Als mein Handy spürbar in meiner Hosentasche vibriert, hole ich es sofort wieder heraus. Ich habe eigentlich gar nicht mehr mit einer Nachricht gerechnet, er hatte mir doch eh schon abgesagt und das ziemlich deutlich. Die Nachricht jetzt kann also nur noch mehr Nachdruck sein, damit es wirklich in meinem Kopf als ein Nein hängen bleibt. Darin steht dann jedoch etwas ganz anderes. Anstelle mir wiederholt vorzuhalten, dass ich dumm bin und nicht wüsste, was ich da sage, fragt er diesmal nach:
„Bist du dir sicher, dass du das willst?“ Ich merke selbst, wie mein Blick auf mein Handy liebenswerter wird. Gott, dass ich solche Worte mal verwenden würde. Hätte mir das wer vor Monaten gesagt, den hätte ich dafür ausgelacht aber nein, ich freue mich wirklich darüber, dass er sogar nachfragt und habe ein Lächeln für die Nachricht über. „Ja, ganz sicher.“, habe ich dann nur geantwortet. Seine letzte Nachricht dann ist auch diejenige, die das Blut in meinen Adern schneller fließen lässt. Ein aufgeregtes Gefühl hat sich in meinem ganzen Körper breit gemacht und am liebsten wäre ich sofort aufgestanden und nach draußen gerannt. Wenn in einer Minute das Klingelzeichen ertönt, dann will ich wirklich als erster nach draußen kommen und ich hoffe, dass mich keiner versucht davon abzuhalten. Ich habe so lange gebraucht, um ihn dazu zu überreden aber ich will es nicht geheim halten müssen und da er – da er versucht meine Meinung zu akzeptieren, lässt er sich wirklich auf vieles ein, was er früher nicht so einfach gemacht hätte. Seine Frage eben war doch auch nur rein rhetorisch, denn in seiner letzten SMS, in der stand: „Gut, dann muss ich jetzt also nicht umdrehen.“ Er ist schon längst da und wartet. Ich fürchte nur, dass ich vielleicht doch einen Rückzieher mache, wenn ich nicht sofort und als erster auf den Hof kann. Wenn sie alle schauen, schon bevor ich zu meinem Platz komme … ich mache ja wirklich vieles und halte auch wirklich vieles aus aber das? Kriege ich es hin kalt an allen vorbei zu gehen? Mir bleibt ganz offensichtlich nichts anderes übrig, denn sobald die Klingel ertönt, ruft Faraize auch schon nach mir. Genervt stöhne ich auf: „Naaaahhh, ist das Ihr ernst?!“, doch er antwortet nicht. Seit einer gewissen Zeit hat er sich irgendwie auch verändert. Er ist gar nicht mehr der üble Lehrer der er einmal war. Er gibt sich echt Mühe bei seinem Unterricht. Während alle anderen den Raum verlassen sollen, damit er mir in Ruhe sagen kann, was er zu sagen hat, sehe ich schon die schlimmste Situation überhaupt eintreten. „Komm vor Castiel, ich will nicht so schreien müssen.“, bittet er mich, fordert er mich mit fester Stimme auf. Eine Mischung aus beidem, dessen man sich als Schüler schlecht verwehren kann. Ich sagte ja, er gibt sich mühe bei seinem Job … zu viel Mühe! Nun doch wieder genervt stapfe ich zu ihm nach vorn und höre zu. Meine Lust darauf hält sich in Grenzen, wenn wir mal ehrlich sind und als ich dann auch noch höre, was er mir da zu sagen hat, könnte ich vor Wut platzen. „Also Castiel, was ich dir sagen wollte … Es geht um deine Noten und deine Mitarbeit. Ich weiß nicht woran es liegt aber seit diesem Schuljahr gibst du dir wirklich Mühe und ehrlich gesagt war das allerhöchste Zeit dafür. Ihr seid immerhin in eurem Abschlussjahr. Dein neuer Einfluss ist wirklich gut, mache weiter so, ja?“ Boaaar, ist das sein ernst?! Wegen so etwas hält er mich auf?! Als ob mir das irgendetwas wert wäre, wenn er mir so in den Arsch kriecht und warum muss das ausgerechnet jetzt sein?! Verflucht sei dieser Kerl. Jeder andere beschissene Tag hätte es sein können, dann hätte ich vielleicht auch zugehört, wenn man mir schon Honig ums Maul schmiert aber doch nicht heute und nicht jetzt! Innerlich brodelnd stapfe ich Richtung Tür und winke seine Ansage lediglich ab: „Ja ja, wie Sie meinen …“ Kurz bevor ich an der Tür vorbei bin und zum Hof will, erhasche ich seinen Blick, der mir sagt, dass er es richtig bereut, mir das jetzt gesagt zu haben. Ich denke er fühlt sich ziemlich vor den Kopf gestoßen aber das darf er ruhig und mir egal! Ich will hier raus! Mit schnellen Schritten gehe ich nun auch durch die zweite Tür, die mich raus auf den großen, grünen Hof bringt. In der Sonne ist es richtig unerträglich heiß. Sie blendet mich so sehr, dass ich einen Arm hoch nehmen muss, um alles überblicken zu können und entdecken zu müssen, dass er nicht direkt