Die letzte Woche verlief soweit so gut, abgesehen mal vom Dienstag. Toyo kam zwar jede Nacht zu mir gekrochen aber das bin ich ja gewohnt. Ich finde es nicht schlimm.
Während ich noch die letzte Woche revue passieren lasse, höre ich eine Stimme hinter mir rufen. Er reißt mich aus meinen Gedanken. „Hey Misami. Warte doch mal!“ Ich wende meine Blicke nicht zu ihm und merke wie er sich schnell nähert. „Dann trödle nicht so!“ stichle ich ihn an. Natürlich beschwert er sich, dass ich so fies zu ihm bin aber das nehme ich nicht so ernst. Den Rest des Weges sind wir unauffällig ruhig. Wenn man die ganze Zeit über zusammen ist, dann hat man eben nicht immer was zu reden. Bevor wir durch die Schultore schlüpfen, fällt mir dann doch noch etwas ein. „Wie viele Stunden hast du heute?“ „Ich glaube sieben und in der Sportstunde spielst du heute mit, ja!“ versucht er mich davon zu überzeugen. „Wenn du meinst. Denk dran … “ „ … Schon gut! Ich weiß ja, in der Schule kennen wir uns nicht.“ spricht er das aus, was ich ihm jedes mal vorhalte. Er wirkt sehr genervt und enttäuscht aber das ist mir egal. Lieber laufe ich ein kleines Stück voraus und drehe mich zu ihm um. Er bleibt erschrocken stehen und ich auch. Zum Abschied stelle ich mich auf Zehenspitzen und gebe ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Grinsend laufe ich voraus in meine Klasse. Was ich nicht bemerke, er schaut mir mit groß werdenden Augen nach und fasst sich vorsichtig auf die Stelle, auf die ich eben meine Lippen legte. Verträumt bleibt er noch eine Weile stehen. „Hey Toyo, Mund zu, sonst verschluckst du dich noch!“ erschreckt ihn einer von hinten. Er dreht sich irritiert um und schaut seine Freunde an. „W-Was? Ach ihr seit es nur.“ „Was heißt hier nur? Reichen wir dir etwa nicht.“ macht er sich über ihn lustig, alle anderen lachen. Während ich auf dem Sportplatz mitten auf dem Fußballfeld stehe, schaue ich mich etwas um. Es ist noch keiner da, wirklich niemand. Alle ziehen sich wohl noch um oder sie reden wieder. Gespräche an denen ich nie Interesse zeigen kann. Unter meinem linken Arm halte ich einen Fußball. Ich lasse ihn auf den Boden fallen und schaue zu wie er ein paar mal auf und ab hüpft. Ich setze meinen Fuß darauf, damit er ruhig bleibt. Danach liegt er nur vor mir. Ich will gerade etwas versuchen zu spielen, als ich merke wie sich jemand von hinter mir nähert. Ich brauche mich gar nicht erst umdrehen. Es war klar wer es sein würde. Mein Gesicht wird von oben bis unten rot. Ich versuche die Wärme zu unterdrücken aber es klappt nicht. „Ist dir das denn immer noch peinlich?“ spricht er mich von hinten an. Natürlich bin ich nervös. Ich will kein Gespräch mit ihm führen müssen, nicht so. „N-Nein Herr Kusaka.“ „Warum bist du dann so rot im Gesicht?“ Dabei sieht er mein Gesicht nicht einmal. Er kommt so nah an mich heran, dass meine Haut anfängt zu kribbeln und sich meine Nackenhaare beim auftreffen seines warmen Atems aufstellen. Seine eine Hand steckt wie so oft lässig in seiner Hosentasche. Ich fühle mich angegriffen, nicht nur seiner Nähe wegen sonder auch seiner Worte. „Bin ich doch gar nicht und woher wollen sie das überhaupt wissen!“ Wie dumm, dass es bei ihm keine Wirkung hat. Er bewegt sich wieder. Seine andere Hand führt er über meine Schulter hinüber. Er nimmt mir eine paar Strähnen aus dem Gesicht und steckt sie liebevoll hinter mein Ohr. Wie unangenehm, so ungewohnt. „Sogar deine Ohren sind schon rot. Es ist doch nichts schlimmes dabei in einem Hotel zu Arbeiten, nur dumm dass es mein Hotel ist. Das ist ja eigentlich in deinem Alter verboten aber ich werde schon nichts sagen.“ Ja, das war es, was mir so unangenehm war. Was ich befürchtete wurde letzte Woche wahr. Er hat mich gesehen, wie ich putze. Ich könnte im Erdboden versinken. „Versprechen Sie es?“ murmle ich. Mein Herz schlägt sehr schnell aber auf keinen Fall weil ich von ihm so angetan bin wie die anderen aus meiner Klasse. Es ist einfach nur aus Angst davor, dass er es verbieten könnte. „Ja klar, versprochen.