Tränen laufen mir über die Wangen. Sie hören nicht damit auf, immer weiter, immer mehr. Warum? Warum hat er das gemacht? Ich habe ihm nichts getan und es wusste auch keiner, dass Alexy … das er tatsächlich … ach maaaan. Es tat schon genug weh von ihm so abgewiesen zu werden. Er konnte nichts groß dazu sagen, außer dass es wahr ist. Ich habe mir mehr Worte erhofft, wenigstens irgendeine Begründung, warum er es nicht früher erzählt hat oder wenigstens Andeutungen gemacht hat.
Aber es ist wohl wahr … er hat sich nie vor uns verstellt. Man sieht es eben nicht sofort jedem an, ob er auf Kerle steht oder nicht. Die Feststellung tat schon ziemlich weh. Ich dachte ja, dass ich recht gut damit umgehen kann aber das kann ich nicht! Ich hatte erst noch das Gefühl, dass Alexy und ich uns nun besser verstehen würden aber – aber … bei so einem Freund? Wie kann ich da noch Alexy in die Augen schauen und sagen, dass alles in Ordnung ist. Andererseits will ich doch auch nicht im Weg stehen und ihm nun anprangern, dass er meine Zeichnungen zerrissen hat. Würde Alexy es glauben, wäre er mit Sicherheit sauer auf seinen Freund. Würde Alexy es mir nicht glauben, wäre er sicher tierisch sauer auf mich. Was mache ich nur? Ihn anlügen oder drüber schweigen? Ach, das bringt es doch auch nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich einfach nur alles falsch machen kann. Wie konnte ich nur in so eine Situation geraten? Wieso – Wieso hatte ich überhaupt noch diese alten Skizzen?! Ach verdammt!!! Warum war er überhaupt so sauer auf mich? Sieht er mich wirklich als Konkurrenz? Ich meine – mich?! Selbst wenn Alexy auf Mädchen stehen würden, dann wäre doch wohl kaum ich seine erste Wahl. Wenn sein Freund nun immer neben mir sitzen muss … ich weiß überhaupt nicht, wie das funktionieren soll … ich habe Angst davor. Was wird wohl die nächsten Stunden passieren, wenn er jetzt schon meine Skizzen zerreißt? Ich liebe jede einzelne davon. Weiß er das denn nicht? Die anderen wissen es auch alle und das ohne nachfragen zu müssen. Ich kann zwar nicht davon ausgehen, dass er wie jeder andere ist aber … so ein bisschen. Womit hatte ich das verdient? Wieso sagte er überhaupt, dass ich es niemals weit bringen würde? Ich weiß, ich bin bei weitem nicht die Beste, wahrscheinlich nicht mal richtig gut aber – aber ich liebe das, was ich da mache. Es macht mir Spaß und davor habe ich nie Angst. Es ist wie meine eigene Welt, in der alles in Ordnung ist. Warum – Warum sagt er mir, dass ich es als Künstlerin nie zu etwas bringen würde? Ich schaue mir die übrig gebliebenen Skizzen an, blättere eine nach der anderen durch. Es sind nur noch wenig übrig, von Alexy und … und einem OC. Ich behaupte jetzt mal nicht, dass das ich wäre aber eigentlich … sollte das doch klar sein … oder … Es dauert nicht lang, ich bekomme nicht all zu lang Ruhe, da taucht auch schon wieder wer auf dem Hof auf. Ich habe mich im Schulgarten hinter der Mauer versteckt. Da ist so ein großes Loch. Man braucht nur die Pflanzen zur Seite schieben, dann sieht man auch schon den ganzen Hof. Ich hätte es mir ja eigentlich denken können, schon nur wegen dem Geräusch der Rollen. Durch das Loch schauend, entdecke ich nun also auch bildlich den neuen Schüler. Er hat sich sein Skateboard geschnappt und fährt Kreise im Hof. Wenn er springt und seine Tricks macht, scheint er ganz konzentriert zu sein. Seine Wut, die er eben noch ausstrahlte, schwindet mit der Zeit und doch – doch habe ich Angst davor. Er – Er sieht so anders aus als wir anderen. An Castiel musste ich mich anfangs auch gewöhnen aber bei ihm … er hat überall Narben und Wunden und wie er spricht … Er – Er passt einfach nicht in die Klasse, irgendwie. Das sage ich jetzt nicht wegen meiner Zeichnungen aber … Auf die Mappe zwischen meinen Fingern schauend, welche ich immer stärker und verkrampfter festhalte, fällt mir eins auf. Doch … Doch, genau deswegen denke ich an so etwas. Nur warum? Vielleicht hat er ja sogar recht? Vielleicht stimmt es und ich werde niemals eine