Mit zweifelndem Blick und zusammengeschobenen Augenbrauen richten sich meine Blicke dem Boden zu.
„Dein Ausdruck sagt eigentlich schon alles aber du … du hast es immer noch drauf es zu leugnen! Hier bist du das erste Mal mit jemandem geflogen und ich weiß, dass du es siehst. Du siehst, dass er fliegt und nicht nur durch die Gegend springt und Tricks macht. Du siehst ihnen zu und bewunderst ihr Können! Das ist … Das ist völlig normal, weil … weil du … kein normaler Mensch mehr bist.“ Was? Wie meint er das? Wieso kein Mensch mehr? Was – Was … „Was soll ich denn sonst sein?“, frage ich perplex nach, leise. „Nichts schlimmes … eigentlich, für uns ist es nicht schlimm aber – aber …“ „Für die Polizei, schon klar aber was soll ich denn sein?“, werde ich aufsässiger, nicht böse, eher verzweifelt. Was bin ich denn jetzt, wenn ich kein Mensch mehr sein soll? Er scheint unter der Antwort genauso leiden zu müssen aber Seroll, Fear, gibt sie mir endlich: „Du bist ganz einfach ein Scater. Ich sagte dir doch, dass niemand weiß was die Gen's genau sind oder woher sie kommen aber – aber sie verändern dich. Sie verändern wie du fühlst, siehst, dein Tempo, deine Ausdauer, deine Kraft. ALLES hat sich einfach verändert, verstärkt. Und ich weiß, dass du dir das nicht ausgesucht hast. Dass du jetzt so sein musst ist – ist nicht deine Schuld.“ Es ist seine … Das will er damit sagen und deswegen leidet er so unter den Antworten. Es stimmt schon, ohne ihn hätte ich wohl nichts damit zu tun bekommen … wohl … wahrscheinlich … vielleicht. Ich weiß nicht, denn schließlich – schließlich bin ich von allein da aufgetaucht, nur … der Rest … Es bringt nichts darüber nachzudenken was-wäre-wenn. Er ist mir näher gekommen, Schritt für Schritt, hat nach meinen Schultern gegriffen, mich etwas nach hinten gedrückt und mich so aus meinen Gedanken befreit. Er sieht mich eindringlich, flehend an. „Ich weiß, dass das meine Schuld war aber - aber sage mir nicht, dass du es wirklich nicht lieben würdest. Du hast gesehen, wie genau hier, direkt über dir, jemand umgebracht wurde. Wie du ihm zugesehen hast, wie du jedes Mal verträumt in den Himmel starrst und wie du es geschafft hast hier her zurück zu kommen, OBWOHL direkt vor deinen Augen, direkt über dir, jemand umgebracht wurde … du kannst unseren Sport nicht so sehr verabscheuen, wie du es vorgibst.“ Er wird mit jedem Satz, mit jedem Wort eindringlicher. Ich habe nach seinen Handgelenken gegriffen und ihn aussprechen lassen. Langsam, ruhig, nehme ich sie von meinen Schultern und gehe dann an ihm vorbei. Vor dem zweiten Geländer in Richtung der aufgehenden Sonne beuge ich mich nach vorn, lehne meine Arme darauf und schaue in den bunt gefärbten Himmel. Seroll steht noch an gleicher Stelle und regt sich nicht. „Oliver … er hatte mir bereits erzählt, dass man nicht mehr man selbst ist. Ich merke keinen Unterschied zu vorher. Mein Herz schlägt nach wie vor schneller und ich gehe ganz normal zur Schule wie jeden anderen Tag auch. Nur … was aus diesen ehemaligen Polizisten geworden ist, das hat mir Angst gemacht. Nur nicht genug um – um mich von hier fern zu halten. Es ist so verrückt … ich sollte hier nie mehr herkommen wollen und nichts mehr von alle dem wissen wollen aber … aber im Gegenteil. Ich will immer mehr wissen, die Wahrheit wissen, über alles. Das ist doch nicht normal, oder?