***NEU***
Als wird aus dem Gebäude nach den ersten Stunden heraus sind, kann ich meiner Freude endlich freien Lauf lassen. Meine beste Freundin neben mir sieht mich ganz verwundert an, ich kann sie verstehen. „Was hast du denn?“, sieht sie mich mit großen Augen und etwas Abstand haltend an. Ich grinse nur noch mehr. Ihre Reaktionen auf die meinen sind meist so schön göttlich. „Du hast echt nicht aufgepasst oder? Ich weiß, ich weiß, passiert selten aber ab und zu bekomme ich meine guten Noten.“ Das Lächeln des Mädchens neben mir wird ehrlicher. Ich glaube, sie hat verstanden, was ich ihr damit sagen will. Ihr Abstand wird geringer und sie lässt sich auf das kurze Gespräch ein. „Das bedeutet Taschengeld für dich, richtig?“ Zustimmend nicke ich ihr zu. Das klingt jetzt bestimmt total übertrieben aber wer hat schon etwas gegen ein wenig Geld? Es ist ja nicht viel oder so aber Grund zur Freude löst es allemal aus. Ich glaube, fast mehr freue ich mich darüber, mal etwas richtig gut hinbekommen zu haben. Es dauert keine Weile, da taucht da noch wer freudestrahlend hinter uns Beiden auf. Das kleine Mädchen grinst breit und zeigt uns ihre strahlenden Zähne. Ich kann mir schon fast denken, was jetzt kommt. Sie hält mir mit zwei ausgestreckten Armen einen Zettel entgegen. Wie ich es mir dachte, genau das Gleiche. Meine Freundin weiß genauso gut wie ich, was das bedeutet. Für zwei auf einmal reicht es dann halt doch nicht aus. Na was soll's. Meinen Erfolg hatte ich schon, soll meine kleine Schwester ruhig den ihren bekommen. Mein Zettel fällt zurück in meinen Rucksack und ich freue mich mit ihr. Zugegeben, nicht ganz ehrlich aber das muss sie ja nicht wissen und merken tut sie es in ihrem Wahn auch nicht. „Das ist sehr schön, Zwerg. Die musst du zu Hause gleich Papa zeigen.“, sage ich ihr. Hastiges nicken ihrerseits sagt mir irgendwie nur, dass diese viel zu heftige Aufregung in der Familie liegen muss. Die Pause über bleibt die Kleine bei uns, isst zu Mittag und lacht wie immer viel und über alles. Na ja, mit 6 ist das wohl völlig normal und irgendwie … ist es ja auch ansteckend. Wenn Isebell sich freut, kann man sich einfach nur mit freuen. Das gilt für Kayli, wie auch für mich, eigentlich für alle, die sie einmal reden hören. Als die schrille Glocke schon recht bald ertönt, ist die Mittagspause auch schon vorbei. Wir warten ab, bis sich alle durch die engen Türen gezwängt haben, um schnellstmöglichst wieder im Gebäude zu sein und sich gleich darauf zu beschweren, wie unerträglich langweilig Schule doch ist. Dem Strom entgegen kommt Kayli auch schon wieder zu uns zurück. Sie war nur für ein paar Minuten weg, auf dem WC oder so, ich habe nicht ganz zugehört, berichtet uns nun: „Es sind schon alle drinnen, die Gänge sind auch fast leer, na kommt.