Alle Gänge sind leer und nur ein paar Putzfrauen sind auf den Fluren. Die meisten Fliesen glänzen nun schon und wir laufen erneut drüber. Keine der Frauen ist darüber glücklich aber sowohl dem Military vor mir als auch mir ist das egal, nein mehr sogar, es ist belustigend. Alles um uns herum ist so ruhig geworden. Irgendwie … fange ich an es zu genießen. Außerdem habe ich neue Sachen und ein neues Spiel, mehr oder weniger. Egal was jetzt passiert, nichts kann mir meine gute Laune noch kaputt machen, zumindest für heute.
Als wir am Plan der Bushaltestelle lesen wann er kommt, stellen wir leider fest, dass es erst in einer Stunde soweit ist. Normalerweise würde ich in solchen Fällen bis zur nächsten Station laufen, doch heute mache ich keinen Schritt mehr. Erschöpft lasse ich mich auf die Bank fallen und atme tief durch. Der Braunschopf vor mir sieht mich von oben herab an, doch das wird mir inzwischen schon wieder egal. Alles ist bald wieder beim alten. Als er merkt, dass ich nicht auf ihn reagiere lässt er sich ebenfalls auf die Bank fallen, doch er legt sich gleich hin und bettet seinen Kopf auf meinen Schoß. Ich reagiere auch darauf nicht mehr. Dennoch glaubt er sich erklären zu müssen, „Wenn das Alexy darf, dann darf ich das ja sicher schon lange!“ Er bewegt seinen Kopf wie eine Katze hin und her, um sich weiter in meiner Jacke zu vergraben, dann schläft er endlich. Einer meiner Arme liegt auf seiner Brust, der andere umfährt seinen Kopf. Verträumt schaue ich in die Sterne und versuche nicht auch noch einzuschlafen. Stille. „Naaa! Kleine Kinder wie du sollten doch schon längst schlafen oder nicht?!“, bemerke ich erst jetzt die dritte Person an der Haltestelle. Er versucht sich eben eine Zigarette anzuzünden, es funktioniert nicht. Das Feuerzeug geht nicht an. Er hockt kaum neben mir auf dem Boden. Er muss sich eben erst dazugesetzt haben. Seine Sachen sind vollkommen durchnässt. Auch das bemerke ich erst jetzt. Das ist wohl das Hitzegewitter was nun folgt. Er versucht es zwar zu verstecken, doch ich merke, wie sehr er zittert. Als erstes weise ich Kentin an noch ein bisschen zu rutschen. Das geht ganz schnell und ohne große Mühe. Wieder benimmt er sich wie ein Kätzchen, um erneut seelenruhig einzuschlafen. Natürlich, wie ich es mir dachte, braucht der Herr auf dem Boden eine Extraeinladung. Er ist gerade so schwach durch die Nässe, dass ich ihn mit Leichtigkeit am Arm packen und rauf zerren kann. „Danke aber ich brauche nicht schon wieder deine H-Hi ...“ Hatschie! Er versucht sogar leise zu niesen und sich von uns wegzudrehen, damit Kentin nicht aufwacht. Er hat wohl keine Lust mehr auf sinnlose Streitigkeiten, wie schön. Die Einkaufstüten, sowohl seine als auch meine, habe ich eng zwischen meine Beine geklemmt. Ich hatte Angst davor, dass jemand sie versuchen würde zu klauen. Jetzt jedoch tut mir mein Banknachbar fast schon leid. Er muss einen weiten Weg gerannt sein, wenn er bereits so durchnässt ist. Mich ein wenig zu ihm beugend hauche ich etwas in sein Ohr, „Ausziehen!“ Er schreckt auf, wegen meinen Worten, wegen der Wärme, wegen der Gänsehaut, die sich auf seiner ganzen Haut ausbreitet? Wohl alles, denn mit nichts davon hat er gerechnet. Ich blicke lediglich in meine Einkaufstüte und grinse leicht. „W-W-Wies …“ Hatschie! Schon wieder! „Mach!