Ein Glück konnten die Mädchen ihn etwas runter bringen. Dieses Gespräch zwischen Harmony und Castiel kannte ich auch noch nicht. Das hat Lexy hoffentlich die Augen geöffnet. Jaaa, ich bin nicht runter gegangen, sondern habe ihnen zugehört. Danach haben die Mädchen ihn noch etwas versucht aufzuheitern. Es hat so semi-gut funktioniert. Ab und zu konnte er Grinsen aber wirklich glücklich geworden ist er dabei nicht.
Seitdem sind fünf Tage vergangen und ich werde eine Frage nicht los. Will ich denn überhaupt, dass die Beiden sich wieder versöhnen? Den Gedanken versuche ich jedes Mal zu verdrängen und das funktioniert diesmal recht gut. Ich glaube, jetzt bin ich es, der krank wird. Aus irgendeinem Grund fängt mein Körper an zu zittern. Na ja, zumindest merke ich es an den Händen. Es löst mich aus den bösen Gedanken und wirft mich in die Gedanken, die ich haben sollte. Ich wünsche mir einfach, dass die Beiden sich endlich wieder verstehen und Alexy wieder glücklich und halbwegs normal ist. So eine Quälerei hat er nicht verdient, auch wenn er selbst Schuld daran sein sollte. Ich will nur das Beste für ihn und wenn man sich überlegt, was er die letzten Tage alles versucht hat, denke ich, dass er sich wieder erinnert hat wie er eigentlich ist. Er braucht keine Drogen und versucht davon los zu kommen. Mir war nicht klar, wie schnell man davon abhängig werden kann. Er hatte nichts mehr in seinem Zimmer, doch ist immer auf der Suche, ob er vielleicht doch noch etwas findet. Wenn er das bemerkt, lenkt er sich ab – irgendwie. Letztendlich hat er sich heute früh auch endlich bei mir zu Wort gemeldet, mich darum gebeten, dass ich ihm helfe. Er braucht diese Hilfe, kommt nicht allein davon weg. Er ist selbst erstaunt, wie leicht er davon Abhängig werden konnte. Eins steht jedenfalls fest – natürlich helfe ich ihm! Er ist heute schon zeitig schlafen gegangen, ist noch immer fertig von den letzten Tagen, in denen er kaum gegessen, getrunken oder geschlafen hatte, dafür aber die meiste Zeit heulte. Ich sitze also eben wieder vor dem Fernseher und zocke. Natürlich zocke ich! So viel Zeit dazu hatte ich nicht mehr, seitdem ich mich um alles allein kümmern durfte. Nach einer Stunde, die ich davor sitze, ist es wieder da. Ich werde wohl wirklich krank, ansonsten würde ich ja nicht zittern. Das Schlimmste an der Sache ist aber, dass ich dadurch so gut wie jede Runde verliere! Es macht mich wütend, richtig wütend! Wie soll ich so dieses Zittern ignorieren können?! Ach verdammt, da hat man schon mal Zeit zum Zocken und da geht es nicht! Was soll ich denn dann bitte tun, um mir die Zeit zu vertreiben? Ich weiß … meine zweitliebste Beschäftigung. Ich schnappe mir mein Board, gehe raus und springe drauf. Meinen Rucksack habe ich nicht vergessen. Allein Scaten gehen ohne meine Rucksack ist unmöglich. Der Weg führt mich unter den Laternen entlang, durch die dunklen Straßen der Stadt und irgendwann lande ich direkt vor einem Park. Es ist DER Park. Natürlich weiß ich, dass Alexy nicht gern hier durch geht. Ich durfte oft genug mitbekommen, was er für Arschlöcher an seiner Seite hatte und wie sehr die ihn versaut haben. Er geht so gut wie nie hier lang und obwohl das absolut irreführend ist, fühlt er sich nur mit Harmony, seinem Freund, sicher, wenn er hier durch gehen muss. Die Wege hier sind schön zum fahren, wie neu, nur etwas schmal. Am Tage fahren viele Leute hier