“ Ich folge dem Rotschopf in unsere Klasse, sind auf dem Weg in die oberste Etage des Gebäudes, als Isi uns eilig nachgelaufen kommt. Sie nimmt aus irgendeinem Grund meine Hand, greift sogar mit ihren Beiden nach mir. Ich glaube, jeder würde merken, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich ziehe sie ein wenig näher zu mir, halte sie dicht an meiner Seite. Im zweiten Stockwerk ist eigentlich ihr Klassenzimmer, doch sie lässt nicht los und rennt wie sonst in den Raum zurück. Tja, dann sitzt das Übel ihrer Angst wohl in der Nähe. Ich muss auch gar nicht lange schauen. Der eigentlich breite Gang wird von 3 Jungs versperrt und wirkt nun kleiner als es jeder andere Gang dieser Welt sein könnte. Würden sie nur dastehen, hätte Isebell keine Angst vor ihnen. Sie müssen die Kleinen also schikanieren. Ich entscheide mich über kurz oder lang sie einfach zu begleiten. Etwas anderes bleibt mir wohl auch nicht übrig, wenn sie nicht loslässt. Hart befehle ich ihr: „Komm!“ Sie folgt mir hastig und versucht schritt zu halten. Die Jungs ignoriere ich gekonnt, jedenfalls so gekonnt wie es nur geht, wenn wir genau zwischen ihnen durch müssen. Sie sind nicht mal aus der Mittelstufe, so wie Kayli und ich. Die drei gehören der Oberstufe an. Man erkennt sie so deutlich an ihren schwarzen Uniformen. Größer als wir sind sie auch noch, also ich meine, sie sind auch größer als ich. Wie traurig die Jungs doch sind, echt traurig! Es wundert mich dann aber schon fast, dass sie nicht auch gegen mich angefangen haben zu handeln. Sie haben uns wirklich freiwillig platz gemacht. Ich musste nichts sagen, nicht versuchen irgendwelche dummen „Heldentaten“ zu vollbringen, die ich eh mit Sicherheit vermasselt hätte. Ein wenig frage ich mich dadurch schon, wieso sie solche Angst hatte. Meine Hand tut weh, so sehr hat sie zugedrückt. Wie auch immer, jetzt ist sie ja in ihrem Raum und die Lehrerin müsste auch bald kommen. Die Kleine setzt sich auf ihren Platz und wartet da. Zur Sicherheit, vielleicht auch etwas besorgt, frage ich nach: „Alles ok?“ Sie nickt sehr gehalten. Sogar hier drinnen lässt es sie nicht los. Ich denke eigentlich nicht darüber nach, nehme mir einen der minimalistischen Stühle und pflanze mich darauf. Bis die Frau kommt, kann ich ja hier warten. Wie süß, ich komme mir vor wie ein Riese auf diesen Plätzen. Alles ist so klein und ich kann bald mit meinen Knien meine Nasenspitze berühren. Erst kurz vor dem zweiten Klingelzeichen taucht die erwartete Person endlich auf. Sie blickt mich ganz verwundert an, was ich wohl hier zu suchen hätte. Kopfschüttelnd stehe ich auf, ignoriere die folgenden Blicke der Lehrerin, nicke Isebell schmal lächelnd zu und gehe dann. Meiner beste Freundin hat das wohl zu lange gedauert. Sie muss vor gegangen sein. Ich kann's ja verstehen. Das einzige Problem: Die Jungs stehen immer noch hier. Haben die wohl nichts zu tun? Ich versuche noch immer so ignorant zu wirken wie zuvor, doch ohne einen Grund fällt mir das sichtlich schwer. Das müssen die Drei ja geradezu gewittert haben. Ich darf mit anschauen, wie sie, einer nach dem anderen, immer näher auf mich zu kommen. Was bleibt mir auch schon anderes übrig als dabei zuzusehen? Ich dachte, es wäre vielleicht klug Schritt für Schritt nach hinten auszuweichen, doch nun ist da nichts weiter als eine Wand und zu jeder Seite steht einer der Oberstufler. Ich verstehe immer besser, was Isebell gegen sie hatte. Mit ihrer Größe und ihrer ganzen Muskulatur müssen sie sich ja unglaublich stark vorkommen. Der direkt vor mir kommt schneller werdend auf mich zu, mit schweren Schritten und dieser beängstigenden Aura. Er greift mir an den Kragen meiner Uniform, zieht mich ein Stück zu sich, nur um mich