Als ich ihm endlich folge, überwinde ich mich seit langem mal jemanden zu fragen, leise, fast zu leise, „Was … Was haben wir danach?“
„Ich glaube Kunst und dann … stimmt ja, dann ist schon Schluss, also zumindest für mich!“ Diesmal funktioniert die Provokation aber lieber sitze ich nach als eine 6 zu bekommen! Als wir im Klassenraum ankommen klingelt es auch schon. Die große Pause steht an. Dieses mal bleibe ich drinnen, Castiel gleich neben mir. Alle sehen ihn an als wäre er ein Tier im Zoo. Demütig lässt er das über sich ergehen, Kommentare kommen zum Glück keine. Er will sofort zum Kunstraum, da ist es immer sehr ruhig. Meist sitzt nur eine einzige Person drinnen, bis eben der Unterricht beginnt. Auf dem Gang schauen ihn nun sogar die Oberklassen an wie die Guppis. Er schaut ignorierend zur Wand neben sich. „Hör mal du – du musst das nicht machen.“, gestehe ich ihm zu, doch er hört nicht. „Ach lass nur. Ab morgen darfst du es wieder anziehen!“, belächelt er mich. Im Klassenraum stehen überall Staffeleien herum. Sie sind im Kreis angeordnet und davor stehen jeweils zwei Hocker. Es stimmt, es ist wirklich ein Mädchen da. Sie ist glaube ich eine Freundin von diesem anderen Mädchen. Sie ist ganz ruhig und zeichnet vor sich hin. Ich setze mich irgendwo an eine Wand auf den Boden und ziehe meine Beine an meinen Körper. Darauf bette ich meinen Kopf und komme etwas zur Ruhe. Auch mir fehlt der Schlaf von letzter Nacht. Castiel beschmunzelt mich. Er findet, dass ich jetzt aussehen wie eine Schneekugel mit Fell dran oder wie ein schlafendes, zusammengerolltes Tier. Er setzt sich kurzerhand daneben, winkelt ebenfalls ein Bein an und legt seinen Kopf auch darauf. Ich schlafe inzwischen schon und merke nicht mehr, dass er mich die Hälfte der Zeit nur beobachtet. Sogar als die anderen zurück kommen steht er nicht auf. Sobald die Lehrerin hinein kommt sitzt jeder an seinem Platz. Hier scheint jeder Kunst zu mögen. Da bin ich ja mal gespannt wie die Bilder ausschauen werden. Die Lehrerin steht in der Mitte, eine Tafel gibt es nicht in diesem Raum, nur ihren Pult. Ich habe gleich den nächstbesten Hocker für mich beansprucht, der Rotschopf gleich neben mir aber wohl auch nur, weil er dadurch einen Platz neben der 'Neuen' bekommen hat. Ich frage mich noch immer, warum alle auf die abfahren. Was hat die wohl so besonderes an sich? „Schön, also dann. Ihr kennt ja alle das Thema, beginnt!“, ist alles, was sie von sich gibt. Ich schaue irritiert in die Runde, jeder fängt wirklich an. Na toll, also bin ich wieder der einzige, der von nichts weiß! Da entdecke ich Kentin doch gleich an nächster Stelle der alten Neuen. Ich hätte genau da ja eher den Streber erwartet aber der sitzt am weitesten von ihr weg, direkt gegenüber. Ob sie sich wohl gestritten haben? Auch das Reisbällchen hilft mir nicht weiter. Er ist zu sehr von, sagen wir, anderen Dingen, abgelenkt. Tja, da war die Lehrerin eben kurz da und dann verschwindet sie auch gleich wieder. Sie sagt nicht mal wieso sie geht. Die anderen zeichnen brav weiter. Wer hätte das erwartet. Ich hingegen stehe sofort auf als sie aus dem Raum ist. Ich schau mir der Reihe nach an was wer zeichnet. Die meisten versuchen ihres zu verdecken, weil es ihnen zu peinlich ist. Ich schaffe es jedes Mal einen Blick darauf zu bekommen und fange fast wieder an zu lachen. Gut, Talent ist etwas anderes aber sie geben sich immerhin alle mühe. So ganz durchschaue ich das Thema leider nicht, da jeder etwas anderes zeichnet. Als ich zum Mädchen mit