Das Wochenende über stelle ich mir nur eine Frage: Warum habe ich ihn so einfach ohne jeglichen Kommentar gehen lassen?! Meine Familie versucht mich die ganze Zeit zum Lächeln zu bringen aber seit dieser einen Sache damals, seit diesen vielen Sachen, ist es einfach verstummt. Sie können mich nicht richtig lächeln sehen und ich zweifle wirklich, dass das jemals passieren wird aber wer weiß …
Obwohl dieses Wochenende fast nichts passiert ist, habe ich heute früh einen neuen Brief in der Hand. Diesmal will ich ihn gleich früh abschicken. Also kümmere ich mich nur noch schnell um mein Tagebuch. „Nochmal werde ich ihn nicht so wortlos gehen lassen. Er kann nicht ständig Nathaniel ärgern! Vollkommen egal welchen Grund das hat. Da fällt mir ein … was haben die beiden eigentlich gegeneinander? Genau, welchen Grund gibt es dafür?“ Wie schon den letzten Montag, schnappe ich mir auch heute mein Fahrrad und radle los. Meine Mutter ruft mir wieder irgendetwas nach, doch ich verstehe es nicht mehr oder will es vielleicht auch gar nicht verstehen. Das braucht sie ja aber nicht zu wissen! Der Briefkasten ist erst mitten in der Stadt, deswegen muss ich mich noch mehr beeilen als sonst schon. Es wird knapp noch rechtzeitig anzukommen. Na los Sue, wir haben es eilig!, sporne ich die kleine Mischung aus Fuchs, Katze und Nasenbären an. Ein Glück bin ich noch rechtzeitig da. Gerade als ich im Klassenzimmer antanze, klingelt es auch schon. Nathaniel seine Unruhe lässt nach, das merke ich ihm sofort an. Dachte er wohl, ich würde nicht mehr kommen nach letztem Freitag? Wie gewohnt ist der Rotschopf nicht da, vielleicht ist es ja auch besser so. Schon nach den ersten Stunden frage ich mich, warum ich mich überhaupt so beeilt habe. Der Unterricht ist langweilig, zu langweilig. Das ist glaube ich das erste mal, dass ich mich raus auf den Hof wünsche und das obwohl ich weiß, dass Castiel da sein würde. Vielleicht hält es mich ja genau deswegen hier drinnen fest, schmunzle ich darüber. Als es endlich das letzte mal klingelt für heute, freue ich mich sichtlich. Nein, nicht weil ich Heim kann, sondern weil es in die Musik-AG geht. Okay, ich bin nicht so überzeugt von denen aber Musik macht mir dennoch Spaß. Sie drücken mir sobald ich den Raum betrete eine Gitarre in die Hand. Nathaniel muss ihnen erzählt haben, dass ich auch damit etwas umgehen kann. Ich studiere gerne neue Stücke ein, doch sobald ich auf die Noten sehe mit dem kleinen Kommentar darunter: Nicht zu laut!, verziehe ich ungewollt, kurz mein Gesicht. Für mich gibt es heute noch einen Grund zur Freude. Ich überlege nicht nur Castiel endlich mal zur Rede zu stellen, sondern will mich auch endlich mal an Amber rächen. Aus irgendwelchen Umständen kann ich den Raucher heute gar nicht finden, den ganzen Tag schon nicht. Der Plan für Amber geht aber auf jeden Fall auf. Im Geschenkeshop drei Straßen weiter, damit mich vorher auch ja keiner sieht, habe ich ein paar Spraydosen und viele kleine Gummispinnen besorgt. Dafür ging leider auch mein Taschengeld bei drauf aber für dieses blonde Etwas lohnt sich das immer. Die trage ich schon den halben Tag über bei mir rum. Jetzt muss ich nur noch bis spät am Abend warten. Ich wusste es doch, es ist nie gut, wenn ich Nachts irgendwo allein herum irre. Erst Recht nicht, wenn ich die Schule noch nicht so lange kenne und du Sue bist mir auch keine große Hilfe. Sue sieht mich verwundert an und beschwert sich bei mir. Für einen Moment huscht mir ein eigenartiges grinsen über die Lippen. Trotzdem, der Gedanke daran, dass ich im dunkeln noch in der Schule bin beunruhigt mich. Ich laufe den Gang einfach weiter nach unten. Inzwischen herrscht vollkommene Stille. Ich wünsche mir beinahe, dass mein Atem mal für einen Moment still sein kann, genauso wie mein Herz. Ich sehe irritiert die Treppen herunter. Seit wann sind hier Treppen? Und wo führen die hin? Neugierig folge ich dieser hinab. Im Kopf gehe ich schon ein paar schreckliche Horrorfilme durch, die in der Schule spielen und viel mit dem Keller zu tun haben. Der Gedanke macht es natürlich nicht besser und dennoch steige ich weiter hinab, wie die dummen Jugendlichen in den Filmen. Endlich sehe ich etwas: eine Tür. Weiter oben an der Tür ist ein kleines Fenster eingebaut, wodurch das Licht bis zu mir durch dringt. Man kann sich wohl kaum vorstellen, wie sehr so ein Herz doch pochen kann. Ich spüre es sogar bis hin in mein Ohr. Wissbegierig sehe ich durch das Fenster. Das Zimmer ist leer, niemand ist da. Ganz vorsichtig muss ich einfach weiter nachsehen. Vorsichtig drehe ich am Knauf und kleine zugleich meine Augen zu. Ich bete, dass die Tür jetzt nicht knarrt. Es wurde zu meinem Glück mal erhört. Langsam stoße ich die Tür mehr auf. Sobald meine Blicke durch den Raum schweben, erkenne ich viele Geräte auf dem Boden stehen. Zu einem ein großes Schlagzeug, überall die verschiedensten Gitarren und in der Mitte ein Mikro. „Eine Band? Um diese Uhrzeit und hier unten? Wieso?