Gleich am nächsten Tag gehe ich schon wieder auf Arbeit. Das mag vielleicht verrückt klingen, doch für mich ist das normal. Jeder will sofort wissen, was mit mir passiert ist, doch meine Lippen bleiben versiegelt. Ich habe jeden Tag mit der Wunde zu kämpfen. Die Kopfschmerzen lassen nicht im geringsten nach. Ich weiß, ich hätte mich krankschreiben lassen können, doch dagegen sträube ich mich wie eine Katze gegen das Wasser. Also muss die Arbeit getan werden. Sogar am Nachmittag kommt mir immer irgendetwas dazwischen. Mein Handy rühre ich förmlich nicht mehr an.
„Sie hat sich immer noch nicht gemeldet. Ob es ihr auch wirklich gut geht?“, macht die Frau sich immer mehr Sorgen. Inzwischen ist es schon Mittwoch. Sie hat ganze drei Tage gewartet, doch nichts. „Tut mir Leid mom aber ich habe dir ja gesagt, dass sie nichts gutes vor hat.“, muss er es ihr vorhalten. „Du meinst doch nicht wirklich, dass sie sich das selber angetan hat oder?! Du spinnst doch! Wer wäre denn so krank und vor allem wer wäre so krank das alles nur wegen einem Tier zu tun?“ Tala mag es gar nicht zugeben aber sie hat vollkommen Recht. Er hat nicht nachgedacht und wieder nur ausgesprochen, was sich in seinem Kopf angestaut hat. Zugeben würde er seinen Fehler jedoch nie. „Es gibt eben solche Menschen.“, ist sein einziger, verbleibender Kommentar. „Können wir nicht einfach mal ins Krankenhaus fahren? Vielleicht hat sie den Zettel ja auch einfach übersehen.“, hofft sie inständig. Nach kurzem hin und her lässt sich ihr Junge überreden. Da seine Mutter nur noch weint, kann sie nicht mal allein hin fahren und wenn der Rotschopf mal ehrlich ist, kann er die Frau auch nicht so sehen. Die Frau hat lange überlegt, ob sie ihren Sohn fragt, denn sie fährt nur ungern bei ihm mit. Sein Fahrstiel ist sehr frei, bezeichnet sie es immer so. in diesem Falle muss sie wohl oder übel mal nachgeben. Übel ist gerade der richtige Ausdruck. Sobald sie am Krankenhaus sind, stürzt die Frau aus dem Wagen und sucht sich eine Mülltonne zum übergeben. Sobald es ihr besser geht, will sie nach drinnen. Sie weiß noch genau auf welchem Zimmer ich liegen sollte, also geht sie gleich hoch. Doch als sie hinein sieht, ist das Zimmer leer. Das alles ist zu viel für das Gemüt der älteren Frau, doch nicht nur für ihn. Auch dem Rotschopf steht die Sorge langsam ins Gesicht geschrieben. „Lass uns mal nachfragen. Vielleicht wurde sie ja nur verlegt oder durfte schon gehen und hat vergessen sich zu melden.“, spricht er der Frau gut zu. Er will sich selber damit beruhigen. Sie fragen fast jede Krankenschwester aber entweder weiß keiner etwas von dieser Patientin oder keiner darf darüber sprechen. Das macht alle guten Gedanken dem Erdboden gleich. Sogar er kann nun die Frau nicht mehr beruhigen und wenn er mal auf seine innerste Stimme hören würde, dann wüsste er, dass es ihm ähnlich geht. Wie immer spielt Tala alles runter. Er fährt die Frau einfach Heim. Sobald er die Gelegenheit dazu hat, verlässt er sein Zimmer. Er kann nicht länger sinnlos rum hocken und nichts tun. „Mom ich treffe mich heute mit meinen Freunden, wir wollen feiern gehen.“ „Mitten in der Woche?“, schnieft sie kraftlos. „Ja, sie haben gefragt.“ Es war anders herum. Er hat gefragt. „Und ich habe sofort zugesagt.“ Seine Freunde waren schwer davon zu überzeugen. „Wir werden auch nicht all zu lange machen.“ Er will die ganze Nacht durch machen. Wie gut, dass seine Mutter seine Sprache versteht. Eigentlich ist sie ja dagegen aber was soll sie schon groß dagegen tun? „Viel Spaß.“, drückt all ihre Sorgen um ihn auf einmal aus. Ohne groß zu zögern, zieht er sich heute schon zum dritten mal um, diesmal in normale Sachen, und macht sich auf den Weg. Bei seinen Freunden, muss er feststellen, fühlt er sich noch immer am wohlsten. Die Gruppe besteht aus ihm, 4 weiteren Jungs und einem Mädchen. Zusammen machen sie immer Party. Also genau das, was er heute gebrauchen kann. Am Vormittag des selben Tages gehe ich wie immer arbeiten. Irgendetwas liegt mir schwer auf der Seele, etwas bedrückt mich. Das merken leider alle aus meiner Ausbildungsgruppe. Ich sehe ungewohnt oft auf mein Handy, doch antworte nie. Ich schaue oft hin und her und behalte ständig ein Auge im Rücken. Die Mädchen befürchten, dass ich jetzt schon unter Warnvorstellungen leide wegen meiner Verletzung. Allen steht die Sorge um mich ins Gesicht geschrieben. Warum schauen die mich denn alle so an? Die sollen ihre Arbeit machen und mich nicht anstarren … Viel mehr sollten mich eigentlich meine Träume interessieren. Ich weiß, dass ich immer davon träume, was passiert ist aber ich vergesse es immer, sobald ich wach werde. Ich wette das hat etwas damit zu tun, dabei starre ich misstrauisch auf mein Handy. Um nicht schon wieder aufzufallen, stecke ich es lieber gleich weg. Dann frage ich die anderen ein bisschen über etwas aus, das lenkt zum Glück ab. Es gibt immer ein Mädchen, dass auf Männersuche ist. Die kann man immer am besten anquatschen. Wenn sie einmal anfängt zu reden, hört sie nicht mehr damit auf. „Und wie läuft es so? Hast du inzwischen wieder einen Freund oder bist du immer noch auf der Suche?