Die letzten Wochen hinweg hat sich nicht viel geändert. Wir verbringen beinahe jeden Tag zusammen, Castiel scheint sich immer mehr mit sich selbst auseinander zu setzen und ist mir seitdem auch nicht mehr hinterher gerannt gekommen. An dem Tag hatte ich es wirklich nicht gemerkt, kein Stück. Irgendwie hatte ich es nicht mehr auf dem Schirm, dass er so durchdrehen könnte und mir vielleicht wieder nachgerannt kommt. Von den anderen habe ich es aber genauso wenig erwartet. Irgendwie seltsam, wenn man von so vielen auf einmal bespitzelt wird. Soweit ich weiß und Castiel mir erzählt hat, haben sie es seitdem auch nicht mehr gemacht oder sie erzählen es ihm einfach nicht. Ich wette, er musste auch so schon die Wahrheit aus ihnen heraus pressen. Er hat da sicher ähnliche Mittel und Methoden wie ich.
Mir gehen seit diesem seltsamen Treffen mit der Frau ihre Worte nicht mehr aus dem Kopf. Sie sagte, dass ich mich selbst nicht mehr leugnen könnte. Stimmt das? Meistens stimmt das was sie sagt, obwohl die Situation bei dem Treffen ja weniger professionell war. Es stimmt, ich lese wieder gern und schaue mir gern alle wissenschaftlichen Artikel, Dinge und von mir aus auch jedes Museum an aber deswegen lasse ich noch lange nicht den Streber und all sowas raushängen. Zu vielem könnte ich besserwisserische Kommentare fallen lassen, ja, aber das halte ich für unnötig. Warum sollte man denn keinen Irrtümern erliegen? Ist doch nichts falsches daran und wenn Castiel mir „höchst überzeugt“ von seinem Unterricht erzählt, kann man erst recht nicht widersprechen. Durch die Stadt gehend, erinnere ich mich echt zu gern an den letzten Monat. Mit Castiel läuft es gut, wir streiten auch fast nie und irgendwie laufen die Tage einfach gut. Es ist so ruhig und beruhigend. Mit ihm weiß ich sehr genau umzugehen, nur mit den anderen hakt es nach wie vor. Da ist überall nur noch Hass übrig, jeder blickt einen so widerlich abwertend an. Ich kann es ja verstehen, würde kein Stück anders reagieren aber nur weil man das Wissen um solche Dinge hat, macht es das ja nicht gleich besser oder auf irgendeine Weise einfacher. Natürlich … lasse ich mir wegen solcher Dinge aber nicht nehmen ihn vom Unterricht abzuholen. Er freut sich ja jedes Mal sichtlich darüber und verlangt nicht gleich sonst wie viel mehr von mir. Im Gegenteil. Er belässt es so wie es ist, es reicht ja auch so aus wie es ist. Je mehr ich aber darüber nachdenke, desto mehr holt es mich aus den Erinnerungen und zurück in die Stadt. Es hat sich die Nacht über wirklich abgekühlt. Endlich ist es mal erträglich draußen zu sein und bei Neumond allein draußen umher zu wandern. Castiel ist beim lesen wieder ziemlich schnell eingeschlafen und ohne ihn soll und will ich auch nicht weiter lesen. Er hatte sich das Buch ausgesucht, weil es spannend geklungen hat, war aber selbst zu faul dazu es zu lesen. Also habe ich irgendwann einfach angefangen mit lesen und habe es ihm dabei eben vorgelesen. Dabei ist es bis jetzt geblieben und er hört jedes Mal gern zu, verflucht es an einigen Tagen sogar, wenn er so schnell einschläft und vergisst, was ich ihm vorgelesen habe. Die Ruhe genießend, kommt aber auch ein anderes Gefühl in mir auf. Irgendein komisches Gefühl in der Magengegend. Muss ich mich denn schon wieder übergeben? N-Nein, irgendwie ist es anders, einfach flau. Es kann vielleicht daran liegen, dass meine Gedanken weiter zurück reichen als das, was wir zur Zeit erleben. Das letzte halbe Jahr über … ist so unendlich viel passiert in Amerika. Da war so viel Aufregung, so unendlich viel Ärger aber auch so viel gutes, was mich wirklich erleichtert. Vielleicht finde ich auch gerade wegen der guten Sachen zu einem neuen, veränderten Selbst. Wer weiß das schon so genau. Jedenfalls dachte ich, dass wenn die größten Erinnerungen an die Zeit vorüber wären, dass auch die Übelkeit schwinden würde aber tut sie nicht. Gerade wegen der neu aufkommenden Erinnerung an die Zeit, wird sie noch schlimmer und die Dunkelheit um mich herum lässt die Erinnerungen nur klarer werden. Ich habe ja keine Angst davor nachts allein durch die Stadt zu gehen, ob nun durch den Mond erleuchtet oder extrem dunkel ist da auch egal. Ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit aber irgendetwas stimmt dennoch nicht. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich diesmal allein hier lang gehe. Inzwischen bin ich beim Park angekommen und irgendwie ist auch das ein eigenartiges Gefühl. Nicht, dass ich früher nicht oft allein hier lang gegangen wäre aber trotzdem. Seltsam kommt es mir in diesem Moment vor. Mein Skateboard habe ich an dieser Stelle komplett in die Hand genommen. Zuvor bin ich noch etwas durch die Gegend gefahren aber nun will ich irgendwie mehr von der Umgebung sehen, die ich so gut kenne und doch schon gefühlt ewig nicht mehr gesehen habe. Komisch, wenn – wenn er nicht dabei ist und ich mir dann auch noch Zeit dabei lasse. Der Park weckt wohl einfach zu viele schlafende Erinnerungen, dass ich so langsam hier durch gehe. Kaum eine Laterne ist noch an. Vor ein paar Minuten hat sich jede zweite abgeschaltet, was alles um mich herum in ein noch tiefes Schwarz tränkt. Ohne Worte, die Ruhe im Park in mich aufnehmend, weil weder Mensch noch Tier Geräusche von sich geben, legt sich auch bald das Gefühl der Übelkeit. Für einen Moment. Für einen kurzen. Denn je weiter ich den Weg entlang gehe, je deutlicher kommen doch Geräusche auf, Stimmen, menschliche Stimmen. Aus einem Gebüsch, etwas entfernt von der Straße und doch gut einsehbar, ertönen die Geräusche. Versucht und gewollt ignorierend gehe ich daran vorbei. Mir kommen lediglich alt gesprochene Wort des Blauschopfes in Erinnerungen. Wie er mir erzählt hat, dass er sich vor dem Park aus genau solchen Gründen eine Zeit lang gefürchtet hat. Ich will nicht an so etwas oder – oder ihn denken müssen. Castiel ist der den ich will und der den ich habe, also will ich keine Zeit mit so falschen Gedanken wie diesen verschwenden. Außerdem … Außerdem erkennt man doch schon am Stöhnen, wer sich da hinter dem Grün verbirgt. Ich habe es ja so oft gehört, dieses unterdrückte Wimmern, das mir immer solche Freude bereitet hat. Er ist es. Natürlich muss ausgerechnet jetzt Alexy mit … mit seinem Neuen da hinten liegen. Tyron, derjenige, der kaum größer ist als ich es früher war, hockt genauso über ihm wie ich es sonst getan habe. Er hat wirklich die selbe Ausstrahlung. Er will Macht, Macht über die Situation und die Macht über Alexy. Er – Er kann sich wohl gut vor den anderen verstellen, wenn er heimlich und privat so ein Gesicht zeigt. Diese Erinnerungen und dieses Bild in meinem Augenwinkel … man will mich als Bestrafung echt damit quälen oder?! Verdammt! Ich will nur noch mehr zu machen, noch schneller an ihnen vorbei kommen. Wenn sie da hinten ihren Spaß haben und es ihm plötzlich egal ist, was früher hier alles mit ihm getan wurde, dann sollen sie es halt tun. Ich muss ja nicht dabei zusehen … Schon eigenartig, wie schnell das bei den Beiden geht. Das Bild der beiden will nur nicht aus meinem Kopf schwinden. Der Kerl sieht so unscheinbar aus, so, ja, freundlich und nett eben aber wenn er so über ihm sitzt, ist das alles verschwunden. Ich könnte mich wirklich anfangen mit ihm zu vergleichen, denn er tut genau die gleichen Dinge, die ich früher mit ihm getan habe und er – er