Mit einem Ruck setze ich mich ganz plötzlich wieder auf. Die Welt, diese andere Welt, sie hat sich mir in einem Augenblick verschlossen. Es fühlte sich an wie ein Sog, ein Strudel, der mich mit sich gerissen hat, doch am Ende bin ich hier wieder raus gekommen. All meine Schreie im Traum sind hier in der realen Welt nicht aufgetaucht. Es hatte in genau dem Moment auch zur Pause geklingelt. Ich kann nur froh sein, dass mich dadurch keiner gesehen oder meinen stockenden Atem gehört hat.
Es ist große Pause. Ich muss ein paar Mal zwinkern, um den Schlaf aus mir zu bekommen und den verschwommenen Blick los zu werden. Es braucht nicht mehr wirklich lang und die Mädchen stehen schon am Tisch. Diesmal haben sie Zettel und Geld bereits fertig, doch ich verneine. „Geht selber, ich hole mir heute nichts zu Essen.“ Das lässt sie skeptisch zu mir herab blicken. „Was ist? Willst du plötzlich anfangen zu hungern? Dadurch wirst du bestimmt auch nicht beliebter.“ „Nun geh schon. Wir haben alle etwas vor und du gehst doch immer.“ „Ehrlich mal. Sei doch mal etwas netter zu uns.“ Ja … war klar, dass solche Argumente wieder kommen. Letztendlich lasse ich mich einfach wieder breit schlagen. Es stimmt schon, ich habe ja Zeit dazu. Kayli bleibt auch hier und ich soll ihr auch etwas mitbringen aber bei ihr macht mir das nichts aus. Der Weg dauert lang, gefühlt zumindest. Ich glaube, so muss sich Sleepy immer fühlen. Anstrengend. Als ich zurück komme, sehe ich da schon die 3 Jungs stehen. Stimmt ja, es war einfach zu lange ruhig. Sie lassen mich nicht vorbei, drängen mich immer weiter, immer wieder zurück, bis ich die Schulmauer hinter mir spüre. Ich weiß, ich sollte keine Angst vor so etwas zeigen, nachdem ich gesehen habe … gesehen habe … „Ähhhh … könntet ihr sie bitte loslassen?“, erklingt eine murmelnde, fast unverständliche Stimme. Während die Drei sich selbstbewusst umdrehen, öffne ich endlich wieder meine Augen. Natürlich, die Stimme hatte schon alles gesagt. Sie wirken unbeeindruckt, alle drei und lassen die Knochen ihrer Finger bereits knacken. „Tzzzz, was bist du denn für ein Hampelmann?! Du halbes Hemd kannst uns doch eh nicht aufhalten.“ Doch es dauert nicht lang, da taucht auch schon der Zweite auf. Die drei Jungs aus der Oberstufe sehen sich zweifelnd gegenseitig an. Crown erhebt nur einmal seine Stimme. Sie flüchten sofort. Was sind das nur für Freaks? Sein kleiner Bruder lässt es sich nicht nehmen den Älteren und mich zu beleidigen, doch er ist nur verärgert, weil sich keiner von uns gewehrt hat. Er nimmt mir ganz selbstverständlich die beiden Tüten ab, mit dem beiläufigen Kommentar: „Gib mal her, das hat mich letztens schon gestört. Warum machst du das überhaupt für alle?!“ Er erwartet keine wirkliche Antwort, ich hätte ihm auch keine gegeben. Die Blicke, die er daraufhin mit seinem Bruder austauscht, ignoriere ich mal ganz einfach … wobei, was heißt ignorieren. Meine Aufmerksamkeit liegt einfach auf einem anderen Punkt, auf einer anderen Person. Wir sind inzwischen auf dem Schulhof angekommen aber sie kommen einfach mit. Eigentlich ist das ja nicht erlaubt aber die Kontrolle des Schulhofes scheint heute mal wieder auszufallen. Es bemerkt also keiner, dass sie mitkommen. Man kann