“ Alle müssen lachen, dabei war meine Frage gar nicht so gedacht. Keiner bemerkt in der Zeit, wie mein Handy vibriert. Der Absender ist Unbekannt. Er unterdrückt seine Nummer immer. Als ich die Nachricht doch aus versehen öffne, lese ich sie diesmal auch. Meine Augen weiten sich und ich zucke zusammen. Hektisch drehe ich mich um, doch da ist nichts. Ich weiß wieder was passiert ist! Nein! Wieso? Das – Das darf nie einer erfahren, nie!!! Tala macht sich immer mehr Gedanken, ob es wirklich richtig war einfach so zu gehen. Seine Mutter leidet und er hat nichts besseres zu tun als davor, vor ihr, zu flüchten. All die Gedanken daran ziehen ihn runter. Er legt einfach ein lächeln auf. Keiner bemerkt, dass es unecht ist, was es so einfach macht, bei seinen Freunden zu sein. Er behält das Lächeln so lange auf, bis er immerhin angetrunken ist. Mit einem mal geht alles viel einfacher. Alle Probleme rücken für ihn in den Hintergrund. Seine Freunde versuchen gerade ein paar Mädchen aufzureißen. Sogar er macht mit. Diese fühlen sich doch eher bedrängt. Was soll man auch groß erwarten, wenn sich vier Jungs an zwei junge Frauen ran machen, die noch dazu alle mindestens einen Kopf größer sind als sie selber? Nach einer Weile wird ihm dabei langweilig und er lässt von ihnen. Er kommt sich mit einem mal blöd vor. Er dreht sich für einen Moment weg und schaut durchatmend in die Sterne. Als er wieder dem Boden zu kommt, bemerkt er, dass er nicht der einzige ist, der sich die Sterne betrachtet. Im dunkeln, an einer kaputten Laterne, steht ein kleines Mädchen. Sie tut es ihm gleich. Nach dazu trägt sie einen Verband am Kopf. In dem Moment fühlt er sich, als hätte er nie etwas getrunken. Die Wut in ihm kommt auf. Sie wirkt erschöpft, ja aber nicht erschöpft genug, um mitten in der Nacht in der Stadt herum zu irren. „Jungs ich – ich muss mal kurz weg. Bin gleich wieder da.“ Denn die Blondine geht ebenfalls weg. Er folgt mir eine Weile, bis wieder drei kaputte Laternen folgen. Da holt er mich schnell ein, packt mich an meiner Schulter und drückt mich gegen die Wand. Ich muss tief Luft holen, um wieder normal atmen zu können. Er hat keinen Sinn dafür, wie hart er mit jemandem umgeht. Für einen kurzen Moment, muss ich stark husten. „Sage mal, was ist eigentlich los mit dir! Du solltest dich doch melden. Meine Mutter macht sich tierische Sorgen und du spazierst hier herum, als wäre nichts passiert!“ Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Mein Blick klebt am Boden fest. So toll wie er erst glaubte, geht es mir nun wohl doch nicht. Sein Griff lockert sich etwas. „Sprich endlich! Verrate mir wenigstens endlich mal wer du bist. Wie alt bist du überhaupt und was ist letzten Sonntag da passiert?!“, stellt er mir fragen, von denen er nicht mal dachte, dass er sie stellen würde. Auch ich bin für einen kurzen Moment verwundert, doch meine Antwort bleibt die gleiche, „Das braucht dich nicht zu interessieren, das geht dich nichts an und weiß ich nicht!“ Was ich sage, meine ich nur zur Hälfte ernst. Er ist wieder so schroff zu mir, dass mich der Mut überrannt hat. Es platzt einfach so aus mir heraus. Mir fällt es noch immer schwer Luft zu bekommen. Wenn mein Hirn keinen Sauerstoff bekommt, kann ich vorher auch nicht nachdenken was ich sage. Endlich lässt er mich los, doch stemmt sofort beide Hände gegen die Wand hinter mir. Er will nicht, dass ich flüchte, also mache ich es auch nicht. Er kann sich nicht damit zufrieden geben. Er braucht Antworten, also versucht er weiter durch mich durch zu dringen, „Verrate mir wenigstens wie du schon jetzt aus dem Krankenhaus raus sein kannst? Keiner da wollte uns etwas über dich sagen.“ Ich gebe keinen Laut von mir. Tala wird noch eindringlicher, „Wir haben uns doch nur Sorgen gemacht! Verdammt, wir dachten du wärst Tod!“ Erschrocken über seine Aussage und seine Deutlichkeit darüber, bin ich wirklich mal sprachlos. Ich versuche mich schnell wieder zu fangen, um ihn beruhigen zu können. Ich zwänge mich voll gegen die Wand, um so viel Abstand wie möglich von ihm zu haben. „Kein Wunder, dass sie euch nichts gesagt haben. Ich bin geflüchtet. Sie hatten weder Name noch Adresse und auch sonst nichts. Einer der Ärzte im Krankenhaus kennt mich gut und lässt nicht nach mir suchen, niemals. Ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen macht. Ich habe einfach noch keine Zeit gehabt, mich bei euch zu melden.“ „Was! Du bist einfach abgehauen?! Du bist immer noch schwer verletzt du Idiot! Mache dir doch wenigstens etwas Gedanken um deine eigene Gesundheit! Mache dir etwas Sorgen um dich selber!“ „Ich komme damit gut zurecht. Es tut gar nicht mehr weh.