Alle stehen wir vor der Schule, warten auf den Bus und darauf, dass Faraize uns durchzählt und einsteigen lässt. Er hat Verspätung, also der Bus und Faraize! Das gibt mir jedoch etwas Zeit, Zeit ich nutzen kann, die ich brauche, egal wie wenig es sein sollte. Ich schaue vom Mädchenkreis immer wieder auf, überschaue den Schulhof hinter uns und die Straße, die zur Schule führt. Nichts.
„Alexy!“, ranzen mich alle Mädchen an. Sie – Sie sehen mich ernst an, „Hör auf zu suchen!“, „Das starren bringt nichts, dadurch taucht er auch nicht auf.“, „Warum genau darf er überhaupt mit?“, „Stimmt, nur unsere Klasse fährt.“ Die Mädchen reden alle durcheinander, wühlen dadurch aber ungewollt ein Thema auf. Harmony. Stimmt, er darf mit, obwohl er nicht mehr in unsere Klasse geht. Unsere Parallelklasse kommt nicht mit aber der Wechsel ist noch nicht so lange her. Die Lehrer haben entschieden, dass Tyron, mein neuer Banknachbar und Freund, besser in seiner alten Klasse aufgehoben wäre, während wir wegfahren. Harmony gehört in die Klasse, das wissen sogar die Erwachsenen aber ein Platz mehr im Bus war ihnen doch zu viel. Die zwei wechseln für die paar Tage noch einmal und dann geht es für Tyron wieder in unsere Klasse und Harm geht in die andere. Genau das erkläre ich ihnen auch. Kaum später tauchen der Rotschopf und der Rotschopf wieder in unserer Runde auf. Sie stehen etwas Abseits, lehnen gegen die Wand wie Zwillinge und unterhalten sich. Sie grinsen da über irgendetwas, was mir Anlass dazu gibt, mal nachfragen zu gehen. Die Mädchen sehen nur, wie ich in deren Richtung steuere und sprechen leise hinter mir Flüche aus. Ich solle es sein lassen – das ist zumindest ihre Meinung. Es wäre noch zu früh – haben sie gesagt. Mir egal! „Hey Jungs, über was redet ihr denn so? Gibt’s was neues?“ „Hmm, nö, nicht wirklich.“, folgt lediglich von Castiel. Harmony ist einfach nur still. Er will wohl wirklich nichts mehr mit mir zu tun haben. Was für eine peinliche Situation. Zum Glück werde ich schnell abgelöst. Der Bus kommt endlich und die zwei gehen an mir vorbei als wäre ich Luft. Toll, darauf hätte ich echt verzichten können. Jetzt geht’s mir nur wieder dreckig, die Mädchen haben mal wieder recht behalten und ich könnte im Boden versinken. Sie stehen trotzdem zu mir und warten noch vor dem Bus auf mich. Viola will am liebsten neben mir sitzen, doch ich halte mir meinen Platz lieber frei. Das sorgt zwar nur wieder für Augenrollen aber das ist mir egal. Es kann doch sein, dass er … einfach an mir vorbei geht und sich mit Castiel und Kentin nach ganz hinten setzt. Egal, vielleicht ja später noch. Ich muss wenigstens die Option offen halten, ansonsten wird es ja nie passieren, dass er sich wieder zu mir setzt. Allerdings weiß er auch, dass ich niemals so weit hinter gehen könnte. Bus fahren, wie sehr ich das … nicht dran denken! Einfach setzen und ablenken lassen von den Gesprächen der Mädchen. Irgendwie haben die immer etwas Neues zu berichten und sobald Faraize da ist, fahren wir auch endlich los. Er hat schon angekündigt, dass die Fahrt lange dauern wird. Eins frage ich mich dann aber doch noch. Wenn ein Platz neben mir frei ist und auch so noch Plätze über sind, warum durfte Tyron nicht mitkommen? Er wäre jetzt bestimmt eine Erleichterung und die beste Ablenkung die man haben könnte. Er war anfangs sehr verschlossen doch inzwischen hat er sich geöffnet, ist sogar recht witzig. Wer weiß, vielleicht wollte er auch einfach nicht. Möglich ist alles und es bringt nichts über ein was-wäre-wenn nachzudenken. Die ersten zwei Stunden vergehen und wir machen endlich die vorgeschriebene Pause. Ich bin sooo froh, endlich wieder normalen Boden unter den Füßen zu haben! Es dreht sich nur noch alles, meine Beine zittern und sind so schwach. Je länger wir aber draußen sind, desto normaler wird es wieder. Wir gehen alle ein Stück über den verlassenen Rastplatz, während sich andere in die nächstbeste Ecke stellen und rauchen. Na ja, zumindest Castiel raucht. Harm steht einfach nur bei ihm, genauso