Neue Stadt, neuer Anfang, neues Glück. schreibe ich zum nun 12. mal in mein neues Tagebuch und in einen der unzähligen Briefe. Ja, wirklich, zum zwölften Mal! Diesmal kann es nur besser werden. Niemand weiß wo ich bin oder wer. Das denke und schreibe ich auf, doch der Tag fing erst an und ich wusste ja nicht, was alles passieren würde …
Im Gegensatz zum Brief, erwähne ich in meinem Tagebuch wenigstens die Stadt, beziehungsweise den Namen meiner neuen Schule. „Sweet Amoris“ Als ich beides fertig verfasst habe, lege ich das Buch auf meinen Nachttisch und den Brief verpacke ich im Umschlag. Die Zeit des Schreibens benötige ich immer, um wach zu werden. Bevor ich mich für die Schule fertig mache, strecke ich mich bis meine Knochen knacken und gähne herzhaft. Im Bad kommen mir Erinnerungen von der letzten Stadt und der letzten Schule auf. Die Leute die ich da kennen lernen durfte – ich vermisse sie schon irgendwie. Zumindest so lang, bis vor meinem inneren Auge die kleine, grüne Brillenschlange auftauchte. Er ist furchtbar nervig. Meine Mundwinkel sinken sofort und ich kann mich aus meinen Gedanken lösen. Aus dem Bad zurück prüfe ich mein Aussehen noch einmal im Spiegel an meinem Kleiderschrank. Alles passt, genau so sollte es sitzen: die schwarze Leggins, die kurze Jeans, das leicht zerrissene Shirt und ja, sogar das Pflaster auf der Leggins hat seine Daseinsberechtigung. Man hört mich kaum die Stufen herunter in den Flur tapsen. Vor mir liegen zwei Zimmer frei, das Wohnzimmer, in welchem meine Eltern sitzen oder Die Küche, in der mein Frühstück liegt und der Ausgang nahe scheint. Genauso leise wie eben, tapse ich natürlich in die Küche, doch meine Mutter kennt mich zu gut. Sie Blickt zur Durchreiche, an der ich mich eben versuche vorbei zu stehlen. „NA! Wo wollen wir denn hin?“ hält sie mich mehr belustigt als böse auf. Ertappt muss ich nun ja nicht mehr leise sein. „Ich will zur Schule Mama.“ berichte ich ihr zuckersüß. So bekomme ich sie fast immer rum. „Hatten wir nicht gesagt, dass du diese Woche noch hier bleibst.“ Die Gesichtszüge der Frau wurden weicher. „Na los, dann gehe schon aber pass auf, dass nichts passiert.“ Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Sofort schlüpfe ich in meine Sneakers, schwinge mich auf mein Rad und strecke meinen Arm zur Verabschiedung in die Luft. Noch im selben Moment fällt mir auf, dass ich mein Cap noch gar nicht trage, welches mein zweites Paar Ohren verdecken soll. Bis zum Schulgebäude sind es nur etwa 3 Straßen, doch diese nutze ich voll aus, um die ersten Sonnenstrahlen zu genießen. Sie kribbeln auf meiner Nasenspitze. Vor dem Tor, lehne ich mein Rad gegen die Backsteinmauer. Staunend bleibe ich vor dem Gebäude stehen. Noch nie ging ich auf eine so große Schule. Mit der Zeit muss ich feststellen, dass keiner auf dem Hof ist. O je, gleich am ersten Tag zu spät. Hoffentlich gibt das keinen Ärger. Da ich eh erstmal zur Direktorin muss, lasse ich es einfach auf mich zu kommen. Die alte, rosige Frau mit bereits grauem Haaransatz, steht auch schon am Eingang. Sie wartet auf mich und mustert mich von oben bis unten. Das ist mir schon jetzt unangenehm. Da ich nicht viel von mir gab, riet sie mir erst einmal den Schülervertreter aufzusuchen. Sie gab mir einen kleinen Zettel, auf dem Sein Name stand. Nathaniel … Der Name … um mir Mut zu machen, denke ich an einen ganz anderen Namen, Sue! Ich weiß, das klingt komisch aber früher oder später erfahrt ihr schon was das soll. Ohne zu klopfen stürme ich förmlich hinein. Die Tür öffnet und schließt