Als Kentin endlich wach wird hört er von hier aus sogar die Busse. Viel mehr jedoch genießt er die Ruhe und das Vogelgezwitscher. Als er dann endlich seine Augen öffnet und sich weiter in sein Kissen kuschelt erwartet er jemanden zu sehen. Mich. Ich jedoch bin nicht da. Sein entspanntes Lächeln verstummt. Ungewollt muss er nun doch sofort aufstehen. Mit einem Ruck erhebt er sich in den Stand und sieht mal bei den anderen nach.
Die drei auf dem Sofa sehen ziemlich fertig aus. Bei Castiel liegt es wohl eher daran, dass er zu viel getrunken hat aber er hat sich den meisten Platz erkämpfen können. Die anderen Beiden liegen dicht an dicht kurz vor der Kante. Armin hält sogar seinen Bruder im Arm, damit er nicht fällt. Wahrscheinlich hat Alexy ihn dazu gebracht als er geschlafen hat. Kentin kennt die Zwei gut. Der riesige Hund liegt über alle drei verteilt und wärmt sie weiter obwohl fast jeder ohne Decke da liegt. So bleibt immer noch die Frage wo ich mich gerade herumtreibe. Er sucht jedes Zimmer ab, egal ob Trainingsraum, Schlafzimmer oder sogar Bad. So langsam macht er sich Gedanken, nicht dass doch wieder … und schon hört er wie die große Tür leise geschlossen wird. Neugierig will er nachsehen, doch als er an der Tür ist, bin ich schon wieder woanders. Diesmal nimmt er die Geräusche aus der Küche wahr, also schaut er auch da nach. Sobald er hinter mir auftaucht drehe ich mich zu ihm. „Da bist du ja. Wo warst du denn?“, will er endlich wissen. Ich halte ihm lediglich meine Tüten hin. Darin sind ein paar Brötchen und was man sonst noch so für ein gesundes Frühstück braucht. So wie die anderen drei unsere piepsigen Stimmen hören, wacht einer nach dem anderen auf. Sie sehen sich stillschweigend an und hören uns Beiden zu. „Wie lange bist du denn schon wach?“ Ich zucke nur mit meinen Schultern, doch er ist sich bewusst, dass ich mein tägliches Training schon absolviert habe. Das Bad war benutzt und im Trainingsraum öffne ich für gewöhnlich nur das Fenster wenn ich auch da drinnen war. Gerade weil ich nicht antworte heißt das also: lange! „Hätte nicht gedacht, dass du noch trainierst.“, dabei wird er plötzlich ganz verträumt. Er lehnt sich rücklings gegen den Küchenschrank und schaut nach oben ins Licht. „Warum das?“ Seine Blicke fallen wieder zu mir. Er mustert meinen ganzen Körper sogar durch die Jacke hindurch. „Du hast abgenommen, schon wieder.“, mahnt er mich leise, weich. Die Frage eben hätte ich mir auch sparen können. Selbst wenn er so leise und warm mit mir spricht weiß ich, dass das eine Beschwerde war, die so viel heißt wie, 'Wenn du schon nichts isst, dann trainiere auch nicht.'. Ich tue so als hätte ich nichts gehört, das wird wohl das Beste sein. Ich beginne einfach damit den Tisch zu decken und den Salat, der wohl bemerkt für mich bestimmt war, vorbereite. „Trainierst du denn überhaupt noch?“, stichle ich auf seiner Untätigkeit herum. Er weiß selber ganz genau wie sehr er mit dem Training hinterher hängt. „Du verdammter … musst du mir das auch noch vorhalten?“, beschwert er sich flüsternd. Die Ablenkung hat also funktioniert. Er dreht sich energisch um und stützt sich nun mit beiden Armen auf der Arbeitsplatte ab. „Gut, wenn du es unbedingt willst, lass uns doch mal wieder laufen gehen.“ Ich schaue ihn ungläubig an, „Du? Und laufen?! Wie oft willst du eigentlich noch verlieren?“, auch das zeigt wieder Wirkung. Er ist nun so davon angetan, dass er mich ernsthaft herausfordern will, „Dich hole ich mit Leichtigkeit ein so schwach wie du geworden bist!“ Ich überlege kurz, „Gut, okay. Du willst es ja unbedingt so haben aber ich fürchte du hast es schon vergessen oder?“ „Vergessen? Was meinst du?“ „Naja, dass du mich in der alten Schule auch nie schlagen konntest.“ „Da war ich noch wesentlich kleiner als jetzt und schwächer auch!