Alle sind für einen Moment ruhig. H-Harmony wäre auch fast auf meinen Zeichenblock getreten, hätte ich ihn nicht weggenommen, und ist dann vom Tisch gesprungen. Er zeigt wirklich vor nichts Scheu und macht niemals Halt. Ich kenne keinen, der einfach über den Tisch laufen würde, um von hier weg zu kommen. Vielleicht war das auch einfach die einfachste Methode, ohne jemanden dabei zu verletzen.
Na ja, ich kann nur froh sein, dass er in dem Moment nicht meine Zeichnungen gesehen hat. Er wäre sicher sauer geworden und hätte sie wieder zerrissen. O je, hoffentlich sieht es auch kein Anderer hier aber warum fallen mir die besten Dinge auch gerade hier ein? „Naaaaach, da haut der doch echt schon wieder ab! Dass der sich auch immer so aufspielen muss! Kann der nicht einmal sitzen bleiben und was Essen, was Trinken und dann ohne Proteste weiter gehen?“, beschwert sich Rosalia, welche neben mir sitzt und ganz aufgeregt mit ihren Armen gestikuliert. „Du verstehst Harm echt nicht. Lass ihn doch machen.“, murmelt Armin ihr vertieft entgegen. Ich habe das Gefühl, sobald der Name seines beste Freundes auftaucht, hat er immer etwas zu sagen und das trotz seiner Spiele. Harmony's Name erklingt - Armin widerspricht standardmäßig. Ein schmales Grinsen meinerseits lässt sich nicht vermeiden. Ich tauche mit meinem Grinsen tiefer in meinen Zeichenblock ab, als ich Lysander's prüfende Blicke bemerke. Er lächelt so sanft und aufmerksam wie immer. Es beruhigt mich ab und an. Die Diskussion - Mädchen gegen Armin - hält weiter an, bis Armin einfach nichts mehr sagt und die Mädchen sich immer weiter aufreizen an den Beschwerden der anderen Mädchen. Es klingt wirklich fast so, als würden sie ihn hassen, dabei – dabei weiß ich doch, dass sie das nicht tun. Sie wissen, n-nein wir wissen doch, dass er sich Mühe gibt normal zu sein. Manchmal habe ich nur das Gefühl, die Anderen würden es vergessen. In all meinen Überlegungen vergesse ich dann aber auch etwas - nämlich die Realität im Auge zu behalten. Geistig wieder aufwachend, fehlt da wer auf der Bank gegenüber. Nicht Harmony. Nicht Alexy. „Hmmmhmm, so was zeichnest du also?“, ertönt die eben noch fehlende Stimme direkt hinter mir. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Ich fahre scharf zusammen, wage es nicht nach hinten zu sehen, doch klappe das Heft sofort zu. O nein, bitte, bitte, bitte nicht. „A-A-A-A-A- …“ „Verschluck' dich nicht, meinen Namen kenne ich auch so schon. Zeige doch nochmal her!“, fordert Armin mich verwundert und zugleich neugierig auf. Lysander hat sich dem abgewendet. Neugierde ist wirklich nicht sein Ding und das ist auch gut so. Er schaut nie in meine Hefte, selbst wenn sie offen da liegen. Lys kann man einfach vertrauen. Mich wieder mehr auf Armin konzentrierend, welcher sich auf den Platz neben mich gleiten lässt, anstatt weiter hinter mir auf der Lehne zu lehnen, wartet auf die Preisgabe der Zeichnungen. Mir ist das so peinlich. Es – Es ist ja schön, wenn er sich dafür interessiert a-aber … o nein, ich darf gar nicht erst daran denken, was er davon halten wird. Sprachlos, reglos sitze ich neben ihm. Den Zwilling veranlasst das dazu mich des Heftes zu entledigen, selbst hinein zu schauen. Aufwachend, werde ich hochrot, verschließe mich vor der Realität, doch das wirkt diesmal nicht. Die Röte bleibt in meinem Gesicht. Das ist sooooooo peinlich. Er blättert die vielen Seiten durch, eine nach der anderen, sieht die vielen skizzierten Mädchen darin. „Unschwer zu erkennen, dass das Alexy und Harmony sind a-aber warum? Reicht es nicht, wenn sie schon als Jungs miteinander rummachen? Willst du sie auch noch als Mädchen so sehen? Ich meine, so innig und willig, wie auf deinen Bildern? Oh … ähm … huch …“, findet er nicht mal mehr Worte für die Seite, die er eben offen hat. Mir platzt gleich der Kopf, wenn er sich das Bild weiter anschaut. Jaaaah ok, ich durfte Harm und Alexy doch als Mädchen zeichnen und da – da bin ich eben etwas vom Thema abgekommen. Gerade das Bild ist soooooo extrem geworden. Sie haben große, viel zu große Oberweiten, reiben diese aneinander und – und – und haben trotzdem noch ihre eigenen … na ja … sie sind halt trotzdem noch Jungs und – und spielen aneinander rum und – und sabbern, stöhnen, haben den Mund weit offen. „I-Interessant …“, murmelt er entsetzt, unsicher. NEEEEEEEEEEIIINNN! Ich gehe kaputt. Immerhin blättert er endlich mal weiter, als ihm nichts dazu einfällt. „Ahhh, unsere Mädchen also auch, jah? Scheint ja 'n richtiger Fetisch von dir zu sein, hmm? Misa x Rosa, Kim x Iris, Melody x … oha, weiblichen Nath, ehrlich?