genießt das voll, so wie er klingt. Unglaublich, echt unglaublich … ich will es einfach nicht glauben müssen. Erst dann bemerke ich an mir selbst, wie mein Blick dem Boden zugefallen ist. Gott, wie erbärmlich. Es ist meine eigene Schuld, warum heule ich also so innerlich deswegen herum?! Dass es aber auch ausgerechnet so ein Spiegelbild sein muss … das ist widerlich und unerträglich. Je weiter ich von ihnen weg komme, desto mehr höre ich heraus wie … wie sein leises Stöhnen, sein leises Wimmern … Es ist ernst gemeint. Alexy wimmert, weil es ihm dabei nicht gut geht. Der Anschein vom Einvernehmlichen schwindet mit jedem Schritt mehr aber nach der ganzen Zeit, die wir zusammen waren, können mich seine verschiedenen Geräusche nicht mehr täuschen. „Was …“, rutscht mir leise raus, ohne dass ich die Frage weiter vervollständigen kann, denn innerlich bin ich mit ganz anderen Dingen beschäftigt als der Frage nach dessen Beweggründen. Alexy will nicht und als der Punkt erreicht ist, an dem das in meinem Hirn fest verankert ist, fällt es mir nur umso schwerer noch weiter zu gehen und zuzulassen, was er eigentlich nicht will. Wenn ich jetzt gehe und mich der Erinnerungen und dieses gesamten Themas entledige, lasse ich gleichzeitig auch etwas ganz furchtbares zu, was keiner so erleben müssen sollte. Schritte werden langsamer, stockend und ruhen nur wenig später komplett. Ich mache kehrt und gehe energisch dem entgegen, was ich zu verhindern wissen will. Mein Scateboard lege ich auf die Bank, die meinen Weg kreuzt, und da bleibt es auch noch eine ganze Weile lang liegen! Je näher ich dem komme, desto deutlicher wird mir nun, dass Alexy ihn von sich haben will. Er versucht ihn sogar herunter zu stoßen, doch der andere setzt mehr Kraft ein, mehr Gewalt und hält ihn unter sich fest. „N-Nicht heute, Schatz … bitte …“, fleht er ihn an und seine Stimme trägt langsam sogar Angst in sich. Merkt er es? Bemerkt er überhaupt, was sein „Freund“ da gerade versucht?! Ich kann sogar sehen, wie der Kerl Alexy's Hände über seinem Kopf zusammen hält und gleichzeitig mit der anderen an seiner Hose herum spielt. Ich kann sehen, mit was für einem widerwärtigem Ausdruck im Gesicht er das tut. Versucht. Je deutlicher mir das Bild erscheint, desto einfacher wird es für mich es durchzusetzen und als ich vor ihnen stehe, Tyron mit seinem Rücken zu mir, braucht es kaum zwei Handgriffe, um ihn energisch vom größeren herunter zu ziehen. Mit Nachdruck habe ich ihn neben dem anderen zu Boden gedrückt und mein Knie nun merklichst in seinen Bauch gerammt. Egal was er da macht, in die Weichteile treten ist feige, das kann ja jeder und sorgt auf keinen Fall dafür, dass er etwas daraus lernt. Vielleicht macht ihn das am Ende ja sogar noch an. Nein, ich will ihm wehtun, ihm deutlich machen, dass er DAS nicht tun sollte. Ein lauter, wimmernder Aufschrei ertönt von ihm und als ich mich mit Kraft von ihm abstoße, um wieder in den Stand zu kommen, bleibt er zusammengerollt und hustend am Boden liegen. Er kann nichts tun, hat vielleicht nicht mal so schnell reagieren können, um Gegenwehr zu leisten. Ich muss aber auch zugeben, dass meine Schritte bis zu ihnen schneller geworden sind und ich mir selbst genauso wenig Zeit gelassen habe, um die Situation zu entschärfen. Ich habe ihn mir ja sofort gepackt, seine Schulter und ihn von ihm runter gezerrt mit den gereizten, wütenden Beiworten: „Pfoten weg von ihm, Junge! Merkst du noch was?!