“, werde ich ernster, kälter. Die Gänsehaut auf ihm wird nochmal etwas stärker, diesmal wegen der Eiseskälte die über ihn hinein bricht. Mit beiden Armen umschlingt er seinen Körper und versucht sich so zitternd zu wärmen. Wenn alles so pitschnass ist, ist es auch kein Wunder, dass es nicht klappt. Nach einer Weile tut er freiwillig was ich sage, weil ihm endlich selber klar geworden ist, dass er sonst halb erfrieren wird. Ohne groß darüber nachzudenken krame ich die neue Jacke hervor. Das Preisschild reiße ich lieber gleich ab, sonst kommt er vielleicht noch auf dumme Gedanken. Ich sehe, dass er sich zwar seiner Jacke entledigt hat, nicht aber seines Oberteils. „Ausziehen habe ich gesagt!“, muss ich also doch noch nachhaken, strenger. Er selber fängt an sich zu zieren, „Sage mal spinnst du! Ich fange bestimmt nicht an mich vor dir auszuziehen! Außerdem ist es so a-a-arsch kalt!“, bibbert er, jetzt ohne Jacke noch viel mehr. Ich halte weiter an meiner neuen Jacke fest. „Die – Die i-i-ist doch viel – viel zu klein!“, versucht er es nochmal. Es hat keinen Zweck. Er sieht nochmals ein, wie dumm er sich benimmt. Ich starre weiter auf die Jacke und in dem Moment, für diesen Moment starrt er auch auf mich. Letztendlich tut also auch er was ich ihm sage. Sobald er es aus hat, wird die Gänsehaut nochmal stärker. „Du bist aber empfindlich!“, belustige ich mich und schmunzle. Er krallt sich sofort die Jacke und hängt sie sich um. Er schafft es sogar sie zu schließen, nur sieht das eben … naja … sagen wir mal unschön aus. Darauf kommt es ja zum Glück nicht an, Hauptsache es wärmt. Beim nächsten jedoch frage ich lieber nach, knapp, kindlich, „Hose?“ „WAS? NEIN VERDAMMT!“, ranzt er mich wutentbrannt an. Nachdem er es sich erst mal schön bequem in meiner neuen Jacke gemacht hat, lässt er sich sofort umstimmen. Oben ist ihm warm genug, dass er die Jacke zumindest wieder öffnen kann, unten jedoch laufen seine Beine langsam blau an. Er geniert sich zumindest genug, um mich davor zu warmen hinzusehen. Als Strafe wende ich meine Blicke nicht von ihm. Natürlich, wie Menschen eben so sind, macht er es dennoch. Schließlich, will er ja nicht erfrieren. „Irrtum, dieser Banknachbar ist schlimmer als irgendwelche Mädchen.“, knirscht er mit seinen Zähnen. Er hält bereits die Hand hin, als ich ihn noch weiter provoziere, „Unterwäsche!“ Ich hätte beim besten Willen nicht damit gerechnet, dass er sich tatsächlich komplett vor mir entblößt. Ich kann kaum mein Gelächter zurückhalten aber für Kentin reiße ich mich etwas mehr zusammen. Es ist schon amüsant, wie sogar jemand wie er irgendwann seine Geduld verliert. Bevor er weiter diskutiert hätte, will er lieber wieder langsam warm werden. Sofort hole ich meine neue Hose heraus und reiße auch da das Schild ab. Mit abgewendetem Blick reiche ich ihm diese. Mit nebligem Atem fängt er leise an zu lachen. „Was ist? Als hättest du so etwas noch nie gesehen Junge! Oder liegt es daran, dass mein Schwanz nun in deiner Hose hängt!“, lacht er erneut auf, „Vergiss nicht, du hast mir gesagt, ich solle sie ausziehen.“ Stimmt und ich merke erst jetzt wie dumm das von mir war. Ein Glück kann man Sachen ja für gewöhnlich waschen. Er kann nur froh sein, dass ich die weiße Camouflage sowohl in kurz als auch in lang mitgenommen habe, ansonsten würde er jetzt nur noch mehr frieren. Wie es kommt, dass er in meine Hosen passt? Ich kaufe mir alle immer zu groß, ein Gürtel tut es schließlich genauso. Schuhe gibt es leider auch keine für ihn, dafür sind meine Füße viel zu klein. Eine 37 gegen eine 45 … das passt eben einfach nicht! Anschließend setzt er sich wieder zu mir. Er hat sich so mit umziehen beeilt, dass er jetzt ganz außer Atem ist. Er versucht erneut eine Zigarette aus seiner nassen Hose zu ziehen, hält jedoch in der Bewegung inne, fluchend. Seine Sachen sind inzwischen in meiner Einkaufstüte verschwunden. Jetzt kann ich ihm also nur noch eine meiner Zigaretten anbieten und ein Feuerzeug. Zufrieden sieht er zu mir. Komisch so etwas von ihm zu sehen. „Jetzt mal ehrlich, du bist heute wie die Erlösung des Tages für mich! So viel Glück kann man doch gar nicht haben, erst Recht ich nicht!