Ich war so sehr auf die Fragen von Peggy konzentriert, dass ich nicht mal gehört habe, dass da etwas oder jemand hinter mir wäre. Erst als sich Kentin von seiner Bank erhebt und dann binnen ein paar Sekunden hinter mir steht, weiß ich, dass irgendetwas nicht stimmt.
Misami hat mir mal erzählt, dass er sich seit der Zeit auf der Militärschule fast komplett verändert hat. Ich kenne ihn ja nur, seitdem wir hier sind und das war alles nachdem er schon weg war. Sie hat mir auch Fotos gezeigt und trotzdem kann ich es mir fast nicht vorstellen. Seine blitzschnelle Reaktion hat er seinem Jahr an dieser Schule zu verdanken. Ich will mich gerade zum Geschehen umdrehen, als ich die entsetzten Blicke der Mädchen sehe und wie sie alle einen Schritt zurück gehen, als es hinter mir zweimal laut knackt. Ich selber zucke einfach nur zusammen. „Danke für's versauen! Und nochmal danke für die Kratzer auf meinem Skateboard alter!“, flucht es hinter mir, wodurch ich schon ganz genau weiß, wer nun doch endlich hinter mir aufgetaucht ist. Ich könnte heulen vor Freude und ihn von Kopf bis Fuß mit Küssen übersähen, doch noch vorher schaffe ich es endlich mich umzudrehen, als auch ich erst mal still bin. Jetzt verstehe ich auch, warum die Mädchen Abstand genommen haben. Er lässt es sich eben nicht gefallen, wenn man ihn vom fahren abhält und ich glaube, nein hoffe, noch weniger, dass man ihn von mir fern hält. Wenn ich das richtig kombiniere, hat Harmony einfach sofort auf die hintere Kante seines Bordes getreten, damit es genau zwischen Kentin's Beinen hoch schnellt. Ich sehe eigentlich nur, wie er sich versucht wütend aus seinem Griff zu befreien. Aus welchem Griff? Der Besucher hat sich sofort beide Arme von Kentin geschnappt und sie hinter seinem Körper ganz lang gezogen. Mit einer Hand hat er ihn so schon damit gefesselt aber weil ihm das wohl nicht ausreichte, hat er sogar einen Arm um dessen Hals gelegt und drückt nun energisch zu. Als dann sogar das Blut zwischen Kentin seinen Beinen hervor tritt, können nicht mal die Mädchen darüber grinsen, dass er kläglichst versagt hat. Wenn ich das nur sehe tut mir alles weh und ich bin mal wieder mehr als froh darüber, dass ich noch nicht mit ihm schlafen wollte. Noch glücklicher macht es mich aber zu wissen, dass wir zusammen sind und er mir schon nur deswegen so etwas nie antun würde … denke ich zumindest. Zischend hält sich jedes Mädchen hinter mir beide Hände vor den Mund. Entgegen dem was wir erwartet hätten, gibt Kentin aber noch immer nicht auf. Viel mehr versucht er sogar aufzustehen und sich daraus zu befreien. „Lass los verdammter …“ „H-Hey, na wie geht’s?“, mische ich mich sofort mit ein. Ich war schon mal mit dabei als ihn ein paar Jungs aus der Stadt beleidigt haben. Es ging nicht sehr gut für die Jungs aus. Auf noch mehr ärger kann ich wirklich verzichten. Ohne weiter auf den Brünetten am Boden zu achten, lässt er ihn los und steht auf. Wie unter seinen Freunden hält er mir seine Faust entgegen und ich schlage sofort ein. Die erste Berührung des Tages mit ihm und dann auch noch um so eine Uhrzeit, einfach magic! … nur leider kein darauffolgender Kuss. „Jo Lex, weißt wo dein Bro is?“, fragt er mich ganz lässig. Verdammt … und ich dachte, er wäre meinetwegen hier. Wie komme ich auch auf so eine Idee? Schon wieder nur mein Bruder … warum denn nie ich? „Halt, halt, halt!“, ruft Peggy dazwischen und stellt sich sofort zwischen mich und Harm. Ihm bleibt zum Glück keine Zeit darauf zu reagieren, weil sich gleich das nächste Gesicht vor ihn drängt. Kentin kratzt sich verärgert am Hinterkopf und gibt mit geneigtem Kopf zu: „Man, das wäre fast schief gegangen mit dem Board! Ein Glück nur der Oberschenkel aufgekratzt aber sage mal …“, schlägt seine Stimme plötzlich zum ernsten um, „ … wer bist du und was willst du hier?! Dir ist hoffentlich klar, dass …“ „ … dass im Schulhaus nicht mit so etwas gefahren werden darf. Außerdem wüsste ich nicht, dass du in diese Schule gehörst, also darfst du das Gebäude eh nicht betreten! Als Schülervertreter dieser Schule, habe ich das Recht …“ „Ja ja, bla bla bla! Bleibe bestimmt nicht lange in so'ner spießigen Gegend. Chill ma Junge!