auf dem Hof steht. Ich hätte es mir ja denken können. Warum sollte er sich auch so sehr präsentieren, wenn man sich doch unter dem schattigen Baum verstecken kann. Die anderen alle sind noch immer da. Dass ich etwas länger bleiben sollte, hat sie wohl dazu veranlasst noch immer auf dem Hof stehen zu bleiben. Ein paar von ihnen sehen mich sogar erwartend an, in der Hoffnung, dass ich sage, ich hätte mal wieder ärger bekommen. Habe ich aber nicht und die Genugtuung gebe ich ihnen auch nicht. Also, wie ich es mir bereits dachte … ich muss stur an ihnen vorbei gehen, um zu ihm zu kommen. Schaffe ich das? Natürlich schaffe ich das! Mit Aussicht auf mein Ziel fällt es mir auch gleich leichter. Ich ziehe schnell an den Jungs vorbei, renne nicht aber eben mit schnellen Schritten. Sie in so einer Situation zu ignorieren ist gar nicht so einfach aber es muss sein und ich will es so. ich will es schon seit einer ganzen Weile. Ich will es wie gesagt nicht verheimlichen müssen, damit angeben ist aber auch keine Option. Gibt ja auch keinen Grund dafür. Ich will nur einfach … normal damit leben können. Je mehr ich den Baum sehe und entdecke, dass er tatsächlich darunter sitzt, desto eifriger werden meine Schritte, bis ich die letzten doch so schnell überwunden habe, dass man es beinahe als rennen hätte bezeichnen können. Ich bin aus irgendeinem Grund einfach erleichtert. Direkt vor ihm stehend, lasse ich mich sofort fallen. Falle ihm entgegen und um den Hals. Ich spüre wie mein Herz schlägt und denke, dass auch er es merken kann. Es ist so schnell vor Aufregung. Man, was werden die anderen denn denken? Das ist ja schon irgendwie wie ein Outing und dann noch mit ihm. Harmony hat seine Arme sofort für mich geöffnet als ich ankam, hat sein Buch in die rechte Hand genommen und hält mich mit der anderen fest. Sein Blick ruht auf mir, ich merke es sofort aber will nicht von meinem Versteck an seiner Schulter und seinem Brustkorb hervor kommen müssen. Meine Augen habe ich auch lieber geschlossen, fest verschlossen und meine Hände vergraben sich rechts am Rücken seines Oberteils und mit der Linken an seinem Brustkorb. Er lächelt schmal und Schmunzelt leise. Mich so zu sehen ist dann wiederum eine Genugtuung für ihn, weil er merkt, dass ich doch nicht so bereit dafür war. Er nimmt mich trotzdem ernst, lacht mich dafür nicht aus. Während sein Arm sich höher tastet, der eben noch nur um meinem Rücken lag und mich einschloss, und sich seine große Hand, beinahe schon einer Pranke als Bezeichnung würdig, auf meinen Kopf legt, streichelt und spricht er beruhigend: „Castiel … entscheide bitte etwas überlegter wie weit du noch vor den anderen gehen willst.“ Natürlich hat er bemerkt, wie ich versucht habe mich bei ihm vor den anderen zu verstecken, weil sie mir natürlich nachgeschaut haben, wie ich viel zu hastig hier hinter gelaufen bin. Doch genau das wollte ich ja. Ich will nichts geheimes haben müssen und trotzdem ist der Schritt schwerer als es mir lieb war. Er streicht mir weiter mit seiner Hand über den Hinterkopf, wie man es sonst nur bei Tieren tun würde. Die Gleichmäßigkeit dahinter ist so beruhigend, dass ich Herz und Atem wieder in den Griff bekomme und die erste Überwindung von eben schon bald nachlässt. „Gut so.“, flüstert er mir beinahe unhörbar zu. Meinen Arm noch stärker um ihn schlingend, spreche ich ihm zu: „Schön dass du – dass du wirklich da bist.“ Die Aufregung hat sich gesetzt und übrig bleibt die Erleichterung, dass sie es jetzt alle wissen und die Freude, dass Harmony mich hier abgeholt hat. Er ist da, mehr braucht es nicht. „Was – Was liest du da gerade?“, lenke ich von dem ab, worum er mich eben noch gebeten hat. Ich sollte und wollte entscheiden wie weit aber ich weiß nicht wie weit. Erst Mal interessiert mich mehr, nach was ich ihm eben gefragt habe. „Das ist ein Physikbuch.“, antwortet er knapp und schlägt es bald darauf zu. Er lässt mich die Zeit über nicht los, um es wegpacken zu können, sonder drückt mich nach wie vor an sich. „Wenn du willst, kann ich den Krimi weiter lesen.