lang und man hat nie Platz zum üben. Nachts gibt es leider auch einen Nachteil. Die Gegend ist sehr spartanisch beleuchtet. Die meisten Ecken sind dunkel, was es doch etwas gruselig macht hier lang zu fahren. Ich bleibe einfach unter den Laternen und auf dem Weg, fahre rauf und runter aber nicht durch den ganzen Park. Erst als ich mit viel Anlauf versuche einige einfache Tricks zu schaffen, komme ich von einem Ende bis zum anderen und auf genau dieser anderen Seite erhasche ich einen Blick auf ein paar Leute. Ich wusste nicht, dass um diese Uhrzeit noch Leute hier sein würden. Vielleicht ein paar Penner, Junkies oder Freaks aber … na gut, wer sagt mir denn, dass die Leute da nicht zu so einer Gruppierung gehören? Je näher ich komme, desto klarer wird das Bild. Ich frage mich am besten gar nicht, warum ich überhaupt näher gehe. Es geht mich nichts an aber neugierig bin ich trotzdem. Leise tatse ich mich heran. Aus den Silhouetten werden menschliche Gestalten und ich erkenne, dass da jemand am Boden liegt und 3 Menschen um diese Person herum stehen. Was – Was ist denn jetzt wieder los? Schon wieder ein Zittern. Bekomme ich etwa Angst? Werde ich nervös? Je näher ich komme, desto mehr entfernen sich die 3 Personen und nur noch eine Person am Boden bleibt übrig. Irgendetwas sagt mir, dass ich mich mehr beeilen sollte, schneller da sein sollte und mein Körper reagiert schneller darauf als mein Kopf. Bevor ich richtig realisiert habe, dass da Harmony am Boden liegt, stehe ich schon direkt vor ihm, bin vom Bord gesprungen und habe mich zu ihm auf den Boden begeben. „Harmony was – was ist … hey, alles in Ordnung bei dir? Was ist passiert?“, kann ich meine besorgten Worte nicht aufhalten. Sie purzeln einfach aus mir heraus und so wie ich spreche, steht er auch schon auf. Ich sehe ihm an, dass es anstrengend sein muss. Er muss sich richtig auf dem Boden aufstützen und anschließend auch an der Bank, um überhaupt richtig hoch zu kommen. Ich weiß es, er hat wieder diesen Ausdruck. Er will sich nicht helfen lasse, kein Stück. Ich weiß nicht mal wer die Typen da eben waren. Vielleicht ein paar Jungs aus der Schule? Seine 3 Freunde? Irgendwer?! Was soll ich fragen? Sagen? Tun? „Sind doch nur ein paar Kratzer, Bro. Was machst du überhaupt hier? Spionierst du mir hinterher?!“, schärft er seine Stimme aber man konnte ganz deutlich hören, wie schwer ihm das Sprechen fällt, wie rau und atemlos seine Stimme ist. Er keucht ganz leise, versucht sich nichts anmerken zu lassen. Man weiß nie so wirklich wie dreckig es dem Jungen eigentlich geht. Was … sein Blick und seine Stimme zügeln sich plötzlich wieder. Wieso … äh … meine Hände … er hat das Zittern gesehen, wie stark es plötzlich geworden ist. Was soll das denn ständig sein?! Ich kann es selbst kaum noch einschätzen. Jedenfalls sorgt es dafür, dass Harmony ruhig wird. Er setzt sich einfach auf die Bank zurück, stöhnt dabei kurz auf. Es muss wirklich übel sein, wenn er schon Geräusche von sich gibt. Als er dann seinen Kopf hebt und er erst einmal so richtig sichtbar wird in dem knappen Licht, erkenne ich auch das viele Blut an ihm. Überall. Es ist einfach überall a-aber er tut nichts. Er bleibt einfach so sitzen. Nur ganz knapp, ein einziger kleiner Blick geht zur Seite an mich. Er sagt nichts, will wohl nicht a-aber sein Blick war Aussage genug. Ich nehme meinen Rucksack hervor, nehme das Verbandszeug heraus. Genau