“ Er hat seine Scates gegen normale Schuhe getauscht. Ich grinse, als ich aus meinem Augenwinkel ein Paar hohe Springer wahrnehme. Er stellt sich genauso hin wie ich, lehnt seine Arme auf und schaut sich den Sonnenaufgang an. „Doch … das ist normal. Das ist normal, wenn man lernen will zu fliegen. Und diejenigen die fliegen wollen … können mal King's werden. Sie dürfen nur nicht vergessen wie es sich anfühlt.“ Mein Blick lenkt sich, starrt in die graue Leere unter uns: „Ich hab's ihr versprochen.“ „Und trotzdem trägst du deine Gen's immer bei dir. Egal wann, egal wo.“ Fragend blicke ich zu dem neben mir: „Ich soll das Versprechen einfach brechen?“ Er sieht genauso zu mir und haucht in genau der selben Lautstärke: „Ich habe sie regelmäßig besucht. Sie geht nicht davon aus, dass du das Versprechen halten kannst. Ausprobieren kannst du es jederzeit. Sie muss nicht jedes Detail aus deinem Leben kennen.“ Stille. Wir schweigen Beide, doch nur ich denke nach. Denke so lange nach, bis mir passende Worte einfallen: „Ich will … ich will mehr wissen. Wie genau kann so etwas passieren? Wie sehr muss ich – muss ich Angst davor haben?“ „Gar nicht. Du musst keine Angst davor haben. Die Gen's besitzen die Fähigkeit deinen Körper voll zu kontrollieren, wenn du selbst zu schwach wirst. Sie machen aus dir ein Monster mit Krallen aus Stahl und einer Haut wie Stein. Du wirst größer und könntest innerhalb von Sekunden alle Hochhäuser nieder reißen. Du würdest es nicht mal merken.“ Mit weit geöffneten Augen blicke ich den neben mir an. Er ist sehr bedrückt. Gerade sein letzter Satz war so leise. „Du – Du hast das schon mal erlebt? Ich meine, tatsächlich erlebt? Wieso – Wieso lebst du dann noch? Wie kann das …“ „Stimmt. Ich hatte einmal den falschen Weg eingeschlagen, wollte nur noch gewinnen und alle anderen zerstören. Gen's unterstützen aber nur deine richtigen, echten Eigenschaften. Ich konnte spüren wie lähmendes Gift in meine Adern floss. Sie haben es produziert, als wären sie völlig eigene Lebewesen, die nur zulassen, dass wir ein bisschen Spaß damit haben. Es war wie – wie eine Stimme. Etwas hat versucht mich zurück zu holen und ich habe es geschafft aufzuwachen. Ich weiß wie verrückt das klingt aber es war wie – wie eine andere Welt.“ „Nein. Nichts daran ist verrückt.“ „Du hast es auch gesehen?“ Ich stimme einfach zu, bin mir nicht ganz sicher, ob wir das Gleiche gesehen haben aber zumindest etwas ähnliches. „Kannst du mir noch etwas sagen? Weißt du wer – wer der Mann ist, bei dem wir leben.“ „Du hast ihn erst Oliver genannt. … Ja, ich weiß wer Oliver ist aber auch noch nicht lange. Sein Blick hat es mir damals gesagt und soweit ich weiß, gab es damals nur einen, der sich zum Arzt hat ausbilden lassen.“ Ich frage genauer nach: „Damals?“ Seroll nickt: „Ja … damals … in der alten Generation.“ Sowie er das sagt, richte ich mich komplett auf. Meine Blicke durchbohren ihn. Er schaut ebenfalls vom Sonnenaufgang weg, doch holt sich einfach nur ganz entspannt ein Getränk aus dem Automaten, welcher sich ein paar Meter entfernt befindet. Er geht das Stück. Ich folge ihm die paar Schritte, will genau hören können, was er mir erzählt. Mir wirft er auch eine Dose zu, mal wieder. Tee, wie letztens schon. „Der einzige Arzt aus der alten Generation war Silence … er war der Second und soll einer der zuverlässigsten Menschen überhaupt gewesen sein. Ja, glaube mir ruhig, ER gehört zu denen, die die Spiele planen. Du kannst aber auch glauben, dass er sich aus allen Bestrafungen raus hält. Er unterstützt diese Methode nicht.