“, muss er kopfschüttelnd feststellen. Er wirft plötzlich mit so vielen Worten um sich, dass ich dabei verlegen werde. Ein Glück ist es dunkel genug und mein Kopf weit genug unten, dass er nicht sieht, wie rot ich werde. 'Erlösung des Tages', nannte er mich. Wie ungewöhnlich. Anschließend genießt er nur noch den Rauch des Tabaks in seiner Lunge. Als er sieht, was ich mit meiner anstelle, wird ihm auch klar, wie ich noch so sportlich sein kann. „Vielleicht hätte ich früher auch mal so anfangen sollen.“, findet er meine Variante eigentlich gar nicht so schlimm, „Ist auf jeden Fall gesünder.“ Sein Körper zittert noch immer etwas aber es wird langsam besser. Für Taschentücher gegen seinen Schnupfen kann ich nun nicht auch noch sorgen, alles habe ich eben nicht dabei. Er nimmt sich noch weitere zwei aus meiner Packung. So verbringen wir nun zu dritt die Zeit auf der Bank und warten auf den Bus. Zwischendurch lehnt sich auch der Rotschopf mal nach hinten. Er lässt sich in die Ecke der Glaswände fallen und nickt für eine Weile weg. Ich darf selbstverständlich weiter aufpassen! Verdammt!, fluche ich immer mehr auf mich selber. Kurz bevor die Uhr 0 Anzeigt sieht man endlich die Lichter des Busses. Banknachbar wird davon automatisch wach, Military hingegen nicht. Ihm muss ich erst sein Haar unsanft zerwühlen, damit er endlich wach wird. Er wusste bis eben auch nicht, dass Castiel sich zu uns verlaufen hat, doch diesmal ist er zu müde, um sich vor ihm zu fürchten. Er begrüßt ihn als wären sie schon Ewigkeiten Freunde. So müde er auch sein mag, er nimmt dennoch alle Tüten. Ich werde langsam das Gefühl nicht los, dass er will, dass ich wieder zum Mädchen werde. Kentin ist wirklich zu müde, stelle ich erneut mit einem Schmunzeln fest. Er läuft einfach am Fahrer vorbei ohne etwas zu bezahlen. Sofort lässt er sich auf die hinterste Sitzreihe fallen und schläft fast schon wieder ein. Castiel hat zum Glück noch eine Karte. Meinen Ausweis hole ich diesmal sofort heraus. Ich habe für heute auch genug! Interessiert wendet sich der Rotschopf noch im Gang zu mir um. Er schaut auf das was ich mache. „Der da hinten ist meine Begleitung.“, erkläre ich dem Fahrer und er nickt. Castiel macht nun nicht mal Platz, so verwundert ist er darüber. Also muss ich mich irgendwie versuchen an ihm vorbei zu zwängen. Auf gefühlt einem halben Meter meinen Körper berührungslos an seinem vorbei zu führen ist leider unmöglich. Als wir auf gleicher Höhe stehen, bin ich erstaunt, dass er so etwas nicht ausnutzt und gleichzeitig froh darüber. Gerade als ich mich auf eine andere Reihe setzen will, greift auch schon der Brünette nach meinem Arm und zerrt mich zu sich. Meine Reflexe sind um diese Uhrzeit leider nicht mehr die Besten, so kommt es, dass er sogar schafft was er will. Ganz verschlafen sagt er nur, „Ich sagte doch, wenn Alexy das darf, dann …“, und noch mitten beim sprechen schläft er wieder ein. Ihm ist wohl noch immer nicht bewusst, dass Castiel da ist. Ich will nicht wissen, was das für