“, fordert mein Liebster Nathaniel geradewegs dazu auf. Heute unterbricht irgendwie jeder jeden. Es wundert mich nur sehr stark, dass er sich so viel von meinen Klassenkameraden gefallen lässt. Sie dürfen ihm dazwischen reden, ihm Vorschriften machen und ihm sogar sagen, dass er verschwinden soll. Was heute nur mit ihm ist, dass er so etwas erlaubt? Wieder kann keiner der anderen mehr etwas sagen. Diesmal ist es Armin, der sich zwischen allen durch drängelt, nur damit er Angesicht zu Angesicht meinem Freund gegenüber stehen kann. Er sieht so … so happy aus. Harmony holt aus seiner Hosentasche eine kleine Box heraus, die er ihm ohne eine Miene zu verziehen übergibt. „Hast du es echt bekommen, ja? Dabei ist heute erst releas! Boar danke alter, hast was gut bei mir. Zockst es nachher mit mir an?“ Gleich nachdem er das gesagt hat, wird endlich etwas Platz in der Runde. Jedoch nur, weil alle nochmals einen Schritt zurück gemacht haben. Sie können einfach nicht glauben wie Armin mit dem 'Unbekannten' spricht. So haben sie ihn in der Schule noch nie sprechen gehört. Mir jedoch geht nur eins durch den Kopf: Ich will auch endlich, dass er wieder Augen für mich hat. Also zerre ich Armin an seinem Arm zu mir zurück und schaue streng zu ihm herab. Ich weiß, er hasst das aber das ist mir gerade absolut egal. „Hast du das Spiel etwa wieder geklaut?!“ Ohne eine Antwort darauf zu bekommen, folgt von allen eine ganz wichtige Frage: „Du kennst ihn? Oder besser gesagt: Ihr Beide kennt so jemanden?!“ Sie klingen so ungläubig. Es zerreißt mir beinahe mein Herz. Ich bin still und blicke zu Boden. Mir ist klar, dass Harmony sich gerade jetzt bestätigt fühlt. Ich habe schon wieder ganz vergessen, dass ich ihm eben noch eine Frage gestellt habe. Mit seiner Antwort holt er mich zumindest ein bisschen aus der Verzweiflung heraus. „Jo, is auch alles jut gegang'. Trotzdem macht's mit dir mehr Spaß. Da fällt's keinem auf, weil dich eh niemand verdächtigt.“ Meine Klassenkameraden bleiben still. Sie bekommen fast ihre Münder nicht mehr zu, als er mir oder besser gesagt allen in der Runde das erzählt. Nur Armin ist das egal. „Also was ist nun? Kommst heute Abend vorbei zum zocken?“ „Ma schaun.“ „Halt jetzt mal! Erklärt mir jetzt mal endlich jemand wer genau das ist?!!!“, drängt sich schon wieder Peggy dazwischen. Ihr reicht es nur zuhören zu können und im Prinzip doch nichts zu erfahren. Sie hat sich direkt vor mich gestellt aber ich weiß nicht, was ich antworten soll. Als ich schon fast ins Stottern verfalle, stellt sich Harmony ganz dicht neben mich. Er legt einen Arm um meine Schulter und zieht mich ein ganzes Stück zu sich herunter. Breit grinsend sieht er die Schnüfflerin an und zerzaust mir mein Haar. „Der da? Der ist mein Freund!“, gibt er ganz offen und ohne Scheu zu. Ich meine, einfach so. Dabei ist er doch derjenige, der sonst immer nein sagt und nun? Nun … „Ja wie jetzt ihr seit Freunde? Habt ihr nichts interessanteres auf Lager. Ich brauche noch eine Story für Morgen Jungs.“ Grübelnd steht Harmony neben mir. Fast wie ein kleines, naives Kind nimmt er einen Finger an seine Lippen und überlegt. Er weiß sicher ganz genau, dass ich nur darauf starren kann. Ich will, ich will unbedingt wieder diese Lippen spüren und das am liebsten schon vor 10 Minuten als erst jetzt oder gar erst heute Abend. Sein grinsen wird breiter, als er die Röte in meinem Gesicht bemerkt und den leichten Schweiß auf meiner Stirn, der mir schon nur von der Erregung läuft. Harm nimmt blitzartig seinen zweiten Arm hoch und umgreift damit auch noch Armin seine Schulter. Auch ihn zerrt er zu sich herunter und er grinst nun noch breiter: „Ich bin mit den beiden befreundet und noch dazu ein Jahr älter als sie!