“ Ich setze mich auf die alte Bank neben dem Automaten und starre die Dose auf meinem Schoß an. „N-Nehmen wir mal an ich – ich würde es wirklich mögen, mögen wie sie alle in der Luft schweben, fliegen.“ Er schnaubt belustigt, sieht mich ganz warmherzig an und setzt sich vertraut daneben. „Was genau müsste jemand tun, der – der damit anfangen will?“ Er überlegt einen Moment. „Du musst dir einen Avatar erstellen. Nicht nur den Namen eingeben, sondern dich richtig anmelden. Es gibt da eine extra Konsole für, kostet aber auch ziemlich viel. Das kommt aber erst, wenn du dir dein erstes Paar Scates selbst zusammengebaut hast, allein versteht sich. Es gibt Einsteigerkits zum üben aber die wirklich eigenen sucht man sich allein zusammen. Also die Schuhe oder Boots, wie du es immer nennst, mit der Eisenschiene unten dran, den Rahmen, die Räder und die Gen's. Man muss alles planen, bis zur letzten Schraube aber so ist die Synchronisierung zwischen dir, deiner Gen's und deinen Boots am besten, schließlich sollte dir alles gefallen und zu dir passen, was du dir da zusammengebastelt hast. Gen's fühlen sich mit dem wohl, mit dem du dich wohl fühlst. Wenn alles klappt und du dich damit wohl fühlst, dann kann es eigentlich auch schon losgehen.“ „Losgehen …“, wiederhole ich ganz leise. Ich musste es mir irgendwie vorsprechen, weil ich immer noch nicht ganz weiß, weshalb mich alles immer wieder in diesen Sport zurück treibt und ich mir auch nicht sicher bin, ob er recht hat. Es stimmt schon … ich sehe ihnen mit immer größerer Begeisterung zu aber ist das nicht normal, wenn man Menschen auf so eine Weise fliegen sieht? Der neben mir hat sich zurück gelehnt und genießt die ersten Sonnenstrahlen. Er lächelt ungewohnt locker, leicht. Mir fallen nur immer mehr Fragen ein, auf die ich eine Antwort brauche: „Was ist mit diesem Freak? Er verletzt andere. Wie viel kann ihm also daran liegen?“ Der neben mir öffnet seine Augen, doch starrt nur in den Himmel. Ich tue es ihm gleich. „Das weiß ich nicht aber … da er nicht zu einem dieser Monstren wird, muss ihm das Scaten ziemlich viel bedeuten. Das ist das Einzige, was mich an ihm beruhigt. Er ist beängstigend und das schon nur beim Training. Ich habe ihn bei noch keinem Spiel gesehen, nur Gerüchte gehört.“ „Und … als du meintest, das sei nicht sein Bezirk …“ „Er gehört Sleepy.“, unterbricht mich der Junge mit der halben Drachenmaske. „Und das weißt du woher? Ich dachte, ihr kennt …“ Er tut es schon wieder: „Zufall. Ich kenne meinen Bezirk und er ist einer der unteren 5, also muss er sich um die Innenstadt kümmern, so viel steht fest. Nun wach endlich auf! … So viele Fragen stellt man nicht, wenn man nicht …“ „Ist ja schon gut! Sei endlich still!!!“, unterbreche diesmal ich ihn ungehalten. Er nervt mit seinen ständigen Versuchen einen zu überreden. Ich komme gar nicht richtig dazu nachzudenken und darf meine Fragen nicht mal aussprechen. Er will mich nun wirklich ziemlich schnell davon überzeugen, dass ich es lernen will. … Warum wissen andere immer besser was ich will? Was ich brauche? „Warum …“ „Weil wir alle sehen wer es kann und wer es niemals hinbekommen würde. Ich kannte Sleepy Danger nicht vor diesem letzten Spiel. Erst danach habe ich mich mal etwas schlau gemacht. Das letzte Mal, dass er ernsthaft gefahren ist, ist fast 3 Jahre her. Er hat es doch auch schon versucht oder? Er versucht dich genauso zu überzeugen und, so gruselig das auch gewirkt hat aber, sogar unser Freak hat es versucht. Vergiss dieses Versprechen, es war eh unmöglich einzuhalten.