An der Seite, zwischen Bordstein und Fußgängerweg stehend, beobachte ich die Menschen auf dem Weg. Sie waren alle älter als ich, was mich eigentlich nicht wunderte. Ein leichter Wind geht, welcher mein vergrabenes Haar ein wenig durchweht.
Zuerst fielen mir diese zwei Mädchen ins Auge. Eines davon zog der anderen am Arm. „Na komm schon, sonst sind wir zu spät da!“ forderte sie das langsame Mädchen auf. Eine Gruppe anderer Jugendlicher muss ihnen zugehört haben. Als die zwei los rannten, wurden auch diese schneller. Dahinter kam noch ein Pärchen zum Vorschein. Der männliche Part verabschiedete sich leidenschaftlich von seiner Freundin. So genau wollte ich da auch eigentlich gar nicht hinsehen. Jedenfalls tauchte er kurz darauf auch schon wieder in meinem Blickfeld auf. Er folgte seinen Freunden mit schnellen Schritten. Ich wundere mich über die Eile der anderen und entscheide mich nochmal einen Blick auf meine Armbanduhr zu werfen. Wir haben noch mehr als 10 Minuten Zeit. Die Übertreiben vielleicht! Ich wende meine Blicke noch etwas weiter nach links, da sind auch schon die Schultore. Von allen Seiten stürmen sie förmlich hinein. Man sieht ihnen an, wie sie sich auf ihre alten Freunde freuen und darauf, dieses Jahr neue zu finden und vielleicht auch einen Geliebten. Da kann ich wohl nicht mitreden. Einen Blick werfe ich kurz auf meine Uniform. Ich streife mein Jackett nochmal glatt und schaue auf meine lange Hose. Ja wirklich, ich trage lieber die Jungenuniform, die ist viel bequemer. Nachdem ich die Uniform gerichtet habe, nehme ich beide Hände an mein Cap, unter welchem mein Haar steckt, und richte auch dieses nochmal. Abgesehen davon, dass mich keiner mag, weil ich bin, wie ich bin, gibt es da wohl noch etwas, was die anderen komisch an mir finden könnten. Es liegt wohl an meinem Alter, 12 um genau zu sein. Mit der Zeit wurde mir das egal. Ich bin nun schon so lange hier, das es mich auch nicht mehr stört, wie die anderen drauf sind. So, jetzt muss ich aber auch langsam mal los. 5 Minuten, halte ich mir vor Augen. Im Hof bleibe ich unter einem der Kirschbäume stehen und schaue auf die Tafeln. Bitte, bitte, bitte, dieses Jahr eine klügere Klasse. Bitte! Auch wenn es so langweilig wird wie immer aber wenigstens andere Mitschüler wären mir lieb! Bettle ich innerlich. Dann schaue ich schon auf die Tafel. Alle Klassen waren aufgelistet und jeder Schüler stand darauf. Jetzt muss ich nur meinen Namen unter einer der Klassen finden. Die 9-4 ist es dieses Jahr also. Warum sind wir denn so viele geworden? Wenn ich drüber nachdenke, liegt es vielleicht an der öffentlichen Schule, die geschlossen wurde. Waren da wirklich so viele Schüler? Ich mochte nicht weiter darüber nachdenken. Konnte mir ja auch egal sein. Eine andere Klasse war mir dann doch noch wichtig, die 11.. Ich schaue mir auch da die Namen an. Hatsugate, Toyo – 11-2. War ja klar. Das ändert sich wohl nie. muss ich zugegeben schmunzeln, versuche es aber zu unterdrücken. Während ich so da drauf sehe, fange ich an zu Träumen. In meinem Kopf gehe ich vielen Dingen nach, die hier nichts zur Sache tun. Dabei bekomme ich nicht mit, wie sich jemand von hinten annähert. „Na, in welcher Klasse bin ich?“ riss er mich einfach aus meine Gedanken. Erschrocken atme ich tief durch. Meine Stimme wurde schriller als sonst. „Toyo, erschrecke mich doch nicht so!