“ „Ja und dann wurdest du größer und stärker und hast es trotzdem nicht geschafft! So wie … wie letztens im Einkaufscenter.“ Er lässt sich manchmal so leicht von mir provozieren, dass es schon fast keinen Spaß mehr macht. Selbst nach all der Zeit hat er sich noch nicht daran gewöhnt, dieser Dummkopf. „Hey, hey, hey übertreibe mal nicht! Ich hätte dich fast gekriegt, wenn ich mich da nicht hingelegt hätte.“ Den Tisch endlich fertig gedenkt drehe ich mich zu ihm um und wiederhole für ihn, „Ja aber eben nur FAST! Du wirst es eh nie schaffen!“ „Gut, nachher, wenn alle weg sind!“, sind seine letzten Worte dazu. Anschließend interessiert ihn nur noch eins, „Wann wirst du den Verband abnehmen können und wann kommst du wieder in die Schule.“ „Weiß ich noch nicht, mal sehen. Dazu hat der Arzt noch nichts gesagt. Vielleicht mache ich die Woche einfach blau. Dann habe ich wenigstens genug Energie um gegen dich zu gewinnen!“, drehen sich unsere Gespräche langsam im Kreis, denn er lässt sich wieder auf die Anspielung ein. Als dann zu allerletzt der Geruch von Kaffee aufsteigt und man die Maschine arbeiten hört, richtet sich einer der drei 'schlafenden' auf. Freudig bringt er zur Geltung, „Boar geil, Kaffee!!!“, und bricht damit unser Thema und die Stille im Wohnzimmer. Wer der Koffeinsüchtige ist? Der Rotschopf, Reisbällchen oder wohl auch Cas genannt. Die anderen Beiden fangen auch an zu lachen und stehen endlich auf. Als sich Armin aufrichtet, fällt Alexy am Ende nun doch vom Sofa und erneut müssen alle lachen. Für meine erste Übernachtungsparty lief das doch ganz gut oder? Es ist ungewohnt jemanden da zu haben, wenn man eigentlich schlafen sollte. Es ist schon Ewigkeiten her, dass ich mal bei so etwas dabei war. Damals … Und noch bevor ich weiter denken kann reißt mich der bunte Vogel aus den Gedanken. Er braucht jetzt vieeel Aufmerksamkeit mit seiner 'unglaublich großen' Beule. Natürlich bekommt er die von mir nicht! Ich bringe ihm lediglich etwas zum kühlen, den Rest darf er alleine machen. Der Nachmittag läuft wie geplant ab und am Ende gehen alle, zumindest dachte ich das. Ich habe nicht gemerkt, wie noch eine Person über blieb und auf der Couch erneut einschlief. Ich lasse ihn in Ruhe schlafen, verkrieche mich in mein Zimmer und schaue mir da ein paar Videos an. Mit der Kapuze über den Kopf gezogen liege ich genauso da wie im Unterricht. Meine Arme fallen zur Seite nach unten und ich starre auf den Bildschirm. So vergeht die Zeit wie immer im Flug. Die Musik die ich mir anhöre geht durch jede Faser meines Körpers. Obwohl ich mich hingelegt habe, fangen meine Finger auf dem Tisch an zu tanzen. Sie tanzen als würden sie über die Seiten einer Gitarre gleiten. Einige der gespielten Noten kenne ich schon, jedoch bei weitem nicht alle. Ich kann immer nur Bruchstücke dessen Lieder auf dem Tisch nachspielen, die ich kenne und heraushören kann. Nach einer Weile setze ich mich wieder auf und mein Körper formt eine unsichtbare Gitarre nach, die unter meinen Fingern anfängt zu 'ertönen'. Ich lasse mich dabei nicht stören, merke aber wie ich immer deprimierter werde. Es stört mich nicht mehr zu können, nicht besser zu sein. Ich habe in der ganzen Zeit nicht mitbekommen, wie mir zugesehen wurde. Erst als ich seine Hand vor mir sehe, schrecke ich zurück und lasse mich gegen die Lehne des Stuhles fallen. Geistig lasse ich eben die Gitarre los und schaue durch die Kapuze zu ihm. Er steht direkt hinter mir und greift nach meiner linken Hand. Er tut genauso wie ich, als wäre sie echt. Perplex weiß ich nicht wie ich darauf reagieren soll. Ganz automatisch wird mein Gegendruck geringer. Der Rotschopf biegt meine Finger so wie er sie braucht. Da sind viele Griffe mit dabei die ich nicht beherrsche. Meine Blicke kleben noch immer an ihm. Er wirkt so zufrieden, sogar wenn es nur um eine Luftgitarre geht. Lysander hatte wohl Recht. Er erzählte mir von der Band, die er mit Castiel gegründet hat. Sogar er sieht dem Reisbällchen unheimlich gern beim Spielen zu, weil er ihn sonst nie so locker und gelassen sieht. Die meiste Zeit ist er ja eher genervt und abweisend. „Wenn du nicht hinsiehst, bringt es auch nichts dir die Griffe zu zeigen.