens genauso starken Brustkorb, in welche ich gefallen bin. Ein weiteres mal erschrecke ich mich und öffne dabei meine Augen. „Nicht so stürmisch Kleines.“, mahnt er mich sanft, warm, nett. Mehr fällt mir im ersten Moment nicht zu seiner Stimme ein. Ich kenne seine Stimme nicht und demzufolge auch ihn nicht. Zum dritten mal erschrecke ich mich. Diesmal stoße ich mich lieber von seinem Körper weg und stelle mich etwas wackelig auf meine eigenen Beine. Da sind sie wieder, diese eisblauen Augen des Unbekannten. Wir sehen uns gefühlte Stunden gegenseitig in die Augen. Es ist fast so wie auf dem Feld, nur diesmal viel länger. Ich versuche mich daraus zu lösen, da versucht er auch schon mit mir zu sprechen. „D-Du hast ziemlich langes Haar.“ Wie konnte er mir das so einfach sagen. So etwas ist mir unangenehm, nicht um sonst verstecke ich sie unter einem Cappy. Wieso ist es gerade jetzt weggeflogen? Und wieso starrt er mich auch so lange an? Bis über beide Ohren werde ich rot und schaue geniert auf die Stufen. „Geht es dem Essen auch gut?“ Erst jetzt merke ich, wie ich es mit beiden Händen fest im Griff habe. Es sollte nicht kaputt gehen. Ungewollt kaue ich auf meiner Unterlippe. „J-Ja, ich denke schon.“ presse ich es leise zwischen meinen Zähnen hervor. „Du bist ziemlich schüchtern, könnte das sein? Na komm, ich glaube wir haben den gleichen Weg. Besser wir gehen den zusammen.“ Was meint er damit? Wieso besser? Schon von der Tür aus werde ich komisch angeschaut. Wie unangenehm. „Was hast du uns denn da hübsches mitgebracht?“ erkundigt sich einer der Jungs. Meine Blicke sinken noch tiefer als zuvor. „Das wüsste ich allerdings auch gern mal.“ wendet der Unbekannte neben mir sich jetzt auch an mich. Er schaut mich ganz sanft an. Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll. Da entdecke ich auch schon mein Cap auf dem Boden. Toyo's Essen stelle ich flüchtig ab, um es aufzuheben. Ich schiebe mein ganzes Haar so darunter, dass nur noch die Spitzen heraus schauen. Es dauert ein wenig aber ich habe mich schon daran gewöhnt. „Ich glaub's ja nicht! Du bist die kleine Schwester von Toyo!“ Erstaunt platzt es aus mir heraus, „Hä! Woher wisst ihr das?“ Meinen kurz erhobenen Blick senke ich sofort wieder und halte mir meinen Mund mit beiden Händen zu. Das ist so unangenehm! „Mir ist es gestern einfach so raus gerutscht. Tut mir Leid.“ Ich bringe ihm schnell sein Essen rüber. Vor ihm schüttle ich meinen Kopf. „Macht nichts.“ Er legt eine Hand auf meine Schulter und steht auf. „Also Jungs, wenn ich vorstellen darf, meine kleine Schwester. Misami.“ Ich hätte nicht gedacht, dass seine Freunde so sprachlos sein könnten. Ich weiß ja auch gar nicht warum. Nur eben der Neue, er scheint normal zu sein. Er kommt wieder auf mich zu. „Die anderen kennst du ja bereits. Also muss ich mich wohl noch vorstellen. Also mein Name ist Shindo Toyame, gehe mit deinem Bruder in die gleiche Klasse und bin ein Jahr älter als er.“ dabei lächelt er mich aufrichtig an. Als ich nichts sage und immer noch still da stehe, schubst mich Toyo ein wenig von der Seite an. Ich blicke kurz zu ihm. „Ähm, ja, verstehe!“, versuche ich zu flüstern, trotzdem bekommt es jeder mit. Einen Schritt getraue ich mich nach vorn. Artig verbeuge ich mich vor ihnen. „Ja also, wie gesagt, mein Name ist Misami Hatsugate. Ich gehe in die gemischte neunte Klasse und bin 12 Jahre alt oder jung. Je nachdem wie man es sehen will.“, rutscht es mir nervös über die Lippen. Gegenüber den Jungs fühle ich mich furchtbar klein. Sie sind nicht nur älter sondern auch alle, ausnahmslos, extrem groß. Da kann ich mit meinen 1,50m nicht mithalten. Als ich mich von der Nervosität etwas beruhigen kann, erhebe ich meinen Körper wieder. Einen Blick wende ich wieder zu Toyo. Er nickt zufrieden. „Na dann, schön dich kennen zu lernen.“ Irgendwie sind die Jungs etwas angespannt. Sie brauchen eine kleine Weile eh sie wieder etwas von sich geben oder sich bewegen. Es macht mir viel Spaß die Freunde von meinem Bruder kennen zu lernen. Nach einer Weile habe ich das Gefühl, dass sie mich vielleicht mögen könnten. Der Gedanke erfreut mich noch mehr, denn das würde bedeute, dass ich zum ersten mal Freunde hätte. Egal wie viele Geheimnisse Toyo hat oder wie oft wir uns streiten sollten, ich weiß, dass er immer bei mir bleiben wird. Das gleiche werde ich auch tun, denn schließlich sind wir doch eine Familie und haben nur noch uns beide. Dabei umarme ich meinen Bruder fest.
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