bekannte Künstlerin und kann so später mal mein Geld verdienen. Ich belüge doch auch mich selbst. Also vielleicht – vielleicht stimmt es … was er gesagt hat. Ich verdränge jeglichen Gedanken und lenke mich ab. Wobei meine Ablenkung bedeutet ihm zuzusehen. Es macht es nicht wirklich besser. Seine Art sich zu bewegen, trotz der offensichtlich sehr intensiven Verletzung, ist irgendwie sogar … faszinierend. Obwohl er mich verletzt hat und mir einige meiner Zeichnungen zerstört hat. Wie er sich bewegt, da macht es mich auch schon neugieriger. Ich bekomme nicht lang die Zeit dazu ihn zu beobachten. Er – Er bleibt irgendwann einfach stehen, sein Atem geht schwer und er starrt genau in meine Richtung, Richtung Schulgarten. Bestimmt nur ein Zufall oder? „Wie lange willst du dich da hinten noch verstecken, kleine Biatch?“ Ähh … was? D-Doch ich? Warum? Wie hat er mich hier sehen können? Verängstigt lasse ich die Pflanzen los und gehe ein paar Zentimeter zurück. „Dumme Biatch, merkst du noch was? Wenn du mich sehen kannst, dann kann ich dich ja wohl auch sehen!“ Seine Laune wird zunehmend schlechter. Ich kann sogar hören, wie er durchatmet und es dann noch einmal probiert. Mit sich selbst sprechend meint er kurz: „Okay … dann eben doch anders.“ Es war so ruhig auf dem Hof, dass ich es gut verstehe konnte, doch erst danach kommt das, was er eigentlich los werden will. Er muss schwer schlucken, um diese Worte über seine Lippen zu bringen: „Tut – Tut mir leid. … Ich habe wohl einfach überreagiert, als ich die Skizzen gesehen habe. Hier … sie sind zwar nicht mehr ganz aber alle Teile existieren noch.“ Er hat aus seiner Hosentasche die zerfetzten Teile heraus holen können. Ich sehe es nur nicht. Ich sehe es nicht, weil ich mich noch immer versteckt halte. Neugierig, immer neugieriger werdend, je weiter er spricht, schiebe ich nochmal die Pflanzen von der Mauer zur Seite. Er hält da wirklich Fetzen in der Hand, so einige Fetzen. Er merkt, dass ich zu ihm sehe und spricht: „Genau deswegen wirst du es niemals zu etwas bringen! Ein Künstler muss sich zu verkaufen wissen. Er muss auffallen. Was hast du schon zu bieten, außer dich zu verstecken und nichts zu sagen?“ Seine Geduldsspanne ist nicht gerade groß. Schon bald darauf atmet er tief durch, legt die Teile auf die Bank am Ende des Hofes und geht dann, am Ende des Hofes – das bedeutet direkt auf die Bank vor mich. Er will – Er will nach drinnen gehen. Meine Körper - Er reagiert von ganz allein. Er tastet sich aus der sicheren Ecke hervor, mitten auf den Hof und verbeugt sich tief hinter dem Rücken des Jungen. Ich merke, wie sich eine Hand an seinem Hemd festhält und mir wieder Tränen in den Augen stehen. Wie bin ich so schnell hinterher gekommen? Wieso habe ich das gemacht? „Tut – Tut mir leid.“ Wieso entschuldige ich mich jetzt? Wofür? „Ich wollte dich nicht reizen. Ich weiß doch, dass Alexy nur dich will. Er hat so viel von dir geredet, als er mir erklärt hat, dass er mich nicht liebt. Er hat … ich war doch einfach nur so … es tat weh und ich wollte nicht aufgeben. Deswegen die Skizzen. Tut mir leid, dass ich nicht offen und nicht mal ehrlich genug sein kann, um das zuzugeben.“ Ich merke, wie er über seine Schulter gesehen hat und mir aufmerksam zuhört. Als ich nicht mehr weiter weiß, was ich sagen soll, fängt er ungehalten an zu lachen. Mit weit offenen Augen lasse ich los und gehe ein paar Schritte zurück. „Und du glaubst echt, dass es durch weiter heulen und so besser wird? Mädel, du brauchst Hilfe und zwar dringend! Na ja … wer weiß. Irgendwie … braucht doch jeder von uns Hilfe, oder?“ W-Was hat er denn jetzt? Wieso reagiert er so? Seine Blicke sind so – so sanft geworden. Er fixiert nur noch den Boden, ganz leicht, verträumt. Dieser Moment hält nicht lange an. Schon bald darauf kratzt er sich mit einer Hand am Hinterkopf und grinst breit. Mir … Mir fällt zum ersten Mal auf, wie künstlich es doch ist. Lächelt er wohl immer so? Wenn es dauerhaft ist, dann merkt man doch gar nicht mehr, ob es unecht ist oder? „J-Ja.