wie Kentin. Das sieht so komisch aus – Castiel und Kentin ständig auf einem Fleck. Es sieht gezwungen aus, je länger ich zu ihnen sehe. Wir bleiben eine halbe Stunde hier stehen, ehe wieder alle einsteigen sollen. Die Mädchen gehen vor und im selben Moment taucht plötzlich Armin vor mir auf. Er hat einen strengen Blick aufgesetzt, zerrt mich am Arm in den Bus hinein. Glaubt er wohl, ich wäre so verpeilt wie ich zurzeit bin einfach hier stehe geblieben oder was versucht er durch sein Zerren zu erreichen? Als wir an meinem eigentlichen Platz vorüber ziehen wird es mir klar. Er will, dass wir uns nach – nach hinten setzen. O Gott, das schaffe ich doch keine zwei Stunden. Muss er wirklich nochmal sehen, wie ich mich übergebe?! Wir setzen uns direkt hinter Harmony und Castiel. Kentin sitzt vor ihnen am Fenster und schaut nach hinten durch. Castiel nimmt die Einladung natürlich sofort an ihn zu piesacken. Er tritt ständig gegen den Sitz und belustigt sich daran, bis sogar Harm etwas sagt. Ihn nervt das einfach nur. Er will seine Ruhe haben. Da Armin nun direkt hinter ihm sitzt, zocken die Beiden natürlich. Damit der Junge neben ihm ruhig bleibt und nicht weiter für Stress bei Kentin sorgt, darf er ab und zu auch mal spielen. Castiel sagt zwar immer, dass ihn solche Dinge nicht interessieren aber irgendwie macht er es trotzdem, sagt, dass er ja sonst nichts zu tun hätte hier drinnen. Diesmal will die Zeit aber gar nicht vergehen. Ich spüre schneller als gedacht, wie mir das Essen von eben wieder hoch kommt. Ich hätte die Pause nicht nutzen sollen, um meinen schwachen Magen zu füllen. Irgendwann liege ich halb tot und blass wie eine Leiche gegen Armin's Schulter. Erst da sieht er es so richtig. Spielen lenkt ihn immer so ab. Wollte er mich wirklich mit hier hinter nehmen, damit Harm und ich uns wieder unterhalten oder wollte er einfach nur zocken? Das hätte er auch ohne mich machen können! Mein Zwilling schaut aber endlich mal auf seine Schulter und als ich zu ihm auf sehe und das verschwommene, verdrehte Bild deuten kann, hat er da … er hat ein Lächeln auf seinen Lippen. Ziemlich laut, sehr deutlich gibt er von sich: „Du siehst echt übel aus. Hast du vergessen, dass du das nicht verträgst die ganze Zeit hinten zu sitzen?“ Ich will mich schon erheben und ihm anfangen Vorwürfe zu machen. Was fällt ihm denn ein mich hier her zu schleppen und mir dann solche Vorwürfe zu machen?! Armin ist aber noch nicht fertig. Er will noch mehr los werden, also höre ich zu. „Weißt du, da vorne sind noch zwei Plätze frei. Was hältst du davon einfach ganz vor zu gehen.“ Bettelnd und mit stumpfer Stimme vor lauter Übelkeit jammere ich: „E-Etwa allein? Dein ernst?“ Wortlose Regungen finden vor uns statt. Die PSP wird abgegeben und eine Person erhebt sich. Ich sehe nichts richtig. Es ist zu anstrengend und sorgt nur dafür, dass mir noch übler wird. Da steht auf jeden Fall eine Person neben unserem Platz und Armin spottet: „Was ist denn? Wird dir etwa auch schlecht oder warum drehen sich deine Augen so?!“ Eine schroffe Antwort folgt und mir ist klar, wer sich da erhoben hat: „Laber nich' und steh auf, los!“ Armin hört und was für mich dabei herausspringt ist ein harter, sehr bösartig wirkender Griff an meinem Arm. Alles dreht sich nur noch mehr aber irgendwie stehe ich dann auf beiden Beinen, so halbwegs. Alles wackelt und zittert … wenn ich nicht bald eine Tüte bekomme, dann liegt wirklich alles auf Harmony. Er wird es also nicht nur noch einmal sehen, sondern auch zu spüren bekommen. „Na los, geh vor. Ich komme mit.“, spricht er mir so beruhigend, entspannt und – und lieb zu, dass mir jeder Griff egal ist, den er an mir anwendet. Den Weg nach vorn finde ich gerade noch so, ist ja nur ein Gang. Ein paar der Mädchen lachen darüber, dass ich kaum gerade laufen kann aber das sind nur Amber und ihr Anhang. Von weiter hinten höre ich Harmony dann aber gereizt flüstern: „Musste das sein?!“ „Jaaaa, das musste sein.“, grinst Armin ihm provozierend entgegen, „Du brauchtest doch so etwas oder nicht? Nun geh schon, bevor er dir wegkippt.