Erschrocken stemme ich mich auf. Meine Atmung geht schwer und noch viel schwerer, als ich mich auf setze. Was ist passiert? Wo bin ich? Wie bin ich hier her gekommen?
„Ruhig, ruhig, ganz ruhig. Dir ist nichts passiert, lege dich lieber wieder hin.“, höre ich nur. Eine sehr beruhigende Stimme. Ich fühle mich erleichtert, sie hören zu können. Um mich herum ist es dunkel, ich sehe also nichts und niemanden. Mir bleibt nichts anderes übrig als auf die Stimme zu hören. Mein Körper zittert schon, nur weil ich mich so hastig aufgerichtet habe. Jetzt jedenfalls lasse ich mich einfach wieder fallen. Weiter schlafen geht aber nicht. Meine Augen bleiben offen. Erschöpft, schwer atmend, nur durch diese eine Bewegung eben, lege ich einen Arm auf meine Stirn und atme tief durch. Kaum später merke ich, wie jemand neben mir Platz findet. „Danke! Miki, danke, vielen Dank!“ Also war das alles wohl doch kein Traum. Ich habe so gehofft, dass die Geschichte der letzten Nacht, der hoffentlich letzten Nacht, nicht wahr ist. Ab irgendeinem Punkt fehlen mir sämtliche Erinnerungen. Ich weiß gar nicht, was ich als erstes wissen will, woran sie mich als erstes erinnern soll. „Sally?“ „Hmm?“, haucht sie mir ins Ohr, denn sie hat sich so dicht an mich gelegt, dass sie ihren Kopf gegen den meinen legen konnte. Ihre Arme schlingen sich fest um meinen Brustkorb. „Wie geht es dir? Warst – Warst du wach? E-Erst?“ „Erst?“, fragt sie sofort nach. Meine Befürchtung wird wahr, es ist schon ein Weilchen länger her, „Du meinst also vor 2 Tagen? Ja, da war ich wach, die meiste Zeit zumindest. Ich konnte nur nichts tun, mein Körper wollte nicht.“ „Und … du kannst schon wieder laufen?“ „Hmm, na ja … ich habe es noch nicht versucht. Sixth hat dich einfach gleich neben mich gelegt. Er muss gewusst haben, dass du dich eh hier her legen würdest.“ „Sixth?“, hake ich leise nach. „Ja. Er – Er hat dich aufgefangen, bevor du auf dem Boden auf kamst. Fourth hatte es nicht bemerkt.“ Meine Augenbrauen schieben sich zusammen. Ich versuche mich krampfhaft daran zu erinnern, doch es kommt nichts zurück. Ich kann mir nicht mal erahnen, was sie da erzählt. „Tut mir leid. Ich – Ich wollte dir helfen aber …“ „Erinnerst du dich an das Gespräch mit dem First King-sama?“ Wieder schließe ich meine Augen. Ein Gespräch liegt mir irgendwo im Hinterkopf. Irgendetwas muss ich gesagt haben und irgendetwas muss mir gesagt worden sein nur … was? „Er und Third haben mir ab und an geholfen, so gut es eben ging, denke ich, als sie bemerkt haben, dass du beschäftigt bist. Sie sind klug, sehen Dinge, die andere nicht sofort sehen würden und trotzdem … du darfst dir keine Vorwürfe machen. Mir war klar, dass es Fourth auf dich absehen würde. Deine 4 Münzen … das hat schon gereicht, also – also mache dir keine Vorwürfe, ja?“ „Ich wünschte, ich hätte mehr tun können. Sally ich …“ „Ich weiß, du willst es nochmal versuchen aber …“, unterbricht sie mich, nur damit ich es ihr daraufhin gleich tun kann. „Was? Nein! Sally, das ist dein Ding. Ich will nur … Ich will nur irgendwie auch – auch helfen können. Sage mir wie? Deine Beine müssen wieder gesund werden. Wie kann ich dabei helfen.“ Ich spüre ihr Lächeln an meiner Wange, bevor sie mir liebevoll einen Kuss darauf gibt. „Das kannst du nicht. Du bist klug, klug genug um zu wissen, dass ich so unser Geld verdiene. Es werden Wetten abgeschlossen. Je höher der Rang, desto mehr Geld gibt es für die Teilnahme und damit es reicht, schließe ich Wetten auf mich oder die anderen ab.“ „Hmmhm, das konnte ich mir fast denken.