“ Überlegend lasse ich nun nur noch einen Blick zur Seite fallen, nicht mehr auf Tyron, sondern auf Alexy. Er hat seine Augen noch immer zusammen gekniffen, presst sogar seine Lippen hart aufeinander und hält die Luft an, als wolle er die Situation einfach aushalten. Ich kann ihn ja wohl schlecht so liegen lassen, wenn sein Freund und Peiniger noch direkt neben ihm liegt. Genauso energisch, wie ich den Kerl von ihm gezogen habe, beuge ich mich wieder nach unten und greife diesmal nach dem Arm des Größeren. Ich merke, wie er sofort seine Augen öffnet und tief durchatmet, erschrocken. Er hat wohl mit allem gerechnet, nur nicht mit so etwas und noch weniger, als er mich sieht. Als ob man nicht auch an meinen Worten hätte erkennen können, dass ich da eingegriffen habe. Nein. Er braucht die Bestätigung in Bild und Farbe und erschrickt nochmals, als ihm ganz klar ist, was eben in seiner gedanklichen Abwesenheit so passiert sein muss. Er packt mit der anderen Hand sofort auf die meine, versucht meine Finger von seinem Ellenbogen zu reißen, doch bekommt es nicht hin. Im Gegenteil greife ich sogar nur noch kräftiger herum, weil seine Gegenwehr zunehmend stärker wird. „H-Hey, was fällt dir denn bitte ein?! Lass los, lass mich sofort los!“, protestiert er lauter werden, will eindeutig, dass ich ihn in Ruhe lasse und das nicht der Situation wegen sondern meinetwegen. Als ob ich es mir ausgesucht hätte das alles mitzubekommen! „Sicher und gleich zurück zu dem, ja?!“, knurre ich nach hinten und lasse keinen Blick an ihn fallen. Ich merke, wie ich selbst immer wütender werde Er stemmt sogar seinen Körper entgegen, versucht sich mit seinen Beinen in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen aber das bringt nichts. „Du sollst loslassen! Sofort! D-Das hast du völlig falsch verstanden man! Wir machen das eben manchmal so, klar!“ „Ja klar, das traue ich euch sogar fast noch zu.“ Seine Art zu Wimmern hat aber für etwas völlig anderes gesprochen und deswegen lasse ich nicht los, zerre ihn weiter den geraden Weg unter den Laternen entlang. „Harmony, Pfoten weg! Was hast du ihm angetan?! Das war doch alles so gewollt!“, knurrt er nun im selben Ton zurück. Er muss in dem halben Jahr wohl auch etwas dazu gelernt haben. Ich tue es, ich lasse seinen Ellenbogen los, in dessen Beuge seit ewigen Zeiten wohl mal wieder ein blauer Fleck von mir auf seiner Haut zurückbleiben wird. Er fällt ein Stück weit nach hinten, ist so perplex, dass er vergisst wegzulaufen, wie er es die ganze Zeit vor hatte. Er gibt mir damit die Möglichkeit mit beiden Händen an seine Schultern zu greifen und ihn mit gutem Abstand zwischen uns gleich wieder vor mich zu ziehen. Angesicht zu Angesicht und mit einem bedrohlich wütendem Ausdruck in den Augen. Lauter werdend rede ich ihm dazwischen, hole ihn mal auf den Boden der Tatsachen zurück. Sein dämliches Verhalten bringt doch nichts und es geht hier nicht um ihn und mich! Begreift er das nicht?! „Das war so gewollt, ja?! Muss ja unglaublich toll sein, wenn man an so viel Scheiße erinnert wird, die hier sonst so gelaufen ist! Mach doch mal die Augen auf, Vollidiot!“ Er schweigt. War ja klar. Sogar seine Blicke gehen dem Boden zu, doch sein Gegendruck wächst wieder. Verdammt, der lernt wohl doch nicht dazu! Will er trotzdem zu dem Mistkerl zurück? Ihn mit einer Hand loslassend, ziehe ich ihn wie zuvor auch schon den Weg hinter mir her. Er wehrt sich nach wie vor, stark, so halb stark, bis nichts mehr davon übrig bleibt. Ihn am Handgelenk festhaltend, kann ich spüren, wie er leicht zittert. Seine Schritte werden langsamer und auch ich nehme etwas an Tempo raus. „Du-Du hast kein recht dazu!“, jammert er mich durch die Stille der Stadt leise wimmernd an. Stille herrscht zwischen uns und wir sind beide stehen geblieben. Er … hat schon irgendwo recht, wenn man die Sache auf falsche Dinge bezieht. Noch immer in meinen Schritten ruhend, drehe ich mich nicht nochmal zu ihm um. Er versucht mir weiterhin seinen Arm zu entziehen, doch der wirkliche Elan dahinter ist verschwunden. Er meint das doch schon längst nicht mehr ernst. „Alexy, du verstehst da etwas grundlegend falsch.