“, lüge ich gut genug, um ihn davon zu überzeugen. Ich merke, wie sein Kopf arbeitet. Er überlegt ob er, jetzt wo wir mal halbwegs ruhig miteinander reden, an die vorherigen fragen anschließt. „Was ist nun passiert? Ich habe den halben Wald abgesucht und rate mal, ich habe da was gefunden. Da lag mitten im Wald ein Ast mit deinem Blut dran. Da war überall nur Blut! Und jetzt sage mir nicht das stammt von einem Tier.“ „Das war es auch nicht.“, gebe ich leise zu. „Hast du es selber getan?“ „Was?! Nein!“, blicke ich erschrocken auf. „Also war es jemand, ja? Wer? Wer hat dich da niedergeschlagen?“ Ich gebe kein Wort von mir. Was soll ich denn dazu sagen? Ich fühle mich unter druck gesetzt und das spürt er auch. Wie kann jemand so aufbrausendes so aufmerksam sein? Ich werde nicht schlau aus ihm. „Verrate mir endlich wer du bist.“, fleht er schon fast. Er hat es schwer mir Worte zu entlocken. Das nagt an ihm. Seine Stimme ist inzwischen fast schon friedfertig. Niemand soll wohl das Gespräch zwischen uns mitbekommen, als letztes seine Freunde. Das wäre für ihn ein halber Weltuntergang. „Mein – Mein Name ist Tiara. Ich weiß wirklich nicht mehr was passiert ist. Wirklich! Ich weiß nur noch, dass ich in den Wald gegangen bin. Alles andere ist weg.“ Inzwischen sehe ich schon wieder weg von ihm. Ich schaffe es nicht ihn bei dieser Antwort in die Augen zu sehen. Seine eisblauen, funkelnden Augen machen mir sowieso die meiste Zeit über Angst. „Noch eine Frage, dann bin ich weg. Wie alt bist du?“ „Jedenfalls nicht so alt wie du.“, drehe ich den Spieß einfach um. „Das ist mir klar, danke auch! Na gut, ich bin 20.“ Genau in dem Moment klingelt mein Handy. Ich war noch nie so erleichtert, dass ich es höre. Jetzt wo ich weiß, wie alt er ist, will ich ihm mein Alter nicht unbedingt auf die Nase binden. „Ich muss schnell nach Hause, sonst hören die nie auf zu nerven.“, gebe ich vor. Er glaubt mir. Ich schubse einen Seiner Arme weg und mache mich auf den Weg. Erst laufe ich nur, doch mit dem Abstand werde ich immer schneller, bis ich renne. Meine Blicke gelten nur noch dem Boden. Es wirkt auf ihn, als würde man mich quälen. Tala weiß immer weniger, wie er mit mir umzugehen hat. Er glaubt kurz ein paar Tränen gesehen zu haben, woraufhin ein leises Schluchzen folgt, doch noch eh er fragen kann was los sei, bin ich auch schon weg. Klar, ein paar Fragen haben sich jetzt gelöst aber da ist noch einiges, was sie verschweigt. Sie vertraut mir nicht, weil ich ihr nicht über den Weg traue … Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass sie sich nur unsere Familie ausgesucht hat, um ihren Vorteil daraus zu ziehen. Da steckt etwas viel, viel größeres dahinter. Wenn ich nur wüsste was! Er sieht mich noch gerade so weglaufen und ist innerlich noch voll in seinen Gedanken versunken, da kommen auch schon ein paar Jungs um die Ecke. „Hey, was ist los? Ist dir schon schlecht?“ Den Kopf schüttelnd, befreit er sich aus seinen Fragen. „Hmm? Nein, alles ok.“, lässt er sich nichts anmerken. „Habt ihr es endlich geschafft ja?“, will er neugierig wissen. Die zwei blicken ihn kopfschüttelnd an, und antworten zugleich, „Wir nicht, nein aber …“ Ich laufe bis zur nächsten Haltestelle und steige in die nächstbeste Bahn. Was waren das erst für komische Typen, an denen ich vorbei gekommen bin? Die waren ja seltsam drauf. Verträumt wie ich eben bin, verpasse ich es beinahe einzusteigen. Noch in letzter Sekunde wache ich auf und springe hinein. Ich will einfach nicht nach Hause, ich will weg, mehr nicht. Einfach nur weg, das ist mein einziger Wunsch den ich noch habe. Der junge Rotschopf findet erst Freitag früh gegen drei Uhr zurück zu seiner Mutter. Hatte er sich verlaufen? Oder sie einfach nur vergessen? Als er zu erst in die Küche geht, sieht er sie da auf dem Tisch liegen, neben ihr steht eine Schnapsflasche. Am liebsten würde er es ihr gleich erklären aber dazu schläft er fast selber an Ort und Stelle ein. Gegen Mittag wird er endlich wach. Noch immer übermüdet von den letzten Tagen macht er sich Kaffee und nimmt sich etwas Müsli aus dem Schrank. Als er sich an den Tisch setzt, liegt da noch immer seine Mutter. Die Flasche stellt er lieber weg, sonst würde er wahrscheinlich noch den Rest austrinken. Durch das geklappere und die Bewegung die sie wahrnimmt, wacht sie endlich auf. Träge öffnet die Frau ihre Augen. Nach einer Weile erhebt sie dann auch endlich mal ihren Kopf. Sie wird von tiefen Augenringen gezeichnet. Das kann sich Tala beim besten Willen nicht mit ansehen. „Geh lieber mal schlafen anstatt mir meinen Schnaps leer zu saufen!“ Verdattert begreift sie erst nicht mal, dass da ihr Sohn vor ihr sitzt und zu ihr spricht. „Wenn Sora das sehen würde, wäre sie echt sauer!“ „Sie sieht mich aber nicht also ist das doch egal.“, protestiert sie nuschelnd. Tala wartet noch wenige Minuten eh er weiter spricht, „Du sitzt am Küchentisch, falls dir das noch nicht eingefallen ist.“ „Wo warst du gestern?“, prustet die Brünette und fasst sich mit ihren kalten Händen an ihre Schläfen. „Unterwegs.“ Seine eben noch so angespannten Gesichtszüge lockern sich. „Ich habe sie gesehen. Ich habe die kleine Blondine getroffen. Sie lebt noch und ihr geht es gut.