“ Ich bin mir nicht sicher ob sie das mit Absicht erwähnt hat oder einfach nur, weil sie es los werden wollte aber … ich denke, ich weiß nun auch schon von alleine, wie ich ihr helfen kann. Später, wenn sich meine Beine nicht mehr anfühlen, als würden sie platzen. „Wie geht es dir? Deinen Beinen?“, lenke ich sofort ab, aus Angst, sie könnte bemerkt haben, woran ich gedacht habe. „Nicht besser.“ „Also kannst du nicht laufen?“ „Ich denke nicht. Die Ärzte haben mich davor gewarnt aber … es war meine Entscheidung. Mache dir deswegen keine Vorwürfe, ja? Bitte!“ Solange wir reden, habe ich mich immer wieder versucht an alles zu erinnern. Ein paar Bilder sind mir erschienen aber so wirklich viel noch nicht. Da war ein ziemlich markantes Gesicht, Augen, weit offen. Ich glaube, diese Person hat mich getragen, so wie Sally erzählt hat aber … das kann auch nur Einbildung sein. Mit diesem Bild kommen auch noch ein paar weitere auf und Gefühle. Das Gefühl, wie zwei Hände meine Knöchel packen. „Wer – Wer hatte mich angefasst?“ „Angefasst?“ „Ja … an den Beinen, zweimal.“ „Das war der First. Er hat dir versucht zu erklären, dass deine Beine …“ Meine Beine … verdammt … ich glaube, ich weiß wieder ein paar Details aus diesem 'Gespräch'. „Séox … seine Boots, was ist mit denen? War er sauer und wie geht es den Beiden?“ „Thihi, du bist die Einzige, die sie als Boots bezeichnet, ist dir das mal aufgefallen?“, kichert sie aber es ist einfach einfacher, „Nein, er war nicht sauer. Es waren seine alten Scates. Er hatte damit gerechnet, sie nicht wieder zu bekommen. Du solltest besser weiter schlafen. Du hast viel Blut verloren.“ „Hmm ja, ich glaube, das weiß ich. … Wo – Wo genau sind wir, doch nicht etwa doch im …“ „Nein, nein, keine Sorge, kein Krankenhaus. Als Scater hat man eigene Ärzte, schweigsame, welche, die für den Sport ihr Leben opfern würden.“ Jemand wie der Arzt, bei dem ich letztens auch war, der mit der schönen Stimme. „Du – Du hast sicher verstanden, dass dieser Sport nicht sehr … legal ist.“ „Oh, du meinst wegen dieser klitzekleinen Explosion? Ach waaaas! … Erst dachte ich noch, das hätte ich mir eingebildet … dass das wirklich alles wahr ist. Ich verstehe so schon fast nichts.“ Sally holt bereits tief Luft, doch ich halte ihr noch währenddessen den Mund zu. „Nicht. Ich will es gar nicht wissen. Es ist besser so.“, flüstere ich ihr zu. „Wieso? Hast du Angst, du willst doch weiter machen?“ „Und mich wieder so jagen lassen? NIEMALS!“, protestiere ich sofort und als mir Sally mehr erzählen will, schließe ich fest meine Augen und halte die Luft an. „Du kannst manchmal so kindisch sein für dein Alter. Ist ja schon gut, ich erzähle dir nichts mehr darüber, was du nicht wissen willst.“ „Ich will nur etwas darüber wissen, wenn du mitgemacht hast. Gewonnen, verloren, Schmerzen, so etwas eben. … Ich mein's ernst, erzähle mir ruhig, wenn da etwas passiert.“, merke ich selbst, wie sich meine Stimme senkt, noch leiser, fast schon traurig geworden ist. Ich hoffe, sie merkt sich meine Worte, sie soll sie sich gut merken. Sal sagt nichts, lächelt nur, kuschelt sich an meine Seite wie diese fette, hässliche Katze und schließt ihre Augen. Am liebsten würde ich sie ja fragen: „Weißt du wie – wie ich es geschafft habe diese Sprünge zu machen?