“ Ich will gar nicht wissen, was Lysander jetzt von mir denkt. Sagt mir bitte wer, dass er gar nicht gehört hat, was Armin da ausgesprochen hat. W-Warte mal … Mein Blick hebt sich. Meine Röte schwindet. Es – Es stimmt, wirklich keiner hat zugehört und somit bemerkt, was ich da zusammen skizziere. „Die sehen doch Klasse aus, mal von deiner Motivwahl abgesehen, Vio. Warum zeigst du nicht öfter, was du so zeichnest?“, hinterfragt Armin und denkt wohl ernsthaft darüber nach. In dem Moment fällt mir mit einem Schlag wieder ein, was Harmony mir vor ein paar Wochen sagte. Er hat wohl recht. So wie es jetzt ist, so kann das nichts werden. Ich erzeuge wirklich überhaupt gar keine Aufmerksamkeit, so wirklich gar keine. Mit stark pochendem Herzen, welches ich bis in jeden einzelnen Finger spüre und am aller deutlichsten den Hals hinauf, stehe ich auf, nehme Armin den Block ab und halte in einer Linie auf die beiden Jungs zu. Ich weiß, ich störe sie wohl gerade, so sehr wie sie sich eben wieder beißen. Ich sehe auch gerade noch so aus einem Augenwinkel, dass sie wieder rauchen. Ich hoffe nur, dass das ihr Urteilsvermögen nicht mindert. Den Block wieder aufklappend, lege ich ihnen meine Zeichnungen vor, ein paar der letzten Seiten, wo sie keine Mädchen mehr sind. Sie halten beide inne. Alexy sieht seinen Freund fragend an und wird mit jeder dazugelegten Zeichnung mehr und mehr rot im Gesicht. Harmony setzt sich von der Wand auf, sieht sich ebenfalls alle Zeichnungen an und … und … und fängt lauthals an darüber zu lachen. W-Was? Wieso? Ich weiß ja, dass die Zeichnungen nicht jugendfrei sind und auch nicht perfekt a-aber … Meine vorherige Nervosität kehrt zurück. Das eben war nur so eine Kurzschlussreaktion. Wie konnte ich nur so weit gehen ihnen das zeigen zu wollen?! Ich klappe das Heft also wieder zu, so dass sie keine der Bilder mehr sehen können, habe einen glühenden Kopf und fixiere den Boden unter meinen Füßen. Harmony jedoch beruhigt sich nach den ersten Blicken, nimmt Alexy wieder an sich und entspannt sich wieder. Auf die Bank ihnen gegenüber setze ich mich ganz an den Rand. Wer weiß, vielleicht darf ich auch gar nicht hier bleiben. Vielleicht wollen sie, dass ich wieder gehe. „Setz dich Biatch. Rück' durch.“, nennt er mich wieder so komisch. Ein schmales Grinsen rutscht über mein Gesicht. Irgendwie klingt es ja lustig, wenn er das sagt. Ich blicke den Punker von unten an und rutsche dann wie befohlen durch, bis ich ihm direkt gegenüber sitze. Er wirkt plötzlich noch ruhiger und entspannter als zuvor schon, als er sich wieder zurücklehnte. Alexy hat sich zu seinem Freund gedreht, lehnt nicht mehr mit dem Rücke gegen ihn, sondern hängt sich mit beiden Armen um ihn und vergräbt seinen Kopf an dessen Hals. Harm hält ihn fest, so völlig selbstverständlich, ohne Murren und Meckern. Er fixiert sich wohl mehr auf die Worte, die er mir selten ruhig entgegen hält: „Du hast's also endlich kapiert, ja? Super aber duuu?! Wenn du uns schon in solchen Szenen zeichnest, dann merke dir, dass meiner wirklich WESENTLICH größer ist!!!“ Lex zuckt zusammen, sieht fragend auf: „A-Ach echt? Wirklich?“ Er wirkt so ahnungslos bei dieser Frage. Wir wissen ja inzwischen, dass er es wirklich nicht weiß aber ohne dieses Wissen könnte man seine Frage absolut falsch verstehen. Ein leises Kichern entflieht mir, welches immer lauter und ungehaltener wird und ich schäme mich zur Abwechslung mal nicht, dass ich über so etwas lachen muss. Es tut gut … es tut wirklich unendlich gut, endlich mal wieder so offen lachen zu können und das Beste daran – keiner von Beiden nimmt es mir übel. „Leeeex! Hätte man das nicht etwas anders ausrücken können?!“, beschwert sich Harm darüber, was Alexy nur noch ahnungsloser blicken lässt. Der Ältere schmunzelt auch über seinen leicht dümmlich blickenden Freund, nimmt die Aussage einfach so hin und presst Alexy's Kopf wieder auf sich. Die Streitereien der Mädchen sind hier wirklich überhaupt nicht mehr zu hören. Alle anderen Gäste sind nun schon weg. Die Mittagszeit ist vorbei. Ich lehne mich auch etwas zurück, lege meinen Kopf auf die Polster und blicke an die Decke. So herzhaft gelacht habe ich noch nie und auch so ruhig wie ich jetzt bin, habe ich mich noch nie gefühlt. Irgendwie … ist mir nun endlich völlig klar, was ich zu tun habe. Ich will die Menschen mit keiner Kunst erreichen, Gefühle in ihnen wecken, auch wenn es nur ein herzhaftes Lachen ist aber dafür … dafür muss ich mich noch so viel mehr anstrengen. Das bisschen mehr Reden, mehr mit den Anderen machen, reicht nicht aus. Ich muss Aufmerksamkeit erregen und ich will es auch. Das Zeichnen ist mir absolut wichtig!
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