“ versichert er mir mit seiner sanften Stimme. „Vielen Dank, Herr Kusaka.“ Mir fällt ein riesen Stein vom Herzen. „Du solltest doch nicht mehr so förmlich sein. Itsuko, so solltest du mich nennen.“ „Sie sind doch aber mein Lehrer.“ protestiere ich weiter. „Na und ist doch egal.“ zeigt er wieder wie lässig er sein kann. Dann endlich kommen die anderen Jungs aus ihrer Umkleide. Nachdem einer hinsieht, müssen es ihm die anderen natürlich gleich tun. Alle starren auf uns, kein Wunder. „Hey was macht der denn da?“ „Ich wusste ja, dass dieser Lehrer nicht normal ist aber gleich mit einem Schüler?“ „Abartig!“ Jeder gibt seinen Kommentar dazu ab, nur Toyo hält inne. Er denkt sich seinen Teil dazu. Verdammt! So ein Mistkerl! Wie kann er es wagen sich meiner Schwester so zu nähern? Wenn ich nur könnte, dann würde ich … nein! Ich darf ja nicht … Überkochend vor Wut ballt er eine Hand zur Faust. Er versucht es zu unterdrücken. Sein Körper zittert, so Wider ist ihm der Anblick. Den Jungen folgen die Mädchen. Sie kommen von der Schule rüber gelaufen und sind in hellem Aufruhr. Erst nur ihrer eigenen Geschichten wegen, dann unseretwegen. Es wird mir immer unangenehmer. Warum immer ich? Das schreit geradezu nach Rache. „Jetzt haben Sie nicht nur einen Miesen Ruf bei den Jungen sondern auch bei den Mädchen. Ach und … jeder hier hält mich für einen Kerl!“ Genervt streicht er sein Haar nach hinten und entfernt sich langsam. „Na toll, vielen Dank auch.“ dann war er weg. Ich schieße den Ball zu den Jungs rüber. Toyo fängt ihn auf, die anderen waren zu abgelenkt. Ich wende mich von allen ab und verschwinde. Herr Kusaka tut so als wäre nichts gewesen. „Na los, einlaufen, dann dürft ihr wieder spielen was ihr wollt.“ ruft er schon zu den Klassen hinüber. Meinem Bruder brauche ich nur einmal in die Augen zu schauen. Er traute unserem Lehrer so schon nicht aber jetzt, er hasst ihn. Ich verstecke mich diesmal nicht, höre aber auch nicht auf das was Itsuko sagt. Diese Stunde stehe ich am Rand. Ich sehe ihnen beim spielen zu. Dabei fällt mir erst jetzt jemand auf. Jemand den ich noch nie zuvor hier gesehen habe. Dieser jemand tat das gleiche wie ich. Er steht am Feldrand und schaut den anderen zu, nur eben am anderen Ende. Er muss wohl neu sein. Der Junge hat hellbraunes, kurzes Haar. Es sieht zerwühlt aus, ungezähmt. Wie ich das von weitem erkennen kann, ist er sogar noch größer als Toyo. Seine Sportkleidung sieht genauso aus wie die der anderen – eine knielange Hose und Oberkörper frei. Sogar von hier erkennt man, dass seine Muskulatur noch ausgeprägter ist als die aller anderen. Es erscheint mir schon fast unnatürlich. Was ist nur los? Irgendetwas zieht mich in seinen Bann. Ich kann nur noch in seine eisblauen Augen starren. Man verliert sich richtig darin. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch er mich betrachtet. Er starrt mich genauso an. Wir mustern uns gegenseitig. Dabei kann ich mich nicht großartig bewegen. Ob er meine roten Augen vielleicht seltsam findet? Vielleicht findet er aber auch alles seltsam? Verlegen wende ich meine Blicke immer wieder dem Boden zu, dann wieder zu ihm und wieder auf den Boden. Das alles nur um zu sehen, ob er aufgehört hat mich zu mustern. Immer wenn das jemand tut, ist mir das unangenehm. Er reagiert ähnlich wie ich und schaut ab und an mal weg. Bis zu mir reicht ein Gefühl, was sich nur als Arroganz deuten lässt. Er wirkt genervt von meinen Blicken. Aus meiner Trance aufwachend, löse ich mich endgültig von ihm. Wie eigenartig, so habe ich noch nie jemanden betrachtet. Es gefällt mir nicht. „Man, das war mal wieder richtig nötig. So ein Spiel zwischendurch ist doch etwas schönes oder?“ „Nur der Sieg ist wichtig, weißt du doch.“ „Aber er hat Recht. Immer noch besser als bei der Hitze im Zimmer zu hocken und lernen zu müssen.