schon sehen, wie die Mädchen erwartend am obersten Fenster hocken und schauen, wann ich ankomme. Aber wie gesagt, meine Aufmerksamkeit liegt ganz woanders. Es ist diese Person, dieser Junge, der uns ständig beobachtet. Er ist nun Derjenige, der unter den Tritten und Schlägen der drei Jungs leidet. Man kann sehen, wie er schon am Boden liegt und leise winselt. Seine Position verrät mir aber noch etwas ganz anders. Er muss wieder zugehört haben als Crown, Cecel und ich uns unterhalten haben. „S-Sage mal, willst du ihm nicht auch helfen?“ „Was? Hmm, nö. Kerle gehen mich nichts an und der da erst recht nicht.“ Wie eingebildet. Er kann keinen Vorteil daraus schlagen und ist sofort hartherzig. Also wenn er nichts tut, dann – dann muss ich wohl … Meine Gedanken gehen nicht mal bis zu Ende, da finde ich mich auch schon im Kreis der Prügelknaben wieder. Ich schreie sie wütend an, frage sie, ob es nicht reicht, das mit einer Person zu tun und ob sie vielleicht Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl hätten oder Aufmerksam bräuchten. Das lassen sie sich natürlich nicht gefallen … o je, da war der Mund wieder größer als mein Hirn. Die zwei Anderen tauchen dann doch noch hinter ihnen auf und die Drei verschwinden schon wieder ohne ein Wort zu sagen. Wenn die Drei mich das nächste Mal wieder allein erwischen sollten … o je, darüber darf ich mir gar keine Gedanken machen. Sich genervt durch sein Haar streichend, beschwert sich Crown nur wieder: „Wenn es um dich selber geht tust du nichts aber wenn andere verprügelt werden, greifst du plötzlich ein? Denken ist nicht wirklich deine Stärke oder?“ Ja, das kann schon sein aber ich mache mir mehr Sorgen um den Jungen. Gut, er wirkt zwar wie ein Stalker aber das hat er nicht verdient. Ich strecke ihm eine helfende Hand entgegen. „Hey, geht’s dir gut?“ Stille. Er nimmt nicht meine Hand, schaut aber auch nicht weg oder schlägt sie aus. Er schaut mir einfach nur in die Augen, meine zweifarbigen Augen. Ich sehe zurück, in seine blauen. Viel auffälliger als das ist aber seine aufgeplatzte Lippe. Das Blut daran ist trocken, es stammt von keiner eben zugefügten Wunde. „Hast du es auch endlich gecheckt, ja? Bis auf die Zwei da lässt sich doch kein Oberschüler bei den kleinen Mädchen blicken!“ Deswegen also … deswegen wurden wir immer beobachtet. Hat er wohl versucht aufzupassen? Nein, oder? Ich richte mich wieder auf, als der Blondschopf aus der anderen Schule auch schon was zu meckern hat: „Ich habe dir doch gesagt, der braucht keine Hilfe.“ Der brünette, glatt gekämmte Junge vom Boden steht nun auch endlich mal auf. Er erinnert die Brüder mit tiefer Stimme: „Und ihr habt hier nichts zu suchen! Das ist nach wie vor mein Bezirk. Raus hier!“ Deswegen kennt Seroll also die Bezirke der Brüder. Sie liegen direkt nebenan. Sowie er sich aufrichtet, streicht er seine Uniform glatt und schaut nach, ob sein Haar noch ordentlich sitzt. Alle Drei schauen wir ihn mit schmalen Blicken an: „Streber!“ „Tzzz, gute Noten sind halt wichtig. Kann ich ja nichts für, wenn ihr alle so schlecht seid.