“, schlägt er mir in gleichem Atemzug vor und wartet auf eine Reaktion. Der Rucksack steht direkt vor mir. Also liegt wieder die Entscheidung bei mir, denn loslassen wird er mich nicht, so viel merke ich schon. Die Tasche ziehe ich zu mir und öffne sie einhändig. Was für eine Frage, natürlich soll er den Krimi weiter lesen. Seine Stimme ist doch so schön beruhigend und einfach das Beste, wenn man nach der Schule keine Lust mehr auf nichts hat. Als ich hinein sehe, stelle ich fest, dass da mehr als nur ein Buch drinnen liegt und schaue neugierig nach. Er reicht mir mit seiner einen Hand das Physikbuch, damit ich es wegpacken kann und im gleichen Zuge reiche ich ihm das andere. „Da ist noch eins drinnen.“, ist die Feststellung mehr als Frage gemeint und so wie er den Krimi an sich genommen hat und meine rechte wieder frei ist, ziehe ich auch das an einer Ecke heraus. Er erklärt mir schon vorher was es für eins ist: „Das ist ein Geschichtsbuch. „Sagen, Legend und Mythen des 16-18 Jahrhunderts.“ heißt es. Am Ende stehen sogar immer die Auflösungen was an der jeweiligen Geschichte wahr ist und was nicht. Zumindest dann, wenn es eine Auflösung gibt.“ Ich nehme meine Deckung langsam von mir, lasse mit meiner linken von seinem Brustkorb ab und er lockert seinen bis eben schützenden Griff. Ob er wohl selbst überhaupt merkt, dass er einen automatischen Beschützerinstinkt hat? Ich habe mich doch nur etwas verkrochen und er hält mich fest als hätte mir wer gedroht und mich bis aufs äußerste fertig gemacht. Je mehr ich mich aber an das alles hier gewöhne, desto lockerer kann ich sein. Ich sitze noch immer auf meinen Beinen ganz dicht neben ihm aber anstatt mich weiter zu verstecken, sehe ich ihn inzwischen beim Sprechen an. Obwohl die erstarrten Blicke aller auf uns liegen, fühlt es sich so normal an, wenn wir miteinander reden. Ich habe nicht mehr das Gefühl als wäre die Situation hier anders, seltsam oder unangenehm. Ich habe auch nicht plötzlich das Gefühl Harmony Vorwürfe machen zu müssen, weil die Blicke aller mir das so sagen. Sie schauen so abwertend hier her, abwertend, erstaunt oder einfach völlig erstarrt. „So etwas liest du also auch?“, frage ich ihn und bin wirklich etwas erstaunt darüber. „Ach Cas, ich lese doch so gut wie alles und sprich nicht so abwertend von einem Buch, das du überhaupt nicht kennst. Einige Geschichten darin sind interessanter als es jeder Krimi und jedes Ü18 Buch sein könnte.“, erklärt er mir ruhig und sieht immer wieder zwischen Buch und mir hin und her. „Liest du denn die Auflösungen mit?“ „Bei manchen, ja aber ich will auch nicht jede Geschichte zerstört wissen, nur weil irgendwelche Theoretiker es für notwendig gefunden haben die Geschichten aufzuklären.“ Ich grinse ihn schon halb bittend an und er weiß Bescheid was ich will. Ist ja auch nicht schwer zu erraten. „Erst das eine Buch zu Ende bringen, dann lese ich dir auch aus dem Buch etwas vor.“ Ich lasse es zurück in seinen Rucksack rutschen, während er die Stelle im Buch aufblättert, an der wir stehen geblieben sind. Er nutzt nicht mal Lesezeichen oder so, merkt sich auch ohne das auf welcher Seite er war. Sobald er mit seiner ruhigen, irgendwie schon verführerischen Stimme die Worte des Buch von sich spricht, lege ich mich immer mehr zu ihm. Es ist wie gesagt so einfach dabei zu entspannen. Die Fasern seiner Stimme sind so schön, so warm und tief, halt einfach angenehm und sorgen regelmäßig für Gänsehaut am ganzen Körper. Ich habe meinen Kopf auf seinen Schoß gelegt und mich zu ihm gedreht. Eine Hand liegt ebenfalls auf seinem Bein, sehr nah an seinem Unterleib. Er hat kontrollierend die seine darauf gelegt, damit ich auch ja nicht zu weit gehe. Die Situation passt ihm wohl seit langem mal wieder nicht. Sein vorderes Bein hat er hoch genommen, das Buch legt er darauf, so dass er nicht beide Hände braucht zum umblättern. Nachdem meine Hand an nur der einen Stelle ruht, wie er sie haben wollte, hat er seine weggenommen und sie an meinen Hals gelegt. Er hat mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht und vom Ohr gewischt, damit ich besser höre, was er da liest. Seine Finger bewegen sich beruhigend weiter, kraulen meinen Hals und Nacken. Warum er aber wirklich sein Bein hoch genommen hat, lag an etwas völlig anderen. Die anderen sollten uns, m-mich nicht zwingend sehen. Da ist er wieder, sein Beschützerinstinkt. Es sorgt nur dafür, dass ich noch schneller zur Ruhe komme und dann auch etwas einschlafe.
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Wie gesagt - man muss sich WIRKLICH erst einmal darauf einlassen aber ich denke, dass die Reaktion vom Leser sehr gut zur Reaktion der anderen Schüler passen wird xD
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