“ Wieder durfte ich meine Frage nicht aussprechen. Man konnte ja nicht mal erahnen, was ich fragen wollte und doch konnte er so einfach darauf antworten. Ich glaube aber nicht wie sie, dass ich irgendein Talent dazu hätte. Ich weiß eh wie das ausgeht, wenn ich es probiere aber … „J-J-Ja … vielleicht.“ Seine entspannte Haltung geht verloren. Seroll setzt sich ziemlich energisch nach vorn, um mir auf die Schulter klopfen zu können, mehrfach. Es tut echt weh, seltsamerweise. Mein ganzer Körper zuckt, als hätte ich gar keine Kontrolle mehr darüber. Sein breites Grinsen erspähe ich aus einem Augenwinkel. Ihn scheint die Antwort doch schon ziemlich zu freuen. „Nun komm schon, du wirst sehen, es macht echt Spaß. Ich besorge dir das Anfängerkit zum basteln und du nutzt mindestens die Hälfte deines Verdienstes, um dir dann eigene zusammen zu basteln.“ Na, er scheint ja schon alles geplant zu haben. Gleich darauf steht er auf, drückt irgendetwas an seinem Knie und seine Boots erscheinen wie aus dem Nichts. Er sagt nicht mehr, geht nur, fährt nur. Wo er so schnell wohl hin will? Ich blicke zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten auf meine Uhr. Der Schleier vor meinen Augen versperrt eine genaue Deutung der Zahlen aber eins steht fest: es ist Zeit für Schule. Ich glaube, ich war noch nie so zeitig da. Alle anderen warten noch vor dem geschlossenen Tor. Als ich mich auf die andere Straßenseite umblicke, sieht das bei der Privatschule natürlich genau anders aus. Die Schüler dürfen sofort hinein, ohne verschlossenes Tor und Gedränge vieler, vieler Menschen. Die beiden Jungs wollen auch gerade hinein gehen, als die viel zu müden, trägen Blicke des älteren, größeren von Beiden, auf die unsere Straßenseite fällt. Er hebt ziemlich vorsichtig seine Hand und winkt leicht. Sein kleiner Bruder schaut da lieber weg, hält sich leidend eine Hand vor sein Gesicht und schüttelt mit seinem Kopf. Kaum später schubst er seinen Bruder einfach in Richtung Straße. Also kommen sie mal wieder rüber, ich meine Beide. Ich bin mir nicht sicher wie ernst es Third mit meiner besten Freundin meint aber er muss ja ein gewisses Interesse an ihr haben, ansonsten würde er doch nicht immer mitkommen. Hoffentlich ist sein Interesse nicht negativ zu beurteilen. Wie immer, wenn er hier rüber kommt, tätschelt mir der Ältere den Kopf, als wäre ich ein … ein Kätzchen! „Hmmm?“, seine Blicke gehen zu seinem Bruder, „Ist das Beastly?“ Er ist genauso verwirrt wie ich, sieht aber seinem Bruder zuliebe nochmal nach: „Ja. Wieso?“ „Du siehst schlimmer aus als ich. Wieso?“ Verschmitzt lächelnd lehnt sich der Blondschopf über die Schulter seines Älteren. „Du bekommst aber echt viel mit, hmmm Cec?“, grinst er diesem offen zu. Er wird leicht rot und sieht halb dabei einschlafend lieber weg. Seine Hand hat er wieder von mir genommen. Lachend muss der Jüngere seinem Bruder aber doch zustimmen, als er mich betrachtet. Na ja, die Nacht war eben vorbei noch bevor sie angefangen hatte. Kayli lässt es sich natürlich nicht entgehen sich durch die Masse hindurch zu schlagen und ihren Favoriten zu begrüßen. Je länger die Beiden reden und immer wieder Anspielungen machen, desto skeptischer werde ich. Ich nehme mir Sleepy etwas zur Seite. Natürlich erblicken das auch die zwei Anderen und geben irgendwelche unsinnigen Sprüche von sich. „Ist etwas?