anschließend wieder hart zurück zu schlagen. Ich spüre den Putz wohl eben in jeder einzelnen Faser meines Körpers und die Härte der Wand verdeutlicht sich mir auch immer mehr. Mir bleibt nicht wirklich viel Zeit darüber nachzudenken, was da eben passiert. Der vor mir tritt nun irgendwie in den Hintergrund. Die Jungs links und rechts von mir dagegen machen sich deutlichst bemerkbar. Sie sagen mir nicht wieso, weshalb, warum – es scheint ihnen einfach Spaß zu machen. Sie holen aus, um mit bloßer Faust, bloßer Kraft zu zu schlagen. Das jetzt zu wissen und zu spüren, erleichtert mich, weil ich weiß, dass es richtig war meine kleine Schwester zurück zu bringen. Warum die Lehrerin nicht dafür gesorgt hat, dass sie zurück in ihre Klassen kommen, weiß ich nicht. Sie ist eh seltsam, scheint alle zu hassen, die älter als 10 sind. Ein seltsamer Gedanke, geht man mal davon aus, dass die Beiden mit ihren Schlägen nicht einhalten und mich mit ihren Tritten in den Bauch und gegen die Schienbeine zu Boden zwingen, mehr und mehr. Es ist wohl ganz einfach. Ablenkung. Der letzte Schlag ist dann wohl der, der mich wenigstens ein bisschen zurück holt. Einer von ihnen hat sich zu mir auf den Boden begeben, samt seiner ausgeholten Faust und lässt sie genau in meinem Gesicht nieder schmettern. Es ist mein Auge, mein Auge, auf das er es abgesehen und welches er letztendlich auch getroffen hat. Es ist kein Schmerz, der alles andere übertönt, im Gengenteil sogar. Es wird einfach nur mehr, mehr brennen, mehr ziehen, mehr Wärme auf der Haut, durch das warme Blut. Ich merke von Sekunde zu Sekunde deutlicher, wo sie mich noch überall getroffen haben. Mein Brustkorb bebt, der Sauerstoff will einfach nicht ausreichen. Es brennt, mein Hals, den sie zugedrückt haben, meinen Brustkorb, den sie mit ihren Fäusten bearbeitet haben, meinen Bauch und Rücken, welche sie besonders gut treten konnten, als ich schon am Boden lag und mich versucht habe von ihnen weg zu drehen. Immerhin … immerhin entflieht mir kein Jammern, Winseln, Weinen, wobei … vielleicht hatten sie es ja genau auf diese Angst abgesehen aber hätte ich sie ihnen deswegen wohl gegeben? N-Nein, niemals! Wie sehr ich solche Situationen hasse … so sehr! Mein stockender Atem hört nicht auf, wird nicht besser, beruhigt sich nicht. Wie ekelhaft, so unpraktisch. Nichts mehr funktioniert wie es sollte, wirklich nichts mehr. Meine Arme verschließen sich immerhin automatisch vor meinem Brustkorb, überkreuzen sich, als wollen sie mich immer noch vor irgendetwas schützen. Konzentriert versuche ich gleichmäßig zu atmen. Tief, so tief, dass es richtig schmerzt. Mit der Zeit wird es besser und meine Augen öffnen sich wieder. Die Entscheidung liegt nahe, jetzt nicht mehr zurück zum Unterricht zu wollen. Wer will schon gerne so gesehen werden? Sich in diesem Zustand angaffen lassen? Es dauert länger als sonst, so lange. Jeder Schritt brennt in meinen Knochen und Fasern. Sobald ich stehe, spielen Magen und Kopf genauso verrückt. Am liebsten würde ich mich übergeben und alles dreht sich. Die Sekunden halte ich aus, bis das Bild vor mir klarer wird. Dann gehe ich endlich – hole nicht meine Sachen und sage auch keinem Bescheid. Das wird Ärger geben … Irgendwo auf dem Weg, zwischen den