dafür habe ich den immer mit. Wenn ich allein fahre, passiert eigentlich immer etwas schlimmes. Irgendwie wurde es nötig das alles mit zu haben und heute zeigt sich auch wofür das gut ist. Er lässt sich alles gefallen, das Blut vom Körper wischen und einige Stellen verbinden. An den Kopf zum Beispiel lässt er mich nicht so einfach heran. Ich glaube, er fände so einen Verband am Kopf zu übertrieben. In der ganzen Zeit wie wir uns anschweigen, ich vor ihm hocke und mich im schwachen Licht um Genauigkeit bemühe, kann er es nicht sein lassen mir immer wieder seine Hand auf den Kopf zu legen. Ich hasse dieses Haare wuscheln a-aber das scheint er gar nicht vor zu haben. Ich ziehe immer wieder weg, nehme seine Hand von mir, doch er tut es immer wieder. Was – Was will er mir damit sagen? Will er sich entschuldigen? Bedanken? Mich runter machen, weil ich so weich bin? Mir mein Leiden nehmen, welches ich ertragen muss, wenn ich meinen besten Freund so fertig sehen muss, nebst meinem Bruder, der genauso leidet?! Doch irgendwann – irgendwann höre ich einfach auf. Jeder Widerstand ist zwecklos also – also soll er doch machen. Ihn scheint das zu beruhigen u-u-und mich irgendwie auch. Die Nervosität in meinen Armen und Händen lässt nach. Der Schock geht wohl weg. Als ich fertig bin und alles übrige zurück in den Rucksack packen kann, sieht er mich fast schon leer an. Die starke Ausdruckskraft ist aus seinen Augen verschwunden. Er versucht sie künstlich zu halten, doch das funktioniert nicht. Also – Also lenkt er davon ab, so gut er kann. „Hey Bro …“, ein tiefes Atmen geht von ihm aus. Er überlegt, was er sagen soll. Der Punker will ganz offensichtlich kein Wort dazu verlieren müssen, also schlägt er ruhig, leise vor: „Lass uns bissl fah'n.“ Das war keine Bitte oder Frage, das war eine Aufforderung. Ich … weiß nicht was ich dazu sagen soll. Er kann sich doch kaum bewegen und irgendetwas ist doch passiert. Eins wird mir aus seinen Worten aber klar. Er versucht mich damit zu beruhigen, also … lasse ich mich darauf ein. Harm holt sein Skateboard aus einem Gebüsch hervor. Das muss einer beim Übergriff da hinein geworfen haben. Es ist noch ganz aber sehr zerkratzt. Also entweder ist er in letzter Zeit viel gefahren oder hat zugelassen, dass die drei es so zerkratzt haben. Ich schätze ersteres. Er springt auf und pusht Richtung Skatepark. Ich fahre ihm wortlos hinterher. Manchmal ist jedes Wort einfach zu viel. Ich genieße lieber die Ruhe, so wie er, wenn wir zu zweit, allein, durch die Nacht fahren. Die Stadt ist so leise, alles schläft, die Straßen sind leer und niemand sorgt mehr für Stress. In mir ruht trotz allem noch eine Frage, die ich mich niemals getrauen würde auszusprechen: Wenn ich jetzt nicht zufällig gekommen wäre, wie weit … hätten sie ihn wohl … Nicht mal daran denken will ich! Das ist zu viel für mich. Meinen besten Freund und erklärten Bruder verlieren müssen, nein … niemals! Ich bin einfach nur froh, dass es ist wie es ist. Bevor sich die Stimmung jedoch bessern kann, will ich ihn noch an eins erinnern. Ich fürchte, er würde es ansonsten vergessen. „Harm … vergiss nicht, dass es morgen … die Klassenfahrt und danach ist auch bald das Konzert, für das ihr seit Wochen und Monaten übt.“ Er ist sehr gehalten, sieht stur geradeaus und antwortet lediglich mit einem: „Hmm, ja, … ich weiß …“
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