“, rechtfertigt er sich. Fear. Gleich danach will er die Fremdschüler erst recht los werden, doch sie hören nicht. Was soll er schon groß tun, wenn die Blicke aller Schüler an den Scheiben kleben. Ich bin etwas verwirrt darüber, dass ich ihn nie mitbekommen habe. Klar ist er einige Klassen über mir aber … weder auf dem Hof, noch in sonst irgendwelchen Pausen oder früh. Wüsste ich nicht, dass Fear Seroll ist, dann würde ich ihn sogar jetzt noch übersehen. Cecel ist nicht beliebt, ich bin nicht beliebt und Fear nun auch nicht? Er scheint sogar regelmäßig Ärger mit den drei Jungs zu haben. Das fiel mir nie auf, wenn wir uns getroffen haben. Wenn er mir erklärt hat, wie das alles läuft. Er ist doch einer der King's, er ist gut in dem was er tut und stark. Wie kann jemand wie er unbeliebt sein? „Was ist? Starrst du mich noch länger so an? Ja, die Nächte sehe ich halt anders aus, muss ich ja auch! Und die Haare sind Vaters Anweisung.“ Controll-Freak's Kommentar zu seinem Vater … sie scheinen sich alle irgendwie persönlich zu kennen oder? Die Mädchen von ganz oben rufen schon zu uns herunter. Ich solle mich beeilen, sie hätten Hunger. Die Blicke der drei Jungs daraufhin sind erdrücken und ich bekomme sie auch noch ab. Es macht es nicht besser zu wissen, dass ich in der Runde die Kleinste bin. Sogar Sleepy hat nur eine Meinung dazu, die er sofort umsetzt. Die 2 Plastiktüten hat eh noch sein Bruder. Bevor ich von der obersten Etage der Schule wegsehen kann, greift er nach mir und alles dreht sich. Zumindest so lange, bis ich irgendwo sitze. Wir, ich sitze plötzlich auf dem Boden und Sleepy hat sich auf meine Beine gelegt. Er schläft sofort ein, noch viel besser, als die Mädchen alle schweigen. „Croooown!“, ertönt eine hellauf begeisterte Stimme, welche bis eben in der kleinen Gruppe noch nicht verfügbar war. Kayli rennt schnurstracks zu ihm. Sie umarmen sich sogar und das ziemlich offen. Sie nutzt es glaube ich voll aus, dass ihr alle Mädchen dabei zusehen. Mir recht so, dann schauen sie nicht mehr so blöd auf Sleepy. Ich lege ihm vertrauter als gewohnt eine Hand auf den Kopf. Sein Bruder blickt das alles mit einem Auge und wirkt … überrascht. Seroll … ich meine Fear, Fear hingegen fühlt sich glaube ich ziemlich fehl am Platz. Also tippe ich ein paar Mal auf den Platz neben mir und man sieht ihm an, dass er überlegt. Letztendlich sitzt er den Rest der Pause doch auf angewiesenem Platz. Wir Zwei unterhalten uns über die drei Jungs und sein zu Hause. Er ist wirklich nicht sehr beliebt hier, muss sogar die Hausaufgaben für die Mädchen machen, weil ihn alle als 'Daddy's kleinen Liebling' und 'Vollstreber' abstempeln. Wenn die nur alle wüssten … Am Ende der Pause, als es schon das erste Mal geklingelt hat, damit alle hinein kommen und ich mit meinen trägen Augen in die Runde schaue, fordert die Situation nur noch 3 Worte von mir, auch wenn noch immer etwas widerwillig: „Ich mache es.“ Die beiden munteren Jungs atmen durch, als wären das die schwersten 3 Worte gewesen, für die sie je gekämpft hätten. „Endlich!!!!“, entflieht nun sogar allen Dreien. Jaaaa, Sleepy ist wieder wach. Kayli sieht aufmerksam in die Runde, doch fragt nicht nach und bekommt auch keine Antwort. Crown sieht nun mehr zu dem neben mir, bevor er fragt: „Und, wer macht es?“ „Ich kümmere mich darum, habe ich ihr heute Morgen schon gesagt.