violettem Haar komme, will auch sie ihre Zeichnung verdecken. Ich greife sofort nach ihren Armen und halte sie weit hoch. Sie kommt sich vor wie gefesselt und läuft zweifellos hochrot an. Ihr Bild ist so … anders. Es ist viel schöner und detaillierter. Sie hat doch tatsächlich mich gezeichnet. Ich meine … mich! So wie ich eben auf dem Boden saß, mit Castiel neben mir. Dieses Bild hat nur den kleinen aber feinen Unterschied, dass ich darauf lächle. Was soll mir das denn sagen?! Je länger ich es mir anschaue, desto roter läuft sie an. Ihre Arme zittern sogar schon, weil es ihr peinlich ist oder weil ich ihr zu nahe gekommen bin? Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls lasse ich sie sofort wieder los und weiche ein paar Schritte zurück. „Du … kannst sehr gut zeichnen. Sieht fast real aus.“, gestehe ich ihr zu. Das erleichtert sie. Ihr Atem beruhigt sich langsam wieder und nun ist es sie, die mal so richtig frei lächelt. Ihr rutscht kein Wort über die Lippen und sie schaut sofort wieder weg. Anschließend beginnt sie ein neues Bild. Die Blicke derer neben ihr wirken verwundert. Zum einem ist das der Streber und zum anderen seine Schwester. Der Blondie wäre schon fast aufgestanden als ich sie festgehalten habe. Er bedenkt mich wirklich nur mit den schlechtesten Eigenschaften, das ist sehr amüsant für mich. Mein schmales, gehässiges Lächeln gedenkt dieses Mal allein ihm. Bis auf sie habe ich bisher noch keinen gefunden, der etwas erkennbares auf sein Blatt gezaubert hat. Erst wieder als ich neben dem bunten Vogel stehe sieht man da etwas erkennbares. Voller Tatendrang hat er zwei Hunde gezeichnet. Einer von ihnen hat sogar blaues Fell, der andere ist einfach komplett zerzaust und hat so langes Fell, dass es ihm sogar über die Augen hängt. Der blaue leckt dem anderen eben das Gesicht – ein Hundekuss also. Soll mir dieses Bild vielleicht irgendetwas sagen? … Es kommt mir irgendwie bekannt vor. Besser … ich denke gar nicht erst weiter darüber nach. Armin scheint auch nicht dumm zu sein. Er hat wohl Ahnung im zeichnen von Mangas. Auf seinem Blatt ist die wohl blutigste Szene aus Elfenlied. Ich mein die, als sie ein Kind war und in der Mitte des Raumes stand, um sie herum alles blutgetränkt. Zuletzt interessiert mich nur noch Kentin seine Zeichnung. Er ist nicht sehr talentiert, das weiß ich ja schon lange. Sogar auf der alten Schule gab es Kunstunterricht. Ich musste ihm immer helfen. Auf seinem Blatt befindet sich etwas, was ich sehr wohl verstehen kann, auch wenn es nur ein paar Striche sind. „Hmm? Was hast du? Warum schaust du dir alle Bilder an?“, fragt er flüsternd nach. „Das Thema?“, flüstere ich zurück. Sofort macht es bei ihm Klick und er holt seinen alten Aufgabenzettel heraus. Ich lese es mir still durch. „Aufgabe: Zeichnet etwas, was euch bewegt, was euch wichtig ist. Sehnsüchte, Wünsche, egal was. Dazu einen Text mit der dazugehörigen Erklärung!“ Jetzt wird mir so einiges klar. Als ich dabei an Armin seine Zeichnung denke, wird mir jedoch schlecht. Wünscht er sich wohl ein Massaker in der Schule? Oder hat er das Thema einfach vergessen? Kentin's Zeichnung wird nun umso deutlicher. Ich helfe ihm seit langem mal wieder etwas nach. Ich lege meine Hand wie früher einfach über seine und führe ein bisschen. Er wollte es schließlich immer lernen. Es braucht nur ein paar Handgriffe mit ein paar Buntis und sofort wird deutlicher, was er wohl will. Auf dem gesamten Bild befinden sich nur Augen und ein Lächeln. Ein sehr breites Lächeln, ganz ungezwungen und offen und glitzernde Augen. Sie strahlen so vor Freude und man sieht deutlich, dass das Lächeln bis zu den Augen reicht, bis zu beiden Augen. Mein Kopf sinkt, dann stehe ich wieder auf. „Vergiss es einfach, das wird nie mehr zurück kommen … Kenny!