“ aber irgendwie getraue ich mich nicht. Will ich die Antwort denn wirklich wissen? Am liebsten ist es mir wohl, nicht allzu weit in diese Welt eintauchen zu müssen. Das war einfach nur Horror, von der ersten Sekunde an und wie Sally so gerne sagt, muss ich auf mein Herz achten. Ich frage mich nur, ab wann ich wohl wieder aufstehen darf. Und noch während mir all solche Fragen durch den Kopf schweben, schlafe ich auch schon, mit meiner großen Schwester im Arm, ein. Auf dem Weg zur Schule kann ich unweit von Isebell und mir eine Art trampeln hören oder sagen wir besser, einen schnellen Schritt auf uns zu. Das klingt wesentlich vernünftiger. Sekunden später spüre ich auch schon eine feste Umarmung und einen wohlgeformten Vorbau gegen meinen flachen Oberkörper. Quietschend werde ich noch am Schultor begrüßt. Sie drückt wirklich sehr fest zu. Mir ist klar, wie die Jungs unserer Klasse gerade schauen müssen. „AAAHHHH!!! Du bist wieder da! Wo warst du denn die letzte Woche Miki, wir haben dich vermisst!“ „Du meinst wohl, DU hast mich vermisst.“, korrigiere ich mürrisch. Autsch. Ihren vollen Körper im Ansturm abzufangen, lässt mich auch gleich wieder daran erinnern, warum ich so lange gefehlt habe. Meine Beine brennen nach wie vor aber ich wollte nicht mehr länger nur herum liegen und Löcher in die Luft starren. Sally muss als Einzige noch im Bett liegen. Wir lagen tatsächlich bei diesem Arzt, der mich letztens noch behandelt hat. Er hat die ganze Zeit über keinen von uns angesehen und war auch so lieber stumm. Er hat auch nichts gesagt, als ich einfach gegangen bin. Das war schon ziemlich seltsam aber ich wollte ihn auch nicht fragen. „Ist doch egal, wer dich alles vermisst hat, Hauptsache du bist wieder da!“, quietscht Kayli lauter, erfreuter als zuvor schon. Ja, wegen solcher Dinge liebe ich Kayli. Sie schafft es immer mich zum Lächeln zu bringen und ist immer sehr offen. „Also sage schon, was hast du die letzte Woche so getrieben? Hast du endlich einen Freund gefunden?“, spielt sie freudestrahlend auf eine gewisse Tätigkeit an, die man wohl so macht, wenn man einen Freund hat. Ich rede ungern über solche Dinge, denke eher weniger daran. Das letztens beim Arzt … ich weiß nicht wirklich, wo solche 'Er soll ruhig weiter machen'-Gedanken her kamen. „Nein, nein. Ich war krank. Es ging mir nicht sehr gut.“ Sie lässt mich umgehend los und starrt mich an. Ihre Hände hat sie an meine Wangen gelegt, als wolle sie mich küssen. Auch da weiß ich wieder, worauf die Jungs sehnsüchtig hoffen. „Ja stimmt, du bist auch noch richtig blass. Sage mir bitte, dass du wieder voll gesund bist.“ „Na ja, sagen wir, es geht bergauf.“ Daraufhin knuddelt sie mich noch einmal, erst dann kommt Isebell dran, die bereits auf ihre herzliche Umarmung wartet. Wir bringen sie wie letztens schon in ihre Klasse. Wenn Kayli da ist, getrauen die Jungs sich nicht, irgendetwas zu tun. Zwei Mädchen sind dann wohl doch zu viel. Mich jedenfalls freut es und wir können ganz normal unseren Unterricht abhalten. Endlich sitzen zu können ist erleichternd. Die ganze Lauferei zur Schule war so anstrengend. Als es endlich zur Pause klingelt, kommt Keyli sofort von ganz hinten zu mir nach vorn. Sie setzt sich neben mich und ich weiß schon, dass sie neue Fragen auf Lager hat. Sie sieht mich ganz eindringlich an. „Was genau hattest du für eine Krankheit?“ „Wieso fragst du?“ „Weil ich jetzt erst die Verbände an deinen Beinen gesehen habe und das auch NUR, weil da Blut raus kommst. Nun sage schon und sei ehrlich.“ Ich lasse mich samt Stuhl etwas nach hinten gleiten, um nun selbst einen Blick darauf zu bekommen. Mit beiden Händen greife ich nach meinem linken Knie und fluche laut auf. „Ach verdammt! Dann darf ich den auch gleich noch wechseln!“ Ich will bereits aufstehen, als zwei Hände nach meinem Arm greifen. Sie sieht mich wehleidig von unten herauf an. „Sage schon Miki. Wenn du irgendwelche Probleme hast, würdest du es mir doch verraten oder?