Schmerzen und den Flüchen, komme ich dann auch auf die Idee einen Arzt aufzusuchen aber wohl auch nur, weil ich da gerade an einem vorbei laufe. Ich fackle nicht lang, gehe hinein und sehe sofort, wie viele Leute doch schon im Warteraum sitzen. War ja eigentlich nicht anders zu erwarten aber … habe einfach nicht nachgedacht. Die Schwester am Empfang hört wie ich murmelnd irgendwelche neuen Flüche vor mich her spreche. Sie nimmt meine Karte sofort entgegen. Ist ja wohl unschwer zu erkennen, was mir fehlt. Auf jeden Fall mehr Kraft, Ausdauer und vieeel Muskulatur zum Einschüchtern. Tja, das wird sie aber nicht sehen können. Die junge Frau weist mich an mich etwas zu gedulden und mich zu setzen. Die hat leicht reden! So langsam verlässt mich meine restliche Kraft. Blöde Sache das … Der Arzt nimmt die nächste Person dran. Ich glaube, es sitzen noch 7 da, die vor mir kamen. Die Wartezeit … ist unerträglich. Die Zeit reicht aus, dass ich mir erneut Gedanken darum mache, wieso sie das getan haben. Eine Antwort finde ich sowieso nicht darauf aber die Frage steht einfach in meinem Kopf, ganz groß und fett. Ich kenne sie nicht, sie kennen mich nicht. Sie kennen bestimmt auch keinen aus der Unterstufe und doch … was muss da nur für Wut in ihnen stecken, dass sie so ausbrechen? Als der Mann von eben heraus kommt, folgt ihm auch gleich der Arzt. Er sieht in den Warteraum, ziemlich direkt auf mich. Die Schwester muss mit ihm gesprochen haben. Er nimmt mich sofort dran. Seine Blicke haben mich richtig aus meinen Gedanken gerissen. Irgendwie starre ich den Mann nur noch an. „Kommen Sie mit mir. Sehen wir mal nach, was ich für Sie tun kann.“, spricht er mir zu, mit seiner so warmen und sanften Stimme. Ich glaube, die braucht man auch, wenn man Kinder beruhigen muss – so Kinder wie mich eben. Er ist so höflich und freundlich, doch dass er mich sietzt ist wirklich unangenehm. Wie peinlich, peinlich genug, um leicht rot und verunsichert zu sein. Ich gebe mein bestes normal aufzustehen. Es muss trotzdem seltsam ausgesehen haben. Er greift mir ganz selbstverständlich unter den Arm und hilft mir. „D-Danke.“, murmle ich, starre den blauen Teppichboden dabei an. Im Untersuchungsraum lasse ich mich sofort auf die Liege fallen, atme tief durch und schließe für den Moment meine Augen. Seine Worte werden etwas härter, weisender: „Ziehen Sie bitte Ihr Oberteil aus.“ Ein seltsamer Ort dafür und ein seltsamer Gedanke für mich aber ich könnte mich glatt an solche Worte gewöhnen. Ich gebe mir kopfschüttelnd Mühe mich wieder auf zu setzen und tue, was er von mir verlangt. Er hilft mir gehalten dabei es über meinen Kopf zu bekommen. Zugegeben, ich habe da wohl mehr Schwierigkeiten mit, als es mir lieb wäre. Keine Sekunde später lasse ich mich zurückfallen wie ein Stein. Bloß keine Bewegung zu viel und ja nicht überanstrengen, nicht mehr jetzt! Er schaut sich die Wunden und Blessuren an, muss einige reinigen, verbinden und für mein Auge gibt er mir etwas zum kühlen. Ich glaube, der Mann muss aus einem anderen Raum Verbände organisieren, geht dafür aus dem Zimmer raus und spricht mit der Schwester. Er muss wohl etwas warten, hat die Tür einen Spalt offen gelassen, um sicher zu gehen auch alles hören zu können, falls etwas passieren sollte. Das gibt aber auch mir die Möglichkeit zuzuhören, was draußen geschieht. Die Ärztin im Nebenzimmer kommt heraus, verabschiedet sich von einer anderen „jungen Frau“, so wie sie es nennt. „Ich hoffe, Sie überdenken das alles nochmal und treffen die richtige Entscheidung.