“, schnurrt er aus vollster Kehle, so dass es mir eine Gänsehaupt vom Rücken über den ganzen Körper jagt. Er schaut verträumt auf seine und meine Hände und lächelt ganz ungezwungen dabei. Mein Kopf läuft rot an und ich merke wie nervös ich auf einmal werde. Ich versuche nicht zu verkrampfen und schaue endlich wieder nach unten, in der Hoffnung er sieht mich nicht. Er zeigt mir die Griffe des gesamten Stückes. Merken konnte ich mir nicht alles, dafür bin ich viel zu abgelenkt. Mitten drinnen ist er noch ein Stück näher gekommen und hat auch seine zweite Hand auf die meine gelegt. Der Druck in meinem Kopf wurde noch großer und so konnte die Röte einfach nicht entfliehen. Wie sehr ich solche Situationen doch hasse. Das ist unangenehm, einfach nur unangenehm. Als er dann endlich los lässt, dreht er mich samt Stuhl zu sich um. Er hält sich noch immer so geneigt. Seine Arme stützt er auf die Lehne hinter mir und er sieht mir ganz klar in die Augen. Sein Kopf ist meinem nicht weit entfernt. Ich kann nirgendwo anders hinsehen als zu ihm und langsam glaube ich, dass er das auch gar nicht will. Bevor einer etwas sagt, vergehen ein ganz paar Minuten. Ich habe das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, je länger er mein Gesicht und meine Augen mustert. Als er dann jedoch etwas sagt, klingt es genauso wie vorhin. Mein ganzer Körper steht unter Strom wenn er spricht. „Geht es dir wirklich schon besser? Oder hast du vielleicht sogar Fieber?“ Ich sage nichts und kann meinen Kopf auch nicht bewegen um zu antworten. Er nimmt eine Hand von der Lehne hinter mir und tastet sich zu meinem Kopf vor. Er fährt vorsichtig über meinen Verband entlang und legt sie anschließend auf meiner Stirn ab. Seinen Kopf lehnt er darauf, so dass er nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt ist. „Stimmt, dein Kopf ist wirklich ziemlich warm.“ , haucht er nur noch und schließt seine Augen. Ich fühle Schuld in ihm, tiefe Schuld, dabei kann er doch am aller wenigsten etwas dafür. Ich wollte nicht, dass er es an dem Abend sieht, deswegen bin ich weggelaufen. Also trägt er keine Schuld daran. Dieser Dummkopf … weshalb sonst, sollte er sich schuldig dafür fühlen … Als ich merke, wie meine Gedanken immer mehr im Kreis verlaufen und ich nicht auf die richtige Antwort kommen kann, zucke ich endlich zurück und schüttle heftig meinen Kopf. Castiel steht etwas beduselt da. Er ist sich nicht sicher was eben passiert ist und genau so schaut er auch. Wenn ich ihn so sehe muss ich anfangen zu lachen und die Röte verschwindet endlich. Reisbällchen schließt erneut seine Augen, doch nur kurz. Gleich darauf muss auch er lachen, leise. Ich kann mich endlich wieder normal bewegen und die Schuld in ihm ist auch geringer geworden. „Du spielst also Gitarre, ja?“ Ich muss leider verneinen. Er liest das 'leider' sofort aus meinem Gesicht heraus und fasst einen Entschluss. Er ist sich dessen bewusst, dass er mir nicht verraten soll, dass er den Streber so zugerichtet hat, deswegen ist er froh, dass er gerade einen besseren Weg gefunden hat sich zu entschuldigen. Er wendet sich sofort von mir ab und meint flüchtig, „Muss schnell was holen, warte hier und renn' nicht weg!“ Noch ehe ich aufstehen kann sind er und sein Hund verschwunden. Ich stehe bedröppelt da, doch renne sofort zum nächsten Fenster im Wohnzimmer. Die Neugierde hat mich gepackt und ich will wenigstens wissen wo er hinrennt. Ich sehe nur noch seinen Rücken und wie er eben durch das kleine, schwarze, gusseiserne Tor verschwindet.
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