“ „Kayli …“,murre ich sie an. „Ist doch wahr. Du handelst dir jeden Tag Probleme ein.“ „Kayli!“, versuche ich es deutlicher. Sie lässt sich nicht so leicht abschütteln: „Du weißt, ich mache mir nur Sorgen und du weißt, dass mein Papa bei der Polizei arbeitet. Wir können dir bestimmt …“ „Kayli!! Nun hör schon auf. Ich hatte eine Erkältung und bin zu Hause umgekippt. Dabei habe ich mir das Knie etwas doller aufgerissen.“, mit künstlich breitem Grinsen beuge ich mich zu ihr herunter, „Als ob mir irgendjemand zu nahe kommen würde. Kennst mich doch!“ Mit einem Schmunzeln auf den Lippen wird ihr Blick endlich wieder normal: „Na ja, wenn du den Mädchen etwas zu Essen holen sollst, kommen sie dir schon ziemlich nahe!“, braucht sie nur zu erwähnen, da stehen sie auch schon alle um mich herum. Bevor sie anfangen mir aufzuzählen, was ich ihnen mitbringen soll, weil ich mir ja eh etwas zu Essen kaufen gehe, halte ich beide Hände hoch und erkläre: „Schreibt einfach auf, komme gleich wieder!“ Sie sind ruhig, krallen sich einen Zettel aus meinem Block und kritzeln sofort drauf los. Kayli sieht mir kopfschüttelnd nach. Na und, dann nutzen sie mich halt aus aber recht haben sie ja, ich gehe eh einkaufen. Mich auf der Toilette verkriechend, lasse ich mich prustend auf den Deckel fallen. „Phhaaa, wie anstrengend. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass es wieder blutet.“ Verträumt nehme ich den Verband ab und schaue darauf. Ich habe es mir oft angesehen die letzte Woche, konnte aber kaum wahr haben, was alles passiert ist an diesem Abend. Mir läuft immer noch ein kalter Schauer über den Rücken. Vor meinem inneren Auge tauchen all diese schrägen Masken auf, vor allem dieser Drache. Mir wird schlecht davon. Mit beiden Händen halte ich mir sofort den Mund zu und wache aus meinen Tagträumen kopfschüttelnd auf. Ich tupfe lieber die Wunde ab und nehme aus meinem Rucksack eine Kompresse. Vorher kann ich nicht anders, als über die Nähte der ehemaligen Zugänge drüber zu fahren. Der Arzt hat nur einmal Klartext mit mir gesprochen, mir gesagt, was der First mir auch erklärt hat. Sie werden nicht zuwachsen, weil sie zu ausgebrannt sind. Das hörte sich schon so ekelhaft an, dass ich gar nicht hinsehen wollte. Der Arzt hat sie, damit sie trotz der vernarbten inneren Brandmale nicht doch anfangen zu bluten, vorläufig zu genäht. Er konnte mir nicht garantieren, dass das ewig halten würde und dass es nicht anfangen würde zu bluten. Er konnte mir rein gar nichts garantieren. Die Nähte würden jedenfalls immer bleiben, weil diese Stellen die Fähigkeit verloren haben zu heilen und wieder zusammen zu wachsen. Mir ist schleierhaft, was diese Gen's nun wirklich sein sollen. Es klingt jedenfalls gefährlich, heute schlimmer wie vor einer Woche. Die Nähte haben zwar alle gehalten aber das Blut scheint seine Schlupflöcher gefunden zu haben. Ich werde es dem Mann später wohl nochmal zeigen müssen. Solange muss ich es eben aushalten. Als ich zurück in der Klasse bin, wird mir nur die Liste in die Hand gedrückt, mit den Beiworten: „Beeile dich, die Pause geht nicht mehr so lange.“ Ja ja, so ist das wohl. „Kümmerst du dich so lange um Isebell?“ Mir war klar, dass die Kleine schon wieder an der Tür stehen muss. Sobald ich das nur erwähne, kommt sie um die Ecke. Sie fällt mir um die Beine und sieht mich mit großen Augen an. „Soll ich dir auch etwas mitbringen?