“ Auch der Mann wechselt ein paar Worte mit ihr: „Es gibt nicht mehr viel, was Ihnen helfen kann. Sie wollen doch wohl hoffentlich wieder ordentlich laufen können, junges Fräulein.“, appelliert er an ihr Gewissen. „Ja. Ja, Sie haben ja recht. Ich werde mir ein paar Gedanken machen müssen.“, ertönt dann endlich auch mal die Stimme der Angesprochenen und lässt mir im selben Atemzug das Blut in den Adern gefrieren. Gänsehaut breitet sich über meinen ganzen Körper aus. Meine Augen sind groß geworden, haben sich geweitet und ich will einfach nicht glauben, was ich da gehört habe. Das war … i-ist die Stimme me-meiner großen Schwester. Sie? Hier? Aber warum? Was hat sie? Der Schock sitzt tief, tief genug, dass da doch wieder Kraft in mir auftaucht, welche mich zum aufstehen zwingt. Ich will einfach nur sicher gehen, dass sie das auch wirklich ist. Mein Blick geht flüchtig durch den Türspalt. Das reicht aus, mehr braucht es nicht. Sie ist es. Es – Es geht ihr noch schlechter als sonst. Sie kann kaum stehen. Der Schreck lässt mich ein paar Schritte zurück weichen, zurück stolpern, eh ich über meine eigenen Bein dem Boden entgegen falle. Mein Brustkorb bebt wieder, genauso wie erst schon. Es schmerzt. D-Das ist heute einfach wieder zu viel. Der Arzt kommt zurück, sobald sie draußen ist. Er sieht, wie ich am Boden hocke und durch die Tür starre. Er schließt sie sofort, kommt zu mir auf den Boden und sorgt dafür, dass ich ihn ansehen muss. Seine Stimme holt mich zurück, reißt mich aus meinem Kopf. Er hilft mir zurück zur Liege. Da gibt er mir ein Glas Wasser, welches sofort geleert wird. Er verkneift sich schon fast ein Schmunzeln darüber aber das ist egal, denn mein Blick liegt im Fenster. Sie hätte hier vorbei kommen müssen, wenn sie Heim wollen würde. Sie ist nicht vorbei gekommen. Wo sie wohl hin ist? Er hat nicht mehr lang gebraucht, um die Wunden zu versorgen, rät mir: „Das musst du zu Hause unbedingt weiter kühlen.“ „Jap aber … wie geht es am schnellsten weg?“, frage ich nach, tippe dabei ringsherum um mein Auge und halte es geschlossen wegen der Schmerzen. Ich will es wirklich schnellstmöglich wieder los werden. Er wiederholt sich für mich, hat sich zu mir gebeugt: „Suche dir zu Hause etwas zum kühlen. Das wird helfen!“, er sieht wohl, dass ich das nicht so ganz meine und spricht weiter, „Ein paar Tage kann ich dir geben. Du kannst ja kaum laufen, durch die Schmerzen. Das Auge wird dann noch nicht weg sein aber mit etwas Schminke …“ Er braucht nicht aussprechen. Er klingt so vertraut und vergisst dabei ganz seine Form. Sogar ein offenes Lächeln huscht ihm über die Lippen. Recht schnell wendet er sich wieder seinem Schreibtisch zu, macht alles fertig, damit ich Heim kann. „Sie können sich dann wieder anziehen. Wir sind hier wohl fertig.