sich schnell, bewegen tue ich mich leise. Meine Blicke liegen auf dem Boden. Nur aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass da ein Junge am Tisch sitzt, welcher vollkommen in seine Arbeit vertieft ist. Ich warte, ich warte einfach bis er Zeit hat. Nach Minuten des Schweigens, muss er sich mal erheben um durchzuatmen. All diese Unterlagen erdrücken ihn fast. Endlich bemerkt er mich. „O … “ bringt er lediglich zustande. Diesmal ist es ein peinliches schweigen, welches zwischen uns herrscht. Er druckst wirr rum, bis er inne hält und tief durchatmet. Der Junge, welchen ich immer noch nicht ansehe, kommt von seinem Tisch hervor und versucht es noch einmal. „Hallo, suchst du etwas?“ Seine Stimme, sie ist so warm, weich und freundlich. Ich werde nervös, weil es mir so gut wie unbekannt ist so behandelt zu werden. „Also, ich … ich suche den Schülervertreter. Er heißt Nathaniel. Weißt du, wo er ist?“ Auf seine Lippen, welche ich gerade so erspähen kann, legt sich ein erleichtertes, bezaubernd freundliches Lächeln. „Ja, das bin ich. Du bist bestimmt die Neue. Misami, richtig?“ ich nicke stumm. Der Blondschopf wusste sofort, was er zu tun hatte. Er durchsucht den Stapel an Akten, welcher eben noch hinter ihm war. Er nahm sich meine Akte zur Hand und schaut nochmal drüber. Ein Foto, eine Seite vom Formular und etwas Geld fehlen. „Eine Seite? Ich habe doch alle ausgefüllt.“ gebe ich niedergeschlagen von mir. Er erklärt sich bereit, nochmal danach zu suchen. Damit kann ich mich abfinden, also lächle ich schwach, bedanke mich mit einem nicken und gehe. Mir fällt ein, dass der Junge Nathaniel ja eigentlich von meinen Ohren und allem weiß. Er wirkte so überrascht. Ob er wirklich davon wusste? Vielleicht sagte die Direktorin auch einfach nur Bescheid, dass jemand neues kommen würde, wer weiß. Sie war die Erste, die davon erfuhr. Als mir meine Mutter erklärte, sie habe es der alten Dame erzählt und der Schülervertreter müsse auch davon wissen, wurde ich fast rasend vor Wut. Naja … Mich aus meinen Gedanken befreiend, rufe ich innerlich wieder nach Sue. Ich sehe mich um und laufe los. Mir fehlen schließlich noch ein paar Sachen. Gleich nachdem ich aus der Tür bin und diese sich hinter mir schließt, laufe ich auch schon gegen jemanden. „Hey, platz da! Was glaubst du wer du bist!“ faucht eine weibliche Stimme mich an. In einem Aufschwung an Mut erhebe ich mich und zeige mit einem weit ausgestrecktem Finger auf das Mädchen. „Ich stand dir im Weg? Wer es glaubt. Du hast mich mit deinem breiten Hintern einfach um gerannt!“ Es kam mir vor, als würde eine Schlange meinen Weg kreuzen und genau so zischt sie ihre Drohung. „Das wirst du noch bereuen!“ Noch bevor ich antworten kann, zieht sie an mir vorüber. In genau dem Moment … – No. 1 - Doch mein Kopf war zu Voll. Voll mit Wut, um mir dessen bewusst zu sein. Geladen laufe ich einfach in die entgegensetzte Richtung. Bei meinem Glück und 'Verstand' verlaufe ich mich eh wieder, so wie ich mich kenne. Keine Minute später sehe ich mich um und frage mich, wo ich eigentlich bin. Ich kann von Glück sprechen mitten im Unterricht jemanden auf dem Gang vorzufinden. Glück? Ich und Glück? „H-Hallo. K-Kannst du mir vielleicht hier heraus helfen?“ frage ich ihn schüchtern. „Tut mir Leid, ich bin auch neu hier.“ Warum habe ich es nicht gleich von hinten erkannt. Schweigend versuche ich an ihm vorüber zu sehen. „Da bist du sprachlos, was? Ich habe auch die Schule gewechselt, weil ich in deiner Nähe bleiben wollte.