“, und dann kann ich doch nicht anders, als mich nochmal zu ihm umzudrehen, ihm eindringlich zu erklären: „Es geht hier nicht um dich und mich. Kriege das bitte in deinen Kopf. Ich habe mir bestimmt keine Gedanken darum gemacht wer es im Park miteinander treiben könnte, als ich ihn betreten habe. Hätte ich einfach weiter gehen sollen und ihn machen lassen? Alexy, wirklich?!“ Sein zittern ist mit meinen Worten nur stärker geworden. Er schnieft leise und ich spüre die kalt gewordenen Tränen auf meiner Hand: „J-Ja! Das – Das geht dich nichts an und … und …“ Seine Ausreden finden ein Ende und seine Worte sind eine Lüge. Das bemerkt er im selben Moment, wie er es ausgesprochen hat und sinkt am Boden zerstört ineinander zusammen. Sein Handgelenk habe ich losgelassen. Ich glaube, dass er nicht nochmal versuchen wird wegzulaufen und sich gleich wieder in Gefahr bringt. „D-Das war ein Ausrutscher … ganz bestimmt.“, jammert, stammelt er fast undeutlich vor sich hin. „Kann sein, alles gut möglich aber das will ich gar nicht wissen. Wie du schon sagtest, das geht mich nichts an aber einfach dran vorbeilaufen geht auch nicht! Das geht nur euch etwas an und gerade ist es nicht gut, wenn ihr euch wieder begegnet.“, rede ich ihm von oben herabblickend zu. Ich weiß nicht mal, ob meine Worte lieb oder böse gemeint sind aber mit so einem Blick gepaart können sie nur böse ankommen. Sein Gejammere nimmt nur mehr zu und trotzdem versucht er sich davon abzuhalten, indem er seine Tränen immer wieder aus seinem Gesicht wischt. Es bringt nichts. Er heult die ganze Zeit über weiter. Sein Kerl jedenfalls, auch wenn ich sage, dass mich das nichts angeht, ist jetzt schon ein riesiges Arschloch in meinen Augen! Keine Ahnung ob er den Ruf jemals ablegen kann aber da es im Laufe der Zeit bestimmt ab und an dazu kommen wird, dass wir alle was zusammen machen, werde ich mich zusammen reißen müssen. Das würde einfach ein falsches Bild abgeben. „Als ob – Als ob du mir etwas zu sagen hättest!“, knurrt er wütend zu mir herauf, als sich der erste Schock gelegt hat. Sein Blick steckt voller Kälte und – und den erst schon erwähnten Hass. Meine Augen schließend, atme ich hörbar vor ihm durch: „Ich weiß.“ Das habe ich nicht und deswegen … nehme ich mir nicht noch mehr raus, als ich es eh schon getan habe. „Also dann, du findest ja bestimmt allein Heim.“, spreche ich zu ihm, als ich mich auch schon abgewendet habe. Ich hebe lediglich eine Hand als Zeichen der Verabschiedung und gehe dann. Mein Weg führt mich nicht weit. Ich komme kaum ein paar Meter voran, als ein Blick prüfend nach hinten schweift. Ich will wissen, ob er auch wirklich zu sich geht oder doch wieder zu seinem Freund zurück rennt aber er macht nichts. Er sitzt nach wie vor da, auf dem Boden. Seine Arme hängen schlaff zu seinen Seiten herunter und seine Schultern sind gefallen. Er starrt ausdruckslos vor sich her und erscheint so trotz seiner Trauer und seiner Wut völlig abwesend. Er flüstert etwas vor sich her. Ich kann es nicht verstehen, nicht sofort, doch je mehr ich zurück gehe, desto deutlicher wird es. „Warum er? Warum ausgerechnet er?“ Alexy klingt verzweifelt aber ich ignoriere es. Mich durchsetzend, begebe ich mich genauso auf den Boden wie er. Er realisiert nicht viel, wie ich mir dachte. Er versucht sich zu wehren aber nur damit es den Anschein macht, dass er noch anwesend wäre. „Na los, komm jetzt!