“, fordert er mich auf, wohl nur, um wieder seriös zu wirken. Ich lächle in mich hinein. Wie niedlich, wenn er deswegen auch noch über sich selbst den Kopf schüttelt. Wir verabschieden uns dann auch nur noch höflich und ich beeile mich den Bus zu bekommen, als dieser direkt neben mir vorbei fährt. Eigentlich fahre ich ja nicht, sondern laufe alles aber unter den Umständen … der Weg wäre einfach zu weit geworden. Sogar im Bus dauert die Fahr eine gefühlte Ewigkeit. Mit dem Wissen kann ich meine Augen auch etwas schließen und schlafe sogar ein. In der Zeit träume ich von etwas, was mich sehr glücklich macht. Im Nachhinein kann ich nicht sagen was aber als ich aufwache, mache ich das mit einem Lächeln. Gleich die nächste Station ist dann meine – welch seltenes Glück! Inzwischen geht die Sonne auch schon unter. Sie steht so tief, dass sie einen richtig blendet. Zur Tür herein, fürchte ich einer Standpauke. Es ist ruhig. Also ziehe ich mir schnell die Schuhe aus, doch da ist es auch schon vorbei mit der Ruhe. Vor mir steht Vater. Er trägt wie immer ein verschmutztes Unterhemd. Keine Ahnung wie die vielen Fettflecken darauf kommen aber so ist es besser, als wenn er keines mehr an hätte. Seinen Bauch will ich wirklich nicht sehen! Mein Blick verhärtet sich, soweit es noch geht. Vater braucht eine Weile, um sich zu sammeln, brüllt nicht sofort los. Er hat Schwierigkeiten mich zu erkennen. Ein Blick an ihm vorbei, direkt zum kleinen Tisch neben dem Sessel, verrät mir, dass er schon wieder genug getrunken haben muss. Alkohol. So billig wie möglich und so viel wie nötig! Ich ignorieren ihn weitestgehend und ziehe an ihm vorbei aber gerade dann hält er einen meiner Arme fest und zieht mich zu sich zurück. Ungewollt drehe ich mich dadurch auch noch in seine Richtung. Er holt weit aus und schlägt gnadenlos auf meine eh schon verwundete Stelle. „Was soll das? Fängst du jetzt auch schon so an?! Glaubst du, du hast Schule nicht nötig?!“, staucht er mich zusammen, laut, ungehalten und lallend. Zischend entgegne ich ihm: „Als ob dich das etwas angehen würde!“, und verschwinde sofort in meinem Zimmer. Auf noch so eine Reaktion hatte ich wirklich keine Lust mehr. Mein Zimmer betrachtend und eine Hand über Wange und Auge haltend, pressen sich meine Lippen hart aufeinander. Der Klos in meinem Hals ist zu groß geworden, um irgendetwas zu sagen. Ich schlucke einfach nur noch schwer, bis sich der Klos in Luft auflöst. Mir ist zumindest eins sofort klar geworden nach meinem Kommentar. Heute gibt es kein Essen für mich. Da fällt mir ein, ich muss nochmal raus aus dem Zimmer, mir etwas kaltes für mein Auge suchen. Tief durchatmend, legt sich das mir-ist-alles-egal-Gesicht auf und ich tapse in die Küche. Den Kühlakku lege ich in mein Zimmer, dann will ich erst mal ein Bad nehmen. Die Verbände muss ich dazu alle ab nehmen, wobei ich auch gleich ganz neugierig nach den Wunden sehe. Das warme Wasser lässt mich aber eh wieder wissen, wo sich welche befindet. Ich hätte zuvor nicht schauen müssen. Stufenweise getraue ich mich weiter ins Wasser, bis sich mein Körper daran gewöhnt hat. Letztendlich löse ich mein Problem radikal. Augen zu und abtauchen! Der Schrei verstummt dadurch tief in mir und das Ergebnis ist das Gleiche. Als der Schmerz der Entspannung weicht, kann ich mich sogar endlich lang machen und mich zurück legen. Mit dem Blick an die Decke, könnte ich so fast einschlafen, doch das geht nicht. Mit einem