„Ja super, dann kann mir Mino auf der Rückfahrt wieder beim spielen helfen!“, freut sich Armin schon jetzt, doch zu früh. Ohne mein Vorwissen mischt sich Kentin nochmal ein.
„Tut mir leid aber ich will ihm noch ein paar Läden zeigen. Ihr könnt gern schon fahren, wir halten euch nicht auf.“ Erschrocken, erschöpft und auch etwas müde stimme ich ihm einfach zu. Mir fehlt ein bisschen die Kraft, um mich gegen ihn zu wehren. Mal sehen was jetzt noch kommt. Sie verabschieden sich alle mit einer Umarmung, nur mich rührt wie immer keiner an, und sehen sogar recht glücklich aus. Zur Abwechslung freut mich sogar mal so ein Ausdruck in ihren Gesichtern. Kentin hingegen hat noch immer seinen Rücken zu mir gewandt. Erst als alle weg sind spricht er wieder. „Na komm, da lang!“, die Kälte von erst ist aus seiner Stimme verschwunden, genauso wie seine Faust. Wir sind auf dem Weg bis nach ganz unten. Wir nehmen sogar die Treppe anstatt den Fahrstuhl. Will er wohl, dass es länger dauert? Er ist nur noch ein paar Zentimeter vor mir, da bekommt er endlich das über die Lippen, was ihn beschäftigt. „Tut – Tut mir Leid.“ „Was?“, hake ich stimmlos nach. „Tue nicht so, ich meine erst, im Kino.“ Er hat Recht, das hat mir wirklich nicht sonderlich gefallen aber dass er sich deswegen solche Gedanken macht, hätte ich auch nicht gedacht. Erleichtert zucken meine Mundwinkel und ich hole ihn noch auf der Treppe ein. Noch eh ich etwas sagen kann, spricht er dazwischen, hastig, „Pass auf! Du fällst nur wieder von der Treppe! Ich will nicht auch noch für das zweite Auge verantwortlich sein!“ Dabei sieht er mich eindringlich an, spricht aber leise. „J-Ja okay aber … mache dir doch nicht solche Gedanken. Ist schon längst vergessen okay … Ken!“, setze ich ein Lächeln über meine Miene. Sofort schaut er mich wieder wütend an, doch ich nehme nichts zurück und vervollständige auch nichts. Belustigt laufe ich vor, auch wenn ich gar nicht weiß wo er hin will. Wütend aber doch verspielt kommt er mir nach. „Verdammt, wie oft denn noch! Kentin oder … oder wenigstens Kenny! Außerdem weißt du doch eh nicht wo es lang geht!“ „Stimmt, dann sei doch endlich mal schneller als ich!“,stichel ich weiter. Ein Glück sind nicht mehr viele Leute da, die uns dabei hätten beobachten können. Das lässt er sich wahrlich nicht zweimal sagen. Sofort läuft er los und holt mich ein, doch ich gebe nicht nach. So kommt es, dass wir irgendwann durch das Center rennen. Er bleibt immer ein Stück hinter mir, bis ich ihn nicht mehr sehen kann. Vielleicht hängt er ja nur eine Kurve nach. Irrtum. Er kommt nicht hinterher. Verunsichert laufe ich zurück und sehe nach. Da entdecke ich ihn nur am Boden liegend. Er muss gestürzt sein so wie er da liegt. Sofort laufe ich zu ihm zurück und will wissen wie schlimm es ist. Es soll nicht so rüber kommen, als würde ich mir Sorgen deswegen machen, also versuche ich langsam zu bleiben. Von oben beuge ich mich über ihn und höre ob seine Atmung funktioniert. Damit nicht wieder ein falscher Eindruck entsteht, hocke ich mich in Höhe seines Kopfes hin. Alles okay soweit, muss ich feststellen, als er auch schon wieder seine Augen öffnet und mir ins Gesicht pustet. Danach fängt er laut an zu lachen. Ich hingegen falle rücklings auf meinen Hintern und bleibe mit einem halben Herzstillstand sitzen. „Sage mal spinnst du! Du kannst mich doch nicht so erschrecken. Es hätte sonst was passiert sein können!