“ Obwohl er das schon lange weiß und ihn das oft mitnimmt, so zeichnet er daran weiter. Er wünscht es sich also nicht nur, er glaubt noch immer daran aber … das ist schon so lange her, einfach zu lange. Nun, da ich die Aufgabe habe, muss auch ich mich daran versuchen. Es sagt sich nur leider immer so einfach. Natürlich hätte ich schon ein paar Ideen. In meinem Kopf tauchen immer wieder neue Bilder auf, Bilder von einer anderen Person, zu einer anderen Zeit aber wie eben schon gesagt, das ist schon sehr lange her. Meine Gedanken schüttle ich mir sofort aus meinen Kopf, als sie drohen mich mitzureißen. Also etwas, was uns wichtig ist, was wir uns wünschen also … Ich mache mir die Aufgabe einfach leichter als andere. Es benötigt nur ein paar waagerechte und senkrechte Striche mit dem Stück Kohle, dann bin ich fertig. In mir lacht es wieder auf. Das wird die Lehrerin bestimmt nicht freuen aber was denn? Genau das wünsche ich mir eben! Ein paar Minuten später kommt sie auch schon zurück. „So, die Hälfte der Zeit ist rum. Zeigt doch mal her, was ihr bisher habt.“ Sie geht die gleiche Runde wie ich. Das Mädchen mit dem violetten Haar blättert sofort zurück auf ihr erstes Bild. Will sie wohl nicht, dass die Lehrerin das andere sieht? „Na auf die Erklärung bin ich aber gespannt!“, belächelt die Frau ihre Schülerin. Sie wird erneut rot und fängt nun an zu schreiben. Ich wage es zwischendurch auch mal zum Rotschopf zu linsen. Er hat gleich zwei Dinge versucht zu zeichnen – eine, also seine Gitarre und sein normales Oberteil. Als ich das sehe muss ich sofort wieder grinsen. Auch er schaut in dem Moment auf mein Blatt und lacht genauso. „Hmm, das ist eine sehr schöne Umsetzung Alexy a-aber Armin, was soll das denn schon wieder? Weshalb denn das ganze Blut?“ „Naja, ich habe dabei auch nur an eine Person gedacht. Tut mir ja leid.“ Wovon er wohl spricht? Bei Kentin bleibt sie lange stehen. Er verfeinert das Bild noch immer etwas. Ich fürchte er übertreibt es mal wieder mit den 'Effekten'. „Das sieht aber sehr schön aus Kentin.“ „Ja, nicht wahr? Das habe ich ihr auch schon sehr oft versucht zu sagen.“, geht die Antwort wohl mehr an mich als an die Lehrerin. Ich selber bleibe starr sitzen. Das war wirklich deutlich von ihm! Dieser Dummkopf. Zu den meisten sagt sie zum Glück nichts, auch zum Rotschopf nicht. Erst als sie auf mein Blatt schaut wirkt sie durcheinander. „Du bist … ahh … kennst du die Aufgabe etwa nicht?“ „Doch.“, bleibe ich kühl. „Was hat das dann zu bedeuten?“ „Das ist ein Stundenplan, sieht man doch!“, pflaume ich sie von unten an. „U-Und wieso?“ „Naja … ich habe eben noch keinen. Den wünsche ich mir eben am meisten!“ Castiel grinst schon die ganze Zeit so komisch, den Rest in der Klasse sehe ich zum Glück nichts aber als sie anfangen leise zu gackern, weiß ich, dass sie zugehört haben müssen. „Ach ja? Wirklich? Da hat der Schülervertreter wohl mal was vergessen! Du wirst bestimmt bald einen bekommen. Jetzt fange aber Bitte eine ernsthafte Zeichnung an, etwas tiefgründigeres.“ Als sie sich umdreht, steht da auch schon Kentin hinter ihr. Ihm ist sofort wieder eingefallen, dass er mir seinen eigentlich geben wollte. Er geht auf seine Knie und flüstert zu mir, „Hey, warum hast du denn nicht zeitiger etwas gesagt. Also wirklich!