“ freut sich der Junge mir gegenüber. Er grinst so breit er nur kann. Er erinnert mich an die Katze aus Alice im Wunderland. - No.2 - Das ist Ken. Er folgt mir jetzt schon durch die fünfte Schule. Er hat auch wirklich nie genug davon. Ich habe ihm wirklich nur ein einziges mal geholfen als er kein essen bei hatte, mehr war es doch gar nicht. Ich habe wirklich gehofft er würde mich endlich in Frieden lassen. Das mit dem Glück war also auch nur ein fail. Meine eh schon zu große Wut, wird jetzt noch größer. Er macht mich rasend! Mit all der Energie laufe ich stramm an ihm vorbei und finde nach Stunden des Suchens endlich den Ausgang. Doch allein bin ich dadurch auch nicht. „Gibt es hier denn nur Kerle!?“ mache ich meiner Wut murmelnd dampf. Der Rotschopf lehnt gegen die Wand, trinkt einen Schluck und hört laut Musik. Ich kann deutlich mithören. Er grinst mich abwertend, schelmisch an, antwortet jedoch nicht. Kurz höre ich der Melodie aus seinen Kopfhörern zu, dann ziehe ich weiter. Zu Hause suche ich mir nur zusammen was fehlt. So lange der Blonde nichts sagt, warte ich einfach ab. Als ich durch das Schultor stürze, falle ich, als hätte mir ein Stein im Weg gelegen, hin. Mit meinen Knien rutsche ich auf dem Boden entlang. Hastig stemme ich mich auf, in der Hoffnung der Rotschopf wäre weg oder hätte es nicht gesehen. Hoffnung? Na klar! spotte ich über mich. Sein breites grinsen kann man ja gar nicht übersehen. Die Röte vor Wut, wurde eben zur Röte aus Scham. Es ist so peinlich. Sofort wende ich meine Blicke wieder dem Boden zu. Obwohl es mich so sehr ärgert, beruhigt mich seine Reaktion. Ich kann es nicht mal erklären. Erleichtert, künstlich leicht grinsend, stehe ich auf und suche ein weiteres mal den Weg zum Vertreter. Als ich diesmal klopfen wollte, öffnet sie bereits jemand und rennt mich einfach um. Mit meinem Hintern zu erst lande ich auf dem Boden. Schmerzend verziehe ich mein Gesicht. Das scheint ihnen ja wirklich Spaß zu machen. „O, Verzeihung!“ bittet er mich, bevor er mich, beziehungsweise meine Knie erkennt. „Was ist denn passiert?“ spricht er des weiteren. Ohne mich antworten zu lassen, packt er meinen Oberarm und hilft mir auf. Eilig entreiße ich mich ihm, doch da stehe ich auch schon auf beiden Beinen. Das hätte ich auch allein geschafft!, beschwert sich mein inneres Ich. Doch damit nicht genug. Er bittet mich sofort herein und rückt mir einen der Stühle zurecht. Der Junge weist mich an mich zu setzen. Er holt einen kleinen Koffer mit Pflastern und allem. Behutsam säubert er die Wunden und desinfiziert sie. Es zieht ein wenig. So wie er seiner Arbeit hier nachgeht und sich um die Belange der anderen kümmert, erinnert er mich eher an einen Roboter. „Bist-Bist du immer so ernst?“ murmle ich zaghaft. „Ernst?“ spricht er es überrascht aus und blickt mich dabei kurz an. Zu guter Letzt legt er zwei Pflaster über die Wunden. Ich schweige. Blicke ihn unmissverständlich erschrocken an. Ein Glück sieht er es nicht. Wie konnte ich nur so dumm sein. Warum habe ich nicht von Anfang an hingesehen? - No.3 - Letztendlich sieht er erst wieder zu mir, als ich meine Gesichtszüge zügeln kann. „Vielleicht hast du ja Recht.“ führt er seine Gedanken fort. „Manchmal versteife ich mich wirklich etwas sehr auf meine Arbeit.“ „S-Sage ich ja.“ „Ich werde versuchen mich zu bessern.