“ „Nur sind drei Stunden Sport dann doch etwas zu viel.“ beschwert sich Toyo unter allen als einziger. Anschließend kam das Klingelzeichen. Nur meinem Bruder fällt auf, dass jemand fehlt. Er fragt die anderen nach dem Neuen, doch denen ist er egal. Also kümmert sich auch Toyo nicht mehr darum. Wie immer setzten sich alle unter einen Baum und machen da ihre Pause. Sie albern rum und essen ihr mitgebrachtes. Itsuko sitzt im Klassenzimmer und wartet nur auf das Ende der Pause. Er lehnt einfach nur an der Wand direkt neben der Tür. Er lauscht den deutlichen Schritten im Gang, bis diese in Form einer Silhouette vor der milchigen Scheibe der Tür zum stehen kommen. „Sie sind aber schwach. Natürlich konnte ich sie trotzdem spüren.“ flüstert ihm eine böse Stimme zu. Herr Kusaka lässt sich dadurch nicht beirren. „Vielen Dank! Was willst du hier?“ „Man hat mich geschickt aber das war mir egal. So oder so, wäre ich hier aufgetaucht. Und Sie?“ „Aus dem gleichen Grund!“ spricht der Lehrer in Rätseln. „Sie haben es also auch gespürt?“, hakt der Mann hinter der Tür nach. „Da du auch gesagt hast, gehe ich richtig in der Annahme, dass du es weißt?“ „Natürlich … aber es wird sicher nicht einfach.“ klingt seine Stimme so tief, dass es schon fast wirkt als würde die Silhouette im drohen wollen. „Na dann, auf gute Zusammenarbeit!“ wirkt auch Itsuko als wolle er ihm drohen, ihn warnen. Die Schritte entfernen sich allmählich wieder und unser Lehrer atmet tief durch. Er wirkt erleichtert. Als er ihn nicht mehr hören kann, verlässt er das Zimmer doch noch einmal. In den nächsten Tagen komme ich mir vor wie im falschen Film. Es geht um Toyo. Er trainiert. Er trainiert wirklich freiwillig! Es wundert mich sehr, denn normalerweise muss ich ihn erst dreimal dazu auffordern eh er überhaupt aufsteht. Ich warte noch bis wir wieder zur Schule müssen. Neugierig wage ich mich dann an ihn heran. „Hey Brüderchen, wofür trainierst du so hart?“ „Nur so, ich will es eben.“ Ich wage eine Vermutung. „Könnte es sein, dass dir der neue ziemliche Konkurrenz macht?“ Die Antwort folgt sogleich. Aus seiner Kehle kullert ungewollt ein kleines knurren. „Ich nehme das mal als ja, okay? Wie ist er denn so?“ „Stehst du etwa auch auf ihn?“, macht er mich zornig von der Seite an. „Was soll das denn heißen?“, platzt es aus mir genauso heraus. Meine Stimme senkend, versuche ich es noch einmal. „Ich stehe immer zu dir, das weißt du doch oder etwa nicht?“ Er presst seine Augen zusammen und macht sich innerlich Vorwürfe, wie er so etwas von mir denken konnte. Ich sehe in dem Moment gerade nicht hin, also kann ich seinen Ausdruck nicht deuten. „Tut mir leid.“, kommt er wehleidig angekrochen. Er kommt mir etwas näher und zieht kurz an meiner Jacke. „Schon gut. Ich glaube, ich kann dich verstehen. Jetzt wo du einmal ganz oben stehst, willst du da nicht mehr weg.“ Ich merke das ich Recht habe, denn er prustet deprimiert vor sich hin. „Gib einfach nur dein Bestes Bruderherz.“ Solange wir uns noch vor den Schultoren befinden, gebe ich ihm wieder einen Kuss auf die Wange. Dann bin ich auch schon weg. Er versucht sich in der Zeit ein bisschen zu beruhigen. Während des Unterrichts kann ich mich einfach nicht konzentrieren. Ich denke immer wieder nach und kann mich nicht davon losreißen. Er sah wirklich mies aus und so abgelenkt. Ich frage mich, ob ich da noch etwas tun kann? Wohl eher nicht. Ich meine, wenn ich mich da mit einmische, wird alles nur noch schlimmer. Es kann ja aber nicht schaden, wenn ich unauffällig mal ein Auge mehr auf ihn habe. Ich öffne meinen Rucksack und packe alles aus. Dabei fällt mir sein Essen ins Auge. Er hat es wieder vergessen. Also fasse ich den Entschluss es ihm erneut zu bringen aber erst später. Nach der dritten Stunde ist es auch so weit. Es läuft alles gut, niemand sieht mich aber Toyo sehe ich auch nicht. Ein schlechtes Zeichen wird das schon nicht sein, halte ich mir vor.
0 Kommentare
|
Wörter: 2096
Zeichen: 11660 |