“ Ich spüre die Röte in meinem Gesicht aufsteigen und höre förmlich, wie sich mein Herz nur langsam von diesem Schock erholt. „A-außerdem habe ich doch gar nicht speziell nach dir geschaut.“ macht er mich doch verlegen. Auf mich selbst böse werdend, verschwindet auch die Röte und die Verlegenheit. Trotzdem vergrabe ich mein Gesicht unter dem Kragen des Jacketts, nur um sicher zu gehen. „Ist ja schon gut. Tut mir Leid. Du bist in der 9-4 oder?“ fragt er mich. „Das ist doch hoffentlich keine Frage oder? Lies doch!“ reagiere ich eingeschnappt. Dummerweise wusste er inzwischen, wie es sich anhört wenn ich wirklich beleidigt bin. Er musste lachen. „Ja klar, keine Angst. Das habe ich noch nicht verlernt Misa.“ Genervt lasse ich mich locker gegen den Baum fallen und starre gerade aus. „Na gut, dann also bis heute Nachmittag.“ verabschiedet er sich kurz und geht. Als er außer Sichtweite war, ging auch ich. Noch eine Minute. Schaue ich auf meine Uhr, während ich mich ganz hinten ans Fenster setze. Schon auf dem Gang nahm ich Fetzen von dem wahr, worüber die Mädchen in meiner Klasse sprachen. „Sagt mal, stimmt es? Bekommen wir einen neuen Lehrer?“ „Klar doch. Ich hab's von einer Lehrerin gehört.“ „Wirklich!“ kreischt die weibliche Hälfte der Klasse. Die Jungs hingegen prusteten oder gaben abfällige Bemerkungen über die Mädchen. Sie fangen schon vor dem Unterricht an zu schwärmen. „Hoffentlich ist er groß … “ „ … und single … “ „ … und auf der suche!“ fügt immer eine etwas dazu. Deren Eifer wurde immer lauter. Jeder in der Schule konnte die hohen Stimmen vernehmen. Die Schüler, die an unserer Tür vorbei mussten, hielten sich die Ohren zu. Ich verstehe wirklich nicht was die haben. Manchmal glaube ich, dass ich nicht mal ein Mädchen sein sollte. Verzweifelnd schauen die Jungs und ich den Mädchen zu. Meine Hoffnungen auf eine bessere Klasse lösten sich langsam in Luft auf. Enttäuscht lasse ich meinen Kopf auf die Bank fallen. Genau in dem Moment schlug ein Buch lautstark zu und die Schulglocke ertönt. Wieder dieser Moment, in dem ich hätte los schreien können. Ich hasse es, wenn man mich versucht zu erschrecken. Als eine der ersten stehe ich aufrecht an meinem Tisch und starre an die Tafel. In mir staut sich die Wut. Vorsichtig schlucke ich alles hinunter. Inzwischen standen auch die letzten. Der Mann begrüßte uns knapp, woraufhin die Mädchen kreischten, „Guten Morgen, Herr Lehrer.“ inzwischen kam ich wieder runter. Noch immer besaß ich keine Lust auf Unterricht. Von mir kam kein Laut. „Setzt euch.“ fordert er uns kurz und knapp auf. Die Mädchen tuschelt irgendetwas untereinander. Hätte ich hingehört, wüsste ich wohl schon mehr aber auch darauf hatte ich keine Lust. Der Mann wirkte sehr locker aber auch kalt. Wohl nur der erste Eindruck. Er stellte sich zuerst mal der ganzen Klasse vor. „Also, mein Name ist Itsuko Kusaka. Ich bin 25 Jahre alt und werde euch in de Fächern Mathe, Sport und Englisch unterrichten. Außerdem vertrete ich von nun an die Stelle eures Klassenlehrers. Kommen wir nun also zu den Fragen. Wer zuerst?“ er legt sein Buch genau an die obere, linke Ecke seines Tisches. Er achtet genau darauf, dass nichts über steht. Das kam nicht nur mir komisch vor. Die Mädchen lassen sich nicht durcheinander bringen. Jede hebt ihr Hand. Er zeigte auf die erste, genau vor sich. „Ja? Bitte gleich mit Name, dann kann ich die mir besser merken.