“, wundere ich mich. Die Furcht weicht der Begeisterung und diese lässt nicht mehr nach. Wie hypnotisiert laufe ich einfach drauf los. Auf einer alten Kiste erkenne ich ein ganz kleines Heft, ein Notizbuch. Ich blättere die letzte beschriebene Seite auf. Als ich lese, fällt mir auf, dass es nur ein Liedtext sein kann. Es kommt mir sogar irgendwie bekannt vor. „Das ist doch dieses Lied von diesem neuen Sänger. Mir fällt nur nicht mehr ein wie er heißt. Eigentlich haben mich viel mehr die Gitarrenriffs interessiert.“, spreche ich wieder mit mir selber. Ich lese mir den Text eins, zwei, dreimal durch, eh ich ihn leise versuche nachzusingen. Da mich der Teil bisher wirklich noch nie so sehr interessiert hat, habe ich Schwierigkeiten die richtige Melodie zu finden. Ich weiß gar nicht wie ich darauf gekommen bin aber ich versuche es zu erst wirklich mit etwas langsamen. „Hey Jungs, hört ihr das?“, will einer von ihnen wissen. Ich habe zwar geschaut, dass niemand in diesem Raum hier ist aber ich wusste ja nicht, dass die Band genau im Nebenraum sitzt. Sie legen alles zur Seite und schweigen. Es ist wirklich sehr leise und für sie kaum hörbar. Das bisschen was sie hörten, nehmen sie als eine sehr weiche, gleitende Stimme wahr. Es gefällt ihnen, bis auf einem. „Gott, das hört sich an wie Katzenjammer. Lysander, dein armes Lied.“ „Scheint ein Mädchen zu sein. Auf jeden Fall probiert sie mehrere Varianten aus. Wenn man mein Lied nicht kennt, woher soll man auch wissen, wie es sich anhört.“, rechnet er mir gut an. „Wenn sie jetzt auch noch Feuer in der Stimme hätte …“, fängt einer der anderen an zu überlegen. Mir fällt ein, dass ich es vielleicht ja mal mit den Parts der Gitarristen probieren sollte. Ich zögere eine derer zu nehmen, die im Raum stehen. Eine von ihnen ist in Griffweite. Am Ende muss ich es einfach probieren. Also ran an die Gitarre! Da leider keine Noten im Büchlein stehen, muss ich es so irgendwie probieren. Ich erinnere mich langsam und versuche das woran ich mich erinnere nach zu spielen. Als ich endlich das Gefühl habe so könnte es gehen, versuche ich mich weiter an meiner Stimme. Ich probiere es mit ähnlichem Schwung, doch irgendetwas fehlt noch. Ich habe sicher nicht mehr viel Zeit. Ich sollte gehen aber … eigentlich will ich gar nicht. Nach kurzem überlegen stehe ich energisch auf. Meine Augen lodern vor Leidenschaft. Mir wird klar, dass es mir egal sein kann, ob jemand da ist oder nicht.. ich versuche es und diesmal richtig! „Das ist doch …“ Alle drehen sich zum Rotschopf um. Endlich kommen sie mal auf die Idee nachzusehen. „Ich glaube ich hab es. Die Gitarrenriffs helfen einem da echt weiter!“, freue ich mich. Es fängt wirklich mit einer Stimme an, die Power in sich tragen muss. Die Leidenschaft in dem Lied ist für mich deutlich spürbar. Der Text ist so klar, so eingänglich. Es führt mich schon fast durch das gesamte Lied. Ich greife mir ohne nachzudenken das Mikro. „Diese Neue … hat die denn kein eigenes zu Hause?!“, will einer unter ihnen wissen. Er wird richtig böse und will mich sofort vom Mikro holen, als der Weißhaarige einen Arm ausstreckt und ihm so den Weg durch die Tür versperrt. „Nein Castiel!“, rät er ihm. Ihm fällt sofort auf, mit welcher Energie ich an das Lied heran gehe. „Was?“, wollen nun auch die anderen beiden wissen. Der Sänger verlangt nur eins, „Gib mir mal das zweite Mikro!“ Die anderen sehen ihn fragend an und der Rotschopf kann es kaum fassen. Sie tut es dennoch. Sie tun was er will! Elegant hebt der Weißhaarige zwei Finger und gibt so das Kommando, „Leute, leise auf eure Plätze.“ „Lysander, du willst … du willst wirklich mit der da singen?“, kann sich Castiel nicht zurück halten. Er selber reagiert einfach nicht darauf. Er läuft langsam zu mir in den Raum. Ich lasse mich einfach nicht unterbrechen. Ich merke wie viel Spaß mir das doch macht hier zu stehen und einfach zu singen und zu spielen. Die anderen beiden Mitglieder der Band sind auch neugierig. Sie wollen es probieren. Vielleicht könnte ich ja wirklich gut sein, zumindest gut genug für sie. Die zwei ziehen Castiel einfach mit in den Raum und anschließend …
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