“, verkündet sofort einer von ihnen. Ich blicke Fear doch etwas verwundert an, auch wenn mir seine Antwort hätte klar sein sollen. Crown, der Third, meint dann nur: „Du weißt aber, du müsstest nicht. Genau gesehen ist das hier Grenzgebiet also …“ Seroll unterbricht ihn sofort. Das werden zu viele Details für eine Unwissende. Noch dazu, hatte er sich schon dazu bereit erklärt, schon vor Stunden, wo ich noch nicht zu 100% davon überzeugt war. „Ich sagte doch, ich kümmere mich darum! Ich habe da noch einiges gut zu machen. Nur deswegen …“ Ich verliere mehr und mehr den Anschluss zum Gespräch. Keine Ahnung was er noch sagen wollte. Ganz ehrlich gesagt bin ich noch immer nicht zu 100% davon überzeugt aber … die Jungs sind cool, auch wenn sie sonst jeder zum Außenseiter macht. Sie sind so etwas wie – wie Freunde. … Zumindest so lange, so sagte Sleepy, bis ich laufen kann. Vor diesem Moment habe ich etwas Angst. Es ist schwer genug Freunde zu finden, sie dann auch noch zu verlieren … daran will ich nicht denken aber vielleicht bin ich auch die Einzige, die das so sieht. Wir „normalo Schüler“ gehen zurück zum Unterricht, während die Beiden übrigen sich sogar Zeit lassen können. Ihre Pause geht länger, dafür bleiben sie aber auch länger in der Schule. Kayli hat schon wieder etwas schlechte Laune aber ich ignoriere es. Nachmittags ging es dann wieder zur Arbeit. Fear ist noch länger in der Schule gewesen. Er musste lernen und Nachhilfe geben. Er macht sich irgendwie ja selbst zum Außenseiter, dafür wird er es aber später wesentlich einfacher haben. Ich hatte mir vorgenommen meinen Chef eine Frage zu stellen aber irgendwie fürchte ich mich davor. Ich weiß nicht, wie er darauf reagieren würde aber als er mir wieder das Stichwort gibt, dass ich gehen kann, muss ich einfach fragen. Alle Sachen sind schon zusammen gepackt und das Jackett, das mir Cecel gegeben hatte, habe ich auch schon an. Seitdem die Lederjacke kaputt ist, konnte ich noch keine neue holen. Ich habe nicht wirklich daran gedacht. Zur Flucht ist jedenfalls schon alles bereit, falls der Mann verärgert sein sollte. Also frage ich: „Ä-Ähm …“, unpraktisch, dass genau in dem Moment auch noch der Sohn zu Besuch kommt. Er ist leise und unterbricht gar nicht erst. Trotzdem wird mein Gefühl bei der Frage nur komischer. Mir wird schlecht aber ich versuche es erneut: „A-Also … ich wollte fragen … mal fragen, ob … ob ich nach der Arbeit vielleicht mal … I-Ihre Werkstatt leihen könnte.“ Schwere Worte aber ich wüsste nicht wo ich sonst an den Boots arbeiten sollte. Zu Hause, also beim Arzt, ist wohl kaum genug Platz, er hat bestimmt nicht die passenden Geräte dafür und außerdem … außerdem ist da noch Sally. Ich werde ihr kaum noch in die Augen schauen können. Natürlich … wie erwartet, kommt er von hinten vor, nur um mir einen entsetzten Blick entgegnen zu können und jetzt … jetzt ist mein Fluchtweg auch noch versperrt, von einer Person, die genauso entsetzt schaut. Toll … das zum Thema Schuldgefühle! … Meine am Boden klebenden Blicke reichen als Antwort aus. Der Barkeeper wirkt im Nachhinein genauso erleichtert wie die Jungs heute Nachmittag. Nur mein Chef weiß nicht ganz darauf zu reagieren. Nach längerem Gestotter sagt er mir immerhin zu und bevor irgendwelche