“ schlägt er vor. Das Mädchen steht auf. „Helena, Herr Kusaka. Haben sie eine Frau?“ Ein wenig irritiert spricht er, „Nein.“ „Elenor. Haben sie dann vielleicht eine Freundin?“ „Nein, auch nicht.“ schmunzelt er verlegen. „Luna. Heißt also sie sind Single?“ Er nickt nur kurz. „Wie sieht es dann aus mit Kindern?“ An der Stelle unterbricht er die Fragerunde lieber. „Ich sehe schon. Das Thema scheint euch sehr zu interessieren. Lasst uns lieber mit dem Unterricht beginnen.“ entweicht er dieser Frage geschickt. Die Mädchen freuen sich trotzdem schon. Sie wurden alle rot und quietschen leise. Sein erstes Fach war Mathematik, das für mich einfachste überhaupt. Zutiefst gelangweilt schnaube ich und widme mich dem meiner Linken. Ich starre durch das geöffnete Fenster und schaue mir den Hof an. So ruhig wie es war, atmete ich nochmal ein und aus, zutiefst entspannt. Für einen kurzen Moment schließe ich meine Augen. Mein Kopf ist so gut wie leer. Einen solchen Moment gab es schon lang nicht mehr. Die Wärme der Sonne quillt durch das Fenster, so wie die Schüler erst in die Schule. Wie schön, der Sommer hat endlich angefangen. Das freut mich. Diese warme Luft, die habe ich vermisst. Ich sehne mich nach draußen. Hier drinnen sitzen zu müssen und nichts zu tun, ist so mit das schlimmste was heute passieren konnte. Ich ertappe mich selber wie sich meine Miene vollkommen verändert hat. Meine Mundwinkel hängen noch tiefer als sonst schon und meine Augenlider werden noch schwerer. Es zieht mich wirklich runter. Ich höre schon jetzt die ersten Grillen zirpen. Es sind nur wenige, doch das wird sich früher oder später noch ändern. Ein so perfekter Tag … und doch ist noch alles so wie früher. Toll, das hebt meine Stimmung bestimmt nicht. Nur leider war es wahr. Ich öffne meine Augen wieder und höre auf zu Träumen. Hinter dem Schulhof befindet sich gleich der Sportplatz. Ich schaue herüber und sehe ein paar Fußballer, die sich gegenseitig zurufen, eben so die Volleyballer und Tennisspieler. Ich ließ mich so schnell nicht mehr ablenken und versinke wieder in meinen Gedanken. Dem Lehrer jedoch fiel mein Verhalten wohl schon lange auf. Er sagte die ganze Stunde über nur nichts. Der junge Mann hinter dem Pult beobachtete mich nur. Doch gerade als ich wieder träume, dreht sich der Junge vor mir um und packt mich am Arm. Zusammenzuckend, entreiße ich ihm meinen Arm und schaue sofort nach vorn. „Sind wir auch wieder hier?“ stichelt der Mann vorn. „Dann kannst du ja bitte mal an die Tafel kommen und diese Aufgabe hier lösen.“ fordert Herr Kusaka mich auf. Ich merke wie er künstlich versucht genervt zu sein. Sofort höre ich die kichernden Stimmen der anderen Mädchen. Sie flüsterten etwas zueinander, etwas über mich. Ungewollt höre ich hin. Sie erzählen sich, dass ich wohl keine Chance beim Lehrer hätte. Als ob ich das jemals haben wollte? Wie dem auch sei, es war mir egal und das sieht man mir wohl auch an. Ich bleibe starr sitzen und sage nichts. Meine Blicke fallen von der Tafel ab. Sprachlos sitze ich da und mustere meine Bank. „Gut, dann eben nicht.