“, pruste ich auf, als ich beide seine Arme um meinen Hals gelegt habe und ihn anschließend an beiden Beinen auf meinen Rücken ziehe. Gleichzeitig stehe ich auf und er hält sich von allein fest. Sein Gesicht hat er vor mir verborgen aber nochmal weinen tut er nicht. „Ich – I – Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich so sehr!“, legt er stattdessen eine neue Platte auf, die er wieder und wieder wiederholt. „Alexy, ich weiß doch!“, nöle ich nach hinten, weil es wirklich anfängt zu nerven. Er hört nicht auf, hört mir aber immer zu, wenn ich spreche, was mich dazu veranlasst noch mehr von mir zu geben. Mit einem genervten Zischen beginnend, folgen die leisen, vielleicht ja auch beruhigenden Worte: „Ich sagte dir doch, dass das hier nichts mit dir und mir zu tun hat. Ich will keinen Helden spielen oder mich irgendwie ins rechte Licht rücken. Da gehöre ich – Da gehöre ich einfach nicht hin. Deine Wut und dein Hass sind begründet, also wenn - wenn du es nicht schaffst beides zu trennen, dann – dann stelle dir doch einfach eine andere Person vor. Kentin, Armin oder sogar deinen Freund. Du wirst selbst merken, dass das hier das einzig Richtige war und jetzt beruhige dich endlich.“ Er scheint wirklich darauf zu hören. Seine Platte bleibt stehen und er regt sich nicht mehr. Würde das wer anders sehen, könnte man Alexy beinahe mit einer Leiche verwechseln. Er ist nun völlig weggetreten, sagt nichts, schaut in keine bestimmte Richtung mehr und hält sich auch nicht mehr fest. Er hängt wie ein nasser Sack auf meiner Schulter. Vielleicht denkt er nun wirklich an Tyron oder wen auch immer. Als wir beim Haus ankommen, hole ich wie üblich den Ersatzschlüssel unter einem der Steine hervor. Dessen Versteck hat sich nach all der Zeit nicht geändert. Das Haus betretend, schließe ich die Tür leise hinter mir. Mit einer halb leblosen Person auf meinem Rücken ist das schwieriger als gewöhnlich aber ist ja auch nicht so, als hätte ich das noch nie tun müssen. Ich bringe ihn nur noch nach oben, lege ihn in sein Bett und werfe ihm die Decke über. Er hat eh schon die ganze Zeit gefroren, da kann er sich jetzt mal etwas aufwärmen. Das gesamte Zimmer, alles hier drinnen sieht genauso aus wie früher. Er hat nichts daran geändert. Ich hätte irgendwie mit etwas anderem gerechnet. Obwohl, doch, da ist etwas. Er hat sich einen neuen Rucksack für die Schule gekauft. Tzz, hätte ich mir ja denken können. Das Einzige auf dem ich mich mal verewigt habe, schmeißt er weg. Noch immer am Rand des Bettes sitzend, beende ich die Musterung des Zimmers. Alexy ist nun wieder lockerer, schläft ganz ruhig und wirkt, als wolle er etwas sagen. Seine Lippen bewegen sich leicht, langsam aber es folgt kein brauchbarer Ton. Bevor ich mich aber wirklich lossagen kann, ich wirklich aufstehen kann, lege ich ihm, so falsch das auch sein mag, eine Hand an seine Wange. Leicht, so dass er es kaum spüren dürfte und sein Hass durch seine Träume hindurch vielleicht nur noch mehr geschürt würde. Ich spüre, wie kalt er ist und er muss, trotz der geringen Berührung, durch seinen Schlaf hindurch die Wärme spüren. Jedenfalls sind seine Lippen sofort still, das bisschen Unruhe ist nun auch von ihm gewichen und er schläft genau so, wie er es sonst auch getan hat. „Dann schlafe dich mal aus und gute Nacht L... Alexy.“ Aus seinem Zimmer kommend, gehe ich dem nach, was mir beim Betreten des Hauses bereits aufgefallen ist. Ich konnte den TV hören, deutlich aber irgendetwas hat gefehlt. Etwas, was sonst immer dazu gehört hat und dem will ich nun auch noch nachgehen. Jetzt, wo ich schon Mal hier bin. Nochmal werde ich die Gelegenheit ja eh nicht bekommen, also von daher …
0 Kommentare
|
Wörter: 3791
Zeichen: 21925 |