Sowie sie … er komplett verschwunden ist und auch seine Schritte verstummt sind, erklingen auch schon die nächsten. Ich kann sofort heraus hören, wer es sein muss aber … ich kann mich nach wie vor nicht regen. Erst schon vor der Turnhalle dieses Geständnis und nun …
„Was war das denn eben? War da eben wer?“ Sogar Kagami's Worte holen mich nicht aus meinen Gedanken. Sie stoßen mich nur noch viel mehr hinein. Wieso? Wieso macht sich jemand Sorgen um mich, der selber kein Stück Beachtung findet? Wieso ist so jemand Fan von mir? Wieso steckt er so viel Mut hinein mir DAS alles zu sagen und schafft es nicht ins Team aufgenommen zu werden? Er – Er ist ängstlich und zurückhaltend aber … trotzdem irgendwie mutig. Ich kann in keinem Weg nachvollziehen, wie er sich jemanden wie mich raus suchen konnte. Warum nicht jemanden wie Kagami? Ich bin nicht anders, vielleicht etwas aber nicht genug, um mich als Vorbild sehen zu können. Das Schnippen vor meinen Augen wird immer lauter und lauter. Mit der Zeit ist es nur noch schwer zu ignorieren und ich wache endlich aus meinen Gedanken auf. Kagami hat die ganze Zeit in zwei weit geöffnete Augen, zitternde Augen vor Schock und Entsetzen, geschaut. Mein Blick beruhigt sich als ich den Rotschopf vor mir erblicke, von dem ich eigentlich schon wusste, dass er es wäre. Trotzdem beruhigend … irgendwie. „KU-RO-KOOO! Wieder anwesend?“ Zwinkernd nicke ich einfach. „Ist irgendetwas?“, hinterfragt er, doch ich weise ihn mit einem: „Nein, nichts.“ ab. Er lässt sich nur schwer davon überzeugen und wird eindringlicher: „Verrätst du mir nun, was du hier machst? Spielst du alleine? Was ist mit deinem Training oder soll das dein Training sein? Dafür stehst aber ziemlich viel rum.“ Seine Provokationen wirken nicht, sie prallen geradezu an mir ab. Ich will nur eins von ihm wissen: „Du Kagami? Weißt du, wie viele Spieler in diesem Jahr dazu gekommen sind?“ Verwundert zieht er eine Augenbraue hoch und seine Antwort auf meine Frage war fast genauso klar, wie wenn ich sie nicht gestellt hätte: „Was? Wieso fragst du? Woher soll ich so etwas denn wissen?!“ „Ah, nicht so wichtig.“, wird meine Stimme aus irgendeinem Grund leiser, fast schon … geknickt. Kagami läuft nach hinten zum Platz. Erst frage ich mich noch warum, als mir der letzte Schlag von ihr … ihm wieder einfällt. Kagami holt nur den Ball, welcher am Gitter abgeprallt ist. Der größere von uns Beiden starrt den Ball an und versucht mich nochmal zu provozieren: „Hääh? Was soll das Kuroko?! Frage mich nicht so einen Unsinn, wenn es eh keinen interessiert!!! Und nun – nun wirst du deinen Trainingsrückstand nachholen!“ ' … wenn es eh keinen interessiert …' - auch wenn Kagami das unbeabsichtigt gesagt hat, in mir reißt irgendetwas auf. Nicht mal ich muss mit solchen Worten leben. Die Worte des verdeckten Mädchens als zu klein geratener Junge ergeben immer mehr Sinn. „Es ist gut so wie es ist.“ Ein Schutzmechanismus. Wenn man sich das nur oft genug vorsagt, ob in Gedanken oder real, … dann fängt man es irgendwann nicht nur einfach an zu akzeptieren, sondern auch zu glauben! Ich komme um das Spiel nicht drum herum, will es auch nicht wirklich. Er hat ja recht, ich habe so gesehen nicht trainiert und bin lieber Jemandem entgegen gelaufen, mit dem man eh nicht richtig sprechen kann. Meine Chancen bei diesem Spiel gegen ihn liegen reichlich schlecht und doch kann ich meine Ballabnahme trainieren. Es ist wichtig, dass ich jeden damit täuschen kann, wann immer es nötig ist. Am Ende stehen wir Beide keuchend am jeweils anderen Ende, schwitzen und müssen tief, tief Luft holen. Wir haben eine Stunde auf dem Platz trainiert. Meinen Rückstand holt das damit nicht auf aber es ist besser als nichts. „Man, man, man … heute bist du besonders gut drauf, hmm?