Ruck lösen sich meine Arme vom Rand und ich rutsche wieder bis ganz unter das Wasser. Meine Blicke kleben weiter an der Decke, doch meine Laune, die wird umgehend besser. Im Wasser liegen, plantschen und spielen macht mir sogar noch mit 15 Jahren Spaß und ich hoffe, dass das niemals aufhört. Mit selbigem Satz, selbigem schnellem Tempo, tauche ich auch schon wieder auf und schüttle mir den Pony aus dem Gesicht. Mein langes blondes Haar umringt mich dabei. Tief durchatmend fange ich leise an zu lachen und zu grinsen. Doch irgendwann ist halt mal Schluss. Ich nehme mir das Handtuch von neben mir, wickle es um meine niedrige Brust und steige aus der Wanne. Mit einem zweiten Tuch umwickle ich mein Haar. Fast schon tiefenentspannt durchatmend, lehne ich mich mit meinen Handflächen auf dem Waschbeckenrand auf. Mein Blick geht nur tiefer in den Spiegel und so auch in meine Augen – in das gelbe rechte und in das grüne linke, beide sind sie sehr hell im Ton. Hinter mir öffnet sich erneut die Tür. Erschrocken blicke ich durch den Spiegel hinter mich. Zum Glück, es ist nicht Vater! Für einen Moment fing mein Herz schon wieder an zu rasen. Nicht gut … Gegen den Spiegel frage ich: „Sally?“ Sie wirkt irritiert, wen wundert es, und fragt: „Was ist?“ I-Irgendwie hat es mich trotzdem erschrocken sie zu sehen. Nach der Sache beim Arzt, jetzt, hier … mein Körper regt sich von selbst, stößt mit unkontrollierter Kraft alles vom Waschbeckenrand hinein. Zahnpaste, Creme, Zahnbürsten, … Sally fängt leise an zu lachen. „Tollpatsch!“, betitelt sie mich schmunzelnd. Viel zu nervös stelle ich alles am Rand wieder auf. Mir ist nicht aufgefallen, wie sie näher gekommen ist und sich nun mit einmischt. Ich habe mich verwundert zu ihr gedreht und nun das Waschbecken an meinem Rücken. Die Blicke von Sally sind so sanft geworden, fast schon besorgt. Sie legt eine Hand auf meine Wange und sieht sich die Wunde um mein Auge herum an. „Hat er dich wieder geschlagen?“, fragt sie mich leise, flüsternd und verletzt. Ich nicke stumm, warte ab, was sie vor hat. Sie lehnt sich mehr gegen mich, lehnt sich voll auf mich und umarmt mich dabei schon fast, wühlt etwas hinter mir hervor. Dabei bekomme ich nur zu sehr zu spüren, wie gut sie gebaut ist, im Gegensatz zu mir, und trotzdem so schön schlank ist. Ihr violettes Haar hängt mir dabei halb im Gesicht. Man sieht ihr an, wie sehr sie jede Bewegung plant, damit es nicht wirkt, als hätte sie Schmerzen. Sie beugt sich schon bald zurück und ich sehe die Cremedose in ihrer einen Hand und etwas vom Inhalt auf einem Finger ihrer anderen Hand. Schmerzlichst schließe ich schon zuvor ein Auge, zische und beiße die Zähne zusammen. Ihr Blick wird noch viel weicher, fast schon mütterlich. Sie tut, was sie tun will. Mein halber Blick löst sich dabei nicht mehr von ihren pinken Augen. Sie ist so konzentriert bei der Sache, löst sich nicht davon, als sie mich hauchend fragt: „Warum denn diesmal?“ „Einfach nur so.