Ich schaue gerade auf die Uhr und stelle schwer atmend fest, dass es schon nach 10 ist. Obwohl ich nicht lang beim Arzt war, so habe ich wohl für den Rest sehr lange gebraucht. Um etwa diese Uhrzeit klingelt es erneut an meiner Tür. Was die nur alle hier wollen?
Als ich nicht sofort aufstehe und nachsehe, fängt die Person von draußen an immer im gleichen Takt zu klingeln. Es fängt an zu nerven und dröhnt in meinem Kopf als hätte man die Klingel direkt da eingebaut. Also hiefe ich mich erneut vom Sofa hoch und sehe durch das Auge an der Tür als mir einfällt, dass das die Klingel von draußen ist. Stöhnend wende ich mich von der Tür wieder ab. Sobald ich den Hörer abnehme und mich mit einem selten schwachen 'Hallo' melde, spricht die Person von draußen auch schon. „Du bist heute gar nicht in der Schule!“, ermahnt die Stimme mich. Im ersten Moment glaube ich ja, dass so eine Aussage nur vom Reiskuchen stammen kann aber dafür fehlt einfach mein 'Name'. Doch gleich seine nächste Frage erklärt wohl alles. „Ich habe heute auch keine große Lust auf Schule. Willst du vielleicht ein bisschen mit mir zocken?“ Erst jetzt höre ich auch aus seiner Stimme wie verschnupft er ist. Ob er sich wohl erkältet hat? Das würde ja heißen … „Hey, bist du da? Ich habe dich heute beim Arzt gesehen weißt du. Ich dachte, wenn wir beide schon nichts zu tun haben, dann … ja also dann …“ „Armin, halt mal kurz …“, bitte ich ihn müde und kann mich nur schwer auf meinen Beinen halten, „ … ich glaube das macht heute wenig Sinn und morgen wohl genauso.“ „Oh … okay …“ Warum muss ich sogar durch den Hörer durch hören wie enttäuscht er deswegen ist. Außerdem hat er sich eh die Mühe gemacht bis hier her zu kommen. Ob ich es allerdings schaffen würde zu spielen ist die andere Frage. „Hey, noch da?“, frage ich schroff, genau so wie es sein sollte, nach. „J-Ja.“, gibt er unsicher von sich. Unbegründet. „Warte an der Tür, ich ziehe mir schnell noch was anderes an.“, berichte ich ihm. Im nächsten Moment hört er auch schon das Surren des Türöffners und ich höre wie er nach oben kommt. Wäre wohl unpraktisch, wenn er meine Jacke nun genauer sehen würde. Ich nehme mir eine neue Boxershort heraus und ein ausgeleiertes, einfaches Shirt. Für mehr ist es einfach zu warm heute. Natürlich soll auch er nicht wissen, dass ich ein Mädchen bin. Um alles gröber zu umspielen nehme ich mir die Decke vom Sofa und werfe sie mir über den Kopf. Sogar ich sehe nun nur noch am Boden wo ich entlang laufe. Ich merke langsam wie die Salbe wirkt. Sie kühlt und hemmt die Schmerzen. Trotzdem habe ich noch Schmerztabletten bekommen. Vielleicht schaffe ich es so ja wenigstens ein paar Runden mit ihm zu spielen. Zuversichtlich öffne ich ihm die Tür. Er hat eine ganze Weile warten müssen und sitzt schon auf dem Boden mit seiner PSP in der Hand. Mit einem leichten grinsen hebe ich nur eine Hand als Begrüßung. „Jo.“ Er schaut kurz auf, da bin ich auch schon wieder auf dem Weg nach drinnen. Ich höre wie er all seine Spiele nimmt und mir folgt. Auch er bleibt noch im Eingangsbereich stehen. Was nur alle haben? Warum glaubt denn keiner, dass wir uns so etwas leisten können? Amüsant, wie er so da steht aber zum lachen fehlt mir leider die Kraft. Aus dem Flur sage ich nur zu ihm, „Immer geradeaus, da ist das Wohnzimmer.