Fragen anfangen, flüchte ich. Der Barkeeper macht mir natürlich keinen Platz. Er braucht wohl ziemlich dringend Nähe aber die kann er sich bei wem anders suchen. Ich renne, ich renne ein ganz paar Kilometer, bis mir einfällt, dass ich da noch jemandem etwas bringen muss. Natürlich ist es dumm von mir immer wieder zu Vater zurück ins Haus zu gehen aber das was wir Drei da gemacht haben, ist eigentlich nicht erlaubt. Würde Vater das anzeigen, müssten wir alle wieder Heim. Deswegen … Deswegen bringe ich ihm jeden Monat immer etwas vom verdienten Geld vorbei. Das und etwas mehr reichen dann aus, um ihn ruhig zu stellen. Als ich heute wieder auf dem Weg dahin bin, um ihm sein 'Schweigegeld' zu geben, läuft mir fast schon überraschend Fe … Seroll über den Weg. Nein, es ist irgendwie eine Mischung aus beidem. Mir ist heute früh schon mal aufgefallen, dass er extrem hohe Springer trägt und lieber Militärsachen an hat, als normale Klamotten. Es fehlen nur Mantel, Maske, seine wilde Frisur und die Scates. Für seine durchwehte Frisur sorgt er, als er eben vor einem Schaufenster steht und sich das Gel aus dem Haar kratzt. Er scheint das alles ziemlich zu verfluchen, ganz offensichtlich sogar. Erst als sein Haar wieder frei ist, kann er lächeln. Er sieht durch das Spiegelbild vor ihm dann auch endlich meine Gestalt. Ich winke leicht. Der Brünette beeilt sich und kommt dann die Straße rüber gerannt. Er hat jedenfalls keine Angst vor Autos und das im Innenstadtverkehr. Ohne gucken einfach rüber. „Schaue nicht so. Control-Freak sagte dir doch, dass sich alles ändert. Lass dich erst mal darauf ein, dann wirst du es merken. Was machst du hier?“ „Komme eben von Arbeit, schon vergessen?“ „Ach ja. Wofür arbeitest du überhaupt?“ So eine Frage war eigentlich klar. Trotzdem … irgendwie schön mal über etwas anderes zu sprechen. Es ist irgendwie so – so selten entspannt. Ich sage ihm nur, dass ich Vater etwas vom Lohn abgebe. Unter welchen Umständen, wieso, weshalb, warum, das sage ich ihm nicht. Er fragt auch nicht nochmal nach, hat es zum Glück selbst gemerkt. „Lass mich mal mitkommen. Ich bin neugierig wie ihr sonst gelebt habt und ich habe nichts zu tun.“ „Kein Training?“ „Nein, heute nicht. Laut der Gameskonsole sind alle Trainingsplätze belegt.“ „Laut der … ach egal. Eigentlich … na gut aber nur bis zum Haus.“ „Wieso? Sieht es so schlimm drinnen aus? Komm schon oder bist so schüchtern?“ Schüchtern? … Ich weiß nicht … aber er muss ja nicht gleich alles wissen. Ich lasse mir etwas anderes einfallen. „Okay … du darfst mit rein, wenn ich mal zu dir kommen kann.“ Er wird genauso zurückhaltend wie ich zuvor. Ein wenig beunruhigend ist das schon aber ich nehme den Deal nicht zurück. Er meint, das wäre etwas anderes … ja, das wird es wohl sein aber der Deal steht. Letztendlich gehe ich um einiges voraus, merke dann erst mal, wie schnell ich inzwischen laufe. Ich habe nie vorher darauf geachtet aber schon da hatten sich alle über mein Schritttempo beschwert. Kein Wunder, dass Kayli immer so außer Atem ist, wenn sie mir folgen muss. Ich wende mich zu ihm zurück, laufe Rückwärts den Weg entlang und warte auf seine Reaktion. Erst als er aus seinen Gedanken aufwacht, kommt er schnell hinterher … und stimmt