Als Harmony aus den Raum gehen will, kann ich ihn einfach nicht allein gehen lassen. Meine Kopfschmerzen haben nachgelassen, ja, aber loslassen und ihn allein aus den Raum gehen lassen? Niemals! Ist schon anstrengend genug, dass er die ganze Zeit nur auf Armin achtet. Da sitzt mein Liebster schon neben mir und dann achtet er nur auf ihn. Es ist echt alles wie immer aber das kann er vergessen. Ich will auch was von meinem Freund haben. Also lasse ich nicht los, als er aufstehen will, sehe ihn wehleidig an und bettle ihn an mitkommen zu können.
Diesmal musste ich auch gar nicht noch mehr sagen, nicht noch mehr drängen. Er hat schon fast noch vor meiner Aussage meine Arme um seinen Hals gelegt, doch selbst diese selten liebliche Handlung rückt in den Hintergrund. Ich kann mich nicht von seinem mir so nahem Gesicht lösen. Ich weiß auch, dass er merkt, wie sehr ich ihn anstarre aber er sagt nichts dagegen. Mir entgeht in diesen Sekunden nicht, wie er sie nutzt und mit seinen Händen über meinen Hintern gleitet. Erst dann zieht er meine Beine an sich und packt fest zu, damit ich nicht runter falle. Meinen Kopf lasse ich auf seine Schulter fallen, vergrabe mich, um dem Licht und den Blicken der Anderen zu entgehen. Harmony macht das überhaupt nichts aus. Er hält mich genauso dicht wie immer an sich, hat kein komisches Gefühl, wenn uns alle so anstarren, vor allem die Mädchen. Auch ohne hinzusehen und hinter der Mauer meines Freundes kann ich ihre Blicke spüren. Es fühlt sich erdrückend an und doch schafft es Harm mich ein Stück weit davon abzulenken und das ohne wirklich etwas anderes zu tun als sonst. So richtig durchatmen kann ich trotzdem erst, als wir aus dem Raum draußen sind. Harmony bemerkt es, atmet genauso durch wie ich. Auf den Gängen ist es schon ziemlich ruhig geworden. Die meisten Oberstufler sind schon längst wieder drinnen, der Gang ist beinahe leergefegt. Sein Griff um mich wird nicht anders, er lässt mich nicht lockerer, zieht mich nicht enger an sich und auch sonst ist da eigentlich kein Unterschied … und trotzdem kann ich tief durchatmen und fühle mich dann viel besser als zuvor in der Klasse. Ich habe ihn endlich mal wieder nur für mich. Auch wenn nur für ein paar Minuten. Wir reden in der Zeit nicht miteinander. Irgendetwas kommt mir an der Situation eben aber doch so bekannt vor, so als ob ich mich da an etwas erinnern müsste. Mir will nur nicht einfallen an was genau. Er tritt lediglich den Weg zum Automaten an. Ich genieße die Ruhe, die Zweisamkeit und irgendwie auch das Feeling der Öffentlichkeit. Auch wenn hier draußen nicht mehr viele Leute sind, so sind es immer noch ein paar letzte und diese letzten Schüler schauen einen nicht an, als würden sie meinen Freund oder uns beide zusammen hassen. Es ist so angenehm. Das helle Geräusch der Münzen und der dumpfe Aufprall der Dosen in der Auffangbox holen mich immer mal wieder zurück, lassen mich immer wieder auf's Neue intensiv seine Nähe spüren, die sich in echt doch noch viel besser anfühlt als sie es in meiner Fantasie könnte. Er lässt mich auch dann nicht los, als er sich nach unten beugen muss, um sich seine Dosen heraus zu nehmen. Wie immer hat mein Freund alles im Griff. Schon bald darauf setzt er sich auf die Bank direkt neben den Automaten. Normalerweise sitzt Kentin da immer, trinkt hier seinen Kaffee und scheint immer ganz gut abschalten zu können, selbst wenn viele Leute im Gang sind. Ich öffne endlich mal wieder die Augen, doch hebe meinen Kopf nicht vom Körper meines Liebsten. Ich mustere seinen Hals, sein Kinn, sein Gesicht, soweit ich blicken kann. Ich liebe seinen ausgeprägten Kehlkopf, seinen Kiefer, der bestimmt schon etliche Male