“ Er folgt mir vorsichtig, fast so als könne unter jedem Schritt der Boden fallen. Da wo er nun ist, steht ein riesiges Sofa für mindestens 7 Personen in der Mitte des Raumes und davor eine Art Leinwand. Unsicher tastet er sich bis dahin und setzt sich letztendlich. Als er etwas hinter sich scheppern hört fährt er so scharf zusammen, dass er wieder steht. Er dreht sich sofort um und sieht endlich, dass mir nur etwas heruntergefallen ist. Es ist nur eine Schüssel die auf den Fliesen zersprungen ist. Auch jetzt erst bemerkt er die offene Küche hinter sich. Die ganze Wohnung ist abgedunkelt, nur von der Mitte her strömt Licht und er kommt nicht mal auf den Gedanken nachzusehen. Witzig. Er bemerkt, dass ich mich nur schwer bücken kann. Meine Knochen fühlen sich an als würden sie brennen und bei jeder Bewegung zerspringen. Armin lässt seine Spiele an Ort und Stelle fallen und kommt sofort zu mir. Noch bevor ich mich am Boden befinde tut er das. „Hey sage doch was, wenn du Hilfe brauchst.“ Erstaunt halte ich noch immer meine Hand nach unten ausgestreckt. So wie er da hockt und versucht alle Scherben aufzusammeln, kann ich auch endlich mal wieder Lächeln. Vielleicht nicht so offen und frei wie früher aber es ist immerhin ehrlich. Sobald er die Scherben zusammen hat wendet er sich auch schon nach oben. Seine Blicke fallen zu mir. Dieses Mal schrecke ich eher zurück. Ohne zu zögern sehe ich sofort von ihm ab. So zumindest kann er meine Wunde nicht mehr sehen. „I-Ich habe dich nicht darum gebeten!“, versuche ich wieder böse zu sein, doch das fällt mir schwer. Es ist einfach so ungewohnt, dass mir geholfen wird, dass ich vor Verlegenheit sogar rot anlaufe. Ich merke nicht, wie er noch immer zu mir rauf schaut. Er sieht, dass ich zwar ernste Worte von mir gebe aber eigentlich ein Lächeln auf den Lippen habe. Das lässt auch ihn lächeln. Ich dachte ja schon, dass er das überhaupt nicht könnte. Schön zu wissen, dass dem nicht so ist … Als er sich noch immer nicht bewegt wende ich mich gänzlich von ihm ab. Ich krame mir eine andere Schüssel von oben aus dem Schrank. Auch dabei sieht er mir zu, wie verbissen ich versuche oben ran zu kommen. Er schmeißt die Reste in seiner Hand endlich weg und steht dann auch schon hinter mir. Er kommt mit Leichtigkeit an die oberste Reihe. „Welche denn?“ Dieser Dummkopf!!!, werde ich langsam böse. „Egal welche. Ist nur für Popcorn.“, erkläre ich ihm. Das Popcorn mache ich in der Mikrowelle warm. In der Zeit kann ich meine Schmerztablette nehmen und mir etwas zu Trinken ans Sofa stellen. Für mich nur Wasser, für meinen seltenen Besuch gibt es Cola. Er folgt mir mit dem Popcorn und isst schon jetzt daraus. Ich glaube die eine Packung wird nicht lange reichen, wenn er so weiter futtert. Als ich ihn dabei so betrachte, wundere ich mich schon, warum er eigentlich beim Arzt war. Er scheint doch nur Schnupfen zu haben. „So ein Hunger? Hast du das immer, wenn du Krank bist?“ Schuldbewusst stellt er die Schüssel zwischen uns und schluckt die letzten Reste. „N-Naja der Arzt meinte, ich solle mich anständig ernähren, deswegen … deswegen …“ „Isst du Popcorn?“, mache ich mich lustig. „Dir hat er doch das gleiche gesagt und außerdem ist das doch Mais. Das ist gesund genug,“ Wieder kann ich nur leise darüber kichern und antworte, „Ich glaube dieser Mais ist nicht mehr gesund und außerdem sagte er mir nur, dass ich etwas essen solle. Er hat nicht gesagt was genau. Was hast du überhaupt?“ „N-Naja …“, fühlt er sich ertappt. „ … a-also nichts sooo schlimmes. Ist nur ne Erkältung und i-ich hatte eben keine Lust.“ Er wollte also lieber zocken, verstehe, hihi … Als er sich neben mich fallen lässt merke auch ich wieder, dass es ihn ziemlich mitnimmt. Seine Atmung ist sofort angestrengt und er zittert leicht am Körper. „Und was – was hast du eigentlich?“, fragt er eher zaghaft nach. Er schaut nicht mal richtig zu mir und ich kann spüren, dass ihn irgendetwas bedrückt. Ich grinse verlegen und schaue weiter nach vorn, so dass er mich gar nicht erst richtig ansehen kann. „Vielleicht erzähl ich es dir, wenn du mal besser bist als ich. Also welches Spiel?