“ prustet der Lehrer. Die Mädchen brachen in hellem Gelächter aus. Zugegeben, das war mir unangenehm, sogar sehr. So sehr, dass ich wieder rot werde. Warum muss mir das auch immer passieren? Sollen sie mich doch einfach in Ruhe lassen. Herr Kusaka konnte gar nichts mehr sagen, da die Schulglocke bereits ertönte. Ihn ignorierend wollen alle aus dem stichigen Zimmer fliehen. Ich selbst bleibe die Pausen über lieber drinnen. Die Gelegenheit nutzt der Mann um mir der Aufgabe zuteil zu werden, die Tafel zu säubern. Er schnaubt nochmals künstlich genervt und verlässt dann ebenfalls das Zimmer. Ich bleibe allein zurück. Ich nehme mir den Schwamm und feuchte ihn an. Sehr nah stelle ich mich an die Tafel, so dass ich meinen Atem nochmal spüren kann, wie er mir entgegen kommt, und setze vorsichtig einen nassen Tupfer des weichen Schwammes darauf. Ich fange an zu überlegen. Ich entscheide mich ihn nochmal zur Seite zu legen. Meinen Arm lasse ich einfach sinken und lege ihn auf die Ablage. Ohne hinzusehen greife ich nach der Kreide, die immer darüber liegt. Meinen Arm hebe ich und setze die Kreide hinter die erste Aufgabe. Mach ich's oder mache ich's nicht? geht mir dabei durch den Kopf. Fast von allein bewege ich mich. Die Aufgaben waren so einfach, sie lösten sich schon fast von allein. Binnen weniger Minuten lege ich das Schreibgerät auch schon nieder. Ein leichtes schmunzeln legt sich auf meine Lippen. Guten Gewissens atme ich durch. Ich nehme mich wieder dem Schwamm an. Fast noch schneller ist auch schon alles wieder verschwunden. Ein kichern entwich mir dabei aus versehen. Dies ignorierend, will ich mich wieder setzen und warten bis es weiter geht, da sehe ich direkt vor mir die Statue des neuen Lehrers. Entsetzt starre ich ihn an. „Was tun Sie hier?“ murmele ich vorsichtig und hoffe insgeheim, dass er es nicht hörte. „Ich beobachte dich.“ Aus seiner Stimme lässt sich nicht erkennen ob er es böse meint, schockiert wie ich es bin, gutmütig oder entspannt. Darauf kam kein weiteres Wort. Er wartet darauf, dass ich ihm antworte, doch nichts. Er nickt und prustet erneut. „Warum hast du die Aufgaben nicht im Unterricht gelöst?“ „Ich wüsste nicht, was Sie das etwas angeht!“ rutscht es mir raus, ohne das ich überlegt habe. Ich muss schroff geklungen haben. Er schreckt erst mal zurück. „I-Ich bin dein Lehrer. Wem sonst wenn nicht mir?“ Immerhin war er schon so weit, dass er wusste, er bräuchte auf keine Antwort warten. Der Mann fasst sich wieder. „Vielleicht hast du ja Recht. Ich wollte dir auch nur sagen, dass du die aufgaben brillant gelöst hast. Wirklich, das meine ich ernst. Alle anderen hätten zumindest erst mal einen Taschenrechner gebraucht.“ lobt Kusaka mich. In seinem ausatmen höre ich eine leichte Note von lachen. Zwischen uns herrscht wieder Ruhe. Da öffnet sich auch schon die Tür ein weiteres mal. Der junge Mann von heute früh platzt außer Atem ins Zimmer. Ich war so froh ihn zu sehen. „Hey Misami, tut mir Leid, dass ich so spät komme.“ „Schon gut, lass uns einfach gehen.“ Doch ich selber bleibe stehen. Noch immer schaue ich zum Lehrer. Er war so anders als die anderen, dass ich mich nicht getraue weg zu sehen. Ich spüre wie mich jemand am Arm packt und einfach hinter sich her zieht. „Ein seltsames Mädchen … mal sehen was sie sonst noch so kann.“ murmelt Itsuko mit sich selbst. Inzwischen laufen wir gemütlich nebeneinander her. „Hey Misa. Wir haben einen neuen Stundenplan und ihr?