“ Ich brauche nicht hinsehen, weiß auch so, wie Harm wutentbrannt seine Hände zu Fäusten ballt und sich seine Augen genervt verdrehen. „Is ja gut aber nicht so was heftiges!“, flucht, zischt er meinem Zwilling zu, eh ich seine Schritte hören kann. Mein Rotschopf greift sichernd um einen Arm, packt wie immer ziemlich doll zu. Endlich … na endlich wieder blaue Flecke von meinem Punker o-oder wenigstens ein paar liebevoll gemeinte Schmerzen. Wie sehr ich das vermisst habe. Er will, dass ich mich ans Fenster setze. Der Blick nach draußen macht irgendwie nur alles schlimmer. Es bewegt sich alles, soooo schnell. Harmony packt flüchtig mit einer Hand unter mein Kinn und dreht meinen Kopf nach vorn. was … „Nicht zur Seite schauen!“, lautet der Befehl. Also bleibe ich direkt neben ihm sitzen, starre die schwarze Scheibe vor uns an und erkenne den Fahrer des Busses hindurch. Harmony lässt meinen Arm los, als ich mich gegen den Sitz zurück lehne. Er nimmt nicht nur seine Hand weg, sonder rutscht etwas nach unten im Sitz, stützt seine Beine direkt gegen die Scheibe. Einen Arm hält der Punker so zur Seite, dass es wirkt wie eine – wie eine Einladung. Was … Meine Augenbrauen schieben sich fragend zusammen und ich blicke ihn an. Er sagt nicht nochmal etwas, fährt mit der einladenden Hand auch noch über seinen Bauch und Unterleib und deutet mit seinem Kopf, dass ich mich wirklich hinlegen soll. Was – Was überlege ich da überhaupt noch so lange? Ich tue es, sofort. Der Platz ist zwar etwas eng aber Harm hat sich schon ganz an den Rand gesetzt und meine Beine kann ich ja auch etwas hoch nehmen. Zwar eingeengt aber mit einem wesentlich sichererem Gefühl als vorher, lege ich mich auf seinen Unterleib und sehe zu ihm auf. Harmony, er – er sieht nicht zu mir runter, auch nicht, als ich mir das wünsche und dem mit meiner Hand Ausdruck verleihe. Ich streiche mit meinem Handrücken ganz leicht über seine Brust. Er überlegt sichtlich ob er zu mir sieht oder nicht. Tut es aber nicht. Er nimmt lediglich seine ein Hand wieder hoch und legt sie auf mein Haar. Auf meinem ganzen Körper breitet sich Gänsehaut aus. Es ist so schön. Ich habe das so sehr vermisst, das alles und ich will es nicht mehr verlieren müssen. Ich weiß nicht wo genau wir zur Zeit stehen. Ich glaube, nicht mal er weiß das a-aber als ich meinen Kopf seiner Hand entgegen strecke, zieht er nicht wieder zurück. Er vergräbt sie komplett darin, hält meinen Kopf ganz fest und drückt mich dadurch auch irgendwie auf sich. Ich könnte nicht ohne weiteres aufstehen, dafür verkrallt er sich zu stark darin. Meine Hand nehme ich lieber wieder von seiner Brust, lege sie quer über meinen Bauch und nach und nach komme ich zur Ruhe. Meine Augen kann ich schließen, ohne dass sich alles dreht und mir weiter schlecht wird. Harmony … ja, ich merke, wie er die Situation genauso liebt wie ich. Ich weiß nicht, warum er erst noch so abweisend war. Vielleicht – Vielleicht wusste er einfach nichts zu sagen. Er hat mich schließlich versucht zu … zu … Was würde man da hinterher schon demjenigen sagen können? Wenn er sich wirklich mal etwas nicht getraut hat, wenn das wirklich möglich ist, dass für Harmony irgendetwas nicht geht, dann – dann war Armin's Vorlage wirklich nötig gewesen. Ohne die hätte keiner von uns etwas getan, niemals. Dafür bin ich ihm so unendlich dankbar a-aber auch Harmony, dass er die Chance wirklich genutzt hat. Ich hätte mich das nicht nochmal getraut. Es ist so anstrengend die Initiative zu ergreifen. Vielleicht – Vielleicht sind Harmony und ich nicht mehr das selbe Paar a-aber wir sind auf jeden Fall noch eins. Wir haben uns eben verändert. Das muss aber nicht gleich etwas schlechtes sein. Ich will einfach, dass wir noch eins sind und ich spüre, wie Harm das auch will. Das Wichtigste ist aber, dass ich seine Aufmerksamkeit endlich zurück bekomme, Stück für Stück, nach und nach. Das – Das freut mich einfach so unglaublich!
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