“ Verwundert über den Themenwechsel braucht er erst einmal eine Sekunde, dann jedoch fängt er an zwischen den paar Spielen zu wählen. Er will eines raus suchen in dem er besser wäre als ich. Das ist jedoch gar nicht so einfach, weil er eigentlich gar nicht weiß was genau ich alles kenne. Als ich dann aufstehe, fällt ihm vor Schreck sogar ein Spiel aus der Hand. Was hat er heute nur? Irgendetwas stimmt heute doch nicht oder? Ist er wirklich nur Krank? Ich besorge nur noch eine Decke für ihn aus meinem Zimmer. Da ihm ja so kalt ist, wird es auch gleich meine Bettdecke, die ist etwas dicker und flauschiger als andere. Als ich nach ein paar Minuten zurück bin, schon die zweite Packung Popcorn mitbringe und ihm die Decke reiche, hat er endlich entschieden. Guitar Hero. Wie will er darin denn besser sein als ich? Da bin ich ja mal gespannt. Er schnappt sich eben die Decke, als die Leinwand vor uns an geht. Armin ist sofort hin und weg davon. „Woaar, wie geil. So eine will ich auch zu Hause haben!“, schwärmt er. Seine Augen stehen weit offen und er hat sogar seine Hände geballt. Er wirkt wie ein kleines Kind vor einem Schaufenster mit neuen Spielsachen. Ich hingegen gehe in Deckung. Es passiert genau das was ich mir dachte. Durch das plötzlich helle Licht verschwimmt das Bild vor meinen Augen. Es ist so anstrengend hineinzusehen und meine Augen fangen an zu tränen. Ich bin nur froh, dass er es nicht mitbekommt bei all seiner Begeisterung. Ich zwinge meine Augen einfach dazu sich daran zu gewöhnen, fühle aber auch, dass der Druck zu hoch war. Die Wunde ist zum Teil wieder aufgerissen aber wenn ich nur einmal zu dem neben mir blicke weiß ich, dass es das Wert war. Ich muss also erneut aufstehen, was dank der Medikamente nun besser geht, und meine Gitarren holen. Er kann froh sein, dass ich zwei davon habe. Mutter hat mir eine zweite besorgt damit ich aufhöre wegen einer echten zu nörgeln. Wir melden uns beide an und dann sucht er sich ein paar Lieder raus, die er gut meistern kann. Am Ende spielen wir bis zum kompliziertesten Lied und trotzdem stehen die Siege 5:3 … für mich natürlich. Er hat das letzte Lied eben auch verloren. Er will gerade das nächste starten als mir ein paar Tropfen vom Verband auf den Boden fließen. Hastig wische ich sie mit einem Fuß weg und verschwinde schnell im Bad. Armin versteht so langsam nichts mehr. Was ich nur wieder habe? Perplex bleibt er stehen und dreht sich nur noch in Richtung Flur. „T-Tut mir leid. Ich hatte nur etwas vergessen.“, erkläre ich ihm, als ich ihn sehe. Die gebrauchten Verbände verstecke ich hinter meinen Rücken und bringe diese noch schnell zum Müll. „Das Spiel wird langsam langweilig, willst du dir nicht etwas anderes raus suchen?“, beschwere ich mich nun. Er merkt langsam, dass er keine Chance hat und tut was ich sage. Wir probieren noch Shift und Dirt aus, dann gibt er endlich auf. Er lehnt sich zitternd zurück, jedoch nur wegen seiner Krankheit. Erschöpft vom vielen Spielen sieht er zu mir. Auch ich bin erschöpft und habe mich sogar hingelegt, mit dem Kopf von ihm weggedreht. Die ständigen Wechsel von Licht und Schatten machen mir zu schaffen, die vielen Bewegungen, das viele Konzentrieren. Alles, jegliche Bewegung ist schwer geworden für mich. Von meinem Kopf tropfen ein paar Schweißperlen und ich atme schwer. Ich kann in dem Moment leider nicht verhindern, dass auch der Zocker neben mir etwas mitbekommt. Aus seiner Stimme höre ich Sorge, ein Glück sehe ich diese nicht auch noch in seiner ganzen Körpersprache. „H-Hey warum hast du denn nicht gesagt, dass es dir sooo schlecht geht? Wir hätten vorher aufhören können. Im Bad warst du auch schon dreimal seit dem spielen. Mino? Hörst du mir überhaupt zu? Warum – Warum sagst du mir nicht einfach, weshalb du beim Arzt warst?