“, hakt der vor mir nach und setzt sich auf die Bank. „Ich … also … nichts gegen deinen Bruder aber … meint er das ernst? Ich weiß, ich kenne ihn nicht aber Kayli ist meine beste Freundin hier und so gesehen eigentlich meine einzige.“ Er wirkt sehr beleidigt, sagt nichts dazu. Er antwortet mir auch nicht auf meine Frage. „T-Tut mir leid, wenn dich das beleidigt hat. Ich wollte dich nicht …“ Kindlich fragt er nach: „Sind wir denn keine Freunde?“ Unverständliches Gemurmel gebe ich von mir. Ich weiß nicht. Hat er deswegen etwa nicht geantwortet? Bevor ich mehr darüber nachdenke, spricht er einfach dazwischen und legt fest: „Dann sind wir es eben ab jetzt und nein, Crown meint das nicht ernst. Er meint nie etwas ernst aber … er meint das auch nicht böse. SANS … also der Kurzname unseres First … er ist der einzige mit fester Beziehung. Wir leben gefährlich … und du hoffentlich auch bald.“, klingt seine letzte Aussage böser als sie gemeint war. Er lenkt ständig auf dieses Thema um, gibt einfach nicht auf, egal wie müde er ist. Diesmal muss ich sogar darüber schmunzeln. Wenn … Wenn ich das Versprechen wirklich mal außer Acht lassen würde, meinem Egoismus mal wieder Vorrang gebe, dann – dann stimmt es wohl. „Sage mal … wenn ich wirklich … also … könnten wir dann noch befreundet sein?“ Einer seiner seltenen Momente. Er wird hellwach, versucht seine Augen nicht zu verrückt zu weiten, um keinem, der an uns vorbei läuft, Angst zu bereiten. „Du meinst die Regeln. Nein, offiziell nicht aber … wir sind bestimmt nicht die erste Generation, die Kontakte untereinander hat. Wir haben es ja auch nicht darauf angelegt, es war eher zufällig. Sprich mal Klartext. Wenn du wirklich was?“ Nervös nehme ich eine Hand hinter meinen Kopf und versuche irgendwie drum herum zu reden. Die Entscheidung fällt nicht so leicht. Ich wollte doch nicht mehr so egoistisch sein und nur an mich denken … „Ich … weiß noch nicht.“ „Noch? Brauchst du mehr Gründe als zu wissen, dass jeder dein Talent sieht. Außerdem … hattest du bei deinem ersten Auftritt sogar Spaß, auch wenn nur kurz aber es war ehrlich. Stimm' endlich zu. Seroll kümmert sich so lange darum, bis du allein laufen kannst.“ „Allein laufen?“, verwirrt mich seine Formulierung. Er gibt mir keine Antwort mehr darauf. Sein Bruder mischt sich dann auch noch mit ein. „Nun komm schon, lass dich nicht wochenlang anbetteln. Das ist das wirklich egoistische! Und lass Cecel in Frieden. Er pennt nur wieder den ganzen Unterricht, bleibt wieder sitzen und kassiert noch mehr hate von den Anderen. Na los Bruderherz, wir müssen langsam mal.“ Doch der schläft schon wieder halb ein. Sein jüngerer Bruder legt einen seiner Arme über seine Schulter und hilft ihm, bis er wieder ein wenig Ansprechbar ist. Erst kurz vor dem Eingang ihrer eigenen Schule kann er wieder allein gehen. Wir dürfen nun auch endlich in die Schule. In Gedanken vertieft bekomme ich gar nicht mit, wie Kayli mit mir spricht. Sleepy, Cecel … er ist nicht beliebt, das war mir ja schon klar aber … welchen Grund gibt es denn jemanden zu hassen, der nichts tut? Die Lehrer hassen ihn, das kann ich gut nachvollziehen aber … Er tut mir irgendwie leid. Er kann bestimmt nichts dafür, dass er den ganze Tag schläft. Wo mir dann aber wieder die Worte seines kleinen Bruders in den Sinn kommen, ist Cec in den Hintergrund gerückt. Ist es wirklich egoistisch von mir, ihnen immer wieder nein zu sagen? Es fällt so schwer die richtige Entscheidung zu treffen … wobei … nein … Kopfschüttelnd wird mir dieses ganze nachdenken langsam auch zu viel. Ich will daraus