“ Ich sehe in meine offene Handfläche, welche während des Spiels immer weiter rot angelaufen ist. Stimmt das? Habe ich mehr gegeben? Warum sollte ich denn? Heute ist doch fast nichts passiert … außer das Spiel gegen die Kaijô und somit gegen Kise Ryôta … Ein paar Tage später, als der reguläre Sportunterricht stattfindet und alle nicht Sportclub-Mitgliedern genau diesem nachgehen, stehen wir als Team in der Halle und trainieren für das nächste Basketballspiel. Jeder Sportclub hat die Berechtigung darauf. Wir sind aber die Einzigen, die in der Turnhalle trainieren. Tennis auf dem Tennisplatz. Schwimmer auf den Bahnen. Fußballer draußen auf dem Feld. Jeder hat einen Ort zum trainieren. Die die übrig bleiben bekommen Aufgaben. Sie müssen meist Ausdauerläufe machen oder sich den jeweiligen Spielen anpassen, auch wenn sie nicht im Club sind. So wie wir auf dem Spielfeld stehen und Erstklässler gegen die aus dem dritten Jahrgang spielen müssen, fällt mir immer mehr ein, was sogar ICH die letzten Tage völlig verdrängt habe. Das Spiel über ist es mir fast nicht möglich mich zu konzentrieren. Immer wieder verpatze ich die Pässe und Aida glaubt schon langsam, dass meine Form nachlässt. Bis zur ersten Pause nehme ich mir vor, mich wieder besser zu konzentrieren. Es hält an, bis die kleine Trillerpfeife unserer Trainerin ertönt. In mir schreit etwas auf, nur mein Körper bewegt sich langsam die Hintertür hinauf. Fluchend über mich selber, so wie ich es sonst nie tun würde und auch fast nie das Verlangen danach habe, kann ich es diesmal nicht unterdrücken. „Scheiße! Scheiße, scheiße, scheiße!!!“ In die kleinen Gitter des Zaunes vergriffen, beiße ich meine Zähne zusammen. Wie konnte ich es vergessen? Wie konnte ich vergessen, mit wem ich mich letztens noch unterhalten habe? Wo ist er denn? Wo ist er nur? Er müsste doch – Er müsste doch auf der Bank unseres Teams sitzen aber – aber da saß keiner. Auch während der Trainingseinheiten jeden Nachmittag hatte ich es so verdrängt. Mir den Schweiß und die üblen Vorwürfe aus dem Gesicht wischend, reißt es meine Aufmerksamkeit nach ganz unten. Ja, die Turnhalle befindet sich auf selbiger Höhe wie die Schule und auch die Bahnen der Schwimmer sind hier oben. Man kann hören wie sie durch das Wasser gleiten, eintauchen und ihre Coaches sie trainieren. Unten jedoch ist der große freie Sportplatz. In der Mitte spielen die Fußballer und am Rand die Tennis- und Volleyball-Clubs. Mich jedoch zieht die Rennbahn in den Bann. Eine völlig logische Schlussfolgerung: Wenn er nicht hier oben sitzt, dann muss er da unten sein und ja … es stimmt. Wenn man es weiß, erkennt man so leicht diese Jacke wieder. Eine ganz einfache, graue Jacke mit einem genauso grauen Fellrand. Er verdeckt ihre Augen nur noch mehr. Selbst bei der Hitze, im heißesten Sommer und dem ständigen auf und ab gelaufe der Bahn trägt er sie noch. Irgendwie … irgendwie freut es mich zu sehen, dass es ihm gut genug geht, um laufen zu können. Ich habe ihn genauso vergessen wie alle anderen. Ich bin kein Stück besser und trotzdem hatte er mich als Vorbild bezeichnet. Nach dem was in dieser Nacht als letztes getan und gesagt worden war, wundert es mich nicht, dass er nicht mehr auf der Zuschauertribüne sitzt und uns zuschaut. Warte … WAS? Wie komme ich darauf – Woher weiß ich denn, dass er immer auf der Bank saß? Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern überhaupt mal zu den niedrigen Bänken geschaut zu haben und noch weniger, da wenigstens irgendeine Existenz wahrgenommen zu haben. Etwa unterbewusst? Je länger ich nach unten schaue, ihm zusehe wie er seine Strecke läuft, desto mehr nimmt er an Tempo ab. Von der Entfernung aus ist schwer zu erraten woran das liegt aber als er irgendwann stehen bleibt und sogar auf seine Knie geht, bekomme ich wieder Zweifel. Irgendwie … habe ich nicht das Gefühl, dass es an den Runden, der Hitze oder seiner Jacke läge. Dann kann es ja eigentlich fast nur noch … o je, sogar aus der Entfernung? Kann er wohl meine Blicke spüren? Mir wird erst so richtig bewusst, wie sehr ich nach unten starre, als ich mich zum ersten Mal von ihm löse. Wie lange stehe ich schon hier draußen? Er ist eine ganze Runde gerannt und nun halb zusammen gebrochen. Würde es etwas bringen, einem Lehrer Bescheid zu geben? Würden sie nicht eher zweifeln, ob überhaupt jemand auf der Bahn da unten wäre? Hinter mir geht die große, schwere Eisentür auf und prallt gegen die Hauswand der Turnhalle. Vom Gitter vor mir kann ich meine Hände kaum lösen. Er findet mich auch nicht sofort, schaut sich suchend um, bis seine Worte erklingen: „Ahh, Kuroko. Die Trainerin sucht dich schon. Wir dachten, wir hätten dich mal wieder übersehen … ähm … hmmmm?