gebrochen war und kann es nicht sein lassen mit meiner rechten Hand die Konturen, die mir so sehr gefallen, nach zu fahren. Er war schon eine Weile nicht mehr bei mir. Sein Bart wächst langsam nach. Wenn er ihn in Form gebracht hat, mag ich ihn lieber, das stimmt schon aber auch diese kurzen Härchen habe ich ganz gern. Sie kitzeln mich immer, sorgen dafür, dass ich noch eher Gänsehaut bekomme als sonst schon. Er ist erst 18 aber trotzdem sieht er damit schon sehr … männlich aus, einfach anziehend. Als seine Dose, die genauso Kaffee beinhaltet wie die von Kentin immer, gegen meinen Arm stößt, reißt diese Bewegung meine Augen geradezu mit sich. Erst zucke ich noch, weil die Dose so kalt ist aber mein Fokus verliert sich schnell in seinen Augen. Ich habe ihn noch nie mit einer so grellen Farbe gesehen. In seinem Haar, ja aber seine Augen ganz in Pink? Ich habe das Gefühl, dass Harm immer verrückter wird. Die Farbe sticht jedoch noch viel mehr hervor, weil seine Augen an sich heute noch viel Dunkler sind als wenn Armin und er die ganze Naht durch gezockt hätten. Das war mir bis eben noch gar nicht aufgefallen. Er blickt so halb zu mir herunter, haucht mir mit rauer Stimme zu: „Du starrst wieder.“ Dieser kratzige Ton in seiner Stimme, diese dunkle Faser und wie ruhig er sich dennoch ausdrückt … selbst mit so einer Kleinigkeit bringt er mich um den Verstand. Mit Gänsehaut an meinem ganzen Körper schließen sich meine Augen und ich nähere mich automatisch seinem Hals. Ich spüre seine Adern erst an meinen Wangen und anschließend an meinen Lippen schlagen. Seicht lege ich sie an seinen Hals, küsse ihn eins, zwei Mal und fahre die Kontur seines Kiefer's mit Fingerspitzengefühl nach. Er lässt es sich gefallen, schließt seine Augen gänzlich und schenkt mir ein geringes Lächeln. Ich genieße das wohl genauso wie er. Ein geringes Gefühl von Macht breitet sich da wohl in mir aus, nur für einen Moment, der schon gleich darauf vorbei ist. Fragend blicke ich wieder hinauf, doch er reagiert nicht weiter. Seine Augen sind nach wie vor geschlossen und seinen Arm hat er auch sinken lassen. Ich setze mich etwas auf, lasse die Wärme zwischen unseren Körpern etwas weichen und lege eine freie Hand auf die seine freiliegende. Er hat sie beim hinsetzen direkt auf meinen Hintern gelegt. Er reagiert nicht sofort, es heben sich nur seine Augenbrauen. Nachdem er zweimal durchgeatmet hat, zwingt er sich auch dazu seine Augen zu öffnen. „Bin ich zu aufdringlich?“, murmle ich ihm zu. Ich habe das Gefühl leise sprechen reicht völlig aus. Er murrt undeutlich etwas vor sich her, bis sich deutliche Worte daraus bilden: „Ist halt so, wenn man die Nacht nicht da ist.“ Autsch. Er war also wirklich nicht da. Es jetzt so genau zu wissen ist erleichternd und irgendwie auch verletzend. Wo war er denn die Nacht über, wenn er nicht bei mir war? Etwa wieder bei … bei seinen Skaterfreunden? „Wir – Wir haben nicht mehr so viel Zeit.“, flüstere ich ihm entgegen, um meine eigenen Gedanken zu unterdrücken. Er macht schon Anstalten sich aufzurichten, als sich meine flache Hand auf seinen Brustkorb legt. Ja, legt, nicht mehr und nicht weniger. Er hält noch in seiner Bewegung inne und lässt mich aussprechen: „Wenn - Also wenn du nichts dagegen hast, dann würde ich schon mal rein gehen.