aufwachen und alle Zweifel vergessen. Zielgerichtet lenken mich meine Beine Richtung Schule, doch irgendetwas erscheint mir komisch. Da war wieder jemand, jemand, der uns zugesehen und zugehört hat. Ich kenne diese Person nicht. Er sieht aus wie ein Streber, eine richtige Petze eben. Das alles nur aus einem Moment zu lesen ist nicht ganz einfach. Ich kann mich also auch irren. Ich merke, wie er uns folgt. Natürlich will er in die Schule, wie alle anderen um uns herum auch aber … es ist, als würde er mir folgen – wie ein Schatten. Vor meinen Augen tut sich ruckartig ein genau solcher Schatten auf. Ich schrecke zurück und starre mit pochendem Herzen nach vorn. „HAAAALLOOOO! Noch anwesend? Hast du mir überhaupt zugehört? Miki, was stimmt heute nur wieder nicht mit dir?!“ „T-Tut mir leid Kayli. Das ist nicht mit Absicht, ehrlich nicht.“ Frustriert atmet sie durch und lässt für eine Sekunde ihren Kopf hängen. Danach fragt sie mich, wie ich Crown finden würde. Erst reagiere ich genervt aber sie hat nicht wirklich nach dem 'mir' gefragt, sie wollte wissen, ob die Beiden zusammen passen würden. Ich würde ihr ja gerne sagen, dass er viel zu alt für sie ist aber wenn ich ehrlich bin, kenne ich sein Alter ja gar nicht und egal wäre ihr das auch. Ich schaffe es aber auch nicht ihre Seifenblase platzen zu lassen. Also halte ich mich ziemlich kurz: „Tja, wer weiß …“ Sie mag diese Art nicht wirklich an mir, dadurch wird sie selbst auch immer zum Kleinkind und fordert immer und immer wieder eine Antwort. Ich sage ihr nicht mehr. Ich will sie nicht verletzen müssen aber auch keinen Ärger bekommen, wenn ich ihr sage, sie passen und es am Ende nicht klappt. Außerdem … ist da ja noch ihr Vater. Wenn er wüsste, dass Kayli mit einem 'Kriminellen' zusammen wäre … das würde er nie zulassen. Mal davon abgesehen, dass sie eh nichts darüber erfahren dürfte. Den ganzen Unterricht über bekomme ich keine klaren Gedanken. Alles führt mich nur im Kreis, endet in einer Sackgasse oder lässt mich zwischen zwei Stühlen stehen. Ich kann Kayli nicht helfen, werde Sally zutiefst verletzen und wahrscheinlich nicht mal gut in dem sein, was ich demnächst tun soll. Wenn ich könnte, würde ich einfach im Erdboden versinken und da nie mehr wieder hervor kommen. Da unten kann nichts passieren … na ja, außer dass vielleicht Control-Freak aus der Hölle auftauchen würde. Die Stunden vergehen und je länger wir sitzen, je länger ich nachdenke, desto mehr sinkt mein Kopf auf den Tisch. Ich weiß nicht ab wann aber in irgendeiner Stunde wurde mein Kopf dann endlich leer … leer genug, um wieder diesen violetten Nebel vor mir zu sehen. Ich dachte, das wäre damals nur eine Illusion gewesen, die durch die zermürbenden Schmerzen aufgetreten wäre aber … es taucht wieder auf, ich stehe wieder mitten drinnen. Es gibt nichts außer diesem Nebel und einer Stimme. Ich kann hören, wie sie wispert, wie sie alle wispern. Es sind mehrere. Sie unterhalten sich weit entfernt von mir, diskutieren. Es wirkt so aufgescheucht, nervös und irgendwie auch verängstigt. In manchen Momenten glaube ich, sie würden lauter werden und ich könnte endlich etwas verstehen, doch kein vernünftiges Wort reiht sich zusammen. Was ist das nur für eine Welt? … Hat das etwas mit diesen Nervensträngen zu tun? Mit den Gen's? … Was reden sie da? Bin ich – bin ich überhaupt hier? Nein, ich schlafe doch eigentlich … ich schlafe … aber es fühlt sich … so real an.
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