“ Irritiert kommt er näher und wedelt mal wieder mit seiner Hand vor meinem Gesicht. Ruhig drehe ich meinen Kopf zu ihm, doch meine Hände halten weiter am Gitter fest. „Ich komme.“, bestätige ich ihm knapp. Es reicht ihm aus und er geht. Er ist schon wieder halb weg, als er doch bemerkt, dass ich ihm nicht sofort folge. Ich kann aber nichts dafür. Meine Beine fesseln mich hier. Ich will nur einfach wissen, was los ist. Kagami dreht nochmal um, stellt sich diesmal länger neben mich und versucht zu erraten, was ich da beobachte. „Sage bloß du willst dich lieber in Fußball probieren?“, versucht er sich darüber zu belustigen aber irgendwo, auf seine Weise eben, steckt da auch ein bisschen Sorge dahinter. Mein Ton wird unweigerlich ernster: „Kagami?“ Sein Interesse scheint ja schon irgendwo geweckt zu sein. Das Einzige, was er vom Zaun lösen kann, sind seine Blicke, welche sich in meine Richtung wenden. „Fällt dir da unten nicht irgendetwas auf?“, muss ich wissen. Ich – Ich will wohl irgendwie nur mein eigenes Gewissen beruhigen ihn genauso vergessen zu haben, wie alle anderen auch. Der Rotschopf sieht sich um, antwortet aber lediglich: „Hmmmmmm, nein, eigentlich nicht. Die Mädchen aus dem ersten fehlen aber die sind ja heute alle schwimmen.“ Ja stimmt ja, ganz vergessen. Wenn Tests anstehen gibt es diese Tage, an denen alle Mädchen oder alle Jungs aus einer Jahrgangsstufe zum Pool müssen. Das gleiche gilt natürlich auch für alle anderen Sportarten. Heute ist also schwimmen dran? Aber warum – warum ist sie dann nicht dabei? Er … sieht sie nicht … kein Stück … „Na komm. Wenn du nichts für Fußball übrig hast, dann beeile dich. Aida kann ziemlich sauer werden.“ Selbst mit dieser dringenden Aufforderung fällt es mir schwer. Inzwischen hat der angebliche Junge mit der Jacke eine Pause gemacht und etwas getrunken. Er starrt hinauf, genauso wie ich zu ihm hinab starre. Unsere Blicke haben sich unweigerlich getroffen und mir war noch deutlicher klar als vorher, dass er meine Anwesenheit spüren konnte. Ich kann nicht mehr länger warten, meine Pause nicht noch länger ziehen aber wenn ich jetzt gehe, habe ich ein komisches Gefühl irgendetwas wichtiges verpassen zu können. Er steht ja inzwischen einfach nur auf der 100-Meter-Bahn. Er wird sie laufen, das ist der logische Schluss daraus. Er scheint auf irgendetwas zu warten. „KU-RO-KOOO!“, wird mein Klassenkamerad immer genervter. Ich muss gehen, ob ich will oder nicht. Aus dem letzten Augenwinkel kann ich wahrnehmen, wie sich eine Silhouette bewegt. Ich weiß nicht, worauf er gewartet hat, ob er wollte, dass ich wegsehe oder irgendetwas anderes aber … Ein letztes Mal muss ich hinsehen, schon fast wieder in der Turnhalle drinnen. An dem Ort, an dem er eben noch stand, ist nun keiner mehr aber ich sehe auch keinen auf der Strecke. Ich … kann ihn nirgends entdecken. Die Frage ist also: Wo ist er hin? Soll das meine Irreführung sein? Ist es möglich, dass er auch das kann? Mein Herz pocht so stark. Was will es mir damit nur sagen? Diese eine Sekunde – Diese eine Sekunde, die ich nicht hinsehen konnte: Was ist darin passiert? Ich weiß es nicht, komme auch zu keinem logischem Schluss. Ich habe nur das Gefühl, wie schon erst, dass ich etwas sehr, sehr wichtiges verpasst hätte. Am Ende ist mein Kopf so voll und so leer, dass eine einzige Frage übrig bleibt: Wer ist er, dieser 'Kapuzenjunge'?
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