“ „Wir? Nein. Sollten wir? Wieso fragst du?“ „Ach nur weil... weil wir ab heute gemeinsam Sport haben.“ druckst er ein wenig rum. „Was? Echt? Ganz sicher?“ kann ich es gar nicht richtig glauben. „Ja!“ betont er lauter werdend. „Und warum freust du dich da so? Mädchen und Jungen haben getrennt Sport.“ erinnere ich ihn. Er stöhnt enttäuscht. Er scheint sich zu erinnern. Ich versuche ihn ein wenig aufzumuntern. „Hey, wir haben heute sicherlich wieder draußen Sport. Bedeutet, du kannst die Mädchen ohne Probleme beobachten.“ Der Gedanke bringt mich zum lachen. „Was denkst du eigentlich von mir?“ grummelt er mich sofort an. Das hat wohl nicht geklappt. „Ist ja schon gut, war ja nicht so gemeint.“ „Darf ich mich denn nicht freuen, wenn ich mit meiner kleinen Schwester gemeinsam Unterricht habe.“ „Toyo-!“ Er tut das mit Absicht. Warum muss er das erwähnen und warum gerade hier?! „Schon gut. Ich erwähne es ja gar nicht mehr … Schwesterherz!“ Verdammter Junge! Ich lasse meinen Gefühlen freien Lauf und donnere ihm eine gegen den Hinterkopf. Er sieht dabei so benommen aus, dass ich auch anfangen muss zu lachen. Aber was er kann, kann ich schon lange. „Willst du es nochmal versuchen?“ „N-Nein, au- a a-. Musstest du denn so doll zuschlagen?“ jammert er mich an. „Ja, das musste sein. Sonst lernst du es ja nie.“ rechtfertige ich mich mit künstlich hochgezogener Nase. Er schweigt mich lieber an und wartet das der Schmerz nachlässt. Ich sehe wieder auf meine Uhr. Nicht mehr lange. Er schaut mir dabei aufmerksam zu, nimmt seine Hand von seinem Kopf und verabschiedet sich vorerst. Auch ich mache mich auf den Rückweg. Wir waren so vertieft gewesen, dass wir einmal durch alle Gänge wanderten. Im Klassenzimmer ziehe ich mich um, die Letzte von allen. Alle anderen Mädchen warten schon vor der Tür. „Pssst! Da kommt er!“ höre ich ein Mädchen vor mir streng flüstern. „Also dann, lasst uns beginnen.“ fordert Herr Kusaka seine Schüler auf. Er trägt wieder etwas bei sich, diesmal nur eine Klemmmappe. Die Mädchen der 11. und 9. Klassen laufen ein paar Runden um den Sportplatz. Ich lief ihnen einfach nach. Als es dann aber hieß, wir sollen uns für ein Spiel entscheiden, reicht mir das. In jedem Falle, dass so etwas dran kommt, habe ich ja mein Versteck. Ich mache mich vorsichtig auf den Weg hinter den Sportplatz. Da verkrieche ich mich immer hinter einem Baum. Die Zeit vergeht langsamer als sonst aber dafür das ich nichts tue ist es ganz gut. Ich fange wieder an zu träumen und bekomme nichts mehr mit. „So etwas gibt es in meinem Unterricht aber nicht junge Dame!“ macht sich Herr Kusaka, der an meinem Baum lehnt, bemerkbar. Ich schrecke auf und vergesse all meine Tagträume auf einmal. Ich bewege mich keinen Zentimeter mehr. Warum muss er das jedes mal tun? „Huch, habe ich dich so erschreckt?“ wundert er sich. Freundlich streckt er mir seine Hand entgegen. Er hält sie genau vor meine Nase. Ich jedoch will nicht. Ich mag ihn irgendwie nicht, er ist mir zu neugierig. Deswegen schaue ich stur geradeaus, stütze mich am Baum hinter mir ab und drücke mich in die Waagerechte. Er wirkt ein wenig enttäuscht. Er nimmt seine Hand an sich, formt sie kurz zu einer Faust und hält sie zähneknirschend vor sein Gesicht. Er will wohl nicht das ich sehe wie er sich ärgert. Hat wohl nicht geklappt, was mich innerlich hämisch lachen lässt. „Was spielst du denn immer so?