“ Ich antworte ihm nicht, ich höre ihn ja nicht mal richtig. Eigentlich ist es doch nur eine Wunde, warum also zerrüttet sie all meine Sinne so sehr? Warum?! Lediglich die Worte weshalb und Arzt dringen bis zu mir durch. Das reicht zumindest aus. „Ich – Ich habe doch alle Spiele gewonnen … oder nicht?“, hauche ich erschöpft. Das war genau die Antwort, die er nicht bekommen wollte. Er will sich aber auch nicht anfangen zu streiten, zumindest jetzt nicht, dazu fühlt auch er sich viel zu krank. Ich merke, wie das Gewicht auf einer Seite der Couch geringer wird. Er steht also auf aber wohin will er? Um sich etwas zu beruhigen will er sich eigentlich nur im Bad frisch machen, jedoch erinnert er sich im Flur, dass er bisher noch gar nicht im Bad war. So kommt es, dass er jedes Zimmer einzeln absucht. Als er die erste Tür öffnet, erwischt er eben mein Zimmer. Eigentlich will er es ja gleich schließen, doch irgendetwas fesselt ihn da. Als er seine Blicke zurück wendet, entdeckt er da auch meine Jacke, die von gestern, die von heute beim Arzt, welche er da nicht gesehen hat. Er ist solche Dinge vielleicht aus Spielen gewohnt aber in echt? Ihm wird nicht unbedingt schlecht davon aber nun macht er sich nur noch viel mehr Sorgen. Ohne weiter nach dem Bad zu suchen kommt er zurück. Ich habe mich inzwischen wieder aufgesetzt. Mein Atem geht noch immer schwer. Als er schon fast hinter mir steht, fange ich plötzlich an zu husten. Mir ist nicht klar, dass er es sieht. Ich meine, wie mir dabei Blut aus dem Mund kommt. Hastig wische ich es ab, weil ich befürchten muss, dass er bald wieder da ist, und trinke meine dritte Flasche aus. Das Popcorn wurde genauso schon nachgefüllt. „Willst du mir nicht endlich erzählen weshalb du heute beim Arzt warst?“, spricht er mich ernst an. Ich schrecke sofort zurück und verfolge ihn mit meinen Blicken, „Alexy hat mir erst geschrieben. Kurz vor Schulschluss benahm sich Castiel komisch und rannte mit Blutflecken auf dem Oberteil herum. Außerdem gibt es da so ein Gerücht in der Schule, dass sich gestern Abend noch zwei geprügelt haben müssen. Mino ich glaube … ich glaube nicht, dass dein Arztbesuch etwas mit einer Krankheit zu tun hatte.“ „Dummkopf!“, beschimpfe ich ihn, „Ich habe doch gewonnen. Warum also … warum …“, kann ich nicht mal aussprechen, was mir auf der Zunge liegt. Meine Hand balle ich zu einer Faust. Sie zittert. Warum? Weil auch ich irgendwann mal meine Grenzen erreicht habe und mir alles zu viel wird. Er sieht das natürlich, trotz der weiterhin herrschenden Dunkelheit. Vorsichtig setzt er sich wieder. Er zögert, doch nimmt es sich schließlich heraus mit unter meine Decke zu kommen. Obwohl er nun sehen könnte, dass mein Körper nicht dem eines Jungen entspricht, so schaut er gar nicht darauf. Er starrt mir ins Gesicht und sorgt sich immer mehr. Er sitzt ganz nah bei mir, zu mir zugewandt. Auch über seinem Kopf liegt nun meine Decke. Ich komme mir vor als wäre ich wieder klein. Wir haben oft verstecken geübt, ja geübt, nicht gespielt. Der der bei mir war saß fast genauso da und hatte eine so weiche, liebevolle Stimme. Armin seine hat zwar die gleichen Eigenschaften, hört sich aber ganz anders an. „Und? Wirst du es mir erzählen? Ich bitte dich.“ Ich spüre die Wärme seines Körpers um mich herum und wie er bald darauf mit seinem Kopf gegen meinen fällt. Von oben sieht er mich an, mir ins Gesicht. Er ist 'ihm' so ähnlich, dass ich mich letztendlich darauf einlasse. Bedrückt sehe ich zu Boden und nicke.
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