“, muss ich sie genauso leise hauchend anlügen. Ich will ihr nicht noch mehr Kummer bereiten, denn was die Schule betrifft, steht sie voll und ganz hinter Vater. Vom einem auf dem anderen Moment stürmt auch unsere Kleinste ins Zimmer. Sie springt Sally freudestrahlend entgegen und erzählt ihr ebenfalls von der Schule und was sie dafür bekommen hat. Das freut mich … so ein bisschen, denn schließlich hätte ich das auch haben können. Isebell hüpft geradewegs auf den Rücken unserer Ältesten. Sie jubelt richtig, über die Anwesenheit von Sally. Sally hingegen zuckt kurz, kaum merklich zusammen. Ich bin wohl ziemlich froh darüber sie heute beim Arzt gesehen zu haben. Wer weiß, wie lange sie das noch für sich behalten hätte. Sie hat mir zwar nichts gesagt aber allein das Wissen um ihren ehrlichen Zustand, ist erleichternd. Wobei erleichternd auch eher relativ zu sehen ist. „Isebell, komm runter. Lass Sally mal für eine Weile ausruhen.“, beschwere ich mich in einem normalen Ton. Ich will nicht, dass Vater hellhörig wird. Das kleine, schlanke Mädchen mit dem pinken Haar und den gleichfarbigen Augen nimmt die Aussage sehr schwer, wird lauter: „Ich will aber nicht! Ich will mit meiner großen Schwester baden!!!“ „Isebell, komm bitte von meinem Rücken herunter, ja. Wir können doch trotzdem zusammen baden.“, spricht sie zu ihr. Natürlich, auf die große Schwester muss sie ja hören! Ohne ein weiteres Wort kriecht sie herunter. In der Zeit bemerke ich natürlich Sally's verunsicherte Blicke. Vielleicht hatte sie das Gefühl zu viel von sich gezeigt zu haben. Ihre Gedanken sind so schwer zu deuten. Wie ich schon befürchtet habe, kommt daraufhin Vater zur Tür herein geplatzt. Er hat bestimmt noch mehr getrunken, sieht verschwommen durch das Bad und entdeckt seine eigenen Kinder, nackt und natürlich, wie er eben so ist … seine Blicke sagen alles. Mir wird richtig schlecht von diesem Gedanken. Isebell ist die Letzte, die damit schon jetzt Bekanntschaft machen soll. Sally dreht sich erst gar nicht zu Vater um. Ihr Blick bleibt starr in den Spiegel und zum Teil auf mich gerichtet. Sie ist so wehleidig, hat Schmerzen bei dem Gedanken. Ich habe ihre Hände genommen, sie ganz offen angelächelt und bin dann gegangen, bevor ihr Blick noch schlimmer wird. Ich versuche gehalten und böse zu klingen, als ich dem Mann sage, befehle: „Na los, raus hier!“ Meine geballte Faust scheint er immerhin noch zu erkennen und zu verstehen, dass ich es ernst meine. Er hat hier nichts zu suchen. Er kann sich kaum noch selbst bewegen, also schubse ich ihn geradezu aus dem Türrahmen. Ein Glück reicht die Kraft dafür noch aus. Mir war klar, dass er wieder wütend wird und diese Wut in das verpackt, was er eben immer so macht. Ich habe mich so weit weg begeben von den anderen Beiden, wie es nur ging. Das bedeutet leider das Wohnzimmer. Sally hat zum Glück daran gedacht von innen abzuschließen, sonst wäre er sicher umgedreht. Er drängt mich fast genauso zur Wand zurück wie die Jungs heute. Obwohl ich weiß was kommt und das schon so oft mitmachen durfte, habe ich schreckliche Angst davor. Es mag nicht so klingen, nicht so rüber kommen aber … wie soll ich denn sonst darüber denken, über alles nachdenken, wenn es keinen Ausweg daraus gibt? Ich glaube, dass die Beiden trotzdem etwas hören können. Das lässt sich fast nicht vermeiden in diesem Haus a-aber das wird mir auch egal, je länger es dauert. Alles wird egal, denn immerhin muss ich das hier wieder aushalten. So läuft das eben in dieser „Familie“.
0 Kommentare
|
Wörter: 4427
Zeichen:25872 |