“ versucht er es jetzt anders, doch ich will ihm keine Chance geben. „Spielen! Das ist doch Zeitverschwendung!“ protestiere ich mit weit hoch gezogener Nase. Seine Gedanken kann ich zwar nicht hören aber ich weiß, das er über irgendetwas nachdenkt. Habe ich mich wohl in ihr geirrt … steckt in ihr vielleicht doch kein … Während er da stand, wurde mir das schnell egal. Meine Blicke fallen dem Feld zu, auf dem die Jungen Fußball spielen. Dann setzen meine Tagträume wieder ein. „Würdest du gern Fußball spielen?“ höre ich ihn, kurz hinter mir stehend, sprechen. Ohne groß drüber nachzudenken wende ich mich dem Feld sofort ab. Soll er doch denken was er will, ich will nicht spielen! „N-Nein, wieso sollte ich auch!“ rutscht es mir doch nervöser raus als ich es wollte. Meine Zickereien scheinen ihm zu reichen. Diesmal wirklich genervt schlägt er mir etwas anderes vor. „Na gut. Wenn du nicht spielen willst, dann laufe wenigstens!“ Wieder denke ich nicht nach und mache mich sofort auf den Weg. Diese Gelegenheit ihm zu entkommen, lasse ich mir nicht entgehen. Also stapfe ich davon. Er folgt mir ein paar Minuten später. Ich begebe mich auf den nächsten Punkt der Rennbahn und begebe mich in ein leichtes Lauftempo. Als ich näher zu den Volleyballfeldern heran trabe, höre ich das aufgeregte Gequietsche der Mädchen erneut und frage mich was jetzt schon wieder los sei. Natürlich sollte diese Frage nicht länger eine Frage sein. Ich schaue in die gleiche Richtung wie sie und entdecke die freien Oberkörper der Elftklässler. Daraufhin ergibt sich mir wieder die Frage, wieso? Was finden sie nur so schön daran und warum mussten sie das so laut zur Schau stellen? Manchmal glaube ich einfach, dass es an meinem Alter liegt und bin beim Anblick dieser Mädchen auch sehr froh darüber jünger zu sein. „So etwas idiotisches. Wie dumme Hühner!“ murmle ich immer wieder vor mich hin und laufe meine Runden. Ein Glück war die Stunde ja fast vorbei. Der Blick auf meine Uhr verrät mir, nur noch 30 Sekunden. Diese laufe ich gemütlich und verlasse mit dem Klingelzeichen den Platz. Alle anderen folgen mir, nachdem sich Herr Kusaka von ihnen verabschiedete. Toyo geht mit den anderen zur Umkleide. Er legt sein ungetragenes Hemd in seine Tasche und will sich gerade umziehen, als er Blicke von hinter sich wahrnimmt. „Was … was habt ihr denn alle?“ Minutenlanges schweigen bricht aus. Es wirkt, als würden sie der Grille beim zirpen zuhören. Dann, endlich ein Mutiger unter den Jungs. „Könnte es sein, dass du dich über die Ferien ein wenig verändert hast?“ Diese Frage ist ihm sichtbar unangenehm. Er kratzt sich verlegen an der Wange. „Ein bisschen, ja.“ Dann platzt es auch aus den anderen Jungs heraus. „Wo sind deine Schulterlangen Haare hin?“ „Und wieso hast du sie dir gefärbt?“ „Ach und woher kommen so plötzlich all diese Muskeln und vor allem das Sixpack?“ Das ist dem Jungen wohl zu viel. Ihm wird ganz schwindelig von all den Komplimenten, die so gut in Fragen verpackt waren. „S-Stimmt schon. I-In den Ferien habe ich ein … ein wenig trainiert und meine Haare … ja die? Die sollten einfach mal wieder normal aussehen.“ „Du hast echt von Natur her dunkelbraune Haare?