“ „Ehrlich? Die will mich wohl verarschen. Ich glaube du hattest Recht Tala.“ Endlich schafft sie es sich zu erheben. Sie braucht jetzt dringend eine Tasse0 Kaffee. „In Gegensatz zu dir bin ich nicht mehr der Meinung.“ Dann erklärt er alles, was ich ihm schon erzählt habe. Trotz allem will seine Mutter sich nicht überzeugen lassen. Jetzt merkt er mal, wie schwierig er selber noch vor ein paar Tagen war. „Jedenfalls, ich bin auch nur hier, um nach dir und den Tieren zu schauen.“ „Hast du vor schon wieder zu gehen?“ „So in etwa, ja.“ Mit so in etwa meint er, er nimmt ein Bad, gibt seiner Mutter seine Wäsche und zieht sich um. „Du brauchst wirklich mal weniger Sachen Tala.“, mäkelt die Frau. „Das sagt ja wohl die richtige.“, entgegnet er ihr genervt. „Bei mir ist das etwas anderes, das ist mein Job.“ „Zum Thema Job, wann gehst du mal wieder auf Arbeit?“ „Ab nächsten Montag.“ Mehr will er auch gar nicht wissen. Er nimmt sich sein Geld, den Schlüssel und sein Handy, dann ist er weg. „Danke mein Sohn, dir auch einen schönen Tag.“, brummelt die Frau ihm nach. Auch heute Abend wollen die Jungs wieder feiern. Wenn Tala einmal freiwillig mitmacht, dann lassen sie ihn nicht mehr gehen. Manchmal ist das wirklich anstrengend, doch einen Vorteil hat es auch für ihn. Er muss nicht mehr so viel nachdenken, sondern kann einfach nur leben. Lange hält seine Zuversicht dann aber auch nicht an. Er muss gerade Umsteigen, um zum Viertel seiner Freunde zu gelangen. Eine Weile muss er laufen um zur nächsten Station zu kommen. Da angekommen, schaut er sich etwas in der Gegend um. Dabei entweicht er den Blicken der Mädchen. Man merkt genau, welche von ihnen vergeben sind und welche single. Obwohl es auch viele Frauen auf ihn abgesehen haben, die vergeben und gleichzeitig tot unglücklich sind. Es gibt Tage, an denen geht es ihm so gut, dass er ein Ratespiel daraus macht. Irgendwie verraten sich die Frauen meist von ganz allein. Es reicht manchmal eine einfach Geste, eine Eigenart oder auch ganz einfach ein Foto. Als er da so in die Runde schaut, sieht er auch auf die Bänke der anderen Station. Wieder zieht ein Mädchen seine Aufmerksamkeit auf sich. Tala kann es nicht glauben. Wieder habe ich anscheinend genügend Zeit um in der Weltgeschichte herum zu wandern, anstatt wenigstens einmal bei seiner Mutter anzurufen. Man merkt die pure Enttäuschung. Langsam stellt er sich wieder die Frage, die die ganze Zeit in der Runde steht. Es sieht fast so aus, als ob ich schlafe, doch dann versperrt eine herannahende Bahn ihm die Sicht auf mich. Als sie abfährt bin ich weg. Hat er jetzt schon Halluzinationen? Er hat mich ja auch nicht einsteigen gesehen. Um sicher zu gehen, geht er nur mal schnell rüber. Einer wird ja wohl etwas gesehen haben. Zum Glück fällt ihm der alte Mann von erst auf. Er sitzt fast immer da. Ohne zu zögern fragt er nach, „Entschuldigung, saß hier nicht eben noch so ein kleines Mädchen? Sie trug einen Verband um ihren Kopf und über ihr rechtes Auge.“ Da braucht der Mann nicht lang zu überlegen, „Ja, bis eben saß sie noch hier. Ich habe leider nicht mitbekommen wo sie hin ist.“ „Ist Ihnen vielleicht irgendetwas an ihr aufgefallen?“ Da muss er kurz überlegen. „Wissen Sie, ich sitze jeden Tag hier und fahre fast dreimal am Tag mit dieser Bahn. Inzwischen habe ich sie schon sehr oft gesehen. Von Tag zu Tag bewegte sie sich träger und an einem Tag, da waren ihre Sachen noch alle ganz und jetzt haben sie plötzlich überall Risse und Löcher. Es werden von Tag zu Tag mehr. Außerdem scheint sie sich nirgends waschen zu können, als hätte sie kein zu Hause. Mit den ganzen Blessuren kann ich mir auch gut vorstellen, dass sie in Schwierigkeiten steckt.“Tala sieht sich suchend um, doch entdeckt mich nicht. „Ja und … wissen sie denn wo sie hin ist?“, hakt er nach. „Tut mir Leid. Sie verschwindet immer so schnell, dass ich es nicht mitbekomme.“ Er nickt nur und bedankt sich. Er hat sich mehr erhofft von einem Mann, der nichts besseres zu tun hat als den ganzen Tag Bahn zu fahren. Der Rotschopf will schon langsam gehen, als ihm dann doch noch etwas einfällt. „Ach, warten Sie mal junger Mann.“ Neugierig wendet sich Tala sofort. Der Mann kommt mit seinem Krückstock zu ihm herüber gehumpelt. „Also ich weiß nicht ob das hilft, ich fand es bisher immer unwichtig aber vielleicht können Sie ja etwas damit anfangen. Wenn sie wirklich in Schwierigkeiten steckt, dann muss man ihr doch helfen. Mir ist aufgefallen, dass sie immer dann so schnell verschwindet, wenn ihr Handy klingelt. Ich glaube sie bekommt sehr häufig Nachrichten.“ Trotz seiner lieb gemeinten Hilfe bringt ihm das reichlich wenig. In Gedanken versunken, muss der Mann mit seinem Stock vor ihm herum wedeln, um ihn in die Realität zurück zu holen. „Ich glaube Ihre Bahn kommt.