“ „Ach tue nicht so!“, belustigt er sich. „Außerdem kannst du froh sein, dass kaum noch einer da ist! Weißt du wie albern das aussieht, wenn du so auf dem Boden liegst!“ „Wenn du dich selber aufregst kannst du mich nicht reizen … Neuer!“ Okay, das gibt früher oder später Rache! Vorerst sollte es reichen, wenn ich noch beim aufstehen aushole und seit langem mal wieder zutrete. Somit liegt er nun tatsächlich mit einem Grund am Boden. Eingebildet drehe ich mich von ihm weg, er lacht noch immer. „Na Hauptsache …“, beschwere ich mich. Ein anderer würde behaupten wir benehmen uns beide wie kleine, verspielte Kinder aber das ist im Moment egal. Außerdem ist ja eh keiner da, der uns sehen könnte. Letztendlich steht er wieder auf und will gleich ins Bad. Es gibt drei Theorien die ich in der Zwischenzeit draußen wartend ausarbeite. Entweder er will sich seinen neuen blauen Fleck anschauen, muss wirklich aufs Klo oder seine Blase hat schlapp gemacht, als ich ihn getroffen habe. Bei der letzten Theorie muss ich sogar ein wenig lachen. Irgendwann fällt mir etwas auf dem Boden auf. Es sieht nur aus wie ein Zettel aber irgendwie interessiert es mich. Als ich es aufhebe weiß ich auch endlich warum. Es ist ein Foto und darauf das eine Mädchen aus unserer Klasse, die Blonde, die immer beim Streber hängt. Sie muss sich hier neue Unterwäsche besorgt haben aber wer macht in einem solchen Moment denn ein Foto von sich? Besser ist wohl, dass ich es nicht weiß. Bevor sich der Military über mich lustig machen kann, stehe ich endlich wieder auf und stecke das Bild ein, nur vorsichtshalber natürlich! Zuletzt stellt sich heraus, dass keine der Theorien richtig war. Als er heraus kommt hat er seine neuen Sachen an. Die Hose, das Hemd mit den Keksen und darüber eine schwarze Weste, welche er sogar mal geschlossen trägt. „Was soll das denn werden?!“ „Hmm? Ich laufe nur ungern mit verschwitzten Sachen durch die Gegen und ganz ohne ist glaube ich nicht erlaubt!“ Verdammt! Warum versuche ich mir das jetzt auch noch vorzustellen?! Als ich wieder aufwache, steht er bereits neben mir und hat sich zu mir herunter gebeugt. „Außerdem habe ich dir doch gesagt, dass ich vielleicht mit dir ausgehen will!“, flüstert er mir ins Ohr. Genau im gleichen Ton wie es erst dieser Verkäufer getan hat. Dieses Mal bekomme ich aber Gänsehaut davon, welche sich über meinen ganzen Körper zieht. Schwer schluckend entferne ich mich ein paar Schritte. „A-Also nimm das nicht persönlich a-aber für solche Dinge kenne ich dich einfach zu gut.“, versuche ich es sanft auszudrücken. „Was du wohl mit 'solche Dinge' meinst?! So ein perverses kleines Mädchen bist du!“ Es reicht jetzt aber wirklich. Er dreht mir jedes Wort im Mund herum und ich kann nichts dagegen tun! Furchtbar dieser Junge, einfach furchtbar! Der hat sich echt zu viele Tricks bei mir abgeschaut! „Gib endlich zu, dass du heute mal verloren hast! Nun gib es schon zu!“, lacht er noch immer. Leider … hat er Recht. Geknickt stimme ich ihm zu. „Gut, dann kannst du mir ja auch einen Gefallen tun oder?“ Unsicher nicke ich erneut, „J-Ja.“ Wie eben schon kommt er mir nochmals nahe. Diesmal steht er direkt vor mir, beugt sich hinab und schaut mir in die Augen. Dazu nimmt er sogar die Strähnen aus meinem Gesicht. „Ok, dann geh mit mir essen.