“ Wieder zerspringt mein Herz. Wir sind nur befreundet. So etwas hat er noch nie gesagt, nicht auf diese Weise. Trotzdem kann ich ihm ja nicht mal vorhalten, dass er gelogen hätte. Nichts von dem was er sagt ist eine Lüge. Ich bin sein Freund und er ist mit uns beiden befreundet. Das ist eben seine Logik. Noch in meinen Gedanken versunken lässt er uns beide los. Armin schaut sofort wieder auf seine PSP und ich … ich fühle mich kraft- und hilflos gleichermaßen. Warum ist er mir nicht einfach sofort um den Hals gefallen und hat mich geküsst, wie es ihm gefällt. Jeder wüsste dann, was zwischen uns läuft. „Also dann, muss dann ma weiter.“, gibt er nur ganz knapp Bescheid, doch erneut reagiere ich bevor mein Hirn arbeitet. „W-Wieso? Bleib doch ruhig … bitte …“, flehe ich ganz leise, so dass es keines der Mädchen hören kann, „ … Ein paar Stunden wirst du bestimmt mit im Raum sitzen dürfen.“ „Erspare mir das bitte Alexy. Castiel reicht da schon völlig aus. Wir brauchen nicht noch so einen.“, schafft es nicht mal mehr Nathaniel seinen Ärger zu verstecken. Er weiß ja gar nicht, was er mir mit solchen Worten antut. Ich weiß nur, dass das Harm nichts ausmacht aber mir tut so etwas immer weh. Seine Reaktion fällt auch dementsprechend aus. Er ignoriert Nath und spricht einfach mit mir, „Ma schaun. Erstma 's Klo finden. Bis denn.“ Damit steigt er auch schon wieder auf sein Board und rollt den Gang unerlaubt weiter entlang. Ein bisschen zuversichtlich bin ich dadurch ja, weil er schließlich wirklich weiter rein fährt. Er haut nicht sofort ab … was aber nicht heißt, dass das auch so bleibt. Eh ich mich versehe, stehe ich in einem Kreis aus neugierigen Mädchen, die eben Blut geleckt haben. Von allen zugleich kommt nur: „Wer ist das?!“ Rosa präzisiert ihre Frage zum Glück etwas mehr, indem sie wissen will, „Wieso bist du mit so jemandem befreundet?“ „Er ist eben cool.“ „Er ist gewalttätig. Hast du das eben nicht gesehen?“, weist mich eine entsetzte Stimme zurecht. Melody meldet sich zu dem Thema also auch noch zu Worte. Frustrierend. „Ach was, er ist einfach so. Wenn man lieb zu ihm ist, dann tut er auch keinem etwas.“, rechtfertige ich mich, wodurch die Mädchen nur noch energischer auf dem Thema herumtrampeln. „Ihr benehmt euch beide voll komisch, wenn der da ist.“ „Er hat echt einen negativen Einfluss auf euch.“ „Ihr sprecht ganz offen von Diebstahl und keiner von euch beiden sagt etwas, wenn er auf Kentin los geht.“ „Hey, hey, hey, Kentin ist auf ihn los gegangen.“, versuche ich richtig zu stellen. „Irrtum mein lieber! Kentin hat sich nur dazwischen gestellt, weil er dachte, dieser Typ würde dich überfahren.“, macht sogar Rosa mit. Keines der Mädchen versteht, was ich so toll an ihm finde. Sie scheinen … sie scheinen ihn zu hassen. „Hört endlich auf Mädels. Wir sind halt mit ihm befreundet und würdet ihr euch etwas mehr mit ihm beschäftigen, wüsstet ihr vielleicht auch warum!“, reicht es sogar meinem Bruder. Wenn schon er sich das nicht mit anhören kann, dann versteht man ja sicher, wie ich mich gerade fühle. Alles in mir fällt zusammen. Deswegen hat er also gesagt, dass wir nur befreundet wären und deswegen wollte er auch nie, dass irgendjemand von uns weiß. Er hatte genau das befürchtet. Ja okay, Harmony ist vielleicht etwas anders aber deswegen ist er kein schlechter Mensch. Im Gegenteil sogar … aber woher sollten meine Klassenkameraden das schon wissen? Ich verziehe mich lieber sofort im Klassenraum und Armin folgt mir. Er ist der Einzige, der verstehen kann, wie es mir gerade geht. Er versteht mich immer, trotz seiner Anspielungen manchmal. In meinen Gedanken vertieft ignoriere ich weitere Sätze der Mädchen und warte nur noch auf das Klingelzeichen. Es ist bestimmt eine so große Genugtuung für ihn, dass sich seine Vorahnung auch noch bestätigt hat aber mein Herz tut weh. Es fühlt sich schwer an. Mein ganzer Körper brennt, nachdem ich mir all die Vorwürfe mit anhören durfte. Nun war mein Liebster zwar da aber niemand weiß von uns und noch dazu hassen ihn alle … die Welt muss mich einfach hassen und ich hasse die Welt mindestens genauso!!!
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