“, macht er es kurz. Der Junge rennt sofort hin und erwischt sie noch gerade so. der alte Mann bleibt zurück. Er setzt sich wieder und streicht sich über seinen langen, grauen Bart. Er brummelt irgendetwas über die Jugend in seinen Bart hinein. Mit aller Macht versuch Tala seinen Dickschädel auch bei seinen Freunden durch zu bekommen. Ihm ist überhaupt nicht mehr nach Feiern zu mute, doch er beißt auf Granit. Seine Freunde sind in der Mehrzahl und schleifen ihn einfach mit sich. Nach fünf Bier und einer Flasche Wodka haben sie ihn dann endlich auch davon überzeugt, dass Feiern schöner ist, als zu Hause anzuhängen. Zusammen ziehen sie noch weiter um die Häuser. Sie sind wie immer auf der Suche nach hübschen Mädchen. Gerade am Wochenende sollte da doch mehr zu finden sein. So denken sie sich das zumindest. Das erinnert den Jungen geradezu an das letzte mal. Umso aufmerksamer schaut er sich die Mädchen an. Er starrt schon fast. Das ist im Strom von zum viel Alkohol natürlich nicht so einfach. „Da hat sich heute einer aber voll abgeschossen, was?!“, regt sich das einzige Mädchen in der Gruppe auf. „Ab und zu geht so etwas auch mal klar Sora. Mache dir keine Sorgen. So lange ich morgen früh noch aufstehen kann ist doch alles super. Ups, es ist ja schon morgen früh!“, lacht er über sich. Er lallt nur noch und übergibt sich dabei halb. Noch gerade im letzten Moment schafft er es in die nächstbeste Gasse. Da stehen große Müllcontainer, die sich gut für seine Zwecke missbrauchen lassen. Kurz darauf fühlt sich wohl ein Pärchen bei etwas gestört. Da will Tala nicht länger bleiben, sonst werden die zwei vielleicht noch aufdringlich. Alles ist ihm da lieber, als sich das Gestöhne von irgendwelchen Leuten anzuhören. Sora gibt dem Rotschopf ein Taschentuch und etwas Wasser, die anderen raten ihm daraufhin zu einem weiteren Bier. Er hört auf beides und die Feier geht weiter, und wie sie weiter geht! Der Besuch von noch drei weiteren Discotheken war auf jeden Fall noch drinnen. Früher oder später werden sie dann doch bei allen rausgeschmissen. Bis um sieben suchen sie Bar für Bar und Disco für Disco auf. So lange, bis sogar seine Schwester betrunken ist und am liebsten gleich liegen geblieben wäre. Vor ihnen taucht ein wunderschöner Sonnenaufgang auf. Sie schauen sich diesen noch etwas an, eh sie zur Tür herein in ihre WG gehen. Tala hängt schon halb über der Schulter einer seiner Freunde. Sie fallen alle irgendwo in ihren vier Wänden um und schlafen sofort ein. Ich hingegen bin noch immer wach und unterwegs. Sobald es Montag ist, geht es wieder auf Arbeit. Was in den letzten Tagen alles schon passiert ist, bekomme ich einfach nicht mehr aus dem Kopf. Jetzt muss ich mich nur voll auf meine Arbeit konzentrieren. Das ist nur viel einfacher gesagt als getan. Ich habe Hunger und Durst. Sich so etwas nicht anmerken zu lassen ist gar nicht so einfach. In den Pausen bleibe ich immer draußen. Keiner will noch freiwillig neben mir sitzen. Ist ja auch kein Wunder, so wie ich jetzt aussehe. In der Zeit draußen schlafe ich immer ein wenig. Alles was ich jetzt will ist Ruhe, einfach nur Ruhe. Die nächsten Stunden bis zur großen Mittagspause vergehen vergleichsweise schnell. Jetzt heißt es eine halbe Stunde Schlaf. Wie sehr ich diese doch immer genieße. Heute muss ich hier aber duschen gehen. Ich muss! Es kommt nur nie einer mit. Allein ist auch blöd unter all den Omi's. Ist ja pervers. Ich hoffe nur, dass ich das schaffe. Egal wie sehr ich es versuche, was ich mir in der Pause vorgenommen habe, kann ich einfach nicht einhalten. Schon allein vom Gedanken wird mir schlecht. Ich warte wie immer mit umziehen, bis alle anderen Mädchen draußen sind. Ich will nicht, dass sie mich sehen. Danach mache ich mich auf den Weg in die Stadt. Die Truppe voller betrunkener, halberwachsener Menschen schläft noch immer tief und fest. Sogar die Sonne stört niemanden. Sie sind alle froh endlich ihren 'Schönheitsschlaf' zu bekommen, doch auch der letzte wird gegen 17Uhr wach. Alle denken nur an eins, Gestern haben wir es echt übertrieben! Keiner will so recht aufstehen, dafür ist ihnen zu übel. Allein einer steht fest auf beiden Beinen. Tala. Er kann nicht mehr schlafen, nicht nachdem er sich selber im Schlaf höllische Vorwürfe gemacht hat. Er ist trotz des geringen Schlafes nicht mal müde, dafür aber lustlos. Er glaubt es hätte ja eh keinen Sinn, da ich kein Wort mit ihm sprechen würde. Selbst nicht, wenn er mich dazu drängen würde. In Gedanken versunken hilft er den anderen etwas nach beim aufstehen. Obwohl ihnen noch immer schlecht ist, wollen sie heute nochmal genau das gleiche durchziehen. Sie diskutieren fast zwei Stunden lang. Diesmal will der Punker einfach nicht ja sagen. Deswegen halten seine Freunde ihm einfach den Mund zu und nehmen ihn mit. Auf dem Weg zur Disco bekommen alle noch etwas frische Luft. Ihre Mägen beruhigen sich etwas. An einer Straßenbahn machen sie Halt. Ein paar der Jungen setzen sich. Einer von ihnen drückt jedem ein Bier in die Hand. Sie genießen die Ruhe, die Frische Luft und leider auch den Alkohol. Bei einem Blick auf die anderen Straßenseite blinkt da etwas im Takt. Es liegt auf dem Boden und man kann es, wenn man ruhig wäre, gerade so vibrieren hören. Schon drei von ihnen sind darauf fixiert. „Ist das ein Handy?