“ erklärt Nathaniel sich bereit. Er erzählt mir, dass er bisher noch nicht zum suchen kam aber er versprach zugleich, dass er mir Bescheid geben wird. Er riet mir mit ein paar Leuten zu sprechen aber er kennt mich, das mache ich eh nicht. Ohne ein Wort zu sagen verlasse ich sein 'Reich'. Im großen Flur entdecke ich sofort Amber und ihre Freundinnen. Ihr Gelächter … unbeschreiblich. Alles von erst kommt wieder in mir hoch. All die Wut. Mein Kopf läuft wieder rot an, ich spüre die Wärme aufsteigen. Ich brauche dringend frische Luft, so dringend wie schon lang nicht mehr. Energisch folge ich dem Weg zum Hof. Draußen atme ich tief durch, doch es bringt nichts. Auf und ab laufend, merke ich nicht, dass der Rotschopf von erst immer noch an der Mauer steht. Ich muss mich unbedingt abreagieren. Er sieht mir dabei belustigt zu, bis er nicht anders kann als anzufangen zu lachen. Es erschrickt mich, er tut das. Ich fahre zusammen, was ihn nur noch mehr zum lachen bringt. Das reicht mir. Ohne zu zögern drehe ich mich zu ihm um. „Idiot!“ betitle ich ihn hochrot. „Ebenfalls! Was willst du hier?“ fragt er mich kühl. Er will es eigentlich gar nicht so genau wissen, also fasse ich mich kurz. „Frische Luft schnappen!“ „Ich sehe. War wohl dringen nötig?“ belustigt er sich des weiteren. Als sich mit der Zeit meine Haut wieder in ein helles weiß begibt, bleibt noch immer eine stelle rot. „Was hast du angestellt?“ wirkt er interessierter als vorher. Erst als er es ausspricht spüre ich den stechenden Schmerz. Mit zwei Fingern fahre ich darüber. Blut. „Das war dieses dumme Huhn … ach egal.“ Wird mir die Frage unangenehm genug, um freiwillig wieder hinein zu gehen. Ich steure meinen Klassenraum an, doch dann meldet sich Nathaniel aus dem Raum gegenüber. „Hey Misami, tut mir leid aber ich kann deine Unterlagen nicht finden.“ Sofort bleibe ich stehen und schaue ihn leer an. Mir bleibt der Atem für einen Moment stehen. „Was? Was hast du da gesagt?!“ presse ich zwischen meinen Lippen hervor. Er jedoch fängt an zu lachen. „Hat dir der Witz gefallen?“ „Witz?! Du hast mich erschreckt!“ werde ich laut. Ich merke das es wieder passiert ist, Nathaniel natürlich auch. „Tut mir Leid, ich wollte dich nicht so erschrecken.“ Hält er sich kurz und verkriecht sich in seinem Zimmer. Dieser eine Satz war für heute zu viel. Er weiß ja nicht was bereits alles passiert ist. Wieder muss ich meine Gefühle unterdrücken. Ich folge ihm kurz darauf, denn ich will ja wissen ob es wahr ist. „O ähm … ja. Hier hast du es!“ wimmelt er mich mit meinem Formular ab und fährt mit seinen Arbeiten fort. Ich sage nichts. Als es zum letzten mal für heute klingelt, beeile ich mich zur Direktorin zu kommen. Meine Unterlagen stecke ich mit einer Büroklammer fest. Zufrieden nimmt sie alles an sich. Alle waren bereits weg. Aus dem Gebäude draußen stütze ich mich kurz an der Wand. Gleich am ersten Tag so ein durcheinander. Das ist mir zu viel. Meine Gefühle dringen nun alle auf einmal zum Vorschein und binden sich in ein paar kleinen Tränen. Sie tropfen meine Wange hinunter. Ich laufe einfach drauf los und die Tränen werden mit dem Wind davon getragen. Der Rotschopf sitzt immer noch auf der Mauer. Er sieht mich, wie ich schwach werde. Gerade als er sich von der Mauer erhebt, bin ich wieder weg. Er sieht lediglich etwas glitzern. „Dummkopf!“ klagt er über mich, zum Teil auch über sich. Noch im Gefühlsaufruhr verschließe ich den eben verfassten Brief und bringe ihn weg: Er hatte Angst, riesige Angst. Ich konnte es deutlich spüren. Er weiß mehr, er gehört zu denen, die mich bereits kennen. Und ich habe gehofft diesmal könnte es anders werden … wie dumm, wie unglaublich dumm von mir! Es wird niemals anders sein, niemals … Innerlich rufe ich erneut nach Sue …
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