“ Er wendet sich mir nicht mal groß zu, nimmt lediglich seine Hand von mir, dass ich aufstehen kann. O man, mir fällt es kaum auf, wenn ich es wirklich übertreibe. Ich bin nicht mal ganz weg, stehe gerade so am Türrahmen zum Klassenraum, da sehe ich wie sich 3 Jungs der Oberstufe zu meinem Freund gesellen. Was – Was mache ich jetzt nur? Sollte ich zurück gehen? Er – Er wirkt jedenfalls noch genauso wie eben bei mir, etwas genervt, wie immer halt, aber sonst nichts besonderes. Außerdem – Außerdem könnte ich doch eh nichts ausrichten, sollten sie ihm etwas antun wollen. Ich denke … so blöd das jetzt auch klingen mag aber … Harm schafft das schon, egal was genau die von ihm wollen. Außerdem zieht ein gewisses Gespräch im Klassenraum immer mehr seine Aufmerksamkeit auf sich. Ich scheine mitten in eine angeregte Unterhaltung zu platzen. Die Mädchen haben sich alle der Wandreihe zugewandt und diskutieren wohl mal wieder. Für einen Moment ist Ruhe als ich zurück komme, doch das hält nicht lang. „Was willst du uns damit sagen Nathaniel?“, ertönt die gereizte Stimme von Amber. Stimmt ja, ganz vergessen, dass die gestern auch mit war. Nathaniel stöhnt nur frustriert und setzt sich wieder, ich tue es ihm gleich. Ich weiß nicht worum es geht und warum sich wieder alle streiten aber ich bin froh, wenn ich davor mal meine Ruhe habe. Auf dem Weg zurück auf meinen Platz versuchen die Mädchen herauszufinden, was gestern wohl noch alles passiert sein mag. Ihnen fehlt also genauso die Erinnerung wie mir. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wie viel oder wenig ich von gestern noch weiß. Naaaach, wenn mein Kopf nur nicht so vernebelt wäre. „Ist ja gut, ist ja gut. Nun hört schon auf so zu betteln! Ihr wollt echt wissen was gestern noch passiert ist?“, hakt Nath ein letztes Mal nach. „JA!“, folgt von jedem die gleiche Antwort. „Es ist nichts mehr passiert, ganz einfach! Ihr seit alle völlig weggetreten und zum Teil sogar eingeschlafen und – und … und Hamony hat dann dafür gesorgt, dass ihr alle nach Hause kommt.“ „Hhhhjaaah klar!“, belustigt sich Iris und spricht damit aus, was alle anderen eh denken. Nathaniel hält sich genervt eine Hand vor sein Gesicht und fährt mit den Fingerspitzen beruhigend über seine Stirn. Das macht er immer, wenn er wütend, ungehalten oder einfach genervt ist. Eben so eine Macke von ihm. „Tja, glaubt's oder glaubt's nicht aber er hat sich echt die Mühe gemacht jeden einzelnen nach Hause zu bringen. Lysander und ich haben nur aufgepasst, dass in der Zeit keiner Abhanden kommt.“ Am Ton wie unser Klassensprecher redet, hört man ganz deutlich heraus, wie sehr er alle Ermahnt, auch sich selbst. Ich glaube er will sagen, dass man das jeweilige Urteil über meinen Freund ja doch nochmal überdenken könnte. Ich für meinen Teil erinnere mich jetzt wieder komplett. Deswegen kam mir die Situation eben auch so bekannt vor. Er hat mich wohl als letztes nach Hause gebracht, hat mich getragen und in der Zeit nichts weiter gesagt. Der Rückweg war lang. Er hat sogar die Jungs, die noch halbwegs klar im Kopf waren, bis zu einem bestimmten Punkt begleitet. Die musste er nicht tragen, doch sicher ist sicher. Je mehr ich mich daran erinnere, desto mehr freue ich mich über die Gesten meines Geliebten. Ich glaube nicht, dass das die Mädchen überzeugen wird a-aber ich für meinen Teil spüre wieder eine gewisse Röte in meinen Wangen und wie sehr ich wieder Lust darauf bekomme meinen Block voll zu kritzeln. Meine Kopfschmerzen gehen so langsam wieder, die Übelkeit ist weg, nachdem mich Armin ans Essen erinnert hatte und auch alles andere scheint wie verstummt. Ich fühle mich nur noch glücklich, glücklich und zufrieden und genau deswegen kann ich Misami's Kommentar bestens ignorieren. Zeichnend vor mich hin träumend, geht ihr Kommentar in ein ein Ohr rein und zum anderen gleich heraus: „Das war auch das mindeste, was er hätte tun können!“ Und dabei haben sie noch immer nicht verstanden, dass er nur wollte, dass sie endlich mal lockerer sind … sehr schade.
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