“, antworte ich ihm endlich. Er gibt auf gehen zu wollen. Erzählt mir grinsend, dass er vom Unterricht verwiesen wurde – meinetwegen. Er erzählt das so locker, so gelassen, dass ich mich dabei nicht mal schuldig fühle. Dabei passiert das sonst doch immer so schnell. Er hat sich auf die Bank gesetzt, auf der noch immer meine Bilder liegen. Am Ende schaue ich mir die Fetzen an, setze sie wieder halbwegs zusammen, eh ich meine Augen schließe und alles wieder zu einem Knäuel verarbeite. Verwundert sieht der neben mich mich an: „Was jetzt? Seit wann denn so entschlossen?“ „Die … Die brauche ich nicht mehr. Ich werde wohl aufhören müssen, nur in meiner Fantasiewelt zu leben.“ Wieder laut lachend holt der Junge aus und klopft mir mehrfach auf den Rücken. Ich erschrecke mich so sehr, dass ich mich daran verschlucke und stark husten muss. „Hhaahahahaha, so gefällt mir das schon besser, kleine Biatch! Bist mutiger als ich dachte.“ „Wa-Warum nennst du mich immer Bitch? Ich bin doch gar nicht, ich meine … Ich glaube zumindest, dass ich so etwas nicht bin.“ „Hmm? Du tust immer so auf lieb und nett, dass dich auch ja jeder mag, und lässt am Ende doch keinen an dich ran. Das ist für mich eine Biatch.“, erklärt er mir ziemlich kindlich, „Außerdem kenne ich deinen Namen nicht.“ Vielleicht … hat er gar nicht mal so unrecht damit aber ich glaube der wichtigere Grund war der Zweite. Ich bin sofort so frei ihm ehrlich darauf zu antworten. Ja, ich glaube das war es auch, was mich erst so eilig hat handeln lassen. Ehrliche Menschen … die schätze ich einfach sehr. Mein leichtes Lächeln ihm gegenüber ist auch ehrlich. Ich versuche zumindest immer allen gegenüber ehrlich zu sein. Er lässt es sich nicht nehmen mit zwei Fingern meine Mundwinkel weiter hoch zu ziehen. „So lächelt man richtig. Da musst echt noch mega viel üben.“ Ohne etwas zu sagen, starre ich ihn an. Er starrt genauso zurück, als er es bei mir bemerkt. „Ähm also … bist du nun noch sauer oder so? Alexy stört so was nicht, deswegen kann ich da machen, was ich will. Die meisten anderen sind halt nicht so.“ Er ist wirklich sehr ehrlich, egal bei was. Ich komme nicht mal zum antworten, da hören wir beide auch schon schnelle Schritte und eine angestrengte Atmung. Beide schauen wir zur Tür, zu spät. Es dauert keine 10 Sekunden, da muss Harmony auch schon seine Arme aufhalten und Alexy darin einschließen. „Was – Was macht ihr denn hier? Naaawww, ich bin eingeschlafen, tut mir leid. Die Mädchen haben nur blödes Zeug geredet aber da ihr beide weg wart, wollte ich lieber nachschauen. Tut mir leid. Ich vertraue dir ja, das weißt du doch aber - a – aber …“ Der Neue hat eine ganze Weile versucht ihn zu unterbrechen, ihn zu beruhigen, doch Alexy hat eher immer schneller gesprochen anstatt ruhiger zu werden. Letztendlich legt er ihm einfach seine Lippen auf. So etwas würde ich mich nie getrauen, selbst wenn Alexy mich so mögen würde wie ihn. Ich glaube … es gibt gar keinen Grund eifersüchtig oder sauer zu sein. Ich bin einfach nicht sein Typ, wie er sagte. Harmony küsst ihn, bis er ruhiger wird, so ruhig, dass er zwar wieder tief durchatmen muss aber diesmal nicht unseretwegen. „Herr Faraize ist manchmal so doof. Die Mädchen dachten, du würdest Viola jetzt auch noch draußen fertig machen. Er hat nicht mitgedacht, dass sie vorher raus gerannt ist.“ „Leeex! Sieh doch mal hin! Außer dass die heult is nix passiert. Meine letzte Frage hat sie aber noch nicht beantwortet.“ „Wa – Warum nicht?“, fragt er außer Atem nach. Ich habe ihn noch nie so aufgewühlt gesehen und das nur wegen eines Kusses. Alexy … er sieht so glücklich aus, selbst wenn er sich Sorgen macht. Während mich Beide fast schon erwartend ansehen, Harmony, auf der Bank sitzend und Alexy festhaltend, und Alexy, welcher auf dem Boden vor ihm hockt, ihn mit beiden Armen fest umklammert und ich ihnen ehrlich und breiter lächelnd als sonst dabei zusehe, antworte ich ihm endlich: „Nein, ich bin nicht sauer.“
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