“, stellt einer die Frage aller Fragen. Er steht auf und sieht als erster nach. Die anderen folgen ihm. Auf dem Handy befinden sich drei ungelesene Nachrichten und fünf Anrufe in Abwesenheit und das innerhalb der letzten zehn Minuten. „Da scheint jemand aber jemanden zu vermissen.“, können sie nur darüber lachen. „Jungs verstehen so etwas nicht. So etwas nennt man Liebe!“, mischt sich seine Schwester mit ein. „Ja klar, als ob es so etwas geben würde.“ „Dann doch lieber nur Sex, macht auch viel mehr Spaß!“ Tala hört gar nicht erst zu. Er ist wieder ganz in seinen Gedanken, Dieses Handy … das ist doch das gleiche wie von … „Gib mal her!“, platzt es plötzlich aus ihm heraus. Noch eh einer reagieren kann, greift er einfach danach. Das erste was er damit macht, er drückt die Nachrichten und die entgangenen Anrufe weg. Hier muss es doch irgendwo ein Profil geben! … Da ist es ja! Erschrocken über den Namen darauf, obwohl er es ja eh schon ahnte, werden seine Augen mit einem mal größer. Neugierig muss er nun doch wissen, was in den Nachrichten steht. „Ich sehe dich, ich sehe dich, ich sehe dich!“ „Du brauchst doch nicht vor mir wegzulaufen!“ „Habe keine Angst, ich will nur etwas spielen. Ich sehe dich!“ „Letzte Nacht war doch schön. Ich will mehr, mehr von dir!“ Mit jeder Nachricht staut sich sein Blut in den Adern, bis er seine aufgestaute Wut nicht mehr kontrollieren kann und es aus ihm heraus platzt, „Bei solchen Kerl kommt mir das kotzen!“ Verwirrte Blicke verfolgen jede seiner Bewegungen. „Was hast du denn?“, fragen sie im Chor. Leiser werdend, so leise, dass es keiner mehr versteht, wispert er, „Sie vertraut mir kein bisschen. Davon hätte sie mir doch etwas sagen können! Dummes Ding!“ Die letzte geöffnete Nachricht war dann wohl die, die sie als letztes gelesen hat. Was wohl so schlimmes in der Nachricht drinnen stand? Neugierig aber schon vorher wissend, dass es nichts gutes sein könnte, sieht er nach. Darin ist nur ein Bild. Man sieht mich, meinen kompletten Brustkorb. Ich trage darauf nichts an mir, doch das ist es nicht, was Tala so sehr interessiert. Es sind eher die Blessuren, Schürfwunden und tiefe Schnittwunden, die ihn aufsehen lassen. „So etwas macht diesen Bastard also geil ja! Der kann was erleben!“, brabbelt er unverständlich. „Hört mal, ich hatte doch sowieso keine Lust auf feiern heute. Ich schaffe das jetzt ins Fundbüro.“ Gleichzeitig öffnet er unauffällig die nächste, noch ungelesene Nachricht. Darin steht etwas von der nächsten Richtung. Sie scheint nach links gelaufen zu sein. Gezwungenermaßen läuft er bis um die nächste Ecke. Es soll ja keiner etwas von seiner Unruhe bemerken. Die anderen müssen nun mal wirklich nichts davon mitbekommen. Sobald er außer Sichtweite ist, läuft er sofort los. Er will sich beeilen, so schnell er nur kann. Noch während er den Anweisungen nachläuft, bekommt er, also eigentlich ich, eine neue Nachricht. Diese macht ihm von allen am meisten Angst. „Heute Nacht wird die letzte Nacht, wenn du dich weiterhin so wehrst! Mache dich auf etwas gefasst!“ Immer wieder und wieder macht er sich jetzt Vorwürfe. Das sollte niemand durchmache müssen, niemand! Ob ich sie nun mag oder nicht, spielt da ja wohl keine Rolle. Ich hätte sie schon letzte Nacht retten können. Ich hätte ihr helfen können! Warum bin ich einfach abgehauen? Warum habe ich die Hilferufe nicht wahr genommen?! Warum nicht!!! Ich nehme beide Hände an meinen Kopf und verstecke diesen zwischen meinen Beinen. Als Kugel zusammen gerollt, presse ich mich mit meinem ganzen Körper gegen denn Container neben mir. Ich verstecke mich ganz hinten in einer Gasse und hoffe darauf, dass ich endlich mal eine Nacht ohne Qualen überstehen kann. Doch dann höre ich schon Schritte herannahen. Meinen Körper presse ich noch viel mehr gegen den Container. Gleichzeitig versuche ich mich so klein zu machen wie es mir möglich ist. Meine Augen presse ich noch mehr zusammen, so sehr, dass es schon schmerzt. Doch das alles ist nichts im Vergleich zu den letzten Nächten! Ich zittere am ganzen Körper. Ich wünsche mir nur noch unsichtbar sein zu können oder gar nicht erst hier zu sein. Mein Schluchzen und Jammern ist deutlich zu hören, auch wenn ich mir alle Mühe gebe still zu sein. Die Schritte werden stetig lauter, bis ich mir sicher bin, dass er direkt vor mir steht. Ruhig beugt er sich zu mir herunter. Eine Hand legt er auf meine verschmutzte Wange. Zaghaft streicht er mir darüber. Ohne groß zu überlegen schlage ich seine Hand weg und prügle auf seinen Kopf sein. Ich stehe schnell auf und versuche an ihm vorbei zu kommen. Dabei wehre ich mich mit Händen und Füßen, doch er erwischt mich noch gerade so am Unterleib und stößt mich zurück zur Wand. Ich quietsche laut auf, flehe, bettle, dass er mich los lässt. Ich will das nicht, das wollte ich nie. Der Mann mir gegenüber braucht viel Kraft, um mich wieder zurück zu pressen. Er drängt mich wieder in die gleiche, eingekugelte Position wie vorher. Meine Tränen überfluten meine Augen und fließen in Bächen über meine Wangen. „Lass mich los, bitte. Ich habe dir nichts getan. Warum verfolgst du mich? Bitte, lass mich gehen!