dem Deal zu. Schön, jetzt muss ich nur noch dafür Sorgen, dass Vater keine Scheiße anstellt, wenn Fear mit rein kommen will. Es ist lustig ihm den Weg über zuzuhören. Er erzählt von seinem Aufstieg und seinen Anfangsspielen. Er meint, wenn er mich so ansieht, bekommt er immer richtige Déjà-vu's. Er scheint sich mehr über das was kommt zu freuen, als ich es tue. … Ich hoffe, das kommt noch. Vor dem Haus stehend, werde ich doch wieder etwas nervös. „G-Gut … warte ein paar Sekunden.“, bitte ich ihn darum, als er die Tür zum kleinen Haus auch schon auf schiebt. Aus dem Wohnzimmer ertönt ein fast undeutbares Gestöhne und Gemurmel. „Hmm hah, hah, njaaa, du – du kleine …“ „Guten Tag Vater. Ich habe Besuch mitgebracht.“, unterbreche ich ihn, bevor er irgendetwas falsches von sich hätte geben können. Ich hoffe, nein, flehe inständig, dass er nicht zu viel getrunken hat. Das wäre das peinlichste, was jetzt noch passieren könnte. Ich höre, wie er schon wieder Dosen umwirft, als er nur versucht aufzustehen. Meine Blicke gehen erst gar nicht zu dem neben mir. „Geh lieber gleich ins Zimmer, ich kümmere mich mal um das Wohnzimmer.“ Er versucht schon jetzt verkrampft zu lächeln und spricht: „Wenn du mir noch sagst in welches, dann kann ich das gerne machen.“ Ich deute gleich auf die erste Tür, die vom Flur abgeht. Während er zu meiner Zimmertür stürmt, hole ich aus der Küche eine Mülltüte und sammle alle leeren Dosen ein. Die Flaschen stelle ich auf die Theke, die vom Flur zur Küche übergeht. Ich sehe nicht mal zum Sessel, immer nur daran vorbei. Er hat damit zu tun da heraus zu kommen und schafft es nicht mal einen sinnvollen Satz zusammen zu bringen, um mir eine Predigt zu halten. Ich hole eher so nebenbei einen Briefumschlag aus meiner Jackentasche und lege ihn auf den kleinen Tisch neben dem Sessel. „Ich habe dir etwas mitgebracht. So viel ist es nicht aber es muss reichen.“ „Was denn, is SSSSally so n-n-nutzlos jwordn, dass se es nisch ma mehr zu mehr sssschafft?! Vielleicht sollte se sich dann ja ma versuchn zu verkaufn!“. Lallt er kaum verständlich zusammen. Keine Sekunde länger kann ich mir das anhören. Wie kann er so etwas verlangen? Von seiner eigenen Tochter? Was fällt ihm nur ein? Wie wenig kann er sie denn lieben, wenn er … wenn er … Mir rutscht nach seinem letzten gesprochenem Wort einfach die Hand aus, welche ihn mehr als nur hart trifft. Es hallt im ganzen Haus. Er trägt Kratzer davon, blutende Kratzer. Inzwischen sitzt er immerhin schon mal im Sessel. Ich fürchte, dass er mir gleich hinterher kommen würde, wenn ich mich in der Küche verkrieche. Trotzdem lasse ich mir genau da etwas mehr Zeit, keine Ahnung warum eigentlich. Jedenfalls wasche ich gleich mit ab und packe die Müllsäcke auf einen Stapel, wo er sie nur schwer wieder umwerfen kann. Es ist nicht passiert wie vermutet, er ist nicht hinterher gekommen. E-Eigentlich bin ich froh darüber, mehr als nur froh aber … es ist gleichzeitig beunruhigend, bis mir der zündende Gedanke kommt. Hastig, viel zu hastig und gleich zweimal über meine eigenen Füße stolpernd, tauche ich vor der offenen Tür zu meinem Zimmer auf. Er hat sich nur neben ihn gesetzt und obwohl das schon widerlich genug sein muss, kann ich nur sagen: Zum Glück. Allerdings wirkt Fear deswegen nicht gerade glücklicher. Mein Vater sitzt so nah an ihm, hat nur sein ehemals weißes Hemd an. Es sind so viele Flecken darauf, Fett, gelblich, braun, Aschereste … ich will nicht wissen, was alles darauf gelandet ist. Leider sticht gerade das an ihm hervor, durch die zunehmend größer werdende Wampe. Er kann bestimmt bald besser durch die Wohnung rollen als laufen. Ich strecke meinem Besuch die Hand entgegen: „Na komm, bin fertig. Lass uns gehen.“ Er lässt sich keine Sekunde nehmen, steht auf und kommt zu mir, um wenigstens diesmal nach der helfenden Hand zu greifen. Irgendetwas … muss ihn sehr verstört haben. Ich kenne ihn ja nicht aber so wie ER sich hinter MIR versteckt, Schutz sucht, kann sein Leben auch nicht ganz normal abgelaufen sein. Er zerrt an meinem Arm wie sonst nur Isebell. Er will gehen, ich kann ihn verstehen. Ich sehe, wie Vater zurück in mein Bett fällt, noch irgendetwas murmelt, mich ganz frei als Schlampe bezichtigt und irgendwie auch fragt, ob das 'mein neuer' Freund sei. … Ich wusste bisher nicht mal, dass ich überhaupt schon einen hatte. Das zerren an meinem Arm wird kräftiger, selbstbewusster, bis er schon halb wütend flüstert: „Na los, nun komm schon!“ Ich nicke nur und schließe die Tür. Er lässt nicht mal dann los, als die Tür hinter uns zu fällt und wir draußen im Freien stehen. Er zerrt noch weiter, bis wir aus dem Tor draußen sind. Dann erst dreht er sich um und sieht mich bitter ernst an. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du SO EINEN Vater hast? Ich HASSE solche Menschen, abgrundtief! Ich weiß, er ist dein Vater aber …“ „Nein, nein! Eigentlich nicht mal das. Du hast meine Schwestern doch schon Beide gesehen. Violettes, langes Haar, pinke Augen und so was … ich bin blond und habe ein gelbes und ein grünes Auge. Nur die Zwei sind von ihm. Mich wollte Mutter wohl einfach nicht mehr haben … können wir jetzt bitte über etwas anderes reden? Ach ja und noch etwas: Hast du vor mir die Hand zu brechen?!!“ Er sieht einen Augenblick nach unten und lässt sofort los. Es tat wirklich langsam weh, so viel Kraft hat er hinein gesteckt. Er ist noch immer nervös und mir geht der Atem etwas schwerer. Leider nicht aus so banalen Gründen wie man denken mag. Mist! Die Situation wahr wohl zu unangenehm und peinlich, sodass das mein Herz nicht wirklich mochte. So wie er seinen stockenden Atem im Griff hat, klappt das bei mir nicht, im Gegenteil. „Hey, was ist?“ Schmerzlich greife ich mir ans Herz. „Ich brauche nur etwas zu trinken, dann geht’s wieder.“, gebe ich mir Mühe normal, ungequält zu sprechen. Es klappt nicht. Das war Kommando genug. Er braucht keine Minute um auf seinen Scates davon zu fliegen und einen Automaten zu suchen. Dabei trägt er nicht mal eine Maske. Jeder könnte ihn nun also erkennen. Das ist etwas beängstigend. Ich dachte eigentlich, dass er von der Schule noch etwas dabei hätte aber gleich zu solchen Mitteln greifen zu müssen … Es braucht genauso wenig Zeit eh er zurück ist. Er ist schnell, muss es wohl sein, bei seinem Rang. Er fragt nach was ich habe und nachdem die Medikamente wirken, erkläre ich es ihm. Fear entschuldigt sich für die Situation eben. „Das … wusste ich nicht. Ich weiß ja, dass schon ich keine normale Familie habe aber du … wie konntest du das bis jetzt überhaupt überleben, wie konntet ihr das?