“ Ihr Lächeln wird breiter. Natürlich soll ich ihr etwas mitbringen. Also mache ich mich endlich mal auf den Weg. Die nächstbeste Bäckerei ist etwas weiter entfernt. Ich muss mich also vom Schulgelände schleichen. Dabei wurde ich früher oft erwischt aber inzwischen kenne ich da ein paar Tricks. Mein Weg führt mich nach ganzen hinten auf das Schulgelände, wo ich dann durch ein Loch im Zaun schlüpfen kann. Irgendwann war dieses Loch einfach da. Ich frage mich nur immer, wer wohl freiwillig Nachts in eine Schule möchte. Nach dem Zaun ist da noch die hohe Schulmauer. An ein paar Stellen fehlen Steine oder sind heraus gebrochen – natürlich perfekt für mich. Vorsichtig krabble ich über die Mauer drüber, als hinter mir auch schon wieder ein eigenartiges Geräusch zu vernehmen ist. Ich drehe mich gar nicht erst um, will nichts damit zu tun haben. Es hörte sich an wie kleine Minimotoren an gewissen Rädern, die eigentlich gar nicht vorhanden sind. Sollen die mich damit ja in Ruhe lassen!!! Stur schaue ich nach vorne und hüpfe die andere Seite wieder herunter. Genauso klar war, dass dieses Geräusch näher kommen würde und über meinen Kopf hinweg schwebt ABER ich habe nichts gesehen! Vor unserer Schule führt die hohe Mauer gleich weiter. Auf dem schmalen Fußweg taste ich mich die Mauer entlang, fahre immer mit meiner Hand über die raue Oberfläche. Nach ein paar hundert Metern sehe ich schon die nächste hohe Mauer auf der anderen Straßenseite. Sie ist höher als unsere, wunderschön rot weiß und alle Steine sind noch ganz, nicht so ausgegraut und veraltet wie die unsere. Es ist glaube ich das erste mal, dass ich davor Schüler stehen sehe. Zugegeben, oftmals achte ich auch nicht darauf aber heute fällt es irgendwie auf. Die 3 Typen erinnern mich an die Jungs, die mich vor einer Weile zusammen geschlagen haben. Sie tragen eine grüne Uniform, besser gesagt einen Anzug. Es muss eine Privatschule sein. Die Jungs wirken sehr … von sich eingenommen. Sie zupfen sich regelmäßig ihre Krawatten zurecht und richten sich ihr Haar. Es wirkt geradezu unnatürlich. Da kann ich mit meinem weißen Hemd und dem orangenen Pullunder darüber nicht mithalten. Vielleicht könnte der kurze Rock bei der Mädchenuniform mithalten aber sogar den trage ich ja nicht. Ich ziehe immer die kurzen Shorts an, die eigentlich für die Jungenuniform gedacht ist. Kariert, orange, gelb und ein bisschen schwarz. Ich gehe lieber weiter, bevor sie mich bemerken. Ich fürchte, dass sie genauso sind wie unsere Oberschüler. Als ich beim Bäcker ankomme, sind erst 6 Minuten vergangen. Ich bin etwas verwundert. Die Uhr geht ganz bestimmt falsch. Bei meiner alten Armbanduhr wäre das tatsächlich kein Wunder, wenn die mal wieder spinnen würde. „Was hätten Sie denn gern? Oh, du bist es.“ Jaaa, so eine Begrüßung bin ich schon gewohnt. Die Frau hinter der Theke hält schon automatisch ihre Hände hin. Ich gebe ihr einfach den Zettel. „Gut, ich mache dir alles fertig.“ In der Zeit kann ich in den kleinen Laden gegenüber gehen. Sie weiß inzwischen schon, dass ich eh wieder komme. Die Mädchen haben auch wieder Dinge aufgeschrieben, die sie von gegenüber haben wollen. Ich selbst hole mir da nur etwas Milch, für Isebell auch. Ich bin nur froh, dass die Mädchen schon vorher ausrechnen, was sie mir schulden. Auch wenn sie sich oft lustig über mich machen, bei Geld verstehe ich keinen Spaß und das wissen sie auch. Kann natürlich auch daran liegen, dass ich im Notfall sogar zuschlagen. Ich weiß, das ist keine Lösung aber die Erste, die mir in solchen Situationen einfällt … das heißt, solange mein Herz dabei noch mitmacht. Vernünftig ist das nicht aber was soll's … ich bin erst 15, da gehen Fehler schon noch klar! Mit allem bepackt, nochmal kontrolliert, ob alles richtig