einen Eindruck auf ihn macht. Andererseits kann es mir ja auch egal sein, es ist Kentin's Ruf, der dadurch zerstört wird, nicht meiner. Ganz entgegen dem was ich erwartet habe, setzt sich der Rotschopf sogar zu uns nach hinten. So wie er sonst immer drauf ist, hätte ich eher vermutet, dass er vorne bleibt. Als er sich so neben uns setzt, hört man ihn deutlich stöhnen vor Erschöpfung. Die Jacke schließt er schnell wieder. Wahrscheinlich wegen dem offenen Fenster und der stetigen Kälte die hier herein zieht. So langsam komme ich nicht mehr drum herum ihn zu fragen, „Wo warst du?“ In der Hinsicht ist er wohl genauso wie die anderen. Keiner erwartet, dass ich etwas sagen würde. Seine Blicke schwenken zu mir herüber, darauf folgt ein Grinsen. „Warum fälschst du Behindertenausweise?“, kommt die Gegenfrage. „Warum denn nicht, so spare ich Geld.“ Das jedoch irritiert ihn. Spielerisch schaut er auf die Sachen die er an hat und die ich bei mir habe, „40$ teure Hose, 20$ teures Shirt, 100$ teure Schuhe und 160$ teure Jacke. O ja, so ein Ticket muss dich ja förmlich umbringen!“ Belustigt schnaube ich. Recht hat er. Mehr als diese Antwort werde ich ihm dennoch nicht geben. Stattdessen warte ich nun, mit den Blicken am Boden klebend, auf seine Antwort, die er so schön umgehen wollte. „Schön! Ich habe mir nur neue Zigaretten besorgt aber die sind ja mal wieder hinüber! Außerdem … außerdem wollte ich irgendwie an Geld kommen.“ Warum wird er beim zweiten Satz so leise? Er – Er hat das Geld doch wohl hoffentlich nicht wegen mir beschaffen wollen oder?! Wie dumm von ihm! Bevor er weiter auf das Thema eingeht, fällt mir erneut ein Wort ein. „Karma Banknachbar, Karma!“ „Ja ja, mach dich ruhig über mich lustig! Außerdem heiße ich Castiel, weißt du inzwischen doch! Cas!!!“, wird seine Stimme rauer, eindringlicher. „Schon gut … Banknachbar!“ Obwohl er auch so schon mit seinen Nerven ganz unten angekommen ist, kann ich es nicht lassen ihn weiter zu provozieren. Im ersten Moment scheint es auch zu helfen, doch dann schließt er für einen Moment seine Augen und wird zufriedener. Wie schade! Er dreht sich lediglich etwas zur Seite, legt seine Beine über die Armlehne bis hinüber zum anderen Sitz und lehnt mit seinem Kopf gegen meine Schulter. O je, schon wieder darf ich nicht einschlafen und mich wohl auch nicht mehr bewegen. Wie ein Eisblock bleibe ich sitzen, starr, still. Es fühlt sich so beklemmend an, vor allem wenn der Busfahrer zu uns hinter sieht. Drei Jungs die 'miteinander kuscheln', das kann man nur falsch verstehen! Peinlich! Ich bin unglaublich froh, als Kentin endlich wieder aufwacht. Ich habe schon die ganze Zeit lang überlegt wo wir wohl aussteigen müssen und wusste es nicht. Ein Glück hat er ab da übernommen. Gleich die nächste Station war es dann auch schon soweit. Das hätte wirklich schiefgehen können. Durch die aufkommende Bewegung schreckt auch der an meiner Schulter auf. Das erleichtert mich. Nicht auszumalen wie er reagiert, wenn man ihn weckt. Jetzt bekommt Kentin ihn auch zum ersten mal so richtig mit. Er hält sich die ganze Zeit über etwas gedeckter hinter mir. Sobald wir aus dem Gefährt draußen sind, stellen wir uns alle erst einmal unter. Kentin bleibt die ganze Zeit ein Stück hinter mir, damit ihm der andere nicht zu nahe kommen kann. Lustig. Als ich dann mal in den Himmel blicke wird mir schnell klar, dass es nicht viel bringen wird zu warten. „Gehen wir lieber.“, schlage ich vor.
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