“ Ich zucke nur mit den Schultern und bin froh, dass er nach keinen Details fragt. Nur ich habe da jetzt noch eine Frage, eine wichtige: „Was genau ist bei deiner Familie falsch? Deine Reaktion … das war nicht nur Wut. … Was … vielleicht sollte ich so etwas nicht fragen, tut mir leid.“ Wir haben bisher noch nie über solche Art privater Dinge gesprochen. Das fühlt sich komisch und gleichzeitig gut an. Er wirkt so normal, so menschlich und nahbar, als wenn wir wirklich Freunde sein könnten. „Du … sprichst da 2 verschiedene Dinge an. Das war nicht … hmmh …“ Ich korrigiere mich umgehend, als mir seine immer hängenderen Schultern auffallen: „Du – Du musst das nicht erzählen. Ich wusste nicht, dass das so kompliziert ist.“ „Ich frage auch nicht nach, was euer Vater noch … egal … aber danke. Das Wichtigste was über meine Familie zu sagen ist: Wir müssen erst mal einen Termin mit Vater ausmachen. Egal ob er da ist oder nicht aber er muss es wissen, die ganz genaue Zeit, von wann, bis wann.“ WOW, ich habe das Gefühl, er ist genau das Gegenteil von unserer Familie. Er behält weitere Details noch für sich und meint nur: Ich hätte auf diesen Deal ja nicht eingehen müssen. Stimmt schon aber mich nach einen Termin zu richten finde ich jetzt gar nicht so schlimm. Das geht schon mal. Er kommt auch wieder mit bis zum anderen Haus. Da fällt mir wieder ein, weshalb ich heute Morgen noch so wütend war. An der Schwelle zwischen Tor und Vorhof zum Haus, wende ich mich noch einmal an ihn. Er wartet schon auf meine Frage, geht davon aus, dass ich etwas wissen will. „Du, warum – warum machst du das alles denn? Du müsstest mir doch nur beibringen wie es geht oder? Und wenn ich es kann, was dann?“ Ich habe das Gefühl, als wäre ich eine eifersüchtige, verunsicherte Freundin. So soll es aber nicht klingen. Ich mache mir nur Sorgen … ich will nicht glauben mit jemandem befreundet zu sein, dem das alles egal ist. Eine seiner Hände legt er auf meine rechte Schulter und sieht mich freundlich lächelnd an: „Vor solchen Fragen hast du echt angst? Check's endlich, wir finden dich cool, also ich meine auch Sleepy und Gentle Lover. Die Tatsache ist zwar etwas nervig, weil das wirklich zu ernsthaftem Ärger führen kann aber … Sleepy scheint ja genau zu wissen, was er will. Lerne erst mal, dann kannst die Frage gern noch einmal stellen, wenn es denn dann noch nötig ist.“ Auch wenn das nun keine aufschlüssigen Worte waren, so waren sie immerhin beruhigend. Meinem Herz, mir, geht es inzwischen wieder wesentlich besser. Es war wirklich mal erleichternd jemanden mit Heim zu nehmen, auch wenn es so ausging. „Halte bitte nicht zu viel von dem was passiert ist und mache dir bitte auch keine Gedanken darüber, ja. Ich sollte jetzt wohl mal schlafen gehen.“ Er grinst breit, spottet über mich: „Was denn, jetzt schon? Ist doch erst 22 Uhr.“ Sein Gelächter wirkt so kindlich, jungenhaft und belustigt mich gleich mit, doch ich merke immer mehr, dass der Schlaf in der Schule nichts gebracht hat. Bisher konnte ich die Müdigkeit nur gut überspielen.
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