ist, kann ich zurück zur Bäckerei. Sie gibt mir nur die Tüte und ich ihr das Geld, danach geht 's zurück. Mir fällt auf, dass die Sonne heute wieder sehr doll scheint. Es war wohl ein Fehler den Pullunder an zu behalten. Meine Blicke halten dennoch in den Himmel. Hitze ist nicht schön, die Sonne an sich ist es schon. Sie ist wunderschön. In dieser Nacht … kam es mir ab und zu so vor, als hätte sie auch geschienen. Ich weiß nicht woran es lag oder wie ich auf solche Gedanken kam aber … ab und zu … hat der Himmel einfach nur geleuchtet und ich habe mich gefühlt wie ein Teil darin … ein seltsames Gefühl, nicht zu vergleichen mit dem Rest, mit den Horrorgestalten oder der Polizei, der Phönix-Einheit. Ich war zwar weggetreten aber diese Explosion … und die Schüsse, die abgegeben wurden … sie hatten keine Chance diese Leute am Himmel zu treffen, soviel konnte ich spüren. Selbst als ich bewusstlos war, nein, gerade als ich bewusstlos war, habe ich mich fast schon sicher gefühlt. Es ist so widersprüchlich, klingt so falsch aber … ich kann das was in mir vorgeht leider nicht erklären. Es ist einfach so … Ich komme aus meinen Gedanken einfach nicht los. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es gesund ist so viel über diese eine Sache nachzudenken. Als sich vor mir dann eine Wand auftut, welche ich mit keiner Sekunde bemerke, bin ich mir sogar sicher, dass dem nicht so ist. Ohne zu zucken bin ich dagegen gerannt. Mein Gleichgewicht ist völlig durcheinander. Der Widerstand war irgendwie hart, in meinem Gesicht habe ich aber etwas ziemlich weiches gespürt, jedenfalls keine Wand. Stoff. Ich lande geradewegs auf meinem Hintern, irgendwo auf dem Gehweg, auf dem Boden. Schämend laufe ich hochrot an und spüre das Klopfen meines Herzens, als wolle es aus meiner Brust fliehen. Schlechte Situation kleines Herz. Meine Augen sind zugekniffen und ich habe meinen Kopf etwas eingezogen, als wolle ich mich vor irgendetwas schützen. „Hmm?“, höre ich nur ein tiefes, gleichgültiges Murren. Da wird mir zumindest klar, dass meine Wand keine Wand war. Bevor ich überhaupt aufstehen kann, entflieht mir: „T-T-Tut mir leid, wirklich, ehrlich. Das – Das war nicht mit Absicht, sorry.“ Keine Antwort. Nur ein schleierhafter Schatten vor meinen geschlossenen Augen. Ich spüre Bewegung. Die Person hat sich zu mir auf den Boden begeben. Sofort öffnen sich meine Äuglein und ich starre geradeaus. Er hat sich direkt vor mich gehockt, breitbeinig und hat jeweils einen Ellenbogen auf seinen Oberschenkel gestützt. Ich komme mir vor wie ein entlaufenes Hündchen, welches mitten auf der Straße begutachtet wird. Er hat eine grüne Uniform an. Um seinen Hals ist eine rote Krawatte gebunden, welche unter dem grünen Jackett verschwindet. Weiter aufschauend und musternd, blicke ich in ein müdes Gesicht … ein ziemlich müdes Gesicht. Er hat längeres Haar, welches ihm über die Schultern fällt, man erkennt aber sofort, dass es ein Junge sein muss. Seine Augen sind von dunklen Augenringen umfärbt und er lässt keine überschüssige Miene an mich fallen. Seine trägen Lider richten sich nur auf die Einkaufstüten. Es klingt wieder gleichgültig, als er mir antwortet: „Tut mir leid. War nicht mit Absicht.“ Erst dann macht es Klick. Ton in eine Stimme zu bekommen kann anstrengend sein. Wie müde kann ein Mensch denn sein, dass er nicht mal mehr Kraft für solche Kleinigkeiten aufbringen kann? Meine Blicke können sich nicht von ihm lösen. Er packt immer mehr in die Tüten zusammen, als er es dann auch bemerkt. Er macht sich die Mühe ab und zu zu mir auf zu schauen, denn im Moment befindet er sich weiter am Boden als ich. „Tut mir leid.