“, flehe ich ihn atemlos, wimmernd an. Dabei versuche ich weiter auf ihn einzuschlagen, doch ich bin schon seit langem viel zu schwach. Doch im Gegensatz zu dem wie ich ihn kenne, versucht der Mann vor mir mich zu beruhigen. „Ruhig, beruhige dich! Ich tue dir nichts, versprochen.“ Dabei rutscht er mir mir immer näher und drängt sich schon zischen meine Beine. Ich verstehe noch immer nichts und jammere weiter. Wenn man mir so nahe ist, wir der mir gegenüber, kann ich leider nicht erkennen wer es ist, wer da bei mir ist. Er nimmt mich lediglich in die Arme. „Wenn du mir schon die ganze Zeit über nicht sagen konntest, was los ist, dann sei jetzt wenigstens still!“, weist er mich schroff an, doch dann wird sein Ton wieder leise, „Ich will dir nur helfen.“ Langsam kann ich vertrauen in die Stimme fassen. Mein Körper hört langsam auf zu zittern, er gehorcht mir wieder. Ich kann nicht mehr länger gegen ihn ankämpfen. Ich kann mir nur ein paar Tränen aus dem Gesicht wischen, denn ich will endlich wissen, wer mir da gegenüber hockt. Mein Körper sieht noch viel schlimmer aus als er es sich vorstellen konnte, als es das Bild jemals hätte zeigen können. Er wundert sich immer mehr, denn schließlich hat er mich doch erst vor einer Weile gesehen. Warum hat er das alles nicht erkannt? War er wirklich so blind? „Tut mir Leid. Ich mache nur ärger, ich weiß aber …“ Da hält er mir auch schon den Mund zu. Ich soll mein Gejammere jetzt erst mal zurück stecken und Entschuldigungen will er sich gar nicht erst anhören. Das zeigt ihm nur noch deutlicher, wie falsch er doch lag. „Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen, verstehe das doch! Erzähle mir lieber was hier läuft! Wer ist das und warum tut er das?“ Ich bin noch immer aufgeregt, mein Herz schlägt wie wild. Ich kann selber nicht mehr unterscheiden, ob es nun aus Angst vor dem anderen Mann ist oder wegen der Nähe dessen Mann, der jetzt bei mir ist. Hastig versuche ich zu erklären, „Er – Er tut das aus – aus Spaß, weil es ihm Spaß macht. Ich – Ich – Ich kenne ihn von früher. E-E-Es g-gab viele, wirklich viele Gründe, warum ich von zu Hause weg – weg wollte. E-E-Er war einer davon aber … aber … wie kommst du eigentlich hier her?! Wie hast du mich gefunden?“ So langsam misstraue ich ihm fast genauso wie dem anderen. „Du hast hier nichts zu suchen. Er wird dich umbringen, wenn er dich hier sieht. Er will dich nicht mehr sehen, nicht hier, nicht bei mir!“ Plötzlich macht alles Sinn. Tala fängt an zu verstehen, Sie konnte mir nichts sagen. Er hat sie unter Druck gesetzt, damit sie mir keinen Zentimeter näher kommt. Deswegen ist sie an der Haltestelle auch weggelaufen und deswegen wollte sie so schnell weg in der Nacht, in der ich sie zur Rede gestellt habe.... Sie hatte einfach nur Angst, dass mir dabei etwas passieren könnte. „Dummes Mädchen! Du bist so ein dummes Mädchen! Ich kann doch auf mich aufpassen. Nur du kannst es anscheinend nicht. Ich habe dich durch dein Handy gefunden. Er weiß trotzdem wo du bist. In der letzten Nachricht kündigt er an, dass er dich umbringen will! Glaubst du, da sehe ich zu?“ Endlich schweige ich, ich bin sprachlos. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass jemand der die ganze Zeit über gegen mich ist, mir plötzlich helfen will. Bei dieser Stille die jetzt herrscht, kann ich jede Bewegung hören. Unsere Köpfe sind sich etwas im Weg bei so einer Nähe. Jeder kann den Atem des anderen hören, ja sogar den Herzschlag des anderen spüren. Diese ungewohnte Nähe macht mich nervös und ja, nicht nur mich, auch bei ihm ist das so. es lenkt mich etwas von dem ab, was hier eigentlich gerade vor sich geht. Schon nach kurzer Zeit ertönt ein anderes Paar an Schritten. Sie sind dumpfer und kräftiger. Tala zwängt sich mir noch mehr auf und beugt sich ein Stück weiter über mich. Sein wütendes knurren kann ich kaum überhören. „Der kann was erleben!“, kündigt er an. Gerade als er aufspringen will, halte ich ihn so gut ich kann an seiner Jacke fest. „Nicht, bleibe hier!“, flehe ich ihn an. Ich lasse meine Blicke hin und her wandern. Sogar er weiß, dass ich gerade nachdenke. „Ich werde nicht noch länger …“, versucht er es nochmal. „Doch wirst du!“, kann ich ihn nicht aussprechen lassen, „Du kannst da nicht raus. Er hat eine Waffe! … Ich habe einen Plan!“ „Lass mich raten, dafür musst du jetzt aufstehen, richtig?“ Ich kann nicht anders, obwohl es eigentlich der schlechteste Zeitpunkt ist, lächle ich ihn zum ersten mal wirklich aufrichtig an. „Vertraue mir, ich weiß was ich mache. Du musst unter allen Umständen und egal was passiert hier bleiben. Durch dich würde nur alles schlimmer werden! Bitte.