“ Dabei lacht er leise. Seine Hände wühlen in meiner Tasche herum. Er steckt ihn einfach irgendwo dazwischen. Die anderen sind mehr erstaunt darüber, dass er so ohne weiteres an meine Sachen darf, als darüber, dass ich ihm erst beim zeichnen geholfen habe. Eine komische Klasse ist das. Ich blättere eben auf die nächste Seite, als er mir anfängt zuzuschauen. Seine Zeichnung ist bereits fertig. Ich weiß noch nicht so ganz was es mal werden soll. Also schaue ich für eine Weile aus dem Fenster und versuche mich inspirieren zu lassen. Bei all dem nachdenken fällt mir etwas auf, was mich nur noch mehr ärgert. Sogar wenn er auf seinen Knien neben mir hockt ist er genauso groß wie ich. Das ist so ärgerlich! Verdammt! Von ganz hinten höre ich ein paar Leute miteinander flüstern. „Als ob der etwas tiefgründiges zustande bringen könnte!“ „Sehe ich genauso, dieser Freak!“ „Der macht bestimmt nur so weiter wie bisher!“ Das hat auch überhaupt keiner gehört Blondchen! Also wirklich wenn Streber und Strebers Schwester schon miteinander lästern, dann doch bitte leiser! Als ich mich so umsehe, fällt mir endlich etwas ein, was ich auf's Papier bringen könnte. Ich hole mir nur die Zeichenbox von Kentins Platz und fange dann auch schon an. Die halbe Stunde reicht mir aus, um etwas halbwegs vernünftiges aufs Blatt zu zaubern. Er schaut mir wirklich die ganze Zeit über dabei zu. Er nimmt sich irgendwann den zweiten Hocker und stellt die Stiftebox auf seinen Schoß. Als ich fertig bin wundert auch er sich was das ist, genau wie die Frau hinter uns. Ich weiß gar nicht seit wann sie schon hinter uns steht. „Hmm? Hast du mich wohl wieder nicht ernst genommen?“ Streber fühlt sich sofort bestätigt. Eigentlich wollte ich meine Gedanken dazu ja aufschreiben, das wäre das erste Mal dieses Jahr gewesen, dass ich etwas notiere, doch sie fordert ja eine Erklärung. „Nun sage schon, warum zeichnest du den Himmel? Zugegeben, für das Bild an sich gäbe es eine 1 aber ohne wirklichen Hintergrund … tja, tut mir Leid.“, gibt sie enttäuscht von sich. „Das war ja klar!“, beschweren sich Blondchens Schwester und die alte Neue. Auf den Boden schauend und mit weit hochgezogener Kapuze merke ich, wie sie gehen will, doch dann, „Wer sagt denn, dass ich mir dazu nichts denke?“ Neugierig bleibt sie stehen, „Ach ja? Und was da bitteschön?“ Sie wirkt genervt, die anderen hingegen wirken arrogant. „Wissen Sie … Bei jedem ernsten Thema, kann man den Himmel zeichnen. Der Himmel zeugt von Glauben, er steht für die Natur, für das Wetter, er verbindet die Lebenden … und die Toten.“, will mir nur schwer über die Lippen kommen, „Das wichtigste aber ist doch, dass er alle Menschen unter sich vereint, völlig gleich wer … oder wie sie sind. Er verbirgt alle Träume in sich, alle Sehnsüchte, schon nur wenn man mal ans fliegen denkt. Wie also könnte man bei einem solchen Thema keinen Himmel zeichnen, wenn der Himmel selbst doch ein Traum, ein Wunsch ist?“ Wortlos bleibt sie stehen, die anderen sind genauso still. Jeder scheint darüber nachzudenken. Sie haben es ja so gewollt! Lysander ist der einzige, der es von Anfang an verstanden hat. Ich packe lediglich alles zusammen, die Stunde scheint ja eh vorbei zu sein. Als ich den Koffer schließe, räumt Kentin ihn sogar weg. Die anderen bleiben still, packen aber ebenfalls alles zur Seite. Letztendlich beendet die Lehrerin die Stunde und wir können gehen, naja, alle können das, nur ich nicht!
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