“, wiederholt er es, etwas lauter als zuvor. Meine eingefrorenen Glieder wachen nach und nach auf. Schnell helfe ich ihm, packe selbst zusammen, was alles abhanden gekommen ist. „N-Nicht doch, das war – war – war meine Schuld.“, stottere ich irgendwie zusammen. Nervös kneifen sich meine Augen erneut zusammen. Er sieht mich einfach perplex an, was es nicht gerade besser macht. „Kommst du? Der Unterricht geht gleich weiter.“, ertönt eine Stimme hinter ihm. „Hmmhm.“, antwortet der vor mir so schnell er es eben kann, in seinem müden Hirn verarbeiten kann. Erneut blitzt etwas in mir auf, Gedanken, Erinnerungen. „S … Sa … lly … d-d … die … Zw … Zwil … linge.“ „Sind alle drei da, …“ Er steht auf, sobald sich das letzte Brötchen wieder in der Tüte befindet und folgt dem an der Mauer. Mein Gott, wie dämlich bin ich eigentlich? … Bei diesem Gespräch was mir wieder eingefallen ist … das mit diesem First … da war noch jemand. Er trug mich und das war – war wirklich dieser Typ? Der gerade? … Seine Stimme, ich habe vorher noch keine vergleichbare gehört. Bilde ich mir das nur ein oder … oder stimmt es? Ich kann noch hören, wie der Jüngere, Kleinere sich über den Jungen mit langem Haar beschwert: „Sage nur, du bist wieder vor diesen Idioten geflüchtet. Hat wohl nicht viel gebracht, hmm? Sind dir bestimmt wieder gefolgt. … Wer war überhaupt diese Kleine da?“ „Habe sie umgerannt.“, murrt er seinen Freund an, der aber versteht das nicht falsch. „Ja sicher, weil gerade DU ja auch rennst!“ Der Uniform entsprechend fallen mir wieder sofort die 3 anderen Jungs ein. Sie müssen ihm bis nach draußen gefolgt sein und … und ihn schikaniert haben. Ist bestimmt nicht einfach für ihn. Er … Er ist ein Außenseiter? … Ein Außenseiter, wie … ich … Energisch schüttle ich meinen Kopf. Solche Gedanken müssen endlich verschwinden! Egal wer, was, wo, wann ist, es interessiert mich nicht! Es braucht mich nicht interessieren! Ich … Ich hätte mich nur gern bedankt. Auch wenn er keinen Grund hatte mir zu helfen, er hat es getan. … So etwas machen nicht viele … Eilig packe ich die beiden Tüten und laufe geradewegs drauf los, renne, schnell, bis mich etwas aus der Bahn wirft. „Mikiiiiiii! Wo bleibst du denn so lange? “, höre ich schon von weitem eine Stimme, die schwer nach Luft schnappt und trotzdem noch schreien kann. Ich blicke sofort auf, werde langsamer, bleibe bald darauf stehen. Sobald wir uns gegenüber stehen, bekomme ich ein breites Lächeln. „Da bist du ja. Ich hätte mir beinahe Sorgen gemacht!“, freut sich Kayli mich wieder zu sehen. Ich kann mich darüber nur belustige,: „Beinahe? Du bist gerannt. Ich meine, DU!“ „Hey, hey, ich bin gut in Sport und ich mache es gerne!“ „Stimmt, Akrobatik! Keinen Ausdauerlauf oder Sprint.“ „Und du bist da besser oder was?!“, wird sie ungehalten mir gegenüber. Das passiert nicht häufig. Sie bringt mich eher zum Lachen, als dass ich zurück weiche. Ihre leichte Wut ist daraufhin auch verschwunden. Sie lacht mit und nimmt mir dann eine der Tüten ab. Den Rest des Weges gehen wir gemeinsam. Alle Lehrer sind inzwischen wieder drinnen. Wir können den normalen Weg durch's Vordertor gehen. „Ist irgendetwas passiert? Du rennst nicht sehr häufig den Weg zurück.“, befragt sie mich schon wieder. Ich öffne die Packung Milch, zutsche am Strohhalm und blicke in den Himmel. Irgendetwas bereitet mir trotz der Aufregung von eben sehr viel Freude. Breit lächelnd berichte ich ihr: „Nö, nichts. Ich habe nur die Sonne gesehen.“
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