“ wundert sich einer von ihnen noch immer. Verwundert darüber, dass es keiner der Jungs weiß, nickt er zur Bestätigung. Es will zwar keiner wirklich zugeben aber Toyo weiß, dass es ihnen gefällt. Er fühlt sich sofort wohler bei den anderen. Eine Last fiel von ihm, denn er fürchtete, dass diese krasse Veränderung vielleicht schlecht ankommen könnte. Den Rest des Tages liefen wir uns noch ein paar mal über den Weg aber sprachen nicht miteinander. Er war meist in Begleitung und wenn wir uns ansahen, reichte das ja auch. Erst als wir wieder gemeinsam nach Hause laufen, kommen wir kurz vor der Wohnung ins Gespräch. Ich will so gerne wissen, ob er sich mit den anderen inzwischen versteht. „Es geht schon. Seitdem ich mich verändert habe, ich meine Äußerlich, seitdem mögen sie mich.“ erklärt er mir. „Magst du sie?“ „Nein, nicht wirklich. Sie sind so … oberflächlich. Trotzdem danke für deine Hilfe.“ Verwundert sehe ich ihn an und frage ihn auch gleich weshalb er sich bedankt. „Ich meine wegen der Frisur und natürlich dem Training.“ „Was? Ach das! Das … das war doch gar nichts, echt nicht, nicht erwähnenswert.“ rede ich mich verlegen raus. Ich kann das Haus schon sehen, als mir wieder einfällt, dass ich etwas vergessen habe. Böse auf mich, stöhne ich genervt auf. „Was ist denn?“ will er sofort von mir wissen. „Na, ich muss heute noch unbedingt in die Bibliothek. Das habe ich total vergessen!“ Ich drücke meinem Bruder nur noch meine Tasche in die Hand und laufe auch schon los. Ich setze mich auf einen der Stühle und setze mich an meine Hausaufgaben. Utensilien habe ich aus meinem Spind geholt. Bis spät am Nachmittag sitze ich an meinem Platz und merke, wie langsam die Sonne zur Neige geht. Der Himmel wird immer dunkler. Ein wunderschönes orange strahlt auf meinen Tisch, als ich endlich fertig bin. Ich schaue mich kurz um und muss feststellen, dass ich die letzte bin die noch hier ist. Meine Unterlagen lege ich neben die hinter mir geschlossene Tür. Ich mache mich ganz lang und strecke beide Arme nach oben. Beim strecken höre ich meine Knochen knacken. Erst dann lasse ich meine Arme locker fallen und fühle mich schon viel besser. Jetzt gibt es nur noch eins was mir fehlt: Bewegung. Ich schaue mich auf dem Weg zum Sportplatz um, ob noch jemand da ist. Ein Glück nicht. Also nehme ich mir den Ball, der neben dem Tor liegt und spiele ein wenig damit. Dann habe ich eben Herrn Kusaka angelogen, und? Was geht ihn meine Freizeit an. Ich spiele eben lieber mit mir selbst als mit den anderen. Seitdem ich das erste mal spielte, habe ich viel dazu gelernt. Ich versuche immer wieder einen neuen Rekord aufzustellen, was das halten des Balles angeht. Genau das mache ich jetzt wieder, doch es gelingt mir nicht. Immer mehr spiele ich mich ein und schon bald nutze ich den ganzen Platz. Ich laufe von links nach rechts und je nach dem wie der Ball fällt, stelle ich mich diesem in den Weg und schieße weiter. Dabei vergesse ich auch leider die Zeit. Wenn man genau hingesehen hätte, hätte ich wohl auch das kleine Licht im dritten Stock des Schulgebäudes sehen können aber dazu war ich zu abgelenkt. Mit der zunehmenden Dunkelheit, die ich auch nicht mitbekam, erlosch auch das Licht. Auch dass ich inzwischen einen Zuschauer hatte, bekam ich nicht mit. Noch immer stehe ich auf dem Feld, genau an einem Ende davon. Ich