“, flehe ich ihn an. Was soll er jetzt schon noch groß sagen? Er sieht wie entschlossen ich plötzlich bin. Nur dieses eine mal stimmt er mir zu. „Ich bleibe hier, egal was passiert. Versprochen.“ „Ich nehme Versprechen sehr ernst, vergiss das nicht.“, dann zwänge ich mich auch schon aus der Lücke zwischen Tala und dem Container. Sofort fängt er mit seinem lüsternem Gerede an. Dieser Mann hat keinerlei Selbstbeherrschung. Schon nach den ersten Worten fragt der Rotschopf sich, warum er mir das versprochen hat. Noch dazu weiß er ja, dass dieser Verrückte eine Waffe bei sich trägt. „Na mein Schatz, hast du endlich aufgehört dich zu verstecken? Vielleicht benutze ich dich dann ja weiter aber auch nur vielleicht, lasse ich dich am Leben. Du könntest, wenn du artig machst was ich sage, vielleicht wieder mit zu mir. Da fessel ich dich wie früher ans Bett. Weißt du noch wie schön das war?“ Schon der Gedanke daran tut mir weh, es tut uns beiden weh, so wie es aussieht. Keiner will daran denken müssen. Langsam getraue ich mich ein paar Schritte auf ihn zu zu gehen. Ich fühle mich stärker, jetzt wo ich weiß, dass jemand da ist. Auf den Boden starrend, schalte ich einfach alles aus. Ich sage ihm das, was er hören will, einfach so. „Ja. Es tut mir leid. Ich habe mich geirrt.“ Hätte ich doch nur nie dieses Versprechen gegeben! Wie komme ich überhaupt darauf, so bedingungslos zuzustimmen und das gerade bei diesem dummen Kind?! So ein Mist! „Ich würde gern wieder alles gut machen. Du hattest die ganze Zeit über Recht. I-Ich …“, tue ich mich lediglich an diesen Worten schwer, „Ich liebe dich noch immer.“ Es will nur gerade so über meine Lippen wandern. Meine Fäuste zittern vor Wut, vor Wut und vor Hass! Am liebsten würde ich mich jetzt einfach übergeben. Der Kerl hinter dem Container denkt genauso, ihm ist mindestens genauso schlecht. Na komm schon, das muss einfach klappen! Noch eine Chance wird es nicht geben. Der mir gegenüber kommt auf mich zu. Was hast du vor Mädchen? Er wird dich töten! Ich komme ihm sogar noch ein Stück entgegen, damit es glaubwürdig erscheint. Er greift wollüstig um meine Hüfte und drängt mich zur Wand zurück. Genau in diese Situation wollte ich eigentlich nicht geraten. Er küsst meinen Hals rauf und runter, leckt ein wenig daran und versucht mit seinen schlechten Zähnen an mir zu knabbern. Das ist widerlich, er ist es! Ich könnte ihn … ich würde ihm am liebsten einfach … erwürgen! Dann endlich höre ich zwei Stimmen. Auch wenn ich gerade in der schlimmsten Situation stecke, in die ich hätte kommen können, so muss ich jetzt etwas tun. Aus vollem Hals fange ich an zu schreien, ich schreie nach Hilfe und wie verrückt der Mann mir gegenüber doch ist. Tala begreift, doch erkennt zugleich die Gefahr. Sie wusste von Anfang an, dass hier Polizisten vorbei kommen würden! Wie genial! Ich versuche mich zappelnd und strampelnd aus seinem Griff zu befreien. Ich versuche es noch viel mehr als erst bei Tala. Ich quietsche laut auf, denn sein Griff wird härter. „Bitte! Bitte! Sie müssen mir helfen!“, flehe ich. Endlich reagieren die Polizisten, dafür aber auch zugleich der, der mich festhält. So wie die zwei Männer nach ihrer Waffe greifen, so greift auch er danach. Die zwei zielen genau auf den Mann und der Mann … er hält seine Waffe gegen meinen Kopf. „Verräterin!“, brüllt er mich nervös an. Erneut flehe ich die zwei Männer an. Ungewollt kommen mir die Tränen. „Legen sie sofort ihre Waffe weg!“ „Es hat keinen Sinn, geben sie auf!“, rufen beide feste Stimmen zu uns, doch er reagiert nicht. Erst dann bemerke ich, dass Tala sich nicht an sein Versprechen hält. Er schleicht sich ganz langsam von hinten aus seiner Ecke hervor. Der mir gegenüber hat schon genug mit mir und den beiden Polizisten zu tun. Die zwei Polizisten lenke meinen Peiniger weiter ab, doch können es nicht lassen, oft genug zum Rotschopf zu schauen. Tala steht schon fast in greifbarer Nähe, er könnte schon fast seine Waffe nehmen und ihn überwältigen, als er ohne jegliche Vorwarnung abdrückt, genau wie die Polizisten. Ich reagiere noch gerade schnell genug und schubse ihn von mir weg. So rutscht dessen Hand tiefer und trifft nur noch meine Schulter. Ich fahre stark zusammen und greife mir mit dem anderen Arm daran. Der Schmerz ist erdrücken und der Schuss dröhnt in meinen Ohren. Ich bekomme nicht mehr viel mit, außer den harten Seitenhieb von Tala. Er zögert keinen Moment ihn nieder zu schlagen. Einer der Polizisten hilft ihm dabei, der andere ruft sogleich den Krankenwagen. Als ich auch nur sehe, dass er es wagt die Notrufnummer einzutippen, greife ich fast mit dem selben Eifer ein wie eben schon. Ich schlage es ihm einfach aus der Hand und das Handy landet auf dem Boden. Dafür schmerzt meine Schulter nun umso mehr. Irritiert sehen mich alle an. „Ich mache das selber.“, knirsche ich böse mit meinen Zähnen, „Ich brauche nur eine Pinzette!“
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