“, bittet er mich so freundlich er nur kann. W-W-W-Waaaas?!? Was ist denn mit dem plötzlich los?! Belustigt schnaubend stellt er sich wieder normal hin, „Ich will nur, dass du endlich wieder normal isst. Normalerweise … hättest du mir mein Popcorn komplett weggefressen! Da das nicht passiert ist, geh mit mir essen!“ Das ist also sein Problem … Es stört ihn also doch, dass ich mich so sehr verändert habe. Ein Glück ist es nur das! Bevor er weiter redet und versucht sich zu erklären, stimme ich ihm einfach zu. Also passiert es heute schon das dritte mal, dass mich jemand hinter sich her zieht. Vor einem Asiaten bleiben wir stehen. Der hat eine Sushi-Running-Bar und viele Plätze. Er setzt sich sofort zum Laufband und kann es kaum erwarten sein All-You-Can-Eat zu beginnen. Ich bestelle ganz normal, alles andere wäre Zeitverschwendung. Er erzählt mir einiges über die Leute die heute mit waren und auch über diesen Verkäufer. Er erklärt auch, warum er Castiel nicht ausstehen kann und weshalb auch er der alten Neuen verfallen ist. Eigentlich ist er fast die ganze Zeit am reden, ich höre ihm zur Abwechslung mal gerne zu. Von meinem bestelltem Essen bleibt die Hälfte liegen, diesmal nicht, weil mir der Hunger vergangen ist, sondern weil mein Bauch mit vielen Geschichten gefüllt wurde. Natürlich will er, dass ich den Rest mitnehme, also tue ich was er sagt. Ab morgen wird eh wieder alles normal sein. Hoffentlich! „Hey, Hey, wo willst du denn hin?“ Irritiert wende ich mich wieder zu ihm zurück. Geht es etwa immer noch nicht Heim? „Ich habe doch gesagt, dass ich dir einen Laden zeigen will.“ Der Einfachheit halber sage ich nicht dagegen. Ich folge ihm. Als wir davor stehen wird mir auch klar warum er so sehr darauf bestand. Es ist ein Künstlergeschäft. Hier gibt es wirklich alles was man zum traditionellen zeichnen benötigt. „Warum zeigst du mir das?“ „Du zeichnest nicht mehr seitdem du hier bist. Ich gehe mal davon aus, dass dein Vater wieder alles weggeschmissen hat.“ Stimmt, also sehe ich mich etwas um. Ich weiß, wie teuer die meisten Dinge hier sind, kann es aber dennoch nicht lassen danach zu greifen. Es ist wie mit dem Zocken und den Spielen. Wenigstens für eine Weile, bis meine mom ihre Abrechnungen bekommt, kann ich endlich wieder zeichnen. Es macht mich glücklich das zu wissen. Als es dann endlich vor zur Kasse geht, sieht man schon die $-Zeichen in den Augen des Verkäufers. Das lässt mich nur noch schuldiger werden, doch gerade als ich zahlen will, ist es mal wieder Kentin, der sich einmischt. Er besteht darauf es mir zu bezahlen und bevor ich etwas sagen kann nimmt der Mann bereits seine Karte. „Ich werde sie auch bei mir aufbewahren, wenn du willst. So kommen deine Eltern nie darauf, dass du weiter machst. Außerdem … war ich dir eh noch so einiges Schuldig. Nimm es also an ja!“ Ich weiß wirklich nicht mehr was ich dazu sagen soll. Er hat sich im Vergleich zu früher so sehr verändert, dass ich ihn kaum noch wiedererkenne. Was ist nur aus dem kleinen, zurückhaltenden Ken geworden? Er ist wirklich verschwunden. Was nicht heißt, dass es etwas schlechteres sein muss. Er bemerkt, dass diesmal ich ihn mit meinen weichen Blicken durchbohre. Inzwischen sind wir schon auf dem Weg nach draußen. Als ich das merke, ziehe ich nur die Kapuze höher und meine Augen sind verschwunden. Lediglich ein tiefes, ehrliches, „Danke!“, dringt durch die Stille zu ihm hervor.
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