versuche schnell zu laufen, so schnell es eben nur ging mit dem Ball vor meinen Füßen. Etwa in der Mitte des Platzes balanciere ich den Ball auf meine Fußspitze und lasse ihn weit in der Luft schweben. Ich hole etwas Schwung und drücke mich ebenfalls von Boden ab. In der Luft dem Ball entgegen schwebend, das liebte ich so sehr. Meinen Körper drehe ich so weit ein, dass ich mit meinem Fuß den Ball wieder berühren kann. Alle Kraft die in mir steckt, setze ich in den Ball und befördere ihn mit einem mal in das Tor mir gegenüber. Dabei muss eine solche Kraft entstanden sein, dass selbst das Netz nachgeben musste. Ich bekomme endlich wieder einen Blick für meine Umgebung und merke, dass es inzwischen schon dunkel ist. Erschrocken sehe ich auf meine Uhr. Was! Schon so spät? Ich erhebe mich, mache mich ein wenig sauber und laufe dann los. Es ist so dunkel, ich erkenne so gut wie nichts mehr. Doch hören kann ich noch gut genug. Auf dem Weg zum Hintertor, erklingt eine mir inzwischen bekannte Stimme. „Du kannst ja sogar lächeln.“ ruft er mir entgegen. O nein! Wie konnte er das überhaupt sehen? „Und du spielst gern Fußball. Sage mal, hast du schon jemals etwas wahres gesagt?“ wird er immer leiser, je näher er mir kommt. „Das geht Sie immer noch nichts an!“ werde ich sofort wieder schroff. Nur diesmal lässt er das nicht auf sich sitzen. Direkt vor mir bleibt er endlich stehen. „Mehr als du vielleicht denkst. Ich bin schließlich dein Klassenlehrer.“ „Na und!“ „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du etwas eigenartig bist?“ „Wenn Sie etwas dagegen haben, dann lassen Sie mich doch einfach in Ruhe.“ „Nein, nein, du verstehst das falsch. Ich finde solche Leute eher … interessant.“ Wieso? Wieso sagt er so etwas zu mir? Das ist mir unangenehm. Es macht mich verlegen, zu wissen, dass er mich interessant findet. Leicht errötend wende ich meine Blicke dem Boden zu. Ihm fällt natürlich auf, dass mir das unangenehm ist. Und ich merke sofort, dass er versucht das Thema zu wechseln. Herr Kusaka atmet tief durch. „Kann ich dich noch ein Stück begleiten?“ „J-ja. Wenn sie unbedingt wollen a-aber ich laufe immer bis Heim.“ „Wie weit ist es denn?“ „Rund 10km.“ werde ich ganz leise, in der Hoffnung er hört es nicht. Er wirkt als hätte man ihn aus seinem perfekt einstudierten Text beworfen. „W-Warum nimmst du nicht den Bus?“ Was soll ich darauf schon antworten? Ich weiß es nicht. Es geht ihn jedenfalls wieder nichts an. „Was würdest du davon halten, wenn ich dich ein Stück mit dem Auto mitnehme.“ schlägt er vor, um das Schweigen zu unterbrechen. „N-Nein. Ich muss sowieso noch woanders hin.“ Doch er lässt sich nicht abschütteln und so folgt er mir noch ein ganzes Stück bis wir an einem Hotel landen. Es ist sehr groß und besitzt wohl mehrere Sterne. „So, hier muss ich jetzt rein. Hoffentlich konnte ich dir deinen Weg ein wenig angenehmer gestalten.“ verabschiedet er sich. Seine lässige Art ist mir unangenehm. Kein anderer Lehrer ist so, warum also er? Grübelnd bleibe ich stehen bis ich realisiere, welches Hotel er da eben betritt. In mir dreht sich alles und mir